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Anders als sonst üblich,
habe ich auf dieser Seite
ausschließlich Gedichte
eines einzigen Dichters zusammengetragen:
Winterlyrik des deutschen Impressionisten
Max Dautendey.
Max Dauthendey 1867-1918
Am Schneeberg sitzen Raben
Am Schneeberg sitzen Raben in Hungerscharen
Im klaren Mittag auf getauten Erdflecken.
Sie erschrecken mit lauten Schreien,
Als kam' ein Unglück unter sie gefahren.
Sie ducken sich in ihre schwarzen Flügeldecken,
Als Säßen sie in finstern Verstecken.
Sie sind wie Gedanken, die unsichtbar waren,
Die dann mit Gekreisch sich aufwecken
Und schreien die Schnee-Erde an:
Schnee, werde Fleisch!
Max Dauthendey 1867-1918
Erdfarben sind Berge und Bäume wieder
Erdfarben sind Berge und Bäume wieder,
Zu Erde geworden fiel des Sommers Leib nieder,
Als hab' es Erde geregnet bei Tag und bei Nacht,
Als hab' man geschaufelt und Grabhügel gemacht.
Erdfarben stehen die Wege und Felder,
Erdfarben wie Gruben sind dunkel die Wälder,
Die Erdwege gleichen sich weit und breit
Und sind voll Gegrübel und Eintönigkeit.
Doch ist auch die Erdfarbe lustig zu sehn,
Darf nur's Herz auf kahler Erde der Sehnsucht nachgehn.
Max Dauthendey 1867-1918
Die Schneeschaufel
Ich horch' auf die Schneeschaufeln vor meiner Tür,
Sie Scharren und hacken den Rest zu Hauf,
Wie ein Fest ich mein offen Fenster spür',
Hinaus ziehen ergraut die Wintergespenster.
Flußwasser rauscht wieder laut beim Haus.
Mein Ohr begierig der Schneeschaufel lauscht,
Als singt jede Schaufel ihm Lieder vor.
Und dunkel sieht jeder Berg wieder
Mit freier Erde zum Himmel empor.
Mein Atem noch gestern zu Nebel festfror,
Er läßt mich jetzt atemlos stehn,
Und mein Blut pocht mir wie die Schaufel am Tor.
Max Dauthendey 1867-1918
Die Sonne kann nicht mehr die weiten Wege machen
Die Sonne kann nicht mehr die weiten Wege machen,
Kurz ist der matten Tage eisiges Lachen,
Die Sonne tut, als wollte Sie entrinnen, —
Vielleicht will sie auch neue Lust ersinnen.
Sie hüllt sich in das Dunkel langer Nächte,
Als ob sie in den finstern Mantelfalten
Neuer Gedanken neues Spiel erdächte.
Nur Liebe kann der Sonne Feuer wach erhalten
Und spielt auch mit des Winters Nachtgestalten.
Max Dauthendey 1867-1918
Die Herzen der Sänger nie Stille bleiben
Es liegt an den Scheiben noch Winterhauch,
Und schon zirpt die Meise im kahlen Strauch.
Die Herzen der Sänger nie stille bleiben;
Kaum werden die Tage, die fahlen, länger,
So werben sie leise um Sonnenstrahlen.
Und taut es im Eise, so taut einer Meise das Herz gleich auch.
Erlöst von den Tagen, den rauhen,
Ausplaudern sie all ihre Liebeslieder,
Die sie dem Nächstbesten vertrauen.
Max Dauthendey 1867-1918
Alleingelassen bei Erinnerungen
Jetzt sitzt der weiße Schlaf vor allen Wintertüren,
Die Fenster sind gleich blassen Eierschalen,
Dahinter leben Straßen voll Gespenster,
Und Stimmen, die uns ferne Menschen malen.
Man kann die Welt nicht sehen und nur spüren.
Wie Blinde ahnt man dunkel das Geschehen,
Alleingelassen bei Erinnerungen,
Die an den Türen wie die Bettler stehen,
Die bei den Ofenflammen warm sich rühren,
Erregt mit nimmersatten Hungerzungen.
Sie können uns an magern Händen führen
Und haben in der Asche noch nicht ausgesungen.
Max Dauthendey 1867-1918
Umwinterte Berge
Umwinterte Berge wie breite Särge,
Eine weiße beschneite Straße
Mit Frost auf glattem Geleise.
Aus mattem Nachmittagslicht
Sticht des Mondes vergilbtes Gesicht.
