Allerheiligen und Allersselen
Allerheiligen (lateinisch Festum Omnium Sanctorum) ist ein christliches Fest, an dem aller Heiligen gedacht wird, der „verherrlichten Glieder der Kirche, die schon zur Vollendung gelangt sind“, der bekannten wie der unbekannten. Das Fest wird in der Westkirche am 1. November begangen, in den orthodoxen Kirchen am ersten Sonntag nach Pfingsten.
Am Tag nach Allerheiligen, dem 2. November, begeht die römisch-katholische Kirche den Allerseelentag, an dem der Armen Seelen im Fegefeuer gedacht wird. Vielerorts wird die damit verbundene Gräbersegnung bereits am Nachmittag von Allerheiligen, dem arbeitsfreien staatlichen Feiertag, vorgenommen. Damit verbunden ist der Brauch, die Gräber vor allem mit Lichtern besonders zu schmücken. Auf den Mainzer Friedhöfen wird die traditionelle Mainzer Kerze, der Newweling, entzündet.
Nicht alle hier gezeigten Bilder und Gedichte haben einen unmittelbaren Bezug zu Allerheiligen/Allerseelen - auf Allerheilgen als Fest (s.o.) beziehen sich nur wenige Bilder und Gedichte - aber alle kreisen um den Themenbereich Friedhof, Tod und Trauer
________________________________________________
Die meisten Grafiken auf dieser Website können durch Anklicken mit der linken Maustaste vergrößert dargestellt werden. Sollte dies nicht funktionieren, steht mir die entsprechende Grafik leider nicht in einer größeren Auflösung zur Verfügung.
Hinter Textstellen in blauer Farbe verstecken sich Links, entweder zu anderen Seiten dieser Website oder zu externen Sites
(z.B. Wikipedia, Youtube ...).
Andreas Gryphius 1616-1664
Auff de Tag Allerheiligen
Matth. 5, Die Bergpredigt
O Selig wer recht arm auff Christum einig trauet!
Sein ist der Himmel reich! O selig dessen Muth
Vol sanffter Geister ligt! sein ist der Erden Gutt.
O selig dem hier stets vor schweren Straffen grauet/
Der nichts als klagen kan! Gott der sein Elend schauet/
Wischt endlich von ihm ab die herbe Thränen Fluth!
O selig den nur dürst in allem was er thut
Nach recht vnd heilig-seyn/ der nur auff Tugend bauet!
Sein Wuntsch wird reichlich voll/ O selig wehm die Noth
Deß Nechsten bricht durchs Hertz! fürwar es jammert Gott/
Gott/ den ein reiner Geist' von Angesicht wird kennen/
Der den so Frieden liebt sein Kind heist vnd sein Haus/
Dem auffschleust den man hier jagt vmb die Wahrheit auß/
Der die man alhier schlegt/ vnd schmäht/ wird selig nennen.
Franz Reinhold Fuchs 1858-1938
Allerseelen
Welch traumhaft stilles Schreiten
Den fahlen Hain entlang!
Rings müder Blätter Gleiten,
Und über Stoppelbreiten
Verlorner Glockenklang.
Was je dein Herz besessen
An Hoffnung, Glück und Leid,
Was unter Gruftzypressen
Geschlummert, halbvergessen,
Gibt klagend dir Geleit.
Gestalten, längst entschwunden,
Brechen des Grabes Bann:
Neu bluten alte Wunden,
Und tote Wonnestunden
Lächeln dich schmerzlich an.
Herz, heiß die Sehnsucht schweigen,
Die um Vergangnes wirbt! –
Die ew’gen Sterne steigen,
Die Heimat dir zu zeigen,
Wo jede Klage stirbt!
Hermann Lingg 1820-1905
Allerseelen
Wie groß die Herbstnacht niederblickt,
Aus sternlos schwarzem Himmelsrahmen,
Ein Trauervorhang, eingestickt
Mit Heimgegangner Bild und Namen.
Mit Namen, die noch immerfort
Uns lieb sind aus vergangnen Tagen:
Wir möchten, ach, so manches Wort
Den teuren Hingeschiednen sagen.
Und allen, deren geistig Licht
Noch in viel hundert dunklen Nächten
Uns leuchten wird und Sieg verspricht
Im Kampfe mit den finstren Mächten.
Georg Heym 1887-1912
Allerseelen
Geht ein Tag ferne aus, kommt ein Abend.
Brennt ein Stern in der Höhe zur Nacht.
Wehet das Gras. Und die Wege alle
Werden in Dämmrung zusammengebracht.
