Im Winter schmückt ein Schein,
wie Diamant und reines Silber,
Fluth und Land.
Barthold Heinrich Brockes 1680-1747
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Theodor Fontane 1819-1898
Der erste Schnee
Herbstsonnenschein. Des Winters Näh'
Verrät ein Flockenpaar;
Es gleicht das erste Flöcklein Schnee
Dem ersten weißen Haar.
Noch wird – wie wohl von lieber Hand
Der erste Schnee dem Haupt –
So auch der erste Schnee dem Land
vom Sonnenstrahl geraubt.
Doch habet acht! mit einem Mal
Ist Haupt und Erde weiß,
Und Liebeshand und Sonnenstrahl
Sich nicht zu helfen weiß.
Adelbert von Chamisso 1781-1838
Der erste Schnee
Der leise schleichend euch umsponnen
Mit argem Trug, eh' ihr' s gedacht,
Seht, seht den Unhold! über Nacht
Hat er sich andern Rat ersonnen.
Seht, seht den Schneenmantel wallen!
Das ist des Winters Herrscherkleid;
Die Larve lässt der Grimme fallen; –
Nun wisst ihr doch, woran ihr seid.
Er hat der Furcht euch überhoben,
Lebt auf zur Hoffnung und seid stark;
Schon zehrt der Lenz an seinem Mark.
Geduld! und mag der Wütrich toben
Geduld! schon ruft der Lenz die Sonne,
Bald weben sie ein Blumenkleid,
Die Erde träumet neue Wonne, –
Dann aber träum' ich neues Leid!
Franz Hecker, Sonnige Winterlandschaft mit baumbestandener Strasse
Franz Hecker (1870-1944) war ein deutscher Maler und Graphiker.Seine Ausbildung erhielt er von 1890 bis 1893 an der Kunstakademie Düsseldorf, an der er unter anderem Fritz Overbeck, Otto Modersohn
und Heinrich Vogeler kennenlernte und seither oft die Künstlerkolonie Worpswede besuchte.
Gustav Falke 1853-1916
Es schneit
Der erste Schnee, weich und dicht,
Die ersten wirbelnden Flocken.
Die Kinder drängen ihr Gesicht
Ans Fenster und frohlocken.
Da wird nun das letzte bischen Grün
Leise, leise begraben.
Aber die jungen Wangen glühn,
Sie wollen den Winter haben.
Schlittenfahrt und Schellenklang
Und Schneebälle um die Ohren!
– Kinderglück, wo bist du? Lang,
Lang verschneit und erfroren.
Fallen die Flocken weich und dicht,
Stehen wir wohl erschrocken,
Aber die Kleinen begreifen's nicht,
Glänzen vor Glück und frohlocken.
Gottfried Keller 1819-1890
Erster Schnee
Wie nun alles stirbt und endet
Und das letzte Lindenblatt
Müd sich an die Erde wendet
In die warme Ruhestatt,
So auch unser Tun und Lassen,
Was uns zügellos erregt,
Unser Lieben, unser Hassen
Sei zum welken Laub gelegt.
Reiner weißer Schnee, o schneie,
Decke beide Gräber zu,
Daß die Seele uns gedeihe
Still und kühl in Wintersruh!
Bald kommt jene Frühlingswende,
Die allein die Liebe weckt,
Wo der Haß umsonst die Hände
Dräuend aus dem Grabe streckt.
Max Dauthendey 1867-1918
Erster Schnee
Fern, irgendwo im Himmelblau,
Ein sonderzartes Land.
Die Heiden weiß,
Besprossen lilaklare Primelblüten.
Blüten groß, offen erschlossen,
Augen, weite Augen, die an Tränen saugen,
Sanfte Augen, die ein Paradies behüten.
Mit weißen Fingern
Ein stilles Kind
Spielt mit den Primeln,
Lacht mit dem Wind.
