Paula Dehmel 1862-1918
November
Grüß Gott! Der November stellt sich vor.
Mir ist ergeben der große Chor
der Winde und Stürme, die das Gefilde
von Unrat säubern; und auch die Gilde
der Nebel und Wolken ist mir vertraut.
Wer auf des Meeres Sanftmut baut,
wagt sein Leben, wenn ich regiere;
ich hasse den Frohsinn in meinem Reviere,
ich hasse die Sonne, hasse die Milde,
zerreiße im Felde das letzte Gebilde.
Ich liebe nur eins: wenn das Jagdhorn schallt,
hinter scheuem Wild die Büchse knallt.
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Pieter Bruegel der Ältere, Die Heimkehr der Herde - November, 1565
Pieter Bruegel der Ältere (um 1525/1530-1569) war ein Maler der Niederländischen Renaissance. Er ist landläufig bekannt für seine Darstellungen des bäuerlichen Lebens im Herzogtum Brabant
(Niederlande und Flandern) des 16. Jahrhunderts.
Max Dauthendey 1867-1918
Erster November
Da draußen ist frühe Nebelnacht,
Die hat den Tag um Stunden bestohlen,
Hat aus den Fenstern Laternen gemacht.
Ich möchte mir den Mond herholen,
Dass ich einen hätt’, der ewig lacht,
Denn die Nacht ist wie ein schwarzes Bett.
Dort hat der Tod, wie auf Lagern aus Kohlen,
Gedankenlos als Dieb seine Ruhestätt’.
Weiß nicht, ist die Stadt draußen klein oder groß,
Ob Menschen drin hausen, oder bin ich allein,
Denn ein jeder Tag schwarz wie der Fluss fortfloss,
Und beklagt gingen viele zur Nacht hinein.
Auch Vater und Mutter haben gefragt,
Und niemandem wurde der Weg gesagt.
Auch Vater und Mutter wurden zu Stein,
Ein Stein, der sich über dem Grabe schloss.
Drauf lese ich heut’ ihre Namen bloß,
Nur noch die Namen sind beide mein.
Woher sie kamen, wohin sie gingen, -
Ich kann die Nacht nicht zum Reden zwingen.
Franz Werfel 1890-1945
Madonna mit den Krähen
Es ist November in der Welt.
Der Baum hebt nackt sein Krüppelbein.
Gebüsch bebt, bettelnd hingestellt.
Vereinsamt stiert der Meilenstein.
Frech wie ein Storch auf brachem Feld
Die alte Vogelscheuche lungert.
Die Mutter schleppt sich querfeldein.
Das Kindlein friert, das Kindlein hungert.
So grau war noch November nie.
Die Mutter rastet auf dem Stein.
Das Kind liegt schlaff auf ihrem Knie.
Wie sie allein ist nichts allein.
Wohl besser wär’s, es würde schnein,
Verschnein die Weiten und die Nähen,
Sie hebt den Kopf, sie hört ein Schrein,
Die Krähen kommen, hundert Krähen ...
Das Volk rauscht durch die Luft und schlägt
Und taumelt um Marias Haupt.
Doch keine Kräh im Schnabel trägt
Ein Bröcklein, fluges wo geklaubt.
Nie war die Welt so ausgeraubt.
Die Krähen rings verzweifelt streichen,
Aus Feld und Bäumen, todentlaubt,
Der Mutter Speisung darzureichen.
Nicht Korn und Haselnuss gibt’s mehr.
So kahl war kein November noch,
Und keine Nacht so liebeleer
Wie diese, die jetzt näherkroch.
Die Schwärze schlurft aus Schlucht und Loch.
Maria haucht, ihr Kind zu wärmen,
Und beugt sich tief, wenn immer noch
Die Krähn sie wahnsinnschrill umschwärmen.
Fred Endrikat 1890-1942
November-Elegie
Der Regen tropft in meines Daches Rinne,
tripp-tropp, tripp-tropp.
In beide Hände stütze ich den Kopp.
Im Nebel liegen Feld und Wald und meine Sinne.
Der Wind bläst eine graue Melodie.
Melancholie. –
Des Sommers letzter Gruß
ist eine Fliege, die auf meiner Nase tanzt.
Hebt mühsam Fuß um Fuß. –
Ich schau' dem Tanze zu, und mich beschleicht ein Kummer.
Im Lenze sah ich sie als schlankes Fliegenjüngferlein,
doch jetzt ist sie ein dicker Brummer. –
Es heult der Wind, der Regen tropft.
Mein armes Herz voll Wehmut klopft.
In meiner Nase rotem Glanz
vollführt sie ihren Totentanz.
Zum letztenmal das Bein sie schwingt,
und tot sie von der Nase sinkt!
Vor mir ein Fliegenauge brach.
Ein großer Tropfen rollt ihr nach
Die Uhr tickt in mein Herzeleid
Vergänglichkeit. –
Rudolf G. Binding 1867-1938
November
Ergreife meine Hand.
Das Dunkel bricht herein.
Das Dunkel ist zu zwein
nur halb so groß das Grau
nur halb so grau.
Wo bist du die mich liebt?
Die Nächte wachsen schnell.
