Und Gott der Herr sprach:
Es ist nicht gut,
dass der Mensch allein sei;
ich will ihm eine Gehilfin machen,
die um ihn sei.
Altes Testament, Das erste Buch Mose - Genesis, 1.Mose 2,18
Wer die Einsamkeit fürchtet,
sollte nicht heiraten.
Anton Pawlowitsch Tschechow 1860-1904
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Rainer Maria Rilke 1875-1926
Herbsttag
Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
Und auf den Fluren laß die Winde los.
Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.
A. de Nora 1864-1936
Einsam sein
Am Waldrand grasen die Rehe,
Nun fliehn sie flink dahin,
Weil ich vorübergehe –
Sie wissen nicht, wer ich bin.
Daß ich nicht kam, zu jagen
Des Waldes scheues Getier,
Nicht, Schrecken und Tod zu tragen
Ins grüne Weidrevier;
Daß ich weltabgeschieden
Wie sie, glückseliger wär;
Daß ich wie sie, nur Frieden
Freiheit und Ruhe begehr;
Und daß auch mir im Grünen
Kein Fleckchen übrig bleibt,
Aus dem nicht mich, gleich ihnen,
Ein Menschengesicht vertreibt.
Otto Julius Bierbaum 1865-1910
Fühle nur
Einsam bist du? Sieh die vielen Sterne
stehn, ein Weltenkranz, ob deinem Haupte,
und die Lindenbäume, Kronenträger,
schicken ihre Düfte dir ins Zimmer.
Fühle nur! Saug ein und gib dich wieder!
Schmähe niemand, schmäh' auch nicht dich selber!
Denk: du darfst auf dieser reichen Erde
durch den sonnenvollen Weltraum fliegen,
und dein Herz gehört auch zu den Sternen,
die ein bißchen Licht und Wärme strahlen.
Rudolf Georg Binding 1867-1938
Einsamkeit
Mit dir zu wandern, ewiger Wandrer, Wind,
dich anzulachen, Himmel, du lachend Kind,
mit dir heiß spielen, Sonne, du Spielerin,
an dir mich kühlen, Wolke, du Kühlerin,
mit dir zu necken, Bach du im Talgewand,
euch zu umfassen, Felsen am schroffen Stieg,
dich nicht zu lassen, Erde, die lang mir schwieg,
kam ich. – Wer sagt dass ich einsam bin?
Haltet, Eichwipfel, haltet die Wacht.
Denn ich will mit der schönsten Schläferin
zur Ruhe gehen: der Bergesnacht.
Heinrich Seidel 1842-1906
Einsamkeit
Mondesglanz auf feuchten Wiesen,
Auf dem stillen Nebelsee,
Bäume ragen, dunkle Riesen,
Wo ich einsam sinnend steh!
Vogelruf aus thauigen Feldern,
Wasserrauschen fern im Grund,
Tiefes Schweigen in den Wäldern,
Sternenflimmer hoch im Rund.
Und mein Blut geht hin und wieder,
Und vorüber rinnt die Zeit,
Schauer senkt sich auf mich nieder
Vor dem Hauch der Einsamkeit.
Johannes Trojan 1837-1915
Einsamkeit
Von dem Gewühl des Markts verwirrt,
Schleicht wohl der Mensch sich fort und irrt
Lauschend durch Wildnis, Wald und Öde.
Es graut ihm bald im einsamen Revier,
Baum spricht zu Baum, das Tier ruft nach dem Tier —
Da lüstet's Menschenohr nach Menschenrede.
Gustav Falke 1853-1916
Einsamkeit
O Einsamkeit, tiefinnere Einsamkeit!
An deinem stillen Feuer wärm' ich mein Gemüt.
Nur manchmal schrei ich nach Gemeinsamkeit,
ob dort des Lebens rote Rose blüht.
Dann rufst du wieder mich zurück,
o Einsamkeit, zu deinem Glück.
Alleinsamkeit!
Friedrich Glauser 1896-1938
Schwarze Mauern
Richte schwarze Mauern um dich;
sie werden dir Schutz geben.
Sogar die gelben Strahlen des Mondes
werden zersplittern an ihrer rußigen Farbe.
