Erich Kästner 1899-1974
Herbst auf der ganzen Linie
Nun gibt der Herbst dem Wind die Sporen.
Die bunten Laubgardinen wehn.
Die Straßen ähneln Korridoren,
In denen Türen offen stehn.
Das Jahr vergeht in Monatsraten.
Es ist schon wieder fast vorbei.
Und was man tut, sind selten Taten.
Das, was man tut, ist Tuerei.
Es ist, als ob die Sonne scheine,
Sie lässt uns kalt. Sie scheint zum Schein.
Man nimmt den Magen an die Leine.
Er knurrt und will gefüttert sein.
Das Laub verschießt, wird immer gelber,
Nimmt Abschied vom Geäst und sinkt.
Die Erde dreht sich um sich selber.
Man merkt es deutlich, wenn man trinkt.
Wird man denn wirklich nur geboren,
Um, wie die Jahre, zu vergehn?
Die Straßen ähneln Korridoren,
In denen Türen offen stehn.
Die Stunden machen ihre Runde.
Wir folgen ihnen Schritt für Schritt
Und gehen langsam vor die Hunde.
Man führt uns hin! Wir laufen mit.
Man grüßt die Welt mit kalten Mienen.
Das Lächeln ist nicht ernst gemeint.
Es wehen bunte Laubgardinen.
Nun regnet's gar. Der Himmel weint.
Man ist allein und wird es bleiben.
Ruth ist verreist, und der Verkehr
Beschränkt sich bloß aufs Briefeschreiben.
Die Liebe ist schon lange her!
Das Spiel ist ganz und gar verloren.
Und dennoch wird es weitergehn.
Die Straßen ähneln Korridoren,
In denen Türen offen stehn ...
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Ferdinand von Saar 1833-1906
Herbstlese
Schon blicken rothe Wipfel
Aus fahlem Laub hervor,
Leis' um der Berge Gipfel
Wallt lichter Nebelflor.
Schon folgt dem Schnitterreigen
Des Jägers rascher Schuß –
Doch reift's noch an den Zweigen
Im letzten Sonnenkuß.
Bald nahen frohe Hände,
Sie schütteln Ast um Ast,
Sie brechen vom Gelände
Der Trauben süße Last.
Denn so ist's allerwegen:
Daß für des Sommers Fleiß
Mit köstlich reichem Segen
Der Herbst zu lohnen weiß.
Doch was ist dir beschieden,
Der du die Zeit verträumt,
Der du, zu sä'n hienieden,
Zu pflanzen hast versäumt?
Da du im Frühlingshauche
Nach Rosen nur gesucht:
So pflück' vom dorn'gen Strauche
Dir jetzt die herbe Frucht.
Johann Klaj 1616-1656
Vorzug des Herbstes
Die Sonne mit Wonne den Tagewachs mindert,
Der Renner, der Brenner sein Strahlenheiß lindert,
Die Felder die Wälderlust nimmer verhindert.
Die Traube, die reift,
Der Winzer, der pfeift,
Zum Jagen man greift.
Man fället, man stellet den Vögeln der Lüfte,
Man jaget und plaget die Bürger der Klüfte,
Das helle Gebelle durchschrecket die Grüfte.
Der Wäldner, der eilt,
Sich nimmer verweilt,
Rotschwarzes Wild pfeilt.
Da leben und schweben in Freuden die Götter,
In Sausen und Brausen die falbigen Blätter,
Sie spielen, sich kühlen in laulichem Wetter.
Der Monde, der wacht,
Die Freude belacht
Bis mitten zur Nacht.
Ludwig Scharf 1864-1938
Wanderer im Herbst
Goldbraun deckt das Laub die Erde,
Lichtgelb hängt's noch in den Bäumen:
Ruft Natur dem einen zu "Verwerde",
Darf das andre noch ein Weilchen träumen.
Solch ein Weilchen ward auch Dir beschieden:
Viele sanken vor Dir in die Grube,
Schlummern längst in Nichtseins tiefem Frieden,
Räumten Haus und Straße Dir und Stube.