Wie von Spiegel zu Spiegel im Glase
Unendlich geht die Straße ins Weite,
Fern, nur noch der Sehnsucht verständlich.
Gern gibt ihr dein Aug' das Geleite.
Max Dauthendey 1867-1918
Das Jahr, es wandert rund im Kreis
Das Eis stockt, und der Fluß steht still,
Ein Rabe hockt dort schwarz im Weiß,
Im Winternebel, der nicht weichen will.
Das Jahr, es wandert rund im Kreis;
Es bringt den Schnee zu seiner Stund'
Und winkt jetzt mit beeistem Reis.
Vom Tode kommt uns manche Rund';
Die Worte werden doppelt heiß,
Hängt sich sein Frost an unsern Mund.
Max Dauthendey 1867-1918
Die Schneeflocke
Die Laternen leuchten kaum,
Eng ist der weiße Raum
Der schneienden Winternacht.
Schneeflaum fällt im Gedräng,
Die Wege sind weich und erhellt;
Das Gestöber ist wie ein Blütenbaum.
Rein Laut stört die fallenden Flocken,
Der Schnee sich stumm in der Nacht aufbaut,
Und seine Stille geht wie ein Geist sinnend um,
Als sitzt die Nacht spinnend an einem Wocken
Und hat Flocke bei Flocke ausgedacht,
Und morgen, wenn der Tag aufwacht,
Fliegen über den Schnee die schwarzen Raben.
Der Schnee kann die Nacht nicht begraben,
Schnee und Nacht gleich dunkle Gedanken haben.
Der Schneehimmel ist ein Berg ohne Ende,
Seine Wände bescheinen am Tag die Straßen,
Und die kleinen Schneeflocken kommen in alle Gelände,
Wo zur Sommerzeit Blätter und Gräser saßen.
Sie sind wie weiße Nullen mit rundem Leib,
Sie kommen lebendig wie Bienen und Fliegen
Dunkel vor jede Fensterscheib'
Und haben sich geräuschlos verstiegen.
Eine weiße Maske liegt auf jedem Dach,
Darunter sehen Fenster den Flocken nach.
Unhörbar macht der Schnee die Füße der Welt,
Wie eine weiße Nacht voll Schlaf, die am Tag niederfällt.
Schneeflocken sind die Seelen, die hochgeflogen,
Die fortgezogen und der Erde zum Leben fehlen,
Jetzt gleiten sie nieder und verbreiten Licht
Und bescheinen geisterhaft jedes Gesicht.
Der Schnee kommt aus der greisen Ewigkeit,
Und er taut fort wie die Zeit,
Eh du sie noch beschaut.
Schau nicht zu lang in den Schnee
Und nicht in den Schneeflockentanz!
Dein Sinn wird grau, denn ohne Sang
Ist ihr endloser Gang, wie Jahr um Jahr,
Und sie flechten, wie das Alter ins Haar,
Einen weißen leblosen Kranz.
Wenn Schneeflocke bei Schneeflocke fällt,
Und wohin die Schneeflocke faßt,
Wachsen die Berge der ganzen Welt
Und wachsen mit Hast sich selber zur Last.
Die Welt wird entstellt und verblaßt,
Als ob die Schrift eines Buches zerfällt;
Und die Welt scheint schier weißes Papier.
Eine Mondscheib' wird aus dem Erdleib,
Geh oder bleib, du sinkst ein,
Jeder Gedanke wird dir schwer und friert an den Stein,
Denn ein Schlaf ohne Schranke liegt umher,
Und das weiße unendliche Nichts wird dein;
Die Unendlichkeit läßt dich zu sich hinein.
Befreit von deiner Gestalt und der Zeit
Wirst du wie Schnee so weiß und so kalt.
Hattest du vorher wenig Gewalt und warst klein,
Wirst du groß jetzt ein Nichts und voll Ewigkeit sein,
Dein Sein und dein Nichtsein schließt jede kleine Schneeflocke ein.
Sie, die vor deinem Atem zerfließt,
Die in deiner warmen Hand schnell zerfällt,
Wenn sie als Wand in deinen Weg sich stellt.
Wird der eine des ändern Geschick,
Und schwer überlebt ein Auge den Schneeblick.
Max Dauthendey 1867-1918
Das bißchen Licht am Winterfenster
Der Schnee liegt auf der Erde Bauch,
Und im Kachelofen die Kohle glüht.