Mit blutenden Händen werden die Menschen bemalen
den schattenden Hintergrund.
Wie viele Töne singender Herzen verstummen,
wenn die Mauern wachsen
und verfinstern den gelben Abendhimmel.
Nur das Wimmern der Tiere dringt noch zu dir,
das Zischen der Sense durch saftiges Gras.
Richte schwarze Mauern auf um dich
und lass summen die kreisenden Mückenschwärme.
Friedrich Nietzsche 1844-1900
Vereinsamt
Die Krähen schrein
Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:
Bald wird es schnein –
Wohl dem, der jetzt noch – Heimat hat!
Nun stehst du starr,
Schaust rückwärts, ach! wie lange schon!
Was bist du Narr
Vor Winters in die Welt – entflohn?
Die Welt – ein Tor
Zu tausend Wüsten stumm und kalt!
Wer das verlor,
Was du verlorst, macht nirgends Halt.
Nun stehst du bleich,
Zur Winter-Wanderschaft verflucht,
Dem Rauche gleich,
Der stets nach kältern Himmeln sucht.
Flieg, Vogel, schnarr
Dein Lied im Wüsten-Vogel-Ton! –
Versteck, du Narr,
Dein blutend Herz in Eis und Hohn!
Die Krähen schrein
Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:
Bald wird es schnein,
Weh dem, der keine Heimat hat!
Georg Trakl 1887-1914
Der Herbst des Einsamen
Der dunkle Herbst kehrt ein voll Frucht und Fülle,
Vergilbter Glanz von schönen Sommertagen.
Ein reines Blau tritt aus verfallener Hülle;
Der Flug der Vögel tönt von alten Sagen.
Gekeltert ist der Wein, die milde Stille
Erfüllt von leiser Antwort dunkler Fragen.
Und hier und dort ein Kreuz auf ödem Hügel;
Im roten Wald verliert sich eine Herde.
Die Wolke wandert übern Weiherspiegel;
Es ruht des Landmanns ruhige Gebärde.
Sehr leise rührt des Abends blauer Flügel
Ein Dach von dürrem Stroh, die schwarze Erde.
Bald nisten Sterne in des Müden Brauen;
In kühle Stuben kehrt ein still Bescheiden
Und Engel treten leise aus den blauen
Augen der Liebenden, die sanfter leiden.
Es rauscht das Rohr; anfällt ein knöchern Grauen,
Wenn schwarz der Tau tropft von den kahlen Weiden.
Theodor Däubler 1876-1934
Einsam
Ich rufe! Echolos sind alle meine Stimmen.
Das ist ein alter, lauteleerer Wald.
Ich atme ja, doch gar nichts regt sich oder hallt.
Ich lebe, denn ich kann noch lauschen und ergrimmen.
Ist das kein Wald? Ist das ein Traumerglimmen?
Ist das der Herbst, der schweigsam weiter wallt?
Das war ein Wald! Ein Wald voll alter Urgewalt.
Dann kam ein Brand, den sah ich immer näher klimmen.
Erinnern kann ich mich, erinnern, bloß erinnern.
Mein Wald war tot. Ich lispelte zu fremden Linden,
Und eine Quelle sprudelte in meinem Innern.
Nun starr ich in den Traum, das starre Waldgespenst.
Mein Schweigen, ach, ist aber gar nicht unbegrenzt.
Ich kann in keinem Wald das Echo-Schweigen finden.
Friedrich Hebbel 1813-1863
Spaziergang am Herbstabend
Wenn ich Abends einsam gehe
Und die Blätter fallen sehe,
Finsternisse nieder wallen,
Ferne, fromme Glocken hallen:
Ach, wie viele sanfte Bilder,
Immer inniger und milder,
Schatten längst vergangner Zeiten,
Seh' ich dann vorüber gleiten.
Was ich in den fernsten Stunden,
Oft nur halb bewußt, empfunden,
Dämmert auf in Seel' und Sinnen,
Mich noch einmal zu umspinnen.
Und im inneren Zerfließen
Mein' ich's wieder zu genießen,
Was mich vormals glücklich machte,
Oder mir Vergessen brachte.
Doch, dann frag' ich mich mit Beben:
Ist so ganz verarmt dein Leben?