Zaudernd auf schleichenden Zehen,
Über die Blüten,
Weiße Rudel
Von weißen Rehen.
Alles so licht und so eigen.
Einsam entblättert das Schweigen.
Christian Morgenstern 1871-1914
Erster Schnee
Aus silbergrauen Gründen tritt
ein schlankes Reh
im winterlichen Wald
und prüft vorsichtig Schritt für Schritt,
den reinen, kühlen, frischgefallenen Schnee.
Und deiner denk ich, zierlichste Gestalt.
Alexander Sergejewitsch Puschkin 1799-1837
Ein winterliches Gedicht
Erst gestern war es, denkst du daran?
Es ging der Tag zur Neige.
Ein böser Schneesturm da begann
und brach die dürren Zweige.
Der Sturmwind blies die Sterne weg,
die Lichter, die wir lieben.
Vom Monde gar war nur ein Fleck,
ein gelber Schein geblieben.
Und jetzt? So schau doch nur hinaus:
Die Welt ertrinkt in Wonne.
Ein weißer Teppich liegt jetzt aus.
Es strahlt und lacht die Sonne.
Wohin du siehst: Ganz puderweiß
geschmückt sind alle Felder,
der Bach rauscht lustig unterm Eis.
Nur finster stehn die Wälder.
Anna Ritter 1865-1921
Trübe Ahnung
Der Himmel ist so blaß geworden,
Die weißen Wolken künden Schnee,
Das Bächlein singt ein Lied vom Sterben
Und schleicht sich müde durch den Klee.
Am Zaune flattern welke Ranken,
Wie lange noch, dann ist's so still,
Daß sich in diesem großen Schweigen
Kaum noch die Sehnsucht regen will.
Betty Paoli 1814-1894
Im Winter
Wiesengrund und Bergeshöh'
Liegen wie begraben,
Auf dem schimmernd weißen Schnee
Tummeln sich die Raben.
Mag die Sonne auch ihr Licht
Fernehin entsenden,
Es erquickt und wärmet nicht,
Kann nur schmerzlich blenden.
Dicht vor meinem Fenster steht
Eine schlanke Linde,
Mit Demanten übersä't
Stöhnet sie im Winde.
An die Scheiben pocht sie leis',
Leis' wie Glöckchen läuten;
Was sie sagen will, ich weiß
Mir es wohl zu deuten.
Arme Linde! Tag und Nacht
Scheinst du mir zu klagen:
»Dürft ich doch, statt todter Pracht,
Wieder Blüthen tragen!«
Klabund 1890-1928
Winterlandschaft
Das Hügelland wogt wie ein weißes Meer im Schnee,
Vom Himmel nieder wuchten violette
Schneewolken, eine dichtverschlungne Kette,
Die in der Luft an roten Öfen hängt –
Die Sonne brannte sie –
Am Horizonte aber wölbt sich aus der weißen Flur ein Berg,
Mit Tann bestanden, schwarz gekappt,
Ein ungeheurer Igel, der den Schneefall
Von seinen Borsten schläfrig schüttelte.
Friedrich de la Motte Fouqué 1777-1843
Das Feierkleid
Wie langsam, Schnee, du niedersinkst,
Ein feiernd stiller Chor,
Und dann als reiner Silberflor
Weit auf der Eb'ne blinkst.
Mir wird, als stieg' in Herrlichkeit
Der Engel Schar herab,
Und deckte weit das Erdengrab
Mit reinem Feierkleid.
Da keimen Blumen d'runter aus
Voll Auferstehungsmacht,
Und strahlen einst in Liebespracht
Durch's ew'ge Himmelshaus.
Jakob Bosshart 1862-1924
Der Bäume Wintertraum
Frieren und zittern die Bäume
Starrend im Winterrock,
Webt ihre Seele Träume
Unten im Wurzelstock.
Spinnt und webt in der langen
Dämmernden Winterzeit
sich aus Farben und Prangen
Bräutlich ein Frühlingskleid.