Viele sind über die Steige gegangen.
Ihre Schatten sind ferne zu sehn,
Und sie tragen an schwankenden Stangen
Ihre Fackeln, die wandern und wehn.
Mauern sind viele, und Gräber, und wenige Bäume.
Manche Tore darin, wo der Lorbeer trauert.
Viele sitzen in Haufen über den Kreuzen,
Ihre Lichter behütend, wenn der Regen schauert.
Und ein Rot steckt im Walde, dürr wie ein Finger,
Wo der Abend hänget in wolkiger Zeit
Mit dem wenigen Licht. Und geringer
Rings ist das Nahe, und die Weite so weit.
Doch ewig ist der Wind, der nimmer schweiget
In dunklem Lande, herbstlich schon erbraunet,
Der dunkle Bilder viel vorüber zeiget
Und dunkle Worte flüchtig trübe raunet.
Isabelle Kaiser 1866-1925
Mein Allerseelen
In einer alten Truhe
Im stillen Kämmerlein,
Da liegt in heil'ger Ruhe,
Tief im Reliquienschrein
Seit endlos langen Tagen
Ein längst verblaßtes Kleid,
So schlicht, wie sie's getragen,
So dunkel wie mein Leid.
Kein Kirchhof ist hienieden
An Gram und Weh so reich,
So arm an Glück und Frieden
Wie dieses stille Reich.
Und was sie mir erzählen
Im grauen Abendschein,
Das ist mein Allerseelen,
Mein totes Schwesterlein!
Otto Baisch 1840-1892
November
Allerseelen, welch ein Leben
In dem stillen Totenreich!
Kerzen, die von Leid erbeben.
Droben hehrer Gottesfrieden,
Tiefs Sehnsuchtsweh hienieden.
Heulend fegt der Wind
Über öde Fluren,
Drauf des Lebens Spuren
Längst vergangen sind.
Wie ein Totenfeld
Läge rings die Welt,
Wenn nicht in der Tiefe
Längst das Saatkorn schliefe,
Draus im Frühlingslicht
Neues Leben bricht.
Wenn kein Blümchen draußen sprosst,
Rau uns schütteln Sturm und Frost
Will der Himmel ernst uns lehren,
In uns selber einzukehren.
In stiller Nacht
Im engen Zimmer
Wird viel gedacht
Beim Lampenschimmer
Was, wenn es endlich
Zu Tag gebracht,
Durch seine Größe
Uns staunen macht.
Ludwig Bauer 1832-1910
Ich stand gelehnt am Leichenstein
Ich stand gelehnt am Leichenstein
Am Allerseelentag
Von hundert Kerzen lichter Schein
Auf all den stummen Gräbern lag.
Ich dachte, wie viel Glück und Schmerz
Hier tief begraben liegt,
Wie manches sturmbewegte Herz
Auf ewig ward zur Ruh gewiegt.
Da gingst du still vorbei an mir,
Ich sah dir ins Gesicht,
Und eine Thräne blitzte dir
Im Aug', bestrahlt vom Kerzenlicht.
Im tiefsten Herzen hat sich da
Ein Grab mir aufgethan,
Und die gestorb'ne Jugend sah
Aus deinem Aug' mich lebend an!
Georg Heym 1887-1912
Allerseelen I
Geht ein Tag ferne aus, kommt ein Abend.
Brennt ein Stern in der Höhe zur Nacht.
Wehet das Gras. Und die Wege alle
Werden in Dämmrung zusammengebracht.
Viele sind über die Steige gegangen.
Ihre Schatten sind ferne zu sehn,
Und sie tragen an schwankenden Stangen
Ihre Fackeln, die wandern und wehn.
Mauern sind viele, und Gräber, und wenige Bäume.
Manche Tore darin, wo der Lorbeer trauert.
Viele sitzen in Haufen über den Kreuzen,
Ihre Lichter behütend, wenn der Regen schauert.
Und ein Rot steckt im Walde, dürr wie ein Finger,
Wo der Abend hänget in wolkiger Zeit
Mit dem wenigen Licht. Und geringer
Rings ist das Nahe, und die Weite so weit.
Doch ewig ist der Wind, der nimmer schweiget
In dunklem Lande, herbstlich schon erbraunet,
Der dunkle Bilder viel vorüber zeiget
Und dunkle Worte flüchtig trübe raunet.
Anton Wildgans 1881 – 1932
Allerseelen
Das waren grausam-schöne Sommertage
Und Abende von sanftem Perlenglanz,
Die Wälder rauschten leis, besonnte Schlage
Summten verwirrt von wilder Bienen Tanz.