Doch im Zimmer blüht ein Fliederstrauch,
Der sich von Herzen zu blühen müht.
Das bißchen Licht am Winterfenster
Lockt statt der Blüten nur Blütengespenster.
Der Ofen, der voll Kohlen dahockt,
Kann nicht die Sonne einholen.
Der Flieder kläglich blüht und dankt,
Wie einer, der täglich dem Wahn nachwankt,
Geliebt zu sein, und glüht auf daran,
Wenn auch im Grund ihm der Glaube krankt.
Schon beim leisen Druck deiner Hand
Hinter beeisten Hecken,
Hinter weißen Dornenverstecken
Lag der bleiblaue Winterqualm;
Der erdrückte den Tag.
Kein Schneehalm von der Stelle rückte.
Die eisige Helle tat den Augen weh,
Wie Glassplitter schmerzte der Schnee.
Doch das Eis verschwand an jedem Ast,
Wenn dein Finger nur leicht hingefaßt.
Schon beim leisen Druck deiner Hand
Zerstäubt jeder eisige Spuk.
Max Dauthendey 1867-1918
Die Kälte mit Geduld die Nebel spinnt
Die Vögel sind aus dem Wald noch vertrieben,
Sie stieben frierend um das Haus,
Und Kälte machte die Hafen zu Dieben;
Sie gruben bei Nacht den Garten aus.
Die Kälte lockt den mißtrauischen Raben,
Daß er wie Schuld schwarz am Schneeweg hockt.
Die Kälte mit Geduld die Nebel spinnt
Wie Sorgen, die kein Ende haben,
Bis still der Tag erschöpft verrinnt.
Es ist ein Wintertag durchsichtig einerlei
Es ist ein Wintertag durchsichtig einerlei
So wie ein unbebrütet kühles Ei;
Die Bäume stehn als Holz an jedem Wege.
Der Schnee, der stolz sonst, liegt schon im Vergehn,
Die Erde naß und voll verjährtem Gras.
Prachtfinster schauen alle Berge an der Sonnenstraß',
Als ob Dämonen in den Wänden wohnen.
Die Lieb' behüte dich vor ihren Händen.
Max Dauthendey 1867-1918
Ein blauer Schneeweg im Mittaglicht
Ein blauer Schneeweg im Mittaglicht,
Die Schneewelt lacht unter Eisschauer.
Manchmal ein Eiszapf vom Zweig abbricht,
Ein Eistropfen raschelt und fällt.
Die grüne Tanne den Schnee sacht wiegt
Und ihn der Mittagsonne hinhält.
Ein Specht einsam dem Weg nachfliegt;
Sein Flug lautlose Bogen macht,
Totstill, als wäre es blauhelle Nacht.
Max Dauthendey 1867-1918
Der Schnee nicht mehr die Wege verläßt
Der Schnee nicht mehr die Wege verläßt,
Der Winter hängt weiß an den Dornen fest.
Manch Ast unter der Last zerbricht,
Und die Berge liegen verblaßt.
Die Sonne nur kurzen Weg tags reist.
Sie hängt in den Wolken tot und vereist.
Wenn auch keine Sonne zur Seite dir geht,
Wenn nur Liebe dich anscheint von früh bis spät!
Max Dauthendey 1867-1918
Ein fahriger Winterwind johlt durch die Frühe
Ein fahriger Winterwind johlt durch die Frühe,
Und die Berge sind wie eingeäschert vom Schnee;
Das Tageslicht wird vom Gestöber blind.
So wie das Wintertreiben, voll Weh und Mühe,
Seh ich verzweifelte Verliebte große Bogen
Ohne Wille um ihre Einsamkeit beschreiben,
Um die Froststille, aus der Blüt' und Pflanzen fortgezogen.
Und die Einsamen müssen, wie der stockende Fluß aus Eis,
Am Ufer stehen bleiben, und ihre Gedanken tanken
Mit allen Schneeflocken sinnlos im Kreis.
Max Dauthendey 1867-1918
Zwei Raben jagen den Fluß entlang
Schneeluft steht still und ohne Sang.
Zwei Raben jagen den Fluß entlang,
Die dunkel mit den Flügeln schlagen.
Seit Tagen streichen sie da herum
Und wollen nicht von dem Ufer weichen,
Als tauschten sie mit der Flut manch Zeichen,
Und mit dem Schnee, den sie belauschen.
Sie reden mit finstern Flügeln stumm
Und gehen verkleidet wie Ahnungen um.