Steigt zu des Lenzes Festen
Heimlich im Stamm empor:
Wunderbar schiebt aus den Ästen
Traumhaft, ihr Kleid sich hervor.
Legt, was in Nacht sie gewoben,
Strahlend und froh an den Tag!
Jubelt die Sonne nicht oben,
Unten der Waldfinken Schlag?
Friedrich Gottlieb Klopstock 1724-1803
An ein Schneeflocke und Konsorten
Dich, vor Minuten noch im Himmel Hochgeborener,
Bewunderungswürdiger, Gesunkener, Verlorener,
O schöner Stern! mein Lied soll dich verewigen! - -
Doch - halt! - wo bist du denn?
August Heinrich Hoffmann von Fallersleben 1798-1874
Der Reif
Der Reif ist ein geschickter Mann:
O seht doch, was er alles kann!
Er haucht nur in den Wald hinein,
Wie ist verzuckert schön und fein
Ein jeder Zweig und Busch und Strauch
Von seinem Hauch!
Wie schnell es ihm von Händen geht!
Kein Zuckerbäcker das versteht.
Und alles fein und silberrein,
Wie glänzt es doch im Sonnenschein!
Wär' alles doch nur Zucker auch
Von seinem Hauch!
Doch nein, wir sind schon sehr erfreut,
Dass uns der Reif so Schönes beut.
O Winter, deinen Reif auch gib,
Uns ist auch Augenweide lieb,
Und ohne Duft und Frühlingshauch
Freu'n wir uns auch.
Oskar Loerke 1884–1941
Winterstille
Im Eise will der Wald verdorren,
Wie die gestrengen Herrn ihn trafen.
Ein Nebel hängt in seinen Knorren
Und ist im Dunklen eingeschlafen.
Die lange Zeit ist irr geworden,
Als Amsel in den Baum gesprungen,
Verdreht den Hals und starrt nach Norden,
Schreit auf und ist dem Rufe nachverklungen.
Hedwig Lachmann 1865-1918
Im Schnee
Schneegeriesel. Flocken über Flocken.
In der weichen Luft zerfließt der Schaum,
und kein Windhauch weht die Erde trocken.
Aber, wenn im Frost erstarrt der Flaum,
reift er schnell zu glitzernden Kristallen
und blinkt dann am Boden und am Baum.
– Nasser Schnee ist auf mein Haar gefallen –
In den Bergen türmt er sich zu Eis
und zu donnernden Lawinenballen.
Von den Dächern tropft es leise, leis,
und dazwischen gleiten und verschwimmen
fern und ferner, kaum daß ich es weiß,
Dämmernde Gedanken, leise Stimmen
Wie Erinnern, wie Atem bloß,
einer Sehnsucht aufgescheuchtes Glimmen.
Alles fließt der Erde in den Schoß.
Dieses Lebens gleitende Gesichte,
ungezählte Tropfen, Los um Los,
Einen Augenblick beglänzt vom Lichte –
oder in der rauen Luft gereift,
und nun auf der harten Erde dichte
Sternkristalle, bis ein Wind sie streift.
Hans Leifhelm 1891-1947
Winterwald
Ich geh' in einen Winterwald hinein,
der Winterwald muss voller Wunder sein.
Die Tannen stehen enge angeschmiegt,
soweit das Land in tiefer Schneelast liegt.
Und keine Spuren gehen durch den Wald
als vom Getier – und die verwehen bald.
Und manchmal ist ein Seufzen in den Bäumen,
wie Kinder seufzen unter tiefen Träumen.
Der Schnee liegt weiß, so weit ich wandern will;
Da werden alle Menschenwünsche still.
Jakob Bosshart 1862-1924
Clavadel – Bergwinter
Sonnengold ins Blau erhoben,
Bergesspitzen eitel Glanz,
Unten, traumhaft hingewoben,
Schneebestreut ein Tannenkranz.