Hell stand die Flur in goldenem Ertrage,
Und Märkte, Dörfer des geliebten Lands,
Wie hingestreute silberne Geschmeide,
Ruhten an Hügeln, glühten in der Heide.
Und manchmal war der Garten so versonnen
In seiner Bete blühendem Arom,
Im weiten Tal, vom blassem Dunst besponnen,
Umglommen Dächer einen greisen Dom,
Und dann, zu abendlichem Gold geronnen,
Verklärte sich so sehr der heilige Strom,
Daß alle Sinne, die den Frieden schauten,
Beklommen seiner Wirklichkeit mißtrauten.
Und jetzt ist Herbst. Ein Bachanal für Farben
Feiern die Wälder vor dem großen Frost.
Die Speicher sind gefüllt mit üppigen Garben,
Und in den Keltern gärt schon junger Most.
Über der Stoppelfelder Sensennarben
Geht schon der Winterpflug. O süßer Trost,
Daß unterm Schnee, der bald die Welt bebreitet,
Die Erde neues Fruchten vorbereitet.
Und doch ist rings Unsägliches geworden.
Die große Babel auf dem Scharlachtier
Zerstampft die Acker, stachelt ihre Horden
Zu Blutrunst wider uns und Neid und Gier.
Ein allgemeines fürchterliches Morden
Macht Meer und Land zum Menschenjagdrevier,
Und stündlich zur leibhaftigen Erfahrung
Werden die Schrecknisse der Offengarung.
Ein Traum, ein wirrer Traum! Und wir? Wir leben,
Schlendern durch Straßen, wandern über Moos
Und sehen müde Blätter niederschweben.
Und nehmen unser Kinder auf den Schoß,
Dürfen einander liebe Worte geben,
Und kein Tag ist so arm und freudelos,
Daß wir ihn nicht mit kleinem Dank beschließen.
Wir leben ja und dürfen fast genießen.
Nur weil in jeder Stunde, die uns eignet,
Und uns mit dieses Herbstes Glut umwirbt,
Für uns ein tapferer sich selbst verleugnet
Und fremdes Menschenglück für uns verdirbt.
Und weil sich tausendfacher Tod ereignet
Und jeden Augenblick ein Leben stirbt,
Ein blühendes, damit die Heimaterde,
Vor aller Angst und Not behütet werde.
Gedenkt der Toten! Dieser Tag der Schmerzen
War ihnen niemals noch so tief geweiht.
Ein funkelnd Meer von Millionen Kerzen
Entzünde sich an unsrer Dankbarkeit
Und grüße all die ewig stummen Herzen
Von unsrer Liebe und von unsrem Leid.
Wir können ihnen keine Blumen bringen,
So laßt uns sie beweinen und besingen.
Anton Müller 1870-1939
Allerseelen
Ihr schmückt die Gräber! - wozu, wozu? -
So lasst doch die Toten, die Toten in Ruh!
Was soll denn der Blüten eitler Schein
Über feuchtem Moder und morschem Gebein?
Seht! jede Rose so feurig rot,
Lacht wie ein Hohn auf den bleichen Tod;
Und die Blume der Liebe auf Gräbern - ach -
Weckt alte, verglommene Träume wach:
Von Weh und Wonne - von Lust und Leid -
In märchengold'ner Vergangenheit;
Und jede Schleife von Seid' und Samt,
Die flatternd um duftende Kränze flammt:
Sie quält den Toten in dunkler Gruft,
Weil sie das Leben zurück ihm ruft: - -
Das lachende Leben mit seinem Glanz,
Auf bräutlicher Locke den Myrtenkranz -
Das Leuchten der Sehnsucht im feuchten Blick,
Im Herzen, im Herzen, das pochende Glück, -
Und alles verschollen und alles verweht - -
O flüsters dem Armen ein stilles Gebet:
Ein Ave für seiner Seele Ruh',
Und schaufelt mit schweigender Erde zu
Die toten Leiber, die tote Lieb':
Herr, allen die ewige Ruh gib!
Rudolf Herzog 1869-1943
Heimkehr zu Allerseelen
Im Totenhaus, im dumpfen Raum,
Sitzt still ein müder Mann;
So starr und still, als trät' ein Traum
An seinen Geist heran.
Es steht von langer Lebensfahrt
Manch Zeichen im Gesicht;
Die Hände halten, eng gepaart,
Ein kleines Opferlicht.
„Wohl kenn' ich dich, du leichtes Glück,"
Tönt leis es jetzt hervor,
„Und oft in schnellem Wagestück
Sprengt' ich der Liebe Tor.