Max Dauthendey 1867-1918
Die Winterwolke spricht von Schnee
Kein Vogel fliegt im leeren Strauch.
Das Gras, das gelb beim Erdreich liegt,
Ist tags noch weiß vom nächt'gen Hauch.
O, armes Gras, du tust mir weh,
Bist müde gleich dem Vogelvolk;
Die Winterwolke spricht von Schnee.
Den Weg des Todes zieht die Welt,
So wie das Blut das Herz einst flieht
Und der Gedank' in nichts zerfällt.
Max Dauthendey 1867-1918
Wie gern möcht da manch Blut mit Wasser tauschen
Ich hörte eine Stimme groß anschwellen,
Ich hörte Wellen rauschen und lag wach,
Das Flußeis brach in dieser Nacht,
Die Südluft löst' es mir Gekrach.
Lebendig tat der Fluß aufschnellen
Und flog vorbei an allen Uferstellen.
Ich mußt ihn tief im Schlaf belauschen,
Frei lief das Wasser wieder seinem Herzen nach.
Wie gern möcht da manch Blut mit Wasser tauschen.
Max Dauthendey 1867-1918
Nun kommt der Schnee angefahren in hellen Fuhren
Nun fassen Winterwolken auf Erden weiße Spuren,
Nun kommt der Schnee angefahren in hellen Fuhren.
Nun klingen die Wege im Frost versteint und metallen
Und sind vor Kälte bitter,
Als hätten viele Augen dort Salz geweint,
Als sei der kalte Mond in weiße Splitter zur Erde gefallen,
Als stünden im Blut die Tropfen still,
Und die Herzen, die feurigen Uhren,
Als ob keines mehr der Liebe Stunde schlagen will.
Max Dauthendey 1867-1918
Viel schnelle Amseln laufen unterm leeren Strauch
Viel Schnelle Amseln laufen unterm leeren Strauch
Im Efeuhag bei einer alten Treppe.
Es duftet dort im kahlen Wintertag
Nach Weihrauch und nach Wachslichthauch.
Die Treppe führt durch kahle Baumgestalten
Zur ausgetretnen Schwelle einer Bergkapelle.
Die dunkeln Amseln rennen durch den Ulmengang
Sanglos, wo sonst die Beter knieen Sommerlang.
Die Amseln sind in kahler Winterhelle
So still, als können sie dir alle Sorgen nennen
Und Herzgelübde, die vom Morgen bis zum Abend
Im Sommer hier die Betenden bekennen.
Max Dauthendey 1867-1918
Das Land im Schnee kein Ende fand
Und als ich um eine Wegecke ging,
Hing der Himmel im Abend,
Als ob er gelbes Feuer fing.
Der Waldrand war eine purpurne Hecke.
Voll blauem Schnee stand der Berg ungeheuer,
Das Land im Schnee kein Ende fand.
Doch die Gedanken standen im Licht nicht still,
Da noch endloser als aller Schnee die Sehnsucht hin will.
Das Eis tut heute keinem weh.
Gut über dem Schnee steht ein blauer Tag,
Blau wie von unendlicher Dauer.
Das Eis tut heute keinem weh,
Die Felder schimmern friedlich weiß,
Als acht' der Schnee im Sonnenglimmern,
Wie er einst als Wolke im Himmel lag.
Die Glocken läuten ins Blaue hinein,
Und bei dem zärtlichen Himmelsschein
Fällt selbst dem Schnee nicht der Winter ein.
Max Dauthendey 1867-1918
Und der Fluß erfriert in seinem Bette
Eisschollen schwimmen im Fluß jeden Morgen,
Sie drücken das Wasser wie gefrorene Sorgen,
Als legt sich einer schwer auf des Flusses Rücken,
Und der Wasserspiegel geht in Stücken.
Und die Scherben Schwimmen und rollen,
Die dem Fluß das Leben forttragen sollen.
Sie schwimmen hin unter den Brücken
In langer Kette hinunter den Fluß,
Und der Fluß erfriert in seinem Bette, —
Das Wasser wird zum Weg für eines jeden Fuß.
Und das Wasser steht an den Ufern wie Stein,
Und keiner sieht ihm mehr ins Herz hinein.
Vorher war am Ufer ein Kommen und Gehen,
Jetzt ist dort eine Totenstille und ein totes Stillestehen.
Die Gedanken frieren, die den eisgrauen Fluß anschauen.
Ich küsse meine Geliebte, sie kann meine Gedanken auftauen.