In dem Bach, des Sommers Schäume
Still geworden, starr und klar,
Drüber schwanke Weidenbäume,
Weiß im Reif und wunderbar.
Hütten waten, halb versunken,
Braun gebrannt ins weiße Land,
Sprühn, vom Lichte vollgetrunken,
Aus den Scheiben Feuerbrand.
Stille rings, nur wenn vom Dache
Jäh ein Eiszahn niederfällt,
Horcht, erschrocken von dem Krache,
Wundernd auf die ganze Welt.
Reinheit geht auf allen Pfaden,
Wandelt an den Halden weit,
Und die Seele möcht' sich baden
Taglang in der Herrlichkeit.
Fred Endrikat 1890-1942
Der Wald schläft
Friedlich schläft der Winterwald.
Rauhreif glitzert auf den Fichten.
Märchen werden zur Gestalt,
und es leben Spukgeschichten.
Ruprecht steigt herab ins Tal.
Unter tiefverschneiten Tännchen
stapft der alte Rübezahl,
trippeln kleine Wichtelmännchen.
Brombeerstrauch und Seidelbast
schlummern an der Haselhecke.
Eichkatz träumt auf einem Ast
unter weißer Daunendecke.
Buchen ragen stark und alt
aus dem Schnee wie Patriarchen.
Friedlich schläft der Winterwald,
und man hört die Bäume schnarchen.
Karl von Gerok 1815-1890
Winterlied
In dieser strengen Winterzeit
Wie traurig liegt das Land,
Wie schläft die Welt so tief verschneit,
Als wie im Sterbgewand!
Kein Vöglein singt den Frühgesang
Und zirpt sein Schlafgebet;
Kaum daß es unterm Schnee sich bang
Sein kärglich Korn erspäht.
Kein Blümlein blüht im grünen Gras
Mit bunter Farbenpracht,
Der Frost nur malt ans Fensterglas
Eisblumen über Nacht.
Kein Bächlein kommt mit muntrer Hast
Vom Berg ins Tal gehüpft,
Kaum daß es unter Eiseslast
Geduckt vorüber schlüpft.
Und doch — so öde Wald und Feld,
So trübe Flur und Au:
Da droben glänzt das Himmelszelt
In unverblichnem Blau.
Und Morgenrot und Abendrot
Erblühn am Firmament,
Daß, rings von Flammen überloht,
Der weite Himmel brennt.
Und nächtlich glänzt der Himmelsraum
Mit Sternen übersät,
Als wär der Welt ein Weihnachtsbaum
Von Gottes Hand erhöht.
Erhöht von eines Vaters Hand,
Die große Dinge tut
In Winterfrost und Sommerbrand,
Und meint es allzeit gut.
Drum küsse sie, o Menschenkind,
Des großen Vaters Hand,
Und sei nicht kalt und stumm und blind
Wie ein erfrornes Land!
Und wenn, verscheucht von Schnee und Eis,
Kein Vöglein Lieder singt:
Was hindert's, daß zu Gottes Preis
Dein Lied sich aufwärts schwingt?
Und wenn der muntre Wiesenquell
Zu Stein und Bein gefror:
Was schadet's, flammt nur warm und hell
Dein Herz zu Gott empor!
Und mag, umsaust vom rauhen Nord,
Im Feld kein Blümlein blühn:
Was tut's, blüht nur im Herzen fort
Der Andacht Immergrün!
Begrub im Schnee der Winterwind
Die Straßen weit und breit:
Nie wird der Weg, o Gotteskind,
Zum Vater dir verschneit!
Friedrich Hölderlin 1770-1843
Winter
Das Feld ist kahl, auf ferner Höhe glänzet
Der blaue Himmel nur, und wie die Pfade gehen,
Erscheinet die Natur, als Einerlei, das Wehen
Ist frisch, und die Natur von Helle nur umkränzet.