Doch war mein Herz ein unstet Ding,
Es riß mich weiter rauh,
Und nie an meiner Wange hing
Der Abschiedsträne Tau.
„Ich hab' das Leben heiß geliebt,
Das brandend aufwärts steigt,
Vergessenheit im Strudel gibt,
Wenn es sich Jählings neigt.
— Da kam ich heim. — Weit, weit umher
Lag schweigend Feld und Hag,
Auf Gräbern wogt' ein Lichtermeer
Am Allerseelentag.
„Ich war gestürmt in steter Hast,
Mich mied, ich floh die Ruh'.
Nun sehnt die Seele sich nach Rast,
O Herr der Himmel du!
Ich zünde dir dies Kerzlein an
Als kleine Opfergab',
Schenk du dem wegemüden Mann
Ein heimatliches Grab - - -."
Er hob das Haupt. Ein Blick — ein Strahl,
Zum Herzen fuhr die Hand —!
Ein Glöcklein läutete im Tal
Das „Ave" in das Land.
Und bei den Tönen, mild und hehr,
Der Opferkerze Schein,
Fand sich ein Herz, das friedeleer,
Zur ew'gen Ruhe ein ...
Fridolin Hofer 1861-1940
Um Allerseelen
Nun flicht der Herbst zum Strauß den braunen Halm
Um Martinsrosen und um Asternblüten,
Derweil im weißen Mams vom Firn zur Alm
Des Winters Wachen stiegen, die verfrühten.
Noch flimmern hier und dort im Sonnenduft
Ein Fels und eines Buchwalds Totenkerzen
Und geht ein Stammeln durch den Strom der Luft;
Das klingt wie Trennungsweh verhärmter Herzen.
Der Teuern denk' ich wieder heiß wie nie,
Die von mir gingen und mir lange fehlen,
Und händefaltend sink' ich in die Knie:
Tröst' Gott die ärmsten aller Seelen!
Franz Alfred Muth 1839-1890
Allerseelen
Allerseelen ist gekommen,
hat den Wald sein Laub genommen;
Leis die Blumen sich entfärben,
Überall ist Weh und Sterben.
Nebel brauen
auf den Höhen und den Auen.
Allerseelen ist gekommen,
hat nicht bloß das Laub genommen!
Glutenaugen, reiche Herzen
Brachen, ließen uns nur Schmerzen.
Allerseelen —
Ach, wie Viele, die uns fehlen!
Müssen wir das liebste Leben
Denn dem dunklen Grabe geben?
Frische Kraft und Rosenwangen,
Alles eitelsüchtig Prangen;
Gold und Kronen
Wird der bitt`re Tod nicht schonen.
O du stolzes armes Leben,
Lern` der Demut dich ergeben,
Findest dann im Tod das Leben,
Süßen Wein aus bitt`ren Reben;
Nur dem Stolze
Kam der Tod von Eden`s Holze.
Wolltest du dem Tage dienen,
Mahnt der Tod mit ernsten Mienen:
Lust der Welt ist bald verflogen,
Ehr` und Gold wie rasch gezogen;
Laß dich finden,
Nichts ist törichter denn Sünden!
Mach` dir nicht so viele Sorgen!
Heute lebst du; kommt ein Morgen?
Nur was Liebe wirkt, ist immer,
Ewig nur des Himmels Schimmer,
Wird erheben
Auch den Leib zu neuem Leben.
Schau` in`s Auge nur dem Tode,
Er ist ja nur Gottes Bote,
Sucht die Kinder ihm auf Erden,
Daß sie sein und selig werden!
Allerseelen —
Ach, wie Viele Gott noch fehlen!
Albrecht von Wickenburg 1838-1911
Zu Allerseelen
Auf allen Gräbern blüht’s
In bleichen Sternen,
Auf allen Gräbern glüht’s
Von Grablaternen;
Auch auf dem ärmsten mag
Ein Wachslicht schwehlen –
Das ist der Feiertag
Der armen Seelen.
Auch dem, der allezeit
Nur Dorn gefunden,
Hat man die Rosen heut‘
Zum Kranz gewunden.
Und war ein Menschensein
Nur eitel Quälen,
Stellt sich der Lorbeer ein
Zu Allerseelen.
Ach, besser, nie an Lust
Und Glück sich laben,
Als einst mit wunder Brust,
Sein Glück begraben,
Als von zerpflückten Kranz
Die Blüthen zählen
Im Grablaternenglanz
Von Allerseelen!