Träume noch ein Weilchen, alter Knabe,
Von verwelktem Laub, von Brüdern, Schwestern,
Wandre still durchs Licht an Deinem Stabe
Und dem Morgen sing Dein Lied von gestern!
Fjodor Iwanowitsch Tjuttschew 1803-1873
Herbstabend
Herbstabende voll weicher Helligkeit
Mit ihrem rührend rätselhaften Zauber…
Ein böser Glanz, der Bäume buntes Kleid,
Purpurner Blätter matt und leicht Geplauder;
Die Bläue ist so neblig, still und kühl,
Worunter die verwaiste Erde trauert,
Und – wie der nahen Stürme Vorgefühl
Bisweil ein Windstoß jäh, der uns durchschauert;
Erschöpfung, Niedergang, doch überall
Das Lächeln sanft des Welkens und des Scheidens,
Das wir in des Verstandes Widerhall
Erkannt als die erhabne Scham des Leidens.
Johann Klaj 1616-1656
Spazierlust
Hellglänzendes Silber, mit welchem sich gatten
Der astigen Linden weitstreifende Schatten,
Deine sanftkühlend-geruhige Lust
Ist jedem bewußt.
Wie sollten kunstahmende Pinsel bemalen
Die Blätter, die schirmen vor brennenden Strahlen?
Keiner der Stämme, so grünlich beziert,
Die Ordnung verführt.
Es lispeln und wispeln die schlüpfrigen Brunnen,
Von ihnen ist diese Begrünung gerunnen,
Sie schauen, betrauren und fürchten bereit
Die schneyichte Zeit.
Richard von Schaukal 1874-1942
Nach einem Regentage
Schon hat der Herbst die Wege
Mit Blättern still bestreut.
Ich geh und überlege:
Ist vieles, was mich reut.
Es funkelt noch die Feuchte
Im dunstig schwachen Schein.
Ein schüchternes Geleuchte
Fängt sich das Dickicht ein.
Mit rauschendem Gerinne
Singt sich der Bach zu Tal.
Es schimmert ein Gespinne
An einem Sonnenstrahl.
Da schau ich von dem Hange
Hinüber und hinauf:
Mit meinen Blicken fange
Ich einen Vogel auf.
Georg Trakl 1887-1914
Verwandlung
Entlang an Gärten, herbstlich, rotversengt:
Hier zeigt im Stillen sich ein tüchtig Leben.
Des Menschen Hände tragen braune Reben,
Indes der sanfte Schmerz im Blick sich senkt.
Am Abend: Schritte gehn durch schwarzes Land
Erscheinender in roter Buchen Schweigen.
Ein blaues Tier will sich vorm Tod verneigen
Und grauenvoll verfällt ein leer Gewand.
Geruhiges vor einer Schenke spielt,
Ein Antlitz ist berauscht ins Gras gesunken.
Hollunderfrüchte, Flöten weich und trunken,
Resedenduft, der Weibliches umspült.
Luise Büchner 1821-1877
Herbstlied
Es liegt der Herbst auf allen Wegen,
In hundert Farben prangt sein Kleid,
Wie seine Trauer, seinen Segen
Er um sich streut zu gleicher Zeit.
Es rauscht der Fuß im welken Laube,
Was blüht' und grünte, ward ein Traum –
Allein am Stocke winkt die Traube
Und goldne Frucht schmückt rings den Baum.
So nimmt und gibt mit vollen Händen
Der Herbst, ein Dieb und eine Fee;
Erfüllung kann allein er spenden,
Doch sie umfängt ein tiefes Weh! –
O, Herbst der Seele! deine Früchte,
Sind auch Gewinn sie, oder Raub?
Der Wünsche Blüthe ist zunichte,
Der Hoffnung Grün ein welkes Laub.
Zu schwer erkauft, um zu beglücken,
O, Seelenherbst, ist deine Zier!
Der Saft der Traube kann entzücken,
Doch keine Wonne strömt aus dir.
Die Weisheit, wie die Frucht sie nennen,
Sie preßt mir bittre Thränen aus,
Und ihres Kernes herbem Brennen
Entkeimet nie ein Frühlingsstrauß!
