BuchKult
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Paula Dehmel 1862-1918

November

 

Grüß Gott! Der November stellt sich vor.

Mir ist ergeben der große Chor

der Winde und Stürme, die das Gefilde

von Unrat säubern; und auch die Gilde

der Nebel und Wolken ist mir vertraut.

Wer auf des Meeres Sanftmut baut,

wagt sein Leben, wenn ich regiere;

ich hasse den Frohsinn in meinem Reviere,

ich hasse die Sonne, hasse die Milde,

zerreiße im Felde das letzte Gebilde.

Ich liebe nur eins: wenn das Jagdhorn schallt,

hinter scheuem Wild die Büchse knallt.

 

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Pieter Bruegel der Ältere, Die Heimkehr der Herde - November, 1565
Pieter Bruegel der Ältere (um 1525/1530-1569) war ein Maler der Niederländischen Renaissance. Er ist landläufig bekannt für seine Darstellungen des bäuerlichen Lebens im Herzogtum Brabant (Niederlande und Flandern) des 16. Jahrhunderts.

Max Dauthendey 1867-1918

Erster November

 

Da draußen ist frühe Nebelnacht,

Die hat den Tag um Stunden bestohlen,

Hat aus den Fenstern Laternen gemacht.

Ich möchte mir den Mond herholen,

Dass ich einen hätt’, der ewig lacht,

Denn die Nacht ist wie ein schwarzes Bett.

Dort hat der Tod, wie auf Lagern aus Kohlen,

Gedankenlos als Dieb seine Ruhestätt’.

Weiß nicht, ist die Stadt draußen klein oder groß,

Ob Menschen drin hausen, oder bin ich allein,

Denn ein jeder Tag schwarz wie der Fluss fortfloss,

Und beklagt gingen viele zur Nacht hinein.

Auch Vater und Mutter haben gefragt,

Und niemandem wurde der Weg gesagt.

Auch Vater und Mutter wurden zu Stein,

Ein Stein, der sich über dem Grabe schloss.

Drauf lese ich heut’ ihre Namen bloß,

Nur noch die Namen sind beide mein.

Woher sie kamen, wohin sie gingen, -

Ich kann die Nacht nicht zum Reden zwingen.

 

John Atkinson Grimshaw, A November Night
John Atkinson Grimshaw (1836-1893) war ein englischer Maler.

Franz Werfel 1890-1945

Madonna mit den Krähen

 

Es ist November in der Welt.

Der Baum hebt nackt sein Krüppelbein.

Gebüsch bebt, bettelnd hingestellt.

Vereinsamt stiert der Meilenstein.

Frech wie ein Storch auf brachem Feld

Die alte Vogelscheuche lungert.

Die Mutter schleppt sich querfeldein.

Das Kindlein friert, das Kindlein hungert.

 

So grau war noch November nie.

Die Mutter rastet auf dem Stein.

Das Kind liegt schlaff auf ihrem Knie.

Wie sie allein ist nichts allein.

Wohl besser wär’s, es würde schnein,

Verschnein die Weiten und die Nähen,

Sie hebt den Kopf, sie hört ein Schrein,

Die Krähen kommen, hundert Krähen ...

 

Das Volk rauscht durch die Luft und schlägt

Und taumelt um Marias Haupt.

Doch keine Kräh im Schnabel trägt

Ein Bröcklein, fluges wo geklaubt.

Nie war die Welt so ausgeraubt.

Die Krähen rings verzweifelt streichen,

Aus Feld und Bäumen, todentlaubt,

Der Mutter Speisung darzureichen.

 

Nicht Korn und Haselnuss gibt’s mehr.

So kahl war kein November noch,

Und keine Nacht so liebeleer

Wie diese, die jetzt näherkroch.

Die Schwärze schlurft aus Schlucht und Loch.

Maria haucht, ihr Kind zu wärmen,

Und beugt sich tief, wenn immer noch

Die Krähn sie wahnsinnschrill umschwärmen.

 

 

Da Costa Book of Hours, November, Flachs schlagen, 1515, Morgan Library
Da Costa Book of Hours - Das Stundenbuch von Da Costa ist ein illuminiertes Stundenbuch von 1515, das sich jetzt in der Morgan Library and Museum in New York befindet.
 

Fred Endrikat 1890-1942

November-Elegie

 

Der Regen tropft in meines Daches Rinne,

tripp-tropp, tripp-tropp.

In beide Hände stütze ich den Kopp.

Im Nebel liegen Feld und Wald und meine Sinne.

Der Wind bläst eine graue Melodie.

Melancholie. –

Des Sommers letzter Gruß

ist eine Fliege, die auf meiner Nase tanzt.

Hebt mühsam Fuß um Fuß. –

Ich schau' dem Tanze zu, und mich beschleicht ein Kummer.

Im Lenze sah ich sie als schlankes Fliegenjüngferlein,

doch jetzt ist sie ein dicker Brummer. –

Es heult der Wind, der Regen tropft.

Mein armes Herz voll Wehmut klopft.

In meiner Nase rotem Glanz

vollführt sie ihren Totentanz.

Zum letztenmal das Bein sie schwingt,

und tot sie von der Nase sinkt!

Vor mir ein Fliegenauge brach.

Ein großer Tropfen rollt ihr nach

Die Uhr tickt in mein Herzeleid

Vergänglichkeit. –

 

 

Koloman Moser, November, 1902
Koloman Josef Moser (1868-1918; auch Kolo Moser) war ein österreichischer Maler, Grafiker und Kunsthandwerker.
 

Rudolf G. Binding 1867-1938

November

 

Ergreife meine Hand.

Das Dunkel bricht herein.

Das Dunkel ist zu zwein

nur halb so groß das Grau

                  nur halb so grau.

 

Wo bist du die mich liebt?

Die Nächte wachsen schnell.

Mach sie die Liebe hell!

Und Nacht ist Nichtnacht, Grau

                  ist nicht mehr grau.

 

Alfred William Parsons, After Work, When the Chill Rain Begins at Shut of Eve in Dull November
Alfred William Parsons (1847-1929) war ein englischer Illustrator, Landschaftsmaler und Gartengestalter.

Clara Müller-Jahnke 1860-1905

Novembertag

 

Geht ein sonnenloser Tag

wiederum zur Neige,

und der graue Nebel tropft

durch die kahlen Zweige.

 

Leise atmend ruht die See,

müde, traumumsponnen . . .

eine Woge, schaumgekrönt,

ist im Sand zerronnen.

 

 

Jervis McEntee, A Misty Day, November
Jervis McEntee (1828-1981) war ein amerikanischer Maler der Hudson River School.
 

Heinrich Seidel 1842-1906

November

 

Solchen Monat muss man loben:

Keiner kann wie dieser toben,

Keiner so verdrießlich sein

Und so ohne Sonnenschein!

Keiner so in Wolken maulen,

Keiner so mit Sturmwind graulen!

Und wie nass er alles macht!

Ja, es ist ’ne wahre Pracht.

 

Seht das schöne Schlackerwetter!

Und die armen welken Blätter,

Wie sie tanzen in dem Wind

Und so ganz verloren sind!

Wie der Sturm sie jagt und zwirbelt

Und sie durcheinanderwirbelt

Und sie hetzt ohn’ Unterlass:

Ja, das ist Novemberspaß!

 

Und die Scheiben, wie sie rinnen!

Und die Wolken, wie sie spinnen

Ihren feuchten Himmelstau

Ur und ewig, trüb und grau!

Auf dem Dach die Regentropfen:

Wie sie pochen, wie sie klopfen!

Schimmernd hängt’s an jedem Zweig,

Einer dicken Träne gleich.

 

O, wie ist der Mann zu loben,

Der solch' unvernünft’ges Toben

Schon im Voraus hat bedacht

Und die Häuser hohl gemacht!

So, dass wir im Trocknen hausen

Und mit stillvergnügtem Grausen

Und in wohlgeborgner Ruh

Solchem Gräuel schauen zu!

 

Alfred Sisley, November afternoon, 1881
Alfred Arthur Sisley (1839-1899) war ein englischer Maler des Impressionismus, der in Frankreich lebte und wirkte.

Richard Dehmel 1863-1920

Novemberfahrt

 

Ja, lacht nur, lacht! am Wege da

ihr pelzvermummten Gaffer!

Uns gab ein heißres Blut, hahah,

der Wein- und Weiberschaffer!

Und wenn wir etwas zittrig sind

und etwas rot die Nase,

so meint nur nicht, das sei vom Wind:

das Wetter liegt im Glase!

 

Wir fahren in die Welt hinein,

wenn uns es will behagen;

wir fahren in dem Sonnenschein,

den wir im Herzen tragen!

Und wenn die olle Sonne sieht

so junge Dreistewichte,

dann wird sie gleich vor Angst verliebt

und macht ihr schönst Gesichte.

 

Hurrah, Novembersonnentag,

du Wunderwanderwetter:

derweil am Herd das Zimperpack

sich wärmt den Katterletter!*

Hurrah, so stark dein herber Duft,

so würzig seine Schwere!

 

Hurrrah - ich schlürfe deine Luft,

als ob es Rheinwein wäre!

 

 

*Dieses deutsche Wort existiert anscheinend nur in diesem Gedicht. Wie die Recherche ergab, sind wohl „Les Quatre lettres“ (die vier Buchstaben, im Sinne von „sich auf seine vier Buchstaben setzen“) gemeint, was ja Sinn macht.

 

 

Daniel Garber, Uplands, November
Daniel Garber (1880-1958) war ein amerikanischer impressionistischer Landschaftsmaler.
 

Joachim Ringelnatz 1883-1934

Die Leipziger Fliege

 

Ob wohl die Fliegen Eier in uns legen,

Wenn sie so lange auf uns sitzen bleiben

Und wir sie, weil wir schlafen, nicht vertreiben?

 

Man sollte seinen Körper viel mehr pflegen,

Die Fliege, die mich darauf brachte,

Als ich in meinem Mietslogis erwachte,

War eine greisenhafte und ergraute,

 

Daß ich nur zaghaft mir getraute,

Sie wenigstens ein bißchen totzuschlagen.

 

Sie sterben im November sowieso

In Leipzig. (Später als wie anderswo.)

Wie können Sterbende doch oft noch plagen,

Das Alter stimmt nicht immer mild.

 

Sie sind unheimlich dann und boshaft wild.

 

Doch unter solcher feuchten Sumpfluft leiden

Alle. Leipzig hat seinen Hustenreiz.

Man sollte im November Leipzig meiden,

Nach Frankreich reisen oder in die Schweiz.

 

Die Fliege hat mir alle Lust genommen.

Ich bin nicht wach und bin auch nicht im Schlaf.

Als müßte ein Gewitter kommen.

 

Ob wohl ein Blitz je eine Fliege traf?

 

 

Eugène Samuel Grasset, Novembre - La Belle Jardinière, 1896
Eugène Samuel Grasset (1845-1917) war ein schweizerisch-französischer Bildhauer, Maler und Illustrator der Belle Époque und Wegbereiter des Jugendstils.
 

Johann Wolfgang von Goethe 1749-1832

Novemberlied

 

Dem Schützen, doch dem alten nicht,

Zu dem die Sonne flieht.

Der uns ihr fernes Angesicht

Mit Wolken überzieht;

 

Dem Knaben sei dies Lied geweiht,

Der zwischen Rosen spielt,

Uns höret und zur rechten Zeit

Nach schönen Herzen zielt.

 

Durch ihn hat uns des Winters Nacht,

So häßlich sonst und rauh,

Gar manchen werten Freund gebracht

Und manche liebe Frau.

 

Von nun an soll sein schönes Bild

Am Sternenhimmel stehn.

Und er soll ewig, hold und mild,

Uns auf- und untergehn.

 

Hours of Henry VIII, November, Thrashing for acorns, New York Pierpont Morgan Library
Hours of Henry VIII - Die Stunden Heinrichs VIII ist ein illuminiertes Stundenbuch aus dem 15. Jahrhundert, das von Jean Poyet in Tours gemalt wurde.

Die in diesem, - wie auch im nächsten - Bild dargestellte novembertypische bäuerliche Tätigkei ist die Eichelmast. Die Eichelmast, in deutschsprachigem Gebiet verbreitet auch Eckerich genannt, war in Mitteleuropa eine bis ins 19. Jahrhundert weit verbreitete landwirtschaftliche Praxis. Hausschweine wurden in die Wälder getrieben, damit sie sich dort an Eicheln, Bucheckern und Kastanien satt fraßen. Dabei bezeichnete das Wort Mast ursprünglich die als Viehfutter dienenden Baumfrüchte. (Wikipedia)

 

Ernst Lissauer 1882-1927

Erwachen im November

 

Ist nicht ein Gram gesessen mir zu Häupten?

Ich schlief so hart und bin so dumpf erwacht;

Als ob Gewölke blasser Asche stäubten,

Färbt sich mit schalem Tag die Nacht.

Noch kann ich nicht die Stube sehen.

Sie ist voll Schwermut wie ein Schiff voll Fracht.

Noch weiß ich keinen Schmerz. Jedoch er wird geschehen.

 

 

 

Très Riches Heures, Novembre
Très Riches Heures - Die Brüder von Limburg (Paul, Johan und Herman) waren niederländische Miniaturmaler.Das Stundenbuch des Herzogs von Berry (französisch Les Très Riches Heures du Duc de Berry bzw. kurz Très Riches Heures) ist das berühmteste illustrierte Manuskript des 15. Jahrhunderts. Es handelt sich um ein ausgesprochen reichhaltig verziertes Stundenbuch, das 208 Blätter mit 21,5 cm Breite und 30 cm Höhe enthält, von denen etwa die Hälfte ganzseitig bebildert sind.
 

Heinrich Hoffmann 1809-1894

November

 

Trüber Himmel, raue Tage

Kommen sicher jedes Jahr;

Schwere Sorgen, harte Plage,

Jedes Leben bringt sie dar.

Doch bedenkt, die heitern Stunden

Hätten nie euch so beglückt,

Hättet ihr nicht überwunden,

Was in trüben euch bedrückt.

 

Willard Leroy Metcalf, November Mosaic
Willard Leroy Metcalf (1858-1925) war ein amerikanischer Maler.

Conrad Ferdinand Meyer 1825-1898

Novembersonne

 

In den ächzenden Gewinden

Hat die Kelter sich gedreht,

Unter meinen alten Linden

Liegt das Laub hoch aufgeweht.

 

Dieser Erde Werke rasten,

Schon beginnt die Winterruh -

Sonne, noch mit unverblassten,

Goldnen Strahlen wanderst du!

 

Ehe sich das Jahr entlaubte,

Gingen, traun, sie müßig nie,

Nun an deinem lichten Haupte

Flammen unbeschäftigt sie.

 

Erst ein Ackerknecht, ein Schnitter,

Und ein Traubenkoch zuletzt

Bist du nun der freie Ritter,

Der sich auf der Fahrt ergetzt.

 

Und die Schüler, zu den Bänken

Kehrend, grüßen jubelvoll,

Hingelagert vor den Schenken,

Dich als Musengott Apoll.

 

Émile Noirot, November
Benoît Émile Noirot (1853-1924) war ein französischer Maler.

Theobald Nöthig 1841-1900

Novemberlied

 

Der Wald wird still; von dem Idyll,

Das einst als Angebinde

Der Lenz ihm schrieb, nur übrig blieb

Ein welkes Blatt im Winde.

Grau zieht vom Meer der Nebel her

Und weht den Trauerschleier.

Das ist die Zeit, dem Ernst geweiht

Der stillen Totenfeier.

 

Ach, laut genug mahnt uns der Zug,

Der bleiche, bange, lange;

Sein: nimmermehr! Macht wieder schwer

Das Herz und feucht die Wange. –

Doch nicht hinab auf Graus und Grab

Laßt uns trübsinnig schauen,

Nein, froh hinauf und mit Glückauf

Heut hellem Stern vertrauen!

 

Der Stern, der warm in Not und Harm

Strahlt auch dem ärmsten Schlucker,

Und allemal wie Sonnenstrahl

Der herben Frucht reift Zucker.

Der, wenn auch oft uns unverhofft

Die Rosen all erfrieren,

Doch sorgt dafür, daß unsre Tür

Noch grüne Maien zieren.

 

Hoch der Humor! Wer ihn erkor,

Den Stern der wahren Weisen,

Kann wohl mit Fug im Wandelflug

Der Zeit sich glücklich preisen.

Kein trüber Tag, kein Wetterschlag

Macht den zum Weltverächter,

Der sie bezwingt und auf sich schwingt

Mit göttlichem Gelächter.

 

Giuseppe Pellizza, Deux bergers dans une prairie de Mongini - Novembre
Giuseppe Pellizza (1868-1907) war ein italienischer Maler.

Ferdinand von Saar 1833-1906

Novemberlied

 

Novembernebel füllen

Mit feuchtem Grau das Tal,

Als wollten sie verhüllen

Die Erde, kahl