Otto Baisch 1840-1892
Allerseelen
Müde, das Lebensboot
Weiter zu steuern,
Gingt ihr von Leid und Not
Rasten, ihr Teuern.
Ihnen, die euch geweiht
Inniges Lieben,
Ihnen ist Not und Leid
Einzig geblieben.
Blicke voll Tränenflor,
Lippen voll Klagen
Senden zu Gott empor
Schmerzliche Fragen.
Leise wie Geisterwehn
Rauscht's im Gezweige
Denk an ein Wiedersehn,
Dulde und schweige!
Anton Müller 1870-1939
Allerseelen
Heut schwimmt im hellen Lichterbrand,
Verbrämt mit buntem Blütentand,
Der Gräber lange Reihe;
Und auch den ärmsten Hügel schmückt,
Von lieber Menschenhand gepflückt,
Still eine Blumenweihe.
Der Sehnsucht warme Träne netzt
Die Wangen; teure Tote letzt
Fromm des Gebetes Labe;
Und, Mutter, ach, du liegst so weit,
Es pilgert nur mein Herzeleid
Zu deinem fernen Grabe;
Und bringt statt aller Blumenzier
Nur dieses arme Lied zu dir
Voll Kindesweh und Kummer;
Doch wenn du’s hörtest, o ich weiß,
Du fingest an zu weinen leis
Selbst noch im Todesschlummer.
Du sollst nicht weinen! an die Gruft
Nur kniet mein Jammer hin und ruft
Stillschluchzend deinen Namen:
„Ich hatte dich so lieb, so lieb,
O Gott, ihr ew’ge Ruhe gib
Und deinen Himmel. Amen!“
Georg Trakl 1887-1914
Allerseelen
An Karl Hauer
Die Männlein, Weiblein, traurige Gesellen,
Sie streuen heute Blumen blau und rot
Auf ihre Grüfte, die sich zag erhellen.
Sie tun wie arme Puppen vor dem Tod.
O! wie sie hier voll Angst und Demut scheinen,
Wie Schatten hinter schwarzen Büschen stehn.
Im Herbstwind klagt der Ungebornen Weinen,
Auch sieht man Lichter in der Irre gehn.
Das Seufzen Liebender haucht in Gezweigen
Und dort verwest die Mutter mit dem Kind.
Unwirklich scheinet der Lebendigen Reigen
Und wunderlich zerstreut im Abendwind.
Ihr Leben ist so wirr, voll trüber Plagen.
Erbarm' dich Gott der Frauen Höll' und Qual,
Und dieser hoffnungslosen Todesklagen.
Einsame wandeln still im Sternensaal.
Rainer Maria Rilke 1875-1926
Allerseelen
I
Rings liegt der Tag von Allerseelen
voll Wehmut und voll Blütenduft,
und hundert bunte Lichter schwelen
vom Feld des Friedens in die Luft.
Sie senden Palmen heut und Rosen;
der Gärtner ordnet sie mit Sinn -
und kehrt zum Eck der Glaubenslosen
die alten, welken Blumen hin.
II
"Jetzt beten, Willi, - und nicht reden!"
Mit großem Aug gehorcht der Knab.
Der Vater legt den Kranz Reseden
auf seines armen Weibes Grab.
"Die Mutter schläft hier! Mach ein Kreuz nun!"
Klein Willi sieht empor und macht,
wie ihm befohlen. Ach, ihn reuts nun,
daß er am Weg heraus gelacht!
Es sticht im Auge ihn - wie Weinen ...
Dann gehn sie heimwärts durch die Nacht;
ganz ernst und stumm. Da lockt den Kleinen
beim Ausgang jäh der Buden Pracht.
Es blinkt durch den Novembernebel
herüber lichtbeglänzter Tand;
er sieht dort Pferdchen, Helme, Säbel
und küßt dem Vater leis die Hand.
Und der versteht. Dann gehn sie weiter
Der Vater sieht so traurig aus. -
Doch einen Pfefferkuchenreiter
schleppt Willi selig sich nach Haus.
Johannes Brassel 1848–1916
Allerseelen
Milder Herbstessonne Strahlen
Leuchten durch das bunte Laubwerk,
Spielen mit dem toten Blatte,
Das der Wind vom Zweig gebrochen.
Schüchtern schauen, weil verspätet,
Primeln noch, am Hag ein Röslein
Auf zur lieben Gottessonne
Und erwecken statt der Wehmut
Stille, ferne Frühlingsahnung.