Wilhelm Müller 1812-1890
Letzte Hoffnung
Hier und da ist an den Bäumen
Noch ein buntes Blatt zu sehn,
Und ich bleibe vor den Bäumen
Oftmals in Gedanken stehn.
Schaue nach dem einen Blatte,
Hänge meine Hoffnung dran;
Spielt der Wind mit meinem Blatte,
Zittr‘ ich, was ich zittern kann.
Ach, und fällt das Blatt zu Boden,
Fällt mit ihm die Hoffnung ab,
Fall ich selber mit zu Boden,
Wein‘ auf meiner Hoffnung Grab.
von Franz Schubert 1827 vertont.
Theodor Storm 1817-1888
Das ist der Herbst
Das ist der Herbst; die Blätter fliegen,
Durch nackte Zweige fährt der Wind;
Es schwankt das Schiff, die Segel schwellen -
Leb wohl, du reizend Schifferkind! --
Sie schaute mit den klaren Augen
Vom Bord des Schiffes unverwandt,
Und Grüße einer fremden Sprache
Schickte sie wieder und wieder ans Land.
Am Ufer standen wir und hielten
Den Segler mit den Augen fest -
Das ist der Herbst! wo alles Leben
Und alle Schönheit uns verläßt.
Nikolaus Lenau 1802-1850
Herbst
Nun ist es Herbst, die Blätter fallen,
Den Wald durchbraust des Scheidens Weh;
Den Lenz und seine Nachtigallen
Versäumt ich auf der wüsten See.
Der Himmel schien so mild, so helle,
Verloren ging sein warmes Licht;
Es blühte nicht die Meereswelle,
Die rohen Winde sangen nicht.
Und mir verging die Jugend traurig,
Des Frühlings Wonne blieb versäumt;
Der Herbst durchweht mich trennungschaurig,
Mein Herz dem Tod entgegenträumt.
Heinrich Seidel 1842-1906
Regentag im Herbst
Still vom grauen Himmelsgrunde
Sprüht der sanfte Regenstaub –
Trüber Tag und trübe Stunde –
Thränen weint das rothe Laub;
Vom Kastanienbaum ohn' Ende
Schweben still die welken Hände.
Trübe Herbstesregentage:
Gerne wandr' ich dann allein,
Was ich tief im Herzen trage,
Leuchtet mir in hellem Schein;
In die grauen Nebelräume
Spinn' ich meine goldnen Träume.
Und so träum' ich still im Wachen,
Bis der Abend niedersinkt,
Und in all den Regenlachen
Sanft und roth sein Abglanz blinkt.
In der Nähe, in den Weiten:
Rosenschimmer bessrer Zeiten!
Joachim Ringelnatz 1883-1934
Herbstliche Wege
Des Sommers weiße Wolkengrüße
zieh'n stumm den Vogelschwärmen nach,
die letzte Beere gärt voll Süße,
zärtliches Wort liegt wieder brach.
Und Schatten folgt den langen Wegen
aus Bäumen, die das Licht verfärbt,
der Himmel wächst, in Wind und Regen
stirbt Laub, verdorrt und braun gegerbt.
Der Duft der Blume ist vergessen,
Frucht birgt und Sonne nun der Wein
und du trägst, was dir zugemessen,
geklärt in deinen Herbst
Heinrich Lersch 1889-1936
Herbst
Gärtner, laß die Blätter liegen,
Die jetzt über die Erde rollen
Und die müde von der Reise
Sich zur Ruhe legen wollen.
Wie sie gelb und braun geworden -
Und der Reif an ihrem Rande -
Ruhn sie, tote Sommervögel,
Auf dem dunkelroten Sande.
Sieh, sie wollen deinem rauhen
Besen sich nur ungern fügen;
Du vermagst des Winters Nahen
Doch nicht recht hinwegzulügen.
Johannes Schlaf 1892-1941
Herbst
Herbstsonnenschein.
Der liebe Abend lacht so still herein,
Ein Feuerlein rot
Knistert im Ofenloch und loht.
So! – Meinen Kopf auf deinen Knien,
So ist mir gut;
Wenn mein Auge so in deinem ruht.