Was du jetzt ersehnst mit Schmerzen,
Sprich, was war es einst dem Herzen?
Völlig dunkel ist's geworden,
Schärfer bläs't der Wind aus Norden,
Und dies Blatt, dies kalt benetzte,
Ist vielleicht vom Baum das letzte.
Hedwig Lachmann 1865-1918
Unterwegs
Ich wandre in der großen Stadt. Ein trüber
Herbstnebelschleier flattert um die Zinnen,
das Tagwerk schwirrt und braust vor meinen Sinnen,
und tausend Menschen gehn an mir vorüber.
Ich kenn’ sie nicht. Wer sind die vielen? Tragen
sie in der Brust ein Los wie meins? Und blutet
ihr Herz vielleicht, von mir so unvermutet,
als ihnen fremd ist meines Herzens Schlagen?
Der Nebel tropft. Wir alle wandern, wandern.
Von dir zu mir erhellt kein Blitz die Tiefen.
Und wenn wir uns das Wort entgegenriefen –
es stirbt im Wind, und keiner weiß vom andern.
Klabund 1890–1928
Tempel in der Einsamkeit
Heilige Stille, die mich hier umfängt
Wie die Mutter ihren Sohn.
Nur der Glocke und des Stromes Ton
Schwanken sanft, ein Zweig, mit Tau behängt.
Dicht am Wasser die Pagode
Überragt den Mond,
Der im Strome trohnt,
Welcher singt wie Pe-ya`s Ode.
Schweigen will ich künftig,
Denn die Worte sind wie billige Perlen.
Heilige Fichten! Heilige Erlen!
Schweigen will ich mit Euch künftig!
Ricarda Huch 1864-1947
Einsamkeit
Du neigtest, Herz, dich gern, wie sich die Birke neigt,
Dem Nachbarstamme zu.
Steh aufrecht, wie die Tanne trotzig steigt:
Allein bist du.
Wohl strömt ein jedes Ding des eignen Wesens Hauch
Den andern Dingen ein;
Doch will ihr Sehnen überfließen auch,
Sie sind allein.
Schlaft ihr umarmt auf einem Kissen, ihr erwacht
Wie Sonnen fern im Raum;
Kaum daß ihr einmal träumt vielleicht bei Nacht
Den gleichen Traum.
Sei deine Welt, dein Stern; beglückt, wenn deine Glut
Am goldnen Leben schafft,
Und fordre nichts. Dir ward kein andres Gut
Als deine Kraft.
Friedrich Rückert 1788-1866
Ich bin der Welt abhanden gekommen ...
Ich bin der Welt abhanden gekommen,
Mit der ich sonst viele Zeit verdorben.
Sie hat so lange von mir nichts vernommen,
Sie mag wohl glauben, ich sei gestorben.
Es ist mir auch gar nichts daran gelegen,
Ob sie mich für gestorben hält.
Ich kann auch gar nichts sagen dagegen,
Denn wirklich bin ich gestorben der Welt.
Ich bin gestorben dem Weltgewimmel
Und ruh’ in einem stillen Gebiet.
Ich leb’ in mir und meinem Himmel,
In meinem Lieben, in meinem Lied.
vertont von Gustav Mahler
Ich bin der Welt abhanden gekommen ...
Jessye Norman, Zubin Mehta and the New York Philharmonic, 1989
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Wilhelm Busch 1832-1908
Wenn ich dereinst ganz alt und schwach,
Und 's ist mal ein milder Sommertag,
So hink' ich wohl aus dem kleinen Haus
Bis unter den Lindenbaum hinaus.
Da setz' ich mich denn im Sonnenschein
Einsam und still auf die Bank von Stein,
Denk' an vergangene Zeiten zurücke
Und schreibe mit meiner alten Krücke
Und mit der alten zitternden Hand
Bertha
So vor mir in den Sand.
Joachim Ringelnatz 1883-1934
Nachtgalle
Weil meine beiden Beine
Erfolglos müde sind
Und weil ich gerade einsam bin,
Wie ein hausierendes Streichholzkind,
Setz ich mich in die Anlagen hin
Und weine.
Nun hab ich lange geweint.