Der Erde Stund ist sichtbar von dem Himmel
Den ganzen Tag, in heller Nacht umgeben,
Wenn hoch erscheint von Sternen das Gewimmel,
Und geistiger das weit gedehnte Leben.
Otto Ernst 1862-1926
Winternachmittag an der Elbe
Durch den Schnee, der Schlucht und Gräben füllt,
Wandert meine Seele ruhumhüllt.
Ach, sie möchte sich Genüge tun,
Lebenswarm im weißen Totenlinnen ruhn!
Denn es wacht wie eine Flamme mein Gemüt
In der Stille dieser Schlummerzeit.
Wie ein einzig Licht in Waldesnächten glüht,
Brennt mein Herz in Wintereinsamkeit.
Horch, wer hat den toten Hain erschreckt?
Überlast des Schnees fiel von den Zweigen.
Einen Laut hat sich Natur erweckt,
Weil ihr graute vor dem eignen Schweigen.
Durch beschneite Zweige kann ich ferne sehn,
Wo die stillen Segel gehn.
Aus dem Reich der stummen Nebelhöhn gesandt,
Ziehn sie lautlos in des Traumes Land. –
Holder Tag, der unterm Eis verrinnt,
Ewig wirst du mir im Herzen sein!
Tief gebettet dort, wirst du noch einst ein Wein,
Der die alten Augen mir mit Licht umspinnt.
Friedrich Hebbel 1813-1863
Wintergedicht
Unendlich dehnt sie sich, die weisse Fläche,
Bis auf den letzten Hauch von Leben leer;
Die muntern Pulse stockten längst, die Bäche,
Es regt sich selbst der kalte Wind nicht mehr.
Der Rabe dort, im Berg von Schnee und Eis,
Erstarrt und hungrig, gräbt sich tief hinab,
Und gräbt er nicht heraus den Bissen Speise,
So gräbt er, glaub ich, sich hinein ins Grab.
Die Sonne, einmal noch durch Wolken blitzend,
Wirft einen letzten Blick aufs öde Land,
Doch, gähnend auf dem Thron des Lebens sitzend,
Trotzt ihr der Tod im weissen Festgewand.
Theodor Däubler 1876-1934
Winter
Geduldig ist der Wald,
Behutsamer der Schnee,
Am einsamsten das Reh.
Ich rufe. Was erschallt?
Der Widerhall macht Schritte.
Er kehrt zurück zu seinem Weh:
Das kommt heran wie leise Tritte.
Er findet mich in meiner Mitte.
Warum hab ich den Wald gestört?
Vom Schnee ward nichts gehört.
Hat sich das Reh gescheut?
Wie mich das Rufen reut.
Annette von Droste-Hülshoff 1797-1848
Der Säntis*
Winter
Aus Schneegestäub' und Nebelqualm
Bricht endlich doch ein klarer Tag;
Da fliegen alle Fenster auf,
Ein jeder späht, was er vermag.
Ob jene Blöcke Häuser sind?
Ein Weiher jener ebne Raum?
Fürwahr, in dieser Uniform
Den Glockenturm erkennt man kaum;
Und alles Leben liegt zerdrückt,
Wie unterm Leichentuch erstickt.
Doch schau! an Horizontes Rand
Begegnet mir lebend'ges Land.
Du starrer Wächter, laß ihn los
Den Föhn aus deiner Kerker Schoß!
Wo schwärzlich jene Riffe spalten,
Da muß er Quarantäne halten,
Der Fremdling aus der Lombardei;
O Säntis, gib den Tauwind frei!
*Der Säntis ist mit 2501,9 m ü. M. der höchste Berg im Alpstein (Ostschweiz).
Johann Wolfgang von Goethe 1749-1832
Ein großer Teich war zugefroren
Ein großer Teich war zugefroren;
Die Fröschlein, in der Tiefe verloren,
Durften nicht ferner quaken noch springen,
Versprachen sich aber, im halben Traum:
Fänden sie nur da oben Raum,
Wie Nachtigallen wollten sie singen.