Wie leise die Minuten ziehn! ...
Barthold Heinrich Brockes 1680-1747
Gedanken bey dem Fall der Blätter im Herbst
In einem angenehmen Herbst,
bey ganz entwölktem heiterm Wetter,
Indem ich im verdünnten Schatten,
bald Blätter-loser Bäume, geh',
Und des so schön gefärbten Laubes
annoch vorhandnen Rest beseh';
Befällt mich schnell ein sanfter Regen,
von selbst herabgesunkner Blätter.
Ein reges Schweben füllt die Luft.
Es zirkelt, schwärmt' und drehte sich
Ihr bunt, sanft abwärts sinkend Heer;
doch selten im geraden Strich.
Es schien die Luft, sich zu bemühn,
den Schmuck, der sie bisher gezieret,
So lang es möglich, zu behalten,
und hindert' ihren schnellen Fall.
Hiedurch ward ihre leichte Last,
im weiten Luft-Kreis überall,
In kleinen Zirkelchen bewegt,
in sanften Wirbeln umgeführet,
Bevor ein jedes seinen Zweck,
und seiner Mutter Schooß, berühret;
Um sie, bevor sie aufgelöst,
und sich dem Sichtlichen entrücken,
Mit Decken, die weit schöner noch,
als persianische, zu schmücken.
Ich hatte diesem sanften Sinken,
der Blätter lieblichem Gewühl,
Und dem dadurch, in heitrer Luft,
erregten angenehmen Spiel,
Der bunten Tropfen schwebendem,
im lindem Fall formiertem, Drehn,
Mit offnem Aug', und ernstem Denken,
nun eine Zeitlang zugesehn;
Als ihr von dem geliebten Baum
freywilligs Scheiden (da durch Wind,
Durch Regen, durch den scharfen Nord,
sie nicht herabgestreifet sind;
Nein, willig ihren Sitz verlassen,
in ihren ungezwungnen Fällen)
Nach ernstem Denken, mich bewog,
sie mir zum Bilde vorzustellen,
Von einem wohlgeführten Alter,
und sanftem Sterben; Die hingegen,
Die, durch der Stürme strengen Hauch,
durch scharfen Frost, durch schwehren Regen
ihren Zweigen abgestreift und abgerissen,
kommen mir,
Wie Menschen, die durch Krieg und Brand
und Stahl gewaltsam fallen, für.
Wie glücklich, dacht' ich, sind die Menschen,
die den freywillgen Blättern gleichen,
Und, wenn sie ihres Lebens Ziel,
in sanfter Ruh' und Fried', erreichen;
Der Ordnung der Natur zufolge,
gelassen scheiden, und erbleichen!
Rainer Maria Rilke 1875-1926
Jetzt reifen schon die roten Berberitzen
Jetzt reifen schon die roten Berberitzen,
alternde Astern atmen schwach im Beet.
Wer jetzt nicht reich ist, da der Sommer geht,
wird immer warten und sich nie besitzen.
Wer jetzt nicht seine Augen schließen kann,
gewiß, daß eine Fülle von Gesichten
in ihm nur wartet, bis die Nacht begann,
um sich in seinem Dunkel aufzurichten: –
der ist vergangen wie ein alter Mann.
Dem kommt nichts mehr, dem stößt kein Tag mehr zu,
und alles lügt ihn an, was ihm geschieht;
auch du, mein Gott. Und wie ein Stein bist du,
welcher ihn täglich in die Tiefe zieht.
Cornelia Kopp 19./20. Jhdt.
Vom Abend sprachen wir
Vom Abend sprachen wir, und daß die goldnen Streifen
Am Horizont nun schon so früh verblassen
Und daß die Dämmerungen mit den blassen
Händen so sicher nach dem Lichte greifen.
Daß all das Sommerblühen und das Reifen
Des bunten Ernteherbstes so gelassen
Des Sterbens harrt und daß die alten Gassen
Mit ihren hellen Fenstern und den steifen
Giebeln so traut ausschaun im Abenddämmern
Und rings die Welt erfüllt sei von dem Schönen.