Und zum bunten Strauße pflück' ich
Alle blüh'nden Sonnenkinder,
Um sie stillen Angedenkens
Lieben auf das Grab zu legen,
Deren Geist zum ewigen Urquell
Alles Lebens eingegangen.
Und da kommt mein greiser Vater
Mit dem milden Aug voll Ruhe,
Mit dem sonnigen Gemüte.
Setzen uns am Hügelrande,
Der hinausschaut weithin übers
Stille, sterbende Gelände,
Und er hebt mit weisem Munde,
Mir ins ernste Antlitz schauend,
Also an: „Bald ist vollendet
Meine kurze Pilgerreise,
Und ich werde bei den Vätern
Drunten ruhen in der Erde.
Wie Gott will! Doch wisse, Sohn,
Dieses Leben, ob ein Punkt nur
In der ew'gen Weltenzeit,
Ist kein Traum, ob schnell es schwinde;
Arbeit ist es, Pflichterfüllung.
Zwar der Leib vergeht, wie diese
Blumen, die Du Lieben brachest,
Und wie alles, was geworden.
Ehre, Reichtum. Pracht, Gewalt,
Aeußern Lebens Lust und Fülle,
Alles bricht am Grab zusammen
Und verläßt Dich in der Not
Wie ein ungetreuer Freund.
Wehe, wenn Du nichts geschaffen,
Das Bestand hat überm Grabe!
Dein verstörter Blick schweift rückwärts,
Hülfesuchend rückwärts auf Dein
Leben, das nun leer und öde
Wie die Wüste vor Dir liegt;
Weil Du keinen Quell gegraben
Andre Pilger zu erquicken;
Weil du keine schatt'gen Bäume
Pflanztest, drin auch andre
Arme Wandrer Kühlung fänden,
Weil Du keine Blumen sätest,
Daß nach Deinem Tode noch
Kinderhändchen sich nach ihnen
Reckten und dich segneten.
Drum, mein Sohn, wie dort die Gräber
Deiner Freunde, schmück' das Leben
Deiner Lieben, die noch wandeln
Durch die Auen dieser Erde,
Mit den Gaben ew'ger Güte,
Mit der Quelle reiner Liebe,
Mit den Blumen reiner Freude!
Schmück' ihr Leben! Nach dem Tode
Ists zu spät, und bittre Reue
Aendert nicht, was Du versäumt hast.
Ehr' die Toten, ihre Werke!
Ihre Tugenden erlerne,
Lern an ihren stillen Gräbern,
Daß das Leben dann nur Wert hat,
Wenn ihm Inhalt wird gegeben,
Wenn Dein Geist in guten Taten
Ewig wirkend fort kann leben.
David Herbert Lawrence 1885-1930
Allerseelen
Geht mit dem Tod alsdann behutsam um und sacht.
Denn Sterben ist nicht leicht,
schwer ist es, diese Pforte zu durchschreiten,
selbst wenn sie sich uns auftut.
Wo gehen diese armen Toten hin,
wenn sie die Stadt
des nun unrettbaren Leibs verlassen haben,
die Stadt, ummauert, silberhell?
Wo gehn sie hin?
Sie weilen dann im Schatten dieser Welt.
In ihrem langen Schattenkegel drängen sich die Seelen,
die nicht hinüber finden über jenes Meer, das alles wandelt.
Seid euren Sterbenden ein Freund:
Ermutigt sie, den Todesnachen selbst zu bauen,
tritt ihre Seele doch die lange, lange Reise an
ins heit’re Reich ohne Erinnerung.
Wir alle brauchen einen Nachen, den Nachen
und gehörig Proviant für diese längste Reise.
Gebt euren Toten stets aufs Neu etwas
aus eurem Herzen mit, und rüstet liebend sie
vor ihrer Reise übers Meer.
aus dem Englischen: © Bertram Kottmann
Dr. Owlglaß* 1873-1945
Um Allerseelen
I.
So kam nun der November her...
Die armen Seelen tun sich schwer.
Es werden ihrer mehr und mehr.
Kein Fleckchen auf dem Erdenraum,
kein Grab, kein Kreuz, kein Lebensbaum,
wo sie nicht träumen ihren Traum.
Den Traum vom letzten Glockenschlag,
bei dem sich alles lösen mag,
den dumpfen Traum vom jüngsten Tag.
Den dumpfen Traum vom Weltgericht,
das Zeit und Raum zu Nichts zerbricht.
Sie sehnen’s her, sie fürchten’s nicht.
II.
Gewesen, ach, gewesen!...
Wo bist du, leuchtende Welt?
Drei Pappeln starren wie Besen
kahl ins graue Gezelt.