Der Tauwind kam, das Eis zerschmolz,
Nun ruderten sie und landeten stolz
Und saßen am Ufer weit und breit
Und quakten wie vor alter Zeit.
Albrecht von Haller 1708-1777
Frost
Der Berge Thäler Eis, die Spitzen Schnee bedeckt,
Ruht das erschöpfte Feld nun aus für neue Gaben,
Weil ein krystallner Damm der Flüsse Lauf versteckt,
Dann zieht sich auch der Hirt in die beschneiten Hütten,
Wo fetter Fichten Dampf die dürren Balken schwärzt;
Hier zahlt die süße Ruh die Müh, die er erlitten,
Der Sorgen-lose Tag wird freudig durchgescherzt,
Und wenn die Nachbarn sich zu seinem Herde setzen,
So weiß ihr klug Gespräch auch Weise zu ergötzen.
aus: Die Alpen
Otto Ernst 1862-1926
Wintermärchen
Auf dem Baum vor meinem Fenster
Saß im rauhen Winterhauch
Eine Drossel, und ich fragte:
„Warum wanderst du nicht auch?
Warum bleibst du, wenn die Stürme
Brausen über Flur und Feld,
Da dir winkt im fernen Süden
Eine sonnenschöne Welt?“
Antwort gab sie leisen Tones:
„Weil ich nicht wie andre bin,
Die mit Zeiten und Geschicken
Wechseln ihren leichten Sinn.
Da die wandern nach der Sonne
Ruhelos von Land zu Land,
Haben nie das stille Leuchten
In der eignen Brust gekannt.
Mir erglüht’s mit ew’gem Strahle
– Ob auch Nacht auf Erden zieht –,
Sing’ ich unter Flockenschauern
Einsam ein erträumtes Lied.
Wundersamer Trost in Schmerzen!
Doch nur jene kennen ihn,
Die in Nacht und Sturm beharren
Und vor keinem Winter fliehn.
Dir auch leuchtet hell das Auge;
Deine Wange zwar ist bleich;
Doch es schaut dein Blick nach innen
In das ew’ge Sonnenreich.
Laß uns hier gemeinsam wohnen,
Und ein Lied von Zeit zu Zeit
Singen wir von dürrem Aste
Jenem Glanz der Ewigkeit.“
Yvan Goll 1891-1950
Schneemusik
O Wildschnee Buntschnee meiner Seele Schnee
Ein Blizzard zerbrochener Sterne
Und Rosen aus Kristall
Höret ihr die Schneemusik im Wintertal
Das siebenfarbene Spiel
Des aufgelösten Regenbogens
Der über die ungeborenen Geigen
Im tönenden Holz der Bäume streicht?
Die Schneerosen welken vor Schmerz
Selbst der Schneevogel schweigt
Martin Greif 1839-1911
Wintertrost
Welche Wandlung über Nacht
Hat den Wald beschlichen,
Braun noch gestern, sieht erwacht
Er sein Haar verblichen.
Eis mit langen Zapfen hängt
Rings von allen Ästen,
Weiss der Silberbart sich mengt
Mit des Laubes Resten.
Wohl, Natur in solchem Bild
Mahnt sie an das Alter,
Wäre nicht der Winter mild
Auch ein Welterhalter.
Lasse dort die Eiche, grau,
Näher dich belehren:
Rieselt erst des Frühlings Tau,
Wird das Grün ihr kehren.
Friedrich Güll 1812-1879
Winterrätsel
Ich falle vom Himmel
in wirrem Gewimmel.
Ich schimmre
und flimmre
und decke das Land
zahllos wie Sand.
Doch unversehens
im Sonnenschein
schleich ich
und weich ich
und schlüpf ins Dunkel
der Erde hinein.
Francisca Stoecklin 1894-1931
Schnee, zärtliches Grüßen
Schnee, zärtliches Grüßen
der Engel,
schwebe, sinke –
breit alles in Schweigen
und Vergessenheit!
Gibt es noch Böses,
wo Schnee liegt?
Verhüllt, verfernt er nicht
alles zu Nahe und Harte
mit seiner beschwichtigenden
die Schritte des Lautesten
in leise?
Schnee, zärtliches Grüßen
der Engel,
den Menschen, den Tieren! –
Weißeste Feier
der Abgeschiedenheit.
Johann Gaudenz von Salis-Seewis 1762-1834
Winterlied
Das Feld ist weiß, so blank und rein,
Vergoldet von der Sonne Schein,
Die blaue Luft ist stille:
Hell wie Krystall
Blinkt überall
Der Fluren Silberhülle.
Der Lichtstrahl spaltet sich im Eis,
Er flimmert blau und roth und weiß,
Und wechselt seine Farbe.
Aus Schnee heraus
Ragt, nackt und kraus,
Des Dorngebüsches Garbe.
Von Reifenduft befiedert sind
Die Zweige rings, die sanfte Wind’
Im Sonnenstrahl bewegen.
Dort stäubt vom Baum
Der Flocken Flaum
Wie leichter Blüthenregen.
Tief sinkt der braune Tannenast
Und drohet mit des Schnees Last
Den Wandrer zu beschütten;
Vom Frost der Nacht
Gehärtet. kracht
Der Weg von seinen Tritten.
Das Bächlein schleicht, von Eis geengt:
Voll lauter blauer Zacken hängt
Das Dach; es stockt die Quelle;
Im Sturze harrt,
Zu Glas erstarrt,
Des Wasserfalles Welle.
Die blaue Meise piepet laut;
Der muntre Sperling pickt vertraut
Die Körner vor der Scheune.
Der Zeisig hüpft
Vergnügt und schlüpft
Durch blätterlose Haine.
Wohlan! auf festgediegner Bahn
Klimm ich den Hügel schnell hinan,
Und blicke froh ins Weite,
Und preise den,
Der rings so schön
Die Silberflocken streute.
Max Dauthendey 1867-1918
Die Winterwolke spricht von Schnee
Kein Vogel fliegt im leeren Strauch.
Das Gras, das gelb beim Erdreich liegt,
Ist tags noch weiß vom nächt'gen Hauch.
O, armes Gras, du tust mir weh,
Bist müde gleich dem Vogelvolk;
Die Winterwolke spricht von Schnee.
Den Weg des Todes zieht die Welt,
So wie das Blut das Herz einst flieht
Und der Gedank' in nichts zerfällt.
Felix Grafe 1888-1942
Winter will den Wald verwehn
Winter will den Wald verwehn,
Weg und weiße Wiesen
weisen weiter – Wipfel stehn,
wartend, wache Riesen.
Ach, schon ist mein welker Strauß
wind- und wandermüde.
Seit ich in die Welt hinaus
zog, ist nirgends Friede.
Welk der Strauß – sie blieb nicht treu –
Herz ... es gibt noch andre –
Grüße sie – und geh vorbei –
und dann wandre – wandre. –
Georg Heym 1887-1912
Der Winter
Der blaue Schnee liegt auf dem ebenen Land,
Das Winter dehnt. Und die Wegweiser zeigen
Einander mit der ausgestreckten Hand
Der Horizonte violettes Schweigen.
Hier treffen sich auf ihrem Weg ins Leere
Vier Straßen an. Die niedren Bäume stehen
Wie Bettler kahl. Das Rot der Vogelbeere
Glänzt wie ihr Auge trübe. Die Chausseen
Verweilen kurz und sprechen aus den Ästen.
Dann ziehn sie weiter in die Einsamkeit
Gen Nord und Süden und nach Ost und Westen,
Wo bleicht der niedere Tag der Winterzeit.
Ein hoher Korb mit rissigem Geflecht
Blieb von der Ernte noch im Ackerfeld.
Weißbärtig, ein Soldat, der nach Gefecht
Und heißem Tag der Toten Wache hält.
Der Schnee wird bleicher, und der Tag vergeht.
Der Sonne Atem dampft am Firmament,
Davon das Eis, das in den Lachen steht
Hinab die Straße rot wie Feuer brennt.
Anastasius Grün 1808-1876
Im Winter
Der Winter steigt, ein Riesenschwan, hernieder,
Die weite Welt bedeckt sein Schneegefieder.
Er singt kein Lied, so sterbensmatt er liegt,
Und brütend auf die tote Saat sich schmiegt;
Der junge Lenz doch schläft in seinem Schoß,
Und saugt an seiner kalten Brust sich groß,
Und blüht in tausend Blumen wohl herauf,
Und jubelt einst in tausend Liedern auf.
So steigt, ein bleicher Schwan, der Tod hernieder,
Senkt auf die Saat der Gräber sein Gefieder,
Und breitet weithin über stilles Land,
Selbst still und stumm, das starre Eisgewand;
Manch frischen Hügel, manch verweht Gebein,
Wohl teure Saaten, hüllt sein Busen ein;
Wir aber stehn dabei und harren still,
Ob nicht der Frühling bald erblühen will?
Emanuel Geibel 1815-1884
Hoffnung
Und dräut der Winter noch so sehr
Mit trotzigen Gebärden,
Und streut er Eis und Schnee umher,
Es muß doch Frühling werden.
Und drängen die Nebel noch so dicht
Sich vor den Blick der Sonne,
Sie wecket doch mit ihrem Licht
Einmal die Welt zur Wonne.
Blast nur ihr Stürme, blast mit Macht,
Mir soll darob nicht bangen,
Auf leisen Sohlen über Nacht
Kommt doch der Lenz gegangen.
Da wacht die Erde grünend auf,
Weiß nicht, wie ihr geschehen,
Und lacht in den sonnigen Himmel hinauf,
Und möchte vor Lust vergehen.
Sie flicht sich blühende Kränze ins Haar
Und schmückt sich mit Rosen und Ähren,
Und läßt die Brünnlein rieseln klar,
Als wären es Freudenzähren.
Drum still! Und wie es frieren mag,
O Herz, gib dich zufrieden;
Es ist ein großer Maientag
Der ganzen Welt beschieden.
Und wenn dir oft auch bangt und graut,
Als sei die Höll' auf Erden,
Nur unverzagt auf Gott vertraut!
Es muß doch Frühling werden.
Richard Dehmel 1863-1920
Vorgefühl
Es ist ein Schnee gefallen,
hat alles Graue zugedeckt,
die Bäume nur gen Himmel nicht;
bald trinkt den Schnee das Sonnenlicht,
dann wird das alles blühen,
was in der harten Krume jetzt
kaum Wurzeln streckt.
August Heinrich Hoffmann von Fallersleben 1798-1874
Winters Flucht
Dem Winter ward der Tag zu lang,
ihn schreckt der Vogel Lustgesang;
Er horcht und hört's mit Gram und Neid,
Und was er sieht, das macht ihm Leid.
Er sieht der Sonne milden Schein,
Sein eigner Schatten macht ihm Pein.
Er wandelt über grüne Saat
Und Gras und Keime früh und sprach:
»Wo ist mein silberweißes Kleid,
Mein Hut, mit Demantstaub bestreut?«
Er schämt sich wie ein Bettelmann
Und läuft, was er nun laufen kann.
Und hinterdrein scherzt Jung und Alt
In Luft und Wasser, Feld und Wald;
Der Kiebitz schreit, die Biene summt,
Der Kuckuck ruft, der Käfer brummt;
Doch weil's noch fehlt an Spott und Hohn,
So quakt der Frosch vor Ostern schon.