Dies alles sagten wir – und mehr noch, um das Hämmern
Des heißen Herzens ja zu übertönen –
Und unsere scheuen Augen irrten weit
Ins Land und bangen vor der Dunkelheit.
Hans Leifhelm 1891-1947
Herbstlicher Ruf
Komm mit, verlaß die Tenne und die Kelter,
Es schwelt ein bittrer Duft in Herbstessüße,
Laß rauschen durch das welke Laub die Füße,
Es rinnt das Stundenglas, die Welt wird älter.
In Herbstessüße schwelt ein bittrer Duft,
Der Sommer geht, das Alte muß verderben,
Sieh wie die Ähren und die Wipfel sterben,
Versehrend haucht die Kühle durch die Luft.
Die Füße rauschen durch das welke Laub —
0 Herz, entreiße dich den Herbstgesängen,
Sieh wie die Kätzchen an den Haseln drängen,
Sie bergen schon der neuen Zeugung Staub.
Es rinnt das Stundenglas, komm mit und schau,
Es reift der Same rings in jeder Frucht,
Die Wolken harren trächtig in der Bucht,
Auf weißem Zelter* kommt die Winterfrau.
Komm mit, verlaß die Kelter und die Tenne,
Es schwelt ein neuer Duft in Herbstessüße,
Laß rauschen durch das welke Laub die Füße,
Befiehl dem Herzen, daß es neu entbrenne.
*im Paßgang geübtes Pferd
Theodor Renaud 1844-1910
Der Tanz der Blätter
Der Herbstwind kommt und ruft,
Sie mit sich führend bald,
Die Vögel in der Luft,
Die Blätter in dem Wald.
Die Tage, warm und weich,
Verscheucht er lang; - so tanzt,
Ihr Blätter, Narren gleich,
Tanzt, arme Blätter, tanzt.
An aller Straßen Rand
Seht, wie von Süd und Nord
Den Totentanz durchs Land
Sie tanzen immerfort!
Es lädt der Wind sie ein,
Hat nie sich müd getanzt!
Schnell, schneller dreht den Reih'n,
Tanzt, arme Blätter, tanzt.
Ach, jedes Blatt fällt ab
Von jedem Baum und Reis,
Und jeder muss zu Grab,
Kind, Jüngling, Mann und Greis!
Wir sind im Traum nur da
Und schnell dahin! - So tanzt
Im Wirbel weiter, ja
Tanzt, arme Blätter, tanzt.
Heinrich Leuthold 1827-1879
Blätterfall
Leise, windverwehte Lieder,
mögt ihr fallen in den Sand!
Blätter seid ihr eines Baumes,
welcher nie in Blüte stand.
Welke, windverwehte Blätter,
Boten, naher Winterruh,
fallet sacht!… ihr deckt die Gräber
mancher toten Hoffnung zu.
Christian Morgenstern 1871-1914
Herbst
Zu Golde ward die Welt;
zu lange traf
der Sonne süsser Strahl
das Blatt, den Zweig.
Nun neig
dich, Welt, hinab
in Winterschlaf.
Bald sinkt's von droben dir
in flockigen Geweben
verschleiernd zu -
und bringt dir Ruh,
o Welt,
o dir, zu Gold geliebtes Leben,
Ruh.
Otto Julius Bierbaum 1865-1910
An den Herbst
Mit dankbarem Gemüte
Hier nehm ich deine Güte,
Herbsttag, du milder Gast,
Der du mich reich beschenktest,
Den Sinn ins Klare lenktest
Und mich zum Abend fröhlich ausgerüstet hast.
Nun ist in mir kein Drängen
Und bin doch nicht im Engen,
Bin ruhevoll bewegt.
Was gilt es, mehr zu wollen,
Als so im Friedevollen
Teilhaftig sein des Ganzen, das mütterlich uns hegt.
Oskar Loerke 1884-1941
Leise Herbsttage
Die silberne Allee der Weiden
Dreht sich schon tagelang im Wind nach Ost.
Die Blumen rollen ihre Seiden,
Im Sonnenscheine zittert fern ein Frost.