Im Nebel ist versunken
die sommergrüne Au,
im Wolkenmeer ertrunken
das liebe Himmelsblau.
Die Augen suchen und spähen
nach einem Bröslein Trost —
Krähen, Krähen und Krähen
rudern von West nach Ost.
Ich fang’ wohl an zu zählen
und zähle wie gebannt...
Seid ihr die armen Seelen
derer, die ich gekannt?
Bin ich allein verblieben
an diesem trüben Tag?
...Stumm gedenken und lieben
ist alles, was ich vermag.
Fortsetzung unten
Fortsetzung: Dr. Owlglass, Um Allerseelen
III.
Der Wind singt einsam um das Haus.
Einsam? Nein.
Ich höre vertraute Stimmen heraus
aus einem entschwundenen Sein.
Die ganze Nacht geht das so fort -
ein Schwellen, ein Schwinden.
Sie klingen nur, sie sagen kein Wort.
Kann sie nicht fassen und binden.
Sie sagen nichts und verklagen nichts,
was einst geschah.
Sie plagen mich nicht und fragen nichts,
klingen nur und sind da.
Sind da wohl durch die ganze Nacht.
Ich liege und sinne
und bin getrost ihrer treuen Wacht
und ihrer wortlosen Minne.
IV.
Nun sich in schwarzen Gräben
die nackten Bäume spiegeln
und Dunst und Nebelweben
rundum die Welt verriegeln —
lass dich nicht niederzwingen.
Die dunklen Wasser singen:
Das Leben lebt. Wo ist dein Stachel, Tod?
Der Ring kann nicht zerschellen,
stumm kreist er und verborgen.
Aus jedem Heute quellen
unfassbar neue Morgen.
Es raunt in kahlen Rüstern,
die braunen Furchen flüstern:
Das Leben lebt. Wo ist dein Stachel, Tod?
*Dr. Owlglass (dt. Eulenspiegel), eigentlich Hans Erich Blaich
Hermann von Gilm zu Rosenegg 1812-1864
Allerseelen
Stell' auf den Tisch die duftenden Reseden,
Die letzten rothen Astern trag' herbei
Und laß uns wieder von der Liebe reden
Wie einst im Mai.
Gieb mir die Hand, daß ich sie heimlich drücke,
Und wenn man's sieht, mir ist es einerlei;
Gieb mir nur einen deiner süßen Blicke
Wie einst im Mai.
Es blüht und funkelt heut' auf jedem Grabe,
Ein Tag im Jahre ist den Todten frei;
Komm' an mein Herz, daß ich dich wieder habe,
Wie einst im Mai.
Christian Wagner 1835-1918
Allerseelen 1900
Heut Allerseelentag, welch milde Lüfte,
Bei solchem Sonnenschein thun sich auf die Grüfte.
Gott, mutet an mich wie von fernen Zonen,
Der Falter hier in Farbe der Citronen!
An letzter Blume sich noch festzusaugen,
der andre dort im Kleid der Pfauenaugen.
Von welchen Küsten doch, von welchen Reichen,
Sie hergesegelt mit dem Wunderzeichen!
Welch milder Tagesschein! Welch silbrig Weben!-
Ja, so mags sein dereinst als Geist zu schweben!-
Georg Heym 1887-1912
Allerseelen
Wie der Wind an eurem Kleide reißt
Daß er die roten Blätter entführ.
Wie ihr frierend duldet die Ungebühr.
Kahl seid ihr bald, und bald verwaist.
Ein Lichtlein in euer Laub sich schmiegt.
Eins erst. Bald sind es ihrer viel.
Flackert hin, flackert her. Der Winde Spiel,
Wie der Sterbenden geifernder Atem fliegt.
O du Toter, nun grüßen sie dich
Zum letzten Mal. Bald hinab
Mußt du nun wieder in Winters Grab.
Warte noch, bleib, bis der Tag verwich.
Streife du noch in Novemberluft.
Wenn Schnee erst fällt, deckt er zu
Deinen Schlaf zu bitterer Winterrute.
Winters Stürme gehen dann über die Gruft.
Hinter den Bäumen steht ihr.
Ihr wärmt eure Hände.
Rot fällt der Schein auf die weiße Lende.
Bald gehn wir nun. Und einsam bleibt ihr.
Warum lächelt ihr? Euer Lächeln gleicht
Einem Rätsel voll Bosheit und Dunkelheit,
Wie wenn am Mittag in trüber Zeit
Der Wind über Teiche im Moore streicht.