Es wird schon Nacht; und mir scheint,
Der liebe Gott sei beschäftigt.
Und das Leben ist - - alles, was es nur gibt:
Wahn, Krautsalat, Kampf oder Seife.
Ich erhebe mich leidlich gekräftigt.
Ich weiß eine Zeitungsfrau, die mich liebt.
Und ich pfeife.
Ein querendes Auto tutet. –
Nicht Gold noch Stein waren echt
An dem Ring, den ich gestern gefunden. –
Die nächtliche Straße blutet
Aus tausend Wunden.
Und das ist so recht.
Friedrich Nietzsche 1844-1900
Der Einsame
Verhasst ist mir das Folgen und das Führen.
Gehorchen? Nein! Und aber nein — Regieren!
Wer sich nicht schrecklich ist, macht niemand Schrecken:
Und nur wer Schrecken macht, kann andre führen.
Verhasst ist mir’s schon, selber mich zu führen!
Ich liebe es, gleich Wald- und Meerestieren,
Mich für ein gutes Weilchen zu verlieren,
In holder Irrnis grüblerisch zu hocken,
Von ferne her mich endlich heimzulocken,
Mich selber zu mir selber — zu verführen.
Alfred Grünewald 1884-1942
Auf den Wegen, die verschneit sind
und im Dämmern dämmerweit sind,
wo die nächtigen Gedanken
des Verlassenen Geleit sind,
triffst du, einsam dich ergehend,
auch Beglückte, die zu zweit sind.
Rainer Maria Rilke 1875-1926
Der Einsame
Wie einer, der auf fremden Meeren fuhr,
so bin ich bei den ewig Einheimischen;
die vollen Tage stehn auf ihren Tischen,
mir aber ist die Ferne voll Figur.
In mein Gesicht reicht eine Welt herein,
die vielleicht unbewohnt ist wie ein Mond,
sie aber lassen kein Gefühl allein,
und alle ihre Worte sind bewohnt.
Die Dinge, die ich weither mit mir nahm,
sehn selten aus, gehalten an das Ihre –:
in ihrer großen Heimat sind sie Tiere,
hier halten sie den Atem an vor Scham.
Joachim Ringelnatz 1883-1934
Dorthin geh, wo die Andern nicht sind,
Weit hinaus in die freie Einsamkeit,
Wo dir Wolken, Berge, Bäume und Wind
Großes reden von Später und Ewigkeit.
Und dort schöpfe, fasse und füll dir die Brust,
Daß – kommt einst die Stille zu dir als Braut –
Daß du die Hand ihr gibst in tiefster Lust,
Weil du schon lange mit ihr vertraut.
John Henry Mackay 1864-1933
O dies einsame Gehn
Nun schon Stunden so hin ...
Wer sagt, wo ich bin? –
Und was mir geschehn? –
Wie der Weg sich verläuft! –
Geh ich recht, geh ich irr?
In der Zweige Gewirr
Die Sonne verträuft.
– Wie ihr Licht so entwich
In fliehendem Schein,
Waren beide allein
Wir: der Wald und ich ...
Anna Ritter 1865-1921
Einsamkeit
Einsamkeit, ernsthafte Frau,
Tratest einst still in mein Zimmer,
Ach, und ich wollte dich nimmer,
Grüßte dich finster und rauh.
Nicktest nur milde dazu,
Ließest dich doch nicht verjagen,
Mußte dich eben ertragen,
Sangest mich heimlich zur Ruh.
Sieh, und nun weiß ich genau:
Wolltest du heut von mir scheiden,
Würde ich tief drunter leiden,
Einsamkeit, ernsthafte Frau.
Ada Christen 1839-1901
Allein!
Einsam stand ich auf den Bergen,
Wo der Falke kreischend flog,
Über schneebedecktem Gipfel
Seine stillen Kreise zog.
Einsam lag ich auf der Haide
Wenn die Sonne untersank,
Und der dürre glüh'nde Boden
Gierig feuchte Nebel trank.
Einsam saß ich oft am Meere,
Dessen alter Klaggesang
Bald wild-zornig, bald süß-traurig,
Bald wie dumpfes Schluchzen klang.
Einsam irrt ich durch die Wälder,
Nur die Eul' am Felsenriff
War mein krächzender Gefährte
Und der Wind, der wimmernd pfiff.
Einsam litt ich – aber tröstend
War die hehre Einsamkeit –
Nicht allein trug ich mein Elend,
Die Natur verstand mein Leid!
Doch allein – so ganz alleine –
Abgrundtief von Euch entfernt,
Fand ich mich in Euren Sälen –
Als ich Euch versteh'n gelernt!
Konrad von Prittwitz-Gaffron 1826-1906
Einsamkeit
Nun ist es still da draußen,
Die Wälder rauschen sacht,
Die Ströme murmelnd rinnen,
Es geht ein tiefes Sinnen
Hin durch die tiefe Nacht.
Des Windes leises Wehen
Säuselt im hohen Ried;
Die Sterne droben kreisen,
Tönend in ewigen Weisen
Ihr ewig großes Lied.
Die Welt ist groß und prächtig
Zu solcher stillen Zeit;
Es schweigt das eigne Denken,
Es will ins All versenken
Sich stumm das eigne Leid.
Georg Trakl 1887-1914
Ein Herbstabend
Das braune Dorf. Ein Dunkles zeigt im Schreiten
Sich oft an Mauern, die im Herbste stehn,
Gestalten: Mann wie Weib, Verstorbene gehn
In kühlen Stuben jener Bett bereiten.
Hier spielen Knaben. Schwere Schatten breiten
Sich über braune Jauche. Mägde gehn
Durch feuchte Bläue und bisweilen sehn
Aus Augen sie, erfüllt von Nachtgeläuten.
Für Einsames ist eine Schenke da;
Das säumt geduldig unter dunklen Bogen,
Von goldenem Tabaksgewölk umzogen.
Doch immer ist das Eigne schwarz und nah.
Der Trunkne sinnt im Schatten alter Bogen
Den wilden Vögeln nach, die ferngezogen.
Rainer Maria Rilke 1875-1926
Einsamkeit
Die Einsamkeit ist wie ein Regen.
Sie steigt vom Meer den Abenden entgegen:
von Ebenen, die fern sind und entlegen,
geht sie zum Himmel, der sie immer hat.
Und erst vom Himmel fällt sie auf die Stadt.
Regnet hernieder in den Zwitterstunden,
wenn sich nach Morgen wenden alle Gassen
und wenn die Leiber, welche nichts gefunden,
enttäuscht und traurig von einander lassen;
und wenn die Menschen, die einander hassen,
in einem Bett zusammen schlafen müssen:
dann geht die Einsamkeit mit den Flüssen ...
Friedrich Rückert 1788-1866
Waldstille
Tief im Walde saß ich,
Und die Welt vergaß ich,
Die nie mein gedacht;
Mich in mich versenkt’ ich,
Und mein Sinnen lenkt’ ich
In des Daseins Schacht.
Welt, ich dein vergessen?
Erst dich recht besessen
Hab’ ich fern von dir.
Wo du mir geschwunden,
Hab’ ich dich gefunden
Inniger in mir.
Draußen im Gewirre
Kann man werden irre,
Welt, an sich und dir;
Fern von deinem Rauschen
Kann ich dich belauschen
In mir selber hier.
Franz Werfel 1890-1945
Einsamkeit
Ich warf von mir die Arzeneien,
Die hold betäubenden der Städte,
Die kühlen Salben, die Verbände
Riß ich herab im öden Haus.
Nun wühlt, nun frißt das nackte Feuer.
Ich weine oft. Ich kann nicht schlafen.
Und halt die unbekannte Wunde
Dem Arzt entgegen, der sie kennt.
Ich tötete die tausend Stimmen,
Die hold betäubenden der Städte,
Auch nicht die Stimme der Geliebten
Ließ ich zu mir ins öde Haus.
Wohl flüstern rings die starken Geister,
Sie werden nicht mein Ohr verführen.
Es lauscht der feinsten Stimme Gottes,
Daß sie mir sage, wer ich bin.
Ich löschte aus die tausend Lichter,
Die hold betäubenden der Städte,
Selbst vor des Mondes Wolken-Ahnung
Verhängte ich das tote Haus.
Nun tilg ich hinter meinen Lidern
Die letzten Zuckungen der Farbe,
Und nachtverfallen will ich finden
Den Schimmer Wahrheit in mir selbst.
Wang Wei 699-759
In einer Herbstnacht einsam sitzend
Einsam sitzend, bekümmert ob der grauen Schläfen,
Im leeren Zimmer ersehn ich die zweite Nachtwache.
Wilde Beeren fallen im Rauschen des Regens,
Unter der Lampe zirpt eine Heuschrecke.
Des Schopfs Ergrauen ist schließlich unumkehrbar,
Das Lebenselixier hat niemand je zustandegebracht,
Wer wissen will, was Krankheit und Alter überwindet,
Der muß sich allein dem Ungeborenen widmen.
Anton Wildgans 1882-1932
Tiefer Blick
O, du kannst einsam sein, dass Gott erbarm
Und es dich mitten in dem Fliegenschwarm
Der Menschen jäh befällt wie Scham und Grauen!
Und manchmal musst du vor den Spiegel gehn
Und voller Angst nach deinem Bilde sehn,
Um in ein Antlitz, das dich kennt, zu schauen.
Und Freunde kannst du haben, Weib und Kind,
Und so allein sein wie ein Baum im Wind,
Der zitternd steht auf namenloser Heide;
Und mit den Freunden hast du viel verbracht,
Und mit dem Weibe schläfst du jede Nacht,
Und jenes Kind ist deiner Seele Weide.
Sie aber fassen deine Rede kaum,
Als sprächest du aus einem irren Traum,
Der nicht Bewandtnis hat in ihrem Leben;
Zu deiner Freude sind sie fremd und kühl,
Für deine Drangsal ohne Mitgefühl,
Neugier ist alles, was sie zögernd geben.
Da wirst du selbst dir mählich unbekannt
Und wie ein minderer Komödiant,
Der jede Miene einlernt und Gebärde;
Nur manchmal hörst du’s rauschen innerlich
Und hältst erschrocken inne: „Bin das ich?“ –
So einsam kann man sein auf Gottes Erde.
Christian Morgenstern 1871-1914
Das Knie
Ein Knie geht einsam durch die Welt.
Es ist ein Knie, sonst nichts!
Es ist kein Baum! Es ist kein Zelt!
Es ist ein Knie, sonst nichts.
Im Kriege ward einmal ein Mann
erschossen um und um.
Das Knie allein blieb unverletzt –
als wär’s ein Heiligtum.
Seitdem geht’s einsam durch die Welt.
Es ist ein Knie, sonst nichts.
Es ist kein Baum, es ist kein Zelt.
Es ist ein Knie sonst nichts.
Wilhelm Busch 1832-1908
Der Einsame
Wer einsam ist, der hat es gut,
Weil keiner da, der ihm was tut.
Ihn stört in seinem Lustrevier
Kein Tier, kein Mensch und kein Klavier,
Und niemand gibt ihm weise Lehren,
Die gut gemeint und bös zu hören.
Der Welt entronnen, geht er still
In Filzpantoffeln, wann er will.
Sogar im Schlafrock wandelt er
Bequem den ganzen Tag umher.
Er kennt kein weibliches Verbot,
Drum raucht und dampft er wie ein Schlot.
Geschützt vor fremden Späherblicken,
Kann er sich selbst die Hose flicken.
Liebt er Musik, so darf er flöten,
Um angenehm die Zeit zu töten,
Und laut und kräftig darf er prusten,
Und ohne Rücksicht darf er husten,
Und allgemach vergißt man seiner.
Nur allerhöchstens fragt mal einer:
Was, lebt er noch? Ei, Schwerenot,
Ich dachte längst, er wäre tot.
Kurz, abgesehn vom Steuerzahlen,
Läßt sich das Glück nicht schöner malen.
Worauf denn auch der Satz beruht:
Wer einsam ist, der hat es gut.
Carl Spitzweg 1808-1885
Oft is mir kommen so in Sinn:
I möcht a Klausner wer'n!
Adje, du schöne Welt, fahr hin,
Will nix mehr von dir hör'n!