Die Seele fährt auf leisen Achsen,
Und alles, was ein großes Glück heißt, stört,
Denn unsichtbare Wurzeln wachsen
Zu größer'm Glücke, heiß und unerhört.
Und über allem, was man vornimmt,
Liegt ein Verschweigen wartender Geduld,
Und hinter alles, was ins Ohr klingt,
Lauschst du auf eine unverhoffte Huld.
Arthur von Wallpach 1866-1946
Herb ist der Herbst
Herb ist der Herbst. Schon ist geschart
Das Schwalbenvolk zur Südlandfahrt.
Wie sommertagwerkmüde hält
Schläfrige Ruhe nun die Welt,
Und dreist vom Joche, schneeumweht,
Der Winterriese niederspäht.
Richard Dehmel 1863-1920
Mein Wald
Der Herbst stürmt seine Tänze.
Durch dürre Blätter muß ich gehn;
in meinen Wald.
In meinem lieben Wald,
wo nicht ein Baum mein eigen ist,
gehn fremde Leute durch den Wind
und sagen: es ist kalt.
Und da steht auch mein Stein,
auf dem ich manchmal sitze,
wenn mein Herz stürmt.
Selma Meerbaum-Eisinger 1924-1942
Kastanien
Auf dem glatten hellen Wege
liegen sie, verstreut und müde,
braun und lächelnd wie ein weicher Mund,
voll und glänzend, lieb und rund,
hör' ich sie wie perlende Etüde.
Wie ich eine nehme und in meine Hand sie lege,
sanft und zärtelnd wie ein kleines Kind,
denk' ich an den Baum und an den Wind,
wie er leise durch die Blätter sang,
und wie den Kastanien dieses weiche Lied
sein muß wie der Sommer, der unmerklich schied,
nur als letzten Abschied lassend diesen Klang.
Und die eine hier in meiner Hand
ist nicht braun und glänzend wie die andern,
sie ist matt und schläfrig wie der Sand,
der mit ihr durch meine Finger rollt.
Langsam, Schritt für Schritt, wie ungewollt
laß ich meine Füße weiter wandern.
Ferdinand Avenarius 1856-1923
Herbstgold
Wie war's im Walde
heut wunderhold -
die Wipfel alle
von rotem Gold!
Goldender Boden,
golden der Duft,
fallende Blätter
von Gold aus der Luft.
Und es leuchtet
aus Tod und Vergeh'n
golden die Hoffnung
aufs Aufersteh'n.
Joseph von Eichendorff 1788-1857
Es ist nun der Herbst gekommen
Es ist nun der Herbst gekommen,
Hat das schöne Sommerkleid
Von den Feldern weggenommen
Und die Blätter ausgestreut,
Vor dem bösen Winterwinde
Deckt er warm und sachte zu
Mit dem bunten Laub die Gründe,
Die schon müde gehn zur Ruh.
Durch die Felder sieht man fahren
Eine wunderschöne Frau, -
Und von ihren langen Haaren
Goldne Fäden auf der Au
Spinnet sie und singt im Gehen:
Eia, meine Blümelein,
Nicht nach andern immer sehen,
Eia, schlafet, schlafet ein.
Und die Vöglein hoch in Lüften
Über blaue Berg und Seen
Ziehn zur Ferne nach den Klüften,
Wo die hohen Zedern stehn,
Wo mit ihren goldnen Schwingen
Auf des Benedeiten Gruft
Engel Hosianna singen
Nächtens durch die stille Luft.
Jakob Bosshart 1862-1924
Blätter im Wind
Treibende Blätter im Wind,
Spielzeug der Lüfte wir sind.
Wo wir einst liegen in Orten und Zeiten,
Wo wir verwesen, hat nichts zu bedeuten;
Da wo wir saßen am Lebensbaum,
Hofft eine Knospe im Frühlingstraum.
Franz Eichert 1857-1926
Maler Herbst
Ein köstlicher Maler
Ist der Herbst;
Er malt auf Seide,
Auf milde, glänzende Seide.
Mit bläulichem Schimmer
Malt er alles.