Wie ein Kind an die Ohren sich schlägt,
Den Schall wiederholend, so tönt euer Laut,
Wie das Sausen, wenn dunkel der Abend graut
Und der Wind die zitternden Halme regt.
Ihr, die ihr nun aus Hierseins Schlafe erweckt,
Die ihr nun eins seid mit Busch und Gras,
Die den Tieren ihr gleicht, und dem, der genas
Vom Lebenswahn, in Irrsinns-Stuben versteckt,
Ihr, sagt mir eins, warum schleicht ihr euch her.
Ist es nicht besser, tot sein? Was steigt ihr herauf?
Drängt an die Betten der Schläfer zuhauf,
Mit Gerippen füllend der Träume Meer?
Ach, es muß einsam sein in des Todes Haus.
Wenn die Erde friert bis zum Grunde hart.
Und da kommt ihr nun, hohläugig starrt
Ihr nach uns. Ihr unser, wir euer Graus.
Josef Weinheber 1892-1945
Allerseelen
Düster im Friedhof flüstert der Herbst des Menschen Gedicht,
immer dieselbe Weisheit, und wir verstehen sie nicht.
Traurige Männer und Frauen gehen im Laubfall einher.
Auf den Steinen die Sprüche sprechen von Wiederkehr.
Blumen über die Hügel! Kerzen und Lichter darein!
Bis mit dem frühmüden Flügel fällt der Abend ein.
Ach, ihr Männer und Frauen, laßt! Es gibt keinen Trost.
Nichts für den elenden Menschen, den hier der Frost umkost -
Nichts für den elenden Menschen, der drüben in Ewigkeit ruht.
Alles dies ist vergeblich, rauscht es ahnend im Blut.
Aber nicht daß wir sterben und daß wir Schatten sind,
nicht daß wir schwanken am Abgrund, der vor dem Fuß beginnt - :
Das wir nicht lesen wollen in der Heimsuchung Buch,
daß wir nicht gut sein können, ist unser bittrer Fluch.
Eh wir nicht leidend schauen unsre gemeinsame Schuld,
dämmert keine Erlösung, gibt es nicht Hoffnung und Huld.
Immer dieselbe Weisheit, und wir hören sie nicht.
Düster im Friedhof flüstert der Herbst des Menschen Gedicht.
Ferdinand Avenarius 1856-1923
November
Leichensteine kalt und stumm
Im grauen Novemberwetter,
Greisenhaft um die Kreuze herum
Schwatzen gefallener Blätter.
Was lallst du kindisch vor dich hin,
Was malst du mit deinem Stabe,
Was hast du Heimliches im Sinn,
Du Alter dort auf dem Grabe?
Was soll dein Kichern und Grinsen, Mann,
Und dein vertrauliches Nicken?
Was sengest du meine Seele an
Mit deinen glimmenden Blicken?
Im Herzen drängt die arme Flut,
Und ängstlich fühl ich’s klopfen –
Ich fühl’s, du schlürfst aus mir das Blut
Tropfen gemach nach Tropfen,
Ich fühl’s, mein Leben blutet dir
In mattem Sickern zu,
Ich fühl es, langsam wirst aus mir,
Du müder Alter, du.
Jakob Haringer 1898-1948
Allerseelen
So frisch rasiert im schönen Herbst zu wandern -
Zwar hat ein Brief mich wieder mal enttäuscht,
Ist wurscht, ich schmeiß ihn zu den alten Andern
Und morgen kommt ein junges Glück vielleicht.
Dann süße Rast bei Bier und Schweinebraten,
Die gute Wirtin kocht mir frisch Kaffee,
Und die Zigarre reizt zu neuen Taten -
Was kann mir noch im Leben viel geschehn!
Ich steh ja über euren Kinderdingen -
Ich bin zum Sterben jede Stund bereit!
Ich freu mich daß noch heut die Vögel singen,
Und freu mich heut schon wenn es morgen schneit.
Und jeder Blick schenkt mir ein neues Leben,
Die Wolken wandern und mein Leid zieht fort.
Hast du Dich ganz der Erde hingegeben,
Wird dir der Himmel drauf zum nächsten Ort.
Und daß ihr alle auch mich einst betrogen -
Das hat mir nur den schönsten Trost gelehrt.
Und all das Schwere will ich schweigend loben:
Daß ich mir selber nun am meisten wert!
Und ist auch bald die Pilgerschaft zu Ende -
das Glück verschenkt bloß, was es erst uns nahm,
falt ich noch einmal, lieber Gott! die Hände -
Das Leben war am schönsten, so wie's kam.