Mach sie die Liebe hell!
Und Nacht ist Nichtnacht, Grau
ist nicht mehr grau.
Clara Müller-Jahnke 1860-1905
Novembertag
Geht ein sonnenloser Tag
wiederum zur Neige,
und der graue Nebel tropft
durch die kahlen Zweige.
Leise atmend ruht die See,
müde, traumumsponnen . . .
eine Woge, schaumgekrönt,
ist im Sand zerronnen.
Heinrich Seidel 1842-1906
November
Solchen Monat muss man loben:
Keiner kann wie dieser toben,
Keiner so verdrießlich sein
Und so ohne Sonnenschein!
Keiner so in Wolken maulen,
Keiner so mit Sturmwind graulen!
Und wie nass er alles macht!
Ja, es ist ’ne wahre Pracht.
Seht das schöne Schlackerwetter!
Und die armen welken Blätter,
Wie sie tanzen in dem Wind
Und so ganz verloren sind!
Wie der Sturm sie jagt und zwirbelt
Und sie durcheinanderwirbelt
Und sie hetzt ohn’ Unterlass:
Ja, das ist Novemberspaß!
Und die Scheiben, wie sie rinnen!
Und die Wolken, wie sie spinnen
Ihren feuchten Himmelstau
Ur und ewig, trüb und grau!
Auf dem Dach die Regentropfen:
Wie sie pochen, wie sie klopfen!
Schimmernd hängt’s an jedem Zweig,
Einer dicken Träne gleich.
O, wie ist der Mann zu loben,
Der solch' unvernünft’ges Toben
Schon im Voraus hat bedacht
Und die Häuser hohl gemacht!
So, dass wir im Trocknen hausen
Und mit stillvergnügtem Grausen
Und in wohlgeborgner Ruh
Solchem Gräuel schauen zu!
Richard Dehmel 1863-1920
Novemberfahrt
Ja, lacht nur, lacht! am Wege da
ihr pelzvermummten Gaffer!
Uns gab ein heißres Blut, hahah,
der Wein- und Weiberschaffer!
Und wenn wir etwas zittrig sind
und etwas rot die Nase,
so meint nur nicht, das sei vom Wind:
das Wetter liegt im Glase!
Wir fahren in die Welt hinein,
wenn uns es will behagen;
wir fahren in dem Sonnenschein,
den wir im Herzen tragen!
Und wenn die olle Sonne sieht
so junge Dreistewichte,
dann wird sie gleich vor Angst verliebt
und macht ihr schönst Gesichte.
Hurrah, Novembersonnentag,
du Wunderwanderwetter:
derweil am Herd das Zimperpack
sich wärmt den Katterletter!*
Hurrah, so stark dein herber Duft,
so würzig seine Schwere!
Hurrrah - ich schlürfe deine Luft,
als ob es Rheinwein wäre!
*Dieses deutsche Wort existiert anscheinend nur in diesem Gedicht. Wie die Recherche ergab, sind wohl „Les Quatre lettres“ (die vier Buchstaben, im Sinne von „sich auf seine vier Buchstaben setzen“) gemeint, was ja Sinn macht.
Joachim Ringelnatz 1883-1934
Die Leipziger Fliege
Ob wohl die Fliegen Eier in uns legen,
Wenn sie so lange auf uns sitzen bleiben
Und wir sie, weil wir schlafen, nicht vertreiben?
Man sollte seinen Körper viel mehr pflegen,
Die Fliege, die mich darauf brachte,
Als ich in meinem Mietslogis erwachte,
War eine greisenhafte und ergraute,
Daß ich nur zaghaft mir getraute,
Sie wenigstens ein bißchen totzuschlagen.
Sie sterben im November sowieso
In Leipzig. (Später als wie anderswo.)
Wie können Sterbende doch oft noch plagen,
Das Alter stimmt nicht immer mild.
Sie sind unheimlich dann und boshaft wild.
Doch unter solcher feuchten Sumpfluft leiden
Alle. Leipzig hat seinen Hustenreiz.
Man sollte im November Leipzig meiden,
Nach Frankreich reisen oder in die Schweiz.
Die Fliege hat mir alle Lust genommen.
Ich bin nicht wach und bin auch nicht im Schlaf.
Als müßte ein Gewitter kommen.
Ob wohl ein Blitz je eine Fliege traf?
Johann Wolfgang von Goethe 1749-1832
Novemberlied
Dem Schützen, doch dem alten nicht,
Zu dem die Sonne flieht.
Der uns ihr fernes Angesicht
Mit Wolken überzieht;
Dem Knaben sei dies Lied geweiht,
Der zwischen Rosen spielt,
Uns höret und zur rechten Zeit
Nach schönen Herzen zielt.
Durch ihn hat uns des Winters Nacht,
So häßlich sonst und rauh,
Gar manchen werten Freund gebracht
Und manche liebe Frau.
Von nun an soll sein schönes Bild
Am Sternenhimmel stehn.
Und er soll ewig, hold und mild,
Uns auf- und untergehn.
Hours of Henry VIII, November, Thrashing for acorns, New York Pierpont Morgan Library
Hours of Henry VIII - Die Stunden Heinrichs VIII ist ein illuminiertes Stundenbuch aus dem 15. Jahrhundert, das von Jean Poyet in Tours gemalt wurde.
Die in diesem, - wie auch im nächsten - Bild dargestellte novembertypische bäuerliche Tätigkei ist die Eichelmast. Die Eichelmast, in deutschsprachigem Gebiet verbreitet auch Eckerich genannt, war in Mitteleuropa eine bis ins 19. Jahrhundert weit verbreitete landwirtschaftliche Praxis. Hausschweine wurden in die Wälder getrieben, damit sie sich dort an Eicheln, Bucheckern und Kastanien satt fraßen. Dabei bezeichnete das Wort Mast ursprünglich die als Viehfutter dienenden Baumfrüchte. (Wikipedia)
Ernst Lissauer 1882-1927
Erwachen im November
Ist nicht ein Gram gesessen mir zu Häupten?
Ich schlief so hart und bin so dumpf erwacht;
Als ob Gewölke blasser Asche stäubten,
Färbt sich mit schalem Tag die Nacht.
Noch kann ich nicht die Stube sehen.
Sie ist voll Schwermut wie ein Schiff voll Fracht.
Noch weiß ich keinen Schmerz. Jedoch er wird geschehen.
Très Riches Heures, Novembre
Très Riches Heures - Die Brüder von Limburg (Paul, Johan und Herman) waren niederländische Miniaturmaler.Das Stundenbuch des Herzogs von Berry (französisch Les Très Riches Heures du Duc de Berry bzw.
kurz Très Riches Heures) ist das berühmteste illustrierte Manuskript des 15. Jahrhunderts. Es handelt sich um ein ausgesprochen reichhaltig verziertes Stundenbuch, das 208 Blätter mit 21,5 cm Breite
und 30 cm Höhe enthält, von denen etwa die Hälfte ganzseitig bebildert sind.
Heinrich Hoffmann 1809-1894
November
Trüber Himmel, raue Tage
Kommen sicher jedes Jahr;
Schwere Sorgen, harte Plage,
Jedes Leben bringt sie dar.
Doch bedenkt, die heitern Stunden
Hätten nie euch so beglückt,
Hättet ihr nicht überwunden,
Was in trüben euch bedrückt.
Conrad Ferdinand Meyer 1825-1898
Novembersonne
In den ächzenden Gewinden
Hat die Kelter sich gedreht,
Unter meinen alten Linden
Liegt das Laub hoch aufgeweht.
Dieser Erde Werke rasten,
Schon beginnt die Winterruh -
Sonne, noch mit unverblassten,
Goldnen Strahlen wanderst du!
Ehe sich das Jahr entlaubte,
Gingen, traun, sie müßig nie,
Nun an deinem lichten Haupte
Flammen unbeschäftigt sie.
Erst ein Ackerknecht, ein Schnitter,
Und ein Traubenkoch zuletzt
Bist du nun der freie Ritter,
Der sich auf der Fahrt ergetzt.
Und die Schüler, zu den Bänken
Kehrend, grüßen jubelvoll,
Hingelagert vor den Schenken,
Dich als Musengott Apoll.
Theobald Nöthig 1841-1900
Novemberlied
Der Wald wird still; von dem Idyll,
Das einst als Angebinde
Der Lenz ihm schrieb, nur übrig blieb
Ein welkes Blatt im Winde.
Grau zieht vom Meer der Nebel her
Und weht den Trauerschleier.
Das ist die Zeit, dem Ernst geweiht
Der stillen Totenfeier.
Ach, laut genug mahnt uns der Zug,
Der bleiche, bange, lange;
Sein: nimmermehr! Macht wieder schwer
Das Herz und feucht die Wange. –
Doch nicht hinab auf Graus und Grab
Laßt uns trübsinnig schauen,
Nein, froh hinauf und mit Glückauf
Heut hellem Stern vertrauen!
Der Stern, der warm in Not und Harm
Strahlt auch dem ärmsten Schlucker,
Und allemal wie Sonnenstrahl
Der herben Frucht reift Zucker.
Der, wenn auch oft uns unverhofft
Die Rosen all erfrieren,
Doch sorgt dafür, daß unsre Tür
Noch grüne Maien zieren.
Hoch der Humor! Wer ihn erkor,
Den Stern der wahren Weisen,
Kann wohl mit Fug im Wandelflug
Der Zeit sich glücklich preisen.
Kein trüber Tag, kein Wetterschlag
Macht den zum Weltverächter,
Der sie bezwingt und auf sich schwingt
Mit göttlichem Gelächter.
Ferdinand von Saar 1833-1906
Novemberlied
Novembernebel füllen
Mit feuchtem Grau das Tal,
Als wollten sie verhüllen
Die Erde, kahl und fahl.
Mit seinem dunklen Saume
Gespenstisch ragt der Wald,
Daraus, so wie im Traume,
Von fern die Axt erschallt.
Den Pfad mit kühlem Hauche
Umwittert ödes Weh',
Verwais't am dorn'gen Strauche
Bebt Hagebutt' und Schleh'.
Wohin die Schritte streben,
Versinkt der Fuß im Kot –
Mühselig ist das Leben
Und traurig wie der Tod.
Hermann von Lingg 1820-1905
Herbstabend
Durchs Stoppelfeld auf Nebelstreifen
Weht traurig kalt Novemberwind;
Dort wankt am Wald mit Reisighäufen
Ein armes Weib und führt ihr Kind.
Dort sucht man die vergessne Traube,
Dort pflückt man Schleh' und Hagebutt.
Im Hofe pickt die wilde Taube
Ein Körnchen noch aus Stroh und Schutt.
Und hier, gebeugt auf müden Füßen,
Kehrt Einer heim, arm und allein,
Um noch zum letztenmal zu grüßen
Die letzte Seele, die noch sein.
Bruno Wille 1860-1928
Novemberabend
Novemberabend kühlt und feuchtet.
Die Ferne stirbt in Dämmerduft.
Mit mattem Blinzeln nur durchleuchtet
Ein Stern die nebeltrübe Luft.
Gedämpfte Glockenlaute beben
Weich summend über Stoppelfeld.
Aus Wiesenniederungen heben
Sich dunkle Massen in die Welt.
Ein alter Pflüger mit dem Pferde
Zieht müde heim; die Pfeife glimmt.
Vom Schäferhund umtummelt, schwimmt
Mit Blöken dorfwärts eine Herde.
Mit qualmigdunkler Röte säumt
Der Himmel sich. Großleuchtend taucht
Der Mond empor ... Die Landschaft träumt –
Von Ruhesehnsucht überhaucht.
Anna Ritter 1865-1921
Novemberabend
Kein Licht am Himmel,
Kein Laut auf den Gassen ...
In Dunkel und Stille,
Wie bin ich verlassen.
Es rauschen die Bäume ...
Der Wind hebt sich leise
Zu friedloser Irrfahrt,
Zu freudloser Reise.
Das Feuer im Ofen
Sinkt knisternd zusammen,
Von Asche begraben,
Ersticken die Flammen.
Die Lampe nur leuchtet
Hinein in das Zimmer
Und breitet um Alles
Den ruhigen Schimmer.
Sie weckt an den Wänden
Die Bilder der Lieben
Und segnet das Lied,
Das ich weinend geschrieben.
Und weiß wie ein Freund
Von vergangenen Tagen
Mir tausend vergessene
Dinge zu sagen.
Die tönen wie Märchen
Voll Sonne und Freude
Hinein in das graue,
Verlassene Heute.
Erich Kästner 1899-1974
Nasser November
Ziehen Sie die ältesten Schuhe an,
die in Ihrem Schrank vergessen stehn!
Denn Sie sollten wirklich dann und wann
auch bei Regen durch die Straßen gehn.
Sicher werden Sie ein bisschen frieren,
und die Straßen werden trostlos sein.
Aber trotzdem: gehn Sie nur spazieren!...
Und, wenn’s irgend möglich ist, allein.
Müde fällt der Regen durch die Äste.
Und das Pflaster glänzt wie blauer Stahl.
Und der Regen rupft die Blätterreste.
Und die Bäume werden alt und kahl.
Abends tropfen hunderttausend Lichter
zischend auf den glitschigen Asphalt.
Und die Pfützen haben fast Gesichter.
Und die Regenschirme sind ein Wald.
Ist es nicht, als stiegen Sie durch Träume?
Und Sie gehn doch nur durch eine Stadt!
Und der Herbst rennt torkelnd gegen Bäume.
Und im Wipfel schwankt das letzte Blatt.
Geben Sie ja auf die Autos acht.
Gehn Sie, bitte, falls Sie friert, nach Haus!
Sonst wird noch ein Schnupfen heimgebracht.
Und, ziehn Sie sofort die Schuhe aus!
Felix Dahn 1834-1912
November
Die Luft ist grau, das Feld steht kahl,
Die dumpfen Nebel spinnen:
Kein Ton, kein Sang, kein Farbenstrahl: –
Glück zog und Glanz von hinnen.
Rings Stille – matt starb selbst der Wind –
Ein Rabe huscht an den Steinen:
Mir ist, ich hör' mein fernes Kind
Bitter, bitter weinen.
Max Dauthendey 1867-1918
Wie im Novembertag das Grün verschwunden
Wie im Novembertag das Grün verschwunden
Und sich kein grüner Grashalm mehr gefunden,
So muss vom Morgen bis zum Morgen ich nur darben,
Denn mit der Trennung von der Liebsten starben
Auf Erden und im Himmel alle sieben Farben.
Die Tage stehen mir als Nebel draußen,
Und Stille muss vor meinen Ohren sausen.
Die Stille klagt wie Luft in hohlen Stämmen.
Die Träne will die Stille überschwemmen, -
Um sie zu dämmen, müsst' ich's Blut erst hemmen.
Arno Holz 1863-1929
Unter
dunkelen, treibenden,
tiefschwerschleppenden Novemberwolken
verdämmert ... die Heide!
Gebückt
am Wegrand, kopfnickstumm
sitzt du, starrst du
und
... stierst ...
auf ... deine welken ... Hände.
Hofft,
harrt und ... hämmert in dir
noch
ein ... Herz?
Lebst ... du ... noch?
Schleichend,
unheimlich und tückisch,
durch
schwarzes, spitzes,
feuchtstarres Stachelgras
immer
näher und näher,
ein
klapperndes ... Rascheln.
Schauernd, eiskalt,
genickhoch
ein ... Hauch.
Gemartert,
im Dornenstrauch,
windgepackt, windgezwackt,
windgezaust
zittert ... ein ... letztes
Blättchen!
Paul Boldt 1885-1921
Novemberabend
Es weht. Das Abendgold ist eine Fahne,
Die von den Winden schon erbeutet wird.
Ein etwas Herbst in der Platane,
Ein grelles Chrom verweht, verwird.
In Wolken gleich verkohlten Stämmen
Riecht man die tote Sonne noch;
Dann das Einatmen, Drängen, Dämmen –
Einsamkeiten kommen hoch.
Franz Werfel 1890-1945
Novembergesang
Das ist November.
Jahrzeit der Mühlen,
Wind der schwarzen Frühmessen,
Friedhof,
Und Tausendnächtlichkeit
Der kindischen Lichtlein
Und ihre Angst.
Nun sind die Stapfen schwer
Im Straßensumpf.
Oh, wie wir atmen,
Wir armen Tiere!
Aber es errötet schon
Unser Ofenrost,
Wenn draußen das zweifelnd freie,
Verhöhnende Rabenvolk
Fährt über den Tod der Gottsbäume,
Über Schollen und schlotterndes Moor.
Nun sagt November:
Das ist eure Welt! –
Und schnaubt in den Rauch
Des schnaufenden Gauls,
Und schnaubt in den Qualm
Der qualvollen Erd'.
Nun tragen wir
Geheimnisvollen Strohkranz
Und Distelschmuck.
Nun vergessen wir euch,
Ihr Freunde, lieben Freunde,
Da unser Atem pilgert
Durch keuchenden Acheron.
Nebel zwischen Bergen und Wäldern,
Nebel
Zwischen unseren Häuptern, Freunde!
Vergessen unser Blick,
Und daß wir uns anrührten,
Und lachten bei den Wahrsagern,
Und tanzten unterm Kronenlicht,
Und abwärts stürzten
Im Abendprunk die Triumphfahrt!
Verloren die Lüge unserer Lust.
Da wir doch lügen mußten!
Es schärft sich der Tag.
Und streng wird die Nacht.
Arm sind wir und ohne Brot.
Niemand holt uns Wasser vom Brunnen.
In unserer innerlichen Stadt
Schon wächst das Spital.
Und die Irren
Keifen im kreischenden Garten.
Der Gott des alten Stroms
Benagt die Selbstmörder,
Wenn alle Dome brummen,
Doch die Dämonen,
Unsere unausweichlichen
Schutzengel, Schutzteufel,
Würfeln über den Häusern,
Raufen im Rauch,
Schlagen die Wolken-Schlacht.
Leis aber von unserem Fenster
Sinkt das trostlose Horn ab,
Des guten Hüters Horntreue,
Nächtlich ein schwacher Flug.
Dies sei uns aber gesagt,
Euch, die ihr mich vergaßet,
Mir, die ich euch vergaß!
Vergolten werden die Sünden.
Pünktlich, gerecht!!
Dies, Freunde, sehr großer Trost.
Denn hier ist ein Sinn.
Max Dauthendey 1867-1918
November
Bin heut im erstarrten Garten gewesen,
Wo ich in deinem Auge einst Lieder gelesen;
Wo die Biene den Tropfen Seligkeit sog,
Und wie ein Stückchen Himmel der Schmetterling flog.
Wo der Mond aufstieg wie der Liebe Lob,
Wie ein Herz, das sich von der Erde hob,
Und wo jetzt die Wurzeln der Blumen verwesen,
Hab ich in toten Blättern noch Lieder gelesen.
Heinrich Heine 1797–1856
Im traurigen Monat November war’s
Im traurigen Monat November war’s,
Die Tage wurden trüber,
Der Wind riß von den Bäumen das Laub,
Da reist ich nach Deutschland hinüber.
Und als ich an die Grenze kam,
Da fühlt ich ein stärkeres Klopfen
In meiner Brust, ich glaube sogar
Die Augen begunnen zu tropfen.
Und als ich die deutsche Sprache vernahm,
Da ward mir seltsam zumute;
Ich meinte nicht anders, als ob das Herz
Recht angenehm verblute.
Ein kleines Harfenmädchen sang.
Sie sang mit wahrem Gefühle
Und falscher Stimme, doch ward ich sehr
Gerühret von ihrem Spiele.
Sie sang von Liebe und Liebesgram,
Aufopfrung und Wiederfinden
Dort oben, in jener besseren Welt,
Wo alle Leiden schwinden.
Sie sang vom irdischen Jammertal,
Von Freuden, die bald zerronnen,
Vom Jenseits, wo die Seele schwelgt
Verklärt in ew’gen Wonnen.
Sie sang das alte Entsagungslied,
Das Eiapopeia vom Himmel,
Womit man einlullt, wenn es greint,
Das Volk, den großen Lümmel.
Fortsetzung unten
Fortsetzung: Heine, Im traurigen Monat November war’s
Sie sang das alte Entsagungslied,
Das Eiapopeia vom Himmel,
Womit man einlullt, wenn es greint,
Das Volk, den großen Lümmel.
Ich kenne die Weise, ich kenne den Text,
Ich kenn auch die Herren Verfasser;
Ich weiß, sie tranken heimlich Wein
Und predigten öffentlich Wasser.
Ein neues Lied, ein besseres Lied,
O Freunde, will ich euch dichten!
Wir wollen hier auf Erden schon
Das Himmelreich errichten.
Wir wollen auf Erden glücklich sein,
Und wollen nicht mehr darben;
Verschlemmen soll nicht der faule Bauch,
Was fleißige Hände erwarben.
Es wächst hienieden Brot genug
Für alle Menschenkinder,
Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust,
Und Zuckererbsen nicht minder.
Ja, Zuckererbsen für jedermann,
Sobald die Schoten platzen!
Den Himmel überlassen wir
Den Engeln und den Spatzen.
Fortsetzung unten
Fortsetzung: Heine, Im traurigen Monat November war’s
Und wachsen uns Flügel nach dem Tod,
So wollen wir euch besuchen
Dort oben, und wir, wir essen mit euch
Die seligsten Torten und Kuchen.
Ein neues Lied, ein besseres Lied!
Es klingt wie Flöten und Geigen!
Das Miserere ist vorbei,
Die Sterbeglocken schweigen.
Die Jungfer Europa ist verlobt
Mit dem schönen Geniusse
Der Freiheit, sie liegen einander im Arm,
Sie schwelgen im ersten Kusse.
Und fehlt der Pfaffensegen dabei,
Die Ehe wird gültig nicht minder —
Es lebe Bräutigam und Braut,
Und ihre zukünftigen Kinder!
Ein Hochzeitkarmen ist mein Lied,
Das bessere, das neue!
In meiner Seele gehen auf
Die Sterne der höchsten Weihe —
Begeisterte Sterne, sie lodern wild,
Zerfließen in Flammenbächen —
Ich fühle mich wunderbar erstarkt,
Ich könnte Eichen zerbrechen!
Seit ich auf deutsche Erde trat,
Durchströmen mich Zaubersäfte —
Der Riese hat wieder die Mutter berührt,
Und es wuchsen ihm neu die Kräfte.
Georg Heym 1887-1912
November
Blinde stehen im Weg. Ihre großen Lider
Sind wie kleine Felle heruntergehängt,
Eine Sonntagsglocke hinten, die über den Feldern
In der Turmspitze sanft sich schaukelt und schwenkt.
Manchmal ein Leierkasten irgendwo ferne.
Manchmal ein Ton, den der Wind verzehrt.
Und das Herz gibt der Trauer sich gerne,
Unter Wolken, da Sommer so ferne gekehrt.
Oben gehen noch einige Leute
Hoch und schwarz, und ihr Mantel fliegt,
Und die Pappeln sausen über die Himmel,
Braun mit den Köpfen, die Wind verbiegt.
Wer über die Höhen geht, spiegelt sich ferne,
In der winzigen Sonne, lichtlos und tot,
Und über der bergigen Schluchten Kühle
Löschet ein gelbes Abendrot.
Ricarda Huch 1864-1947
November
Das Licht erlischt.
Die Nacht wird lang, es wachsen die Schatten,
Der Welt wird kahl, leer werden die Matten.
Wir essen Asche ins tägliche Brot gemischt –
Das Licht erlischt.
Das Licht ist tot.
Still sind die einst so fröhlichen Gassen,
Wieviel haben uns auf immer verlassen,
Die am Tisch mit uns saßen, mit uns brachen das Brot –
Das Licht ist tot.
Das Herz ist schwer.
Wo sind die vor uns dahingegangen?
Das Licht am Himmel wird neu erprangen,
Die toten Menschen kommen nie mehr – nie mehr –
Das Herz ist schwer.
Christian Morgenstern 1871-1914
Novembertag
Nebel hängt wie Rauch ums Haus,
drängt die Welt nach innen;
ohne Not geht niemand aus;
alles fällt in Sinnen.
Leiser wird die Hand, der Mund,
stiller die Gebärde.
Heimlich, wie auf Meeresgrund,
träumen Mensch und Erde.
Gustav Falke 1853-1916
November
Verloren friert der Mond im fahlen Blau
Des dämmernden Novemberhimmels ganz allein.
Kein Sternlein tröstet ihn. Irr flackt ein fahler Schein
Durchs traurige Gewirr der fast entlaubten Äste:
Der alten Eiche falln die Abendgäste,
Die grauen Krähn, ins ausgestorbne Haus.
Erzählen sich vom letzten Leichenschmaus
Und ziehn dann krächzend in ihr Nachtquartier
In langen Flügen durchs Revier.
Fern grenzt der Wald, ein schwarzer Strich, das Land,
Verschwimmend, bis sich Erd- und Himmelswand
Gespensterhaft im Schattenschoß verbinden.
Kein Hauch bewegt die Luft. Nur leise nahen, schwinden,
Verworrene Laute, Klagen der Natur,
Die auf des Sommers toter Spur
Ihr Witwenkleid mit müden Schritten schleift,
Vom weißen Licht schwermütigen Monds bereift.
Zu ihren Füßen unterm Nebel springt
Der bange Bach wie auf der Flucht und weint,
Weil bis zu ihm der stille Freund nicht dringt,
Mit dem er nächtens gern im Liebesspiel sich eint.
Ach, gestern fand ich dort,
Wo er durch Wiesen biegt
Und unterm Weidenbusch sich wie ein Schlänglein schmiegt,
Noch eine Blume am versteckten Ort
Und fand ein ausgebleichtes Endchen Band,
Womit ich Sommers dort ein zärtlich Kränzchen wand.
Für wen? Es schwamm hinab auf ungewisser Welle.
Schlecht träumt sichs heut von Licht und Helle.
Der kalte Nebel steigt und spinnt das Herz in Trauer.
- Novemberschauer.
Helene Krüger 1861 - um 1940
Nebelschleier, feucht und schwer,
Wallten um die elfte Schwester,
Fröstelnd schreitet sie einher,
Zieht des Mantels Falten fester.
Ihre Augen blicken trüb',
Ach, dahin ist alles Prangen!
Was den heit'ren Schwestern lieb,
Ist zur Ruhe eingegangen.
Aber sieh, des Menschen Lust
Ruht nicht mit den Kreaturen,
Jägereifer in der Brust
Folgt er kühn des Wildes Spuren.
Leicht entdeckt im weichen Schnee
Von der losgelass'nen Meute,
Werden Häslein, Fuchs und Reh
Seiner Flinte sichre Beute.
Auch November, feucht und grau,
Bietet seinem Herzen Freuden,
Und er sieht die hohe Frau
Ungern nur von hinnen scheiden.
Martin Greif 1839-1911
Novemberstimmung
Die Flur umher
es kalt durchweht,
wo nirgend mehr
ein Blümlein steht.
Im Wald zerstiebt
das welke Laub –
Die ich geliebt,
sind alle Staub.
Sich frühe neigt
der Sonne Lauf,
am Himmel steigt
der Mond herauf.
Es füllt sich sacht
das Sternenzelt.
Sie sind erwacht
in jener Welt.
Wilhelm Müller 1794-1827
November
Zu rechter Zeit hab' ich dir's angesehen,
Daß du, auf Tanz und Jagd und Becherklingen,
Verlangen fühlst nach würdigeren Dingen,
Womit ich gleich dir kann zu Diensten stehen.
Durch Leipzigs volle Laden ging ich spähen,
Was uns die deutschen Pressen Neues bringen:
Die Bogen, die noch auf den Seilen hingen,
Sie mußten ungetrocknet mit mir gehen.
Sparöfen kauft' ich auch und Sorgenstühle,
Kaffee und Knaster von der besten Sorte,
Und lange runde Bernsteinpfeifenspitzen.
Entreiß' dich, Freund, dem eitlen Weltgewühle:
Ich führe zu der Weisheit heil'gen Pforte
Die Jünger, ohne sehr sie zu erhitzen.
Heinrich Kämpchen 1847-1912
November
Nun ist in Sturmestosen
Das Sonnengold verglüht,
Verblüht sind alle Rosen,
Die Astern auch verblüht. –
Und wie des Waldes Bäume
Entblättert steh’n und kahl,
So sind des Sommers Träume
Verblichen auch zumal. –
Fort ist das Schaugepränge
Der Farben blau und rot,
Fort sind die Lustgesänge,
Die Feld und Wald uns bot. –
Schon zieht’s mit leisem Beben
Durch die bereifte Flur,
Und finst’re Mächte weben
Das Bahrtuch der Natur. –
Wie lange noch, wie lange?
Dann ist das Werk vollbracht –
Und sie, die todesbange,
Schläft in der Winternacht. –
Clara Müller-Jahnke 1860-1905
Im Novembersturm
Der Sturmwind rast und der Regen schlägt
ans Fenster in schweren Tropfen –
Ich fühl in der tollen Novembernacht
mein Herz wohl hörbar klopfen.
Es schlägt in brennender Ungeduld
sehnsüchtig und beklommen ...
Ach, wenn die Stunde doch Flügel hätt'
und wäre der Winter gekommen!
Und deckte die Ströme das blinkende Eis
und der Schnee die schweigende Runde –
und wären wir endlich allein, allein
in der heimlichen Mitternachtsstunde!
O Liebster, Liebster, – der Sturmwind rast
und der Regen rauscht endlos nieder –
mir aber fluten durch Haupt und Herz
traumselige Liebeslieder.
Heinrich Lersch 1889-1936
November
Es weint ein schmerzlich
Lied sich durch den Wald,
ist's Vogel- oder Menschenton?
Ist es der Wind, der Äste geigt?
Der Nordwind hat sich aufgemacht,
er fegte erst die Felder kahl;
dann ging er durch den Sommerwald
und nahm die bunten Stimmen mit
und trank der Blätter grünes Blut.
Nun deckt ein Schleier, grau und dicht,
das welke Antlitz der Natur,
dass niemand ihren Kummer sieht.
Es weint ein schmerzlich Lied
sich durch den Wald.
Bruno Wille 1860-1928
Novemberlaub
Auf stöhnender Föhre fidelt der Sturm
Heulende düstre Balladen;
Es schnaubt sein Odem, nebelfeucht
Von nordischen Seegestaden.
So trübe der Himmel, als wär's schon spät.
Die Wolken pilgern traurig.
Im Strudel taumelt verkommenes Laub
Um Baumgerippe so schaurig.
Ein letztes Blättchen am Dornenstrauch
Fröstelt in starrem Weh ...
O mach ein Ende, Novembersturm!
Deck zu, du wogender Schnee!
Erich Kästner 1899-1974
Der November
Ach, dieser Monat trägt den Trauerflor ...
Der Sturm ritt johlend durch das Land der Farben.
Die Wälder weinten. Und die Farben starben.
Nun sind die Tage grau wie nie zuvor.
Und der November trägt den Trauerflor.
Der Friedhof öffnete sein dunkles Tor.
Die letzten Kränze werden feilgeboten.
Die Lebenden besuchen ihre Toten.
In der Kapelle klagt ein Männerchor.
Und der November trägt den Trauerflor.
Was man besaß, weiß man, wenn man's verlor.
Der Winter sitzt schon auf den kahlen Zweigen.
Es regnet, Freunde, und der Rest ist Schweigen.
Wer noch nicht starb, dem steht es noch bevor.
Und der November trägt den Trauerflor ...
Wilhelm Engelhardt 1857-1935
Totensonntag 1893
Heute mir und morgen dir!
So hört man die Glocken klingen,
Wenn wir die Verstorbenen hier
Auf den Gottesacker bringen.
Aus den Gräbern ruft's herfür:
Heute mir und morgen dir!
Heute rot und morgen tot!
Unser Leben eilt auf Flügeln,
Und wir haben's täglich not,
Dass wir uns an Andern spiegeln.
Wie bald ruft des Herrn Gebot:
Heute rot und morgen tot!
Mensch, es ist der alte Bund,
Und der Tod zählt keine Jahre;
Bist du heute noch gesund,
Denk an keine Totenbahre!
Jedem kommt die letzte Stund',
Mensch, das ist der alte Bund!
Ach, wer weiß, wie nah mein Tod!
Ich will sterben, eh' ich sterbe,
So wird mir die letzte Not
Wenn sie kommt, doch nicht zu herbe.
Rüste mich dazu mein Gott!
Ach, wer weiß, wie nah mein Tod!
Selig, wer in Christo stirbt!
Denn ihm wird der Tod zum Leben;
Der das Leben hier erwirbt,
Dem nur wird es dort gegeben.
Wer nicht lebet, der verdirbt:
Selig, wer in Christo stirbt!
Josef Weinheber 1892-1945
November
Im Kirchhof brennt das stille Licht.
Die Toten ruhen, weine nicht.
Geborgen in der Erd, vergeht
der Keim, umdaß er aufersteht.
Martini Reif, Andreä Schnee,
die Magd trägt aus ihr süßes Weh.
Vom Hochwald dröhnt der Büchsenhall,
es stampft das Vieh im warmen Stall,
der Nebel hüllt das stille Land,
die Kerze ist herabgebrannt.
Laß frosten, laß vergehn, laß schnein!
Der Mensch muß wach und einsam sein.
Erich Kästner 1899-1974
Stimmen aus dem Massengrab
(Für den Totensonntag, Anstatt einer Predigt)
Da liegen wir und gingen längst in Stücken.
Ihr kommt vorbei und denkt: sie schlafen fest.
Wir aber liegen schlaflos auf dem Rücken,
weil uns die Angst um Euch nicht schlafen läßt.
Wir haben Dreck im Mund. Wir müssen schweigen.
Und möchten schreien, bis das Grab zerbricht!
Und möchten schreiend aus den Gräbern steigen!
Wir haben Dreck im Mund. Ihr hört uns nicht.
Ihr hört nur auf das Plaudern der Pastoren,
wenn sie mit ihrem Chef vertraulich tun.
Ihr lieber Gott hat einen Krieg verloren
und läßt euch sagen: Laßt die Toten ruhn!
Ihr dürft die Angestellten Gottes loben.
Sie sprachen schön am Massengrab von Pflicht.
Wir lagen unten, und sie standen oben.
„Das Leben ist der Güter höchstes nicht.“
Da liegen wir, den toten Mund voll Dreck.
Und es kam anders, als wir sterbend dachten.
Wir starben. Doch wir starben ohne Zweck.
Ihr laßt Euch morgen, wie wir gestern, schlachten.
Vier Jahre Mord, und dann ein schön Geläute!
Ihr geht vorbei und denkt: sie schlafen fest.
Vier Jahre Mord, und ein paar Kränze heute.
Verlasst Euch nie auf Gott und seine Leute!
Verdammt, wenn ihr das je vergeßt!
Julie de Graag,
Memento Mori, 1916