Erdnebel steigen,
Gelbe Blätter schwanken,
Silberfäden spinnen.
Versinkende Ferne,
Träumende Nähe!
Schwankende Strahlen,
Leise zitternd,
Entzünden die ruhenden
Purpurfackeln
Sterbender Bäume.
Die Glut zu dämpfen,
In flüssiges Silber
Taucht er den Pinsel
Und malt auf glänzende
Lichtgraue Seide:
Ein köstlicher Maler
Ist der Herbst!
Jürgen Brand 1869-1950
Herbst
Welkes Laub zu meinen Füßen,
Streif ich einsam durch den Wald.
Keine Blumen, die mich grüßen;
Keines Vogels Sang erschallt.
Ach, in diesen späten Tagen
Wandert stumm die Wehmut mit;
Und des Waldes Sterbeklagen
Hemmt den rüst’gen Wanderschritt.
Fort damit! Noch keine Klage
Rief Vergangenes zurück.
Seid gegrüßt, ihr goldnen Tage:
Schaffend werb ich um das Glück.
Lasst am Tage mich zur Seite
Meiner Freunde kämpfend stehn,
Und am Abend im Geleite
Froher Menschen müßig gehn.
Schaffend und genießend raube
Ich der Zeit den Tropfen Glück.
Sieh: Auf herbstlich gelbem Laube
Glänzt ein goldner Sonnenblick!
Friedrich Wilhelm Nietzsche 1844-1900
Der Herbst
Dies ist der Herbst: der – bricht dir noch das Herz!
Fliege fort! fliege fort!
Die Sonne schleicht zum Berg
Und steigt und steigt
Und ruht bei jedem Schritt.
Was ward die Welt so welk!
Auf müd gespannten Fäden spielt
Der Wind sein Lied.
Die Hoffnung floh –
Er klagt ihr nach.
Dies ist der Herbst: der – bricht dir noch das Herz!
Fliege fort! fliege fort!
O Frucht des Baums,
Du zitterst, fällst?
Welch ein Geheimnis lehrte dich
Die Nacht,
Daß eisiger Schauder deine Wange,
Die Purpur-Wange deckt? –
Du schweigst, antwortest nicht?
Wer redet noch? – –
Dies ist der Herbst: der – bricht dir noch das Herz!
Fliege fort! fliege fort!
Ich bin nicht schön
– so spricht die Sternenblume –,
Doch Menschen lieb ich
Und Menschen tröst ich –
Sie sollen jetzt noch Blumen sehn,
Nach mir sich bücken
Ach! und mich brechen –
In ihrem Auge glänzet dann
Erinnerung auf,
"Erinnerung an Schöneres als ich: –
– ich seh's – und sterbe so." –
Dies ist der Herbst: der – bricht dir noch das Herz!
Fliege fort! fliege fort!
Christian Morgenstern 1871-1914
Dies ist der Herbst, der bricht dir noch das Herz
Dies ist der Herbst, der bricht dir noch das Herz.
Das Jahr enttönt ...
O Seligkeit! O Schmerz!
die es verschönt –
so ließet ihr mich doch!
Ich möchte wandern, wandern ohne Ruh ...
nur nicht mehr heim, zum kalten Herd zurück!
Der Liebe Tür fiel zu –
was hält mich noch!
Nun liegt es wieder vor mir weit,
das Glück –
das Glück –? –
der Einsamkeit ...
Wie über den Schnee der Schatten des Vogels webt,
den sonnenfunkigen, weich sich wölbenden Plan
der lautlos ziehende, blauhindämmernde Dust,
regt ruhlos schweifender Erinnerung Schatten
der Seele winterlich kristallnes Schweigen auf
und überdämmert ihren gleichen Frieden
ohn' Ende mit den Bildern ihrer Flucht.
Ludwig Scharf 1864-1938
Der Herbsthund
Der Herbsthund, der im Walde lebt
– Aus lauter dürrem Laub sein Fell –
Er füllt, wenn Blatt um Blatt verschwebt,
Die Luft mit heiserem Gebell.
Er sitzt und kläfft die Bäume an,
Bis jeder ihm sein Laub beläßt,
Und springt in seinem irren Wahn
Von Nord nach Süd, von Ost nach West.
Der Herbsthund, der im Walde wohnt,
Er heult oft fort die ganze Nacht,
Indeß sein bleicher Freund, der Mond,
Durch immer kahlres Astwerk lacht.
Und wer den Herbsthund je gesehn,
Dem wird nicht wohl mehr auf der Welt:
Er muß durch welke Blätter gehn,
Bis ihm der Hund des Todes bellt.
Dr. Owlglas
Spätjahr
Ja ... nun geht’s dem Winter zu,
Und die Dämmerwochen
Kommen auf befilztem Schuh
Heimlich angekrochen.
Erst bringt Sankt Martinus her
Leib - und Seelenfutter:
Jener schätzt die Gänse mehr,
Dieser mehr den Luther.
Freilich schon nach kurzer Zeit
Leert der brave Christe
Schwarz umwogt vom Büßerkleid,
Seine Sündenkiste.
Aber dann begeht er froh
Anderweite Data:
Niklas und Conceptio
– hm – immaculata.
Nach Legenden riecht die Luft
Und nach Pfefferkuchen….
Und wir sollen diesen Duft
Kritisch untersuchen?“
Franz Werfel 1890-1945
Kleines verlassenes Kurtheater im Herbst
Der Platz ist leer. Die kurzen Winde schnappen
Nach letztem Laub und spielen mit den Türen.
Ich schlüpf ins Finstere. Umschwankt von Schnüren,
Stoß ich an Pappgesimse, Leuchter, Lappen.
Mein Schritt verstört ein mattes Zauber-Schlappen.
Die Bühne stellt sich tot. Doch kann ich spüren
Den Bodensatz verschollener Ouvertüren
Und sauren Weinrest von Gesang ertappen.
Wie Kindheit ist's, in die ich heim mich schleiche.
Es ist wie Angst, den Rückweg zu verlieren
Aus Staub und Schatten mir verbotner Reiche.
Kranzhaftes raschelt, wie ich lichtwärts weiche.
Im Winkel fault, bewohnt von Totentieren,
Ein Kontrabaß als saitenlose Leiche.
Otto Julius Bierbaum 1865-1910
Des Narren Herbstlied
Bunt wie mein Mantel und Kleid
Wird nun die Welt, oh weh.
Lacht mir das Herz im Leib,
Wie ich das seh.
Einst war ich jung und frisch,
Eija, da war ich grün,
Grün wie die Weide, daran
Maikätzchen blühn.
Dann kam die Zeit, die schnitt
Falten ums Maul mir schief.
Grinsen lernte ich da
Und weinte tief.
Trug bald ein bunt Gewand,
Schuppen und Schellen daran,
Wehe, es klirrt, wenn ich spring,
Ich alter Mann.
Holla, ein bunter Narr!
Holla, ein Klimperkleid!
Holla, die Welt wird bunt,
Und ich gescheit.
Lasst mich nun schlafen geh'n,
Legt mich ins Grab hinein!
Über ein Kleines, ach,
Wird Frühling sein.
Fred Endrikat 1890-1942
Nörgler hinterm Ofen
Der Herbst ist da. Ach ja, man konnt' es ahnen.
Rings grau in grau. Verschwunden ist das letzte Grün.
Die Bäume stehn wie Masten ohne Fahnen,
die welken Blumen schon ans Sterben mahnen.
Wer weiß, wer weiß, ob sie noch jemals wieder blühn.
Der Herbst ist da. Ach ja, nun muß man frieren.
Der letzte Brocken Kohle wird zum Teufel gehn.
Die Zeit ist schlecht. Man muß den Mut verlieren.
Sogar die kleinen Vögel emigrieren.
Wer weiß, wer weiß, ob wir sie jemals wiedersehn.
Der Herbst ist da. Ach ja, in großen Scharen
ziehn düstre Wolken über diese trübe Welt.
Bald fällt der Schnee. Ich bin mir nicht im klaren,
ob dieser Schnee so echt ist wie vor Jahren.
Wer weiß – vielleicht wird er synthetisch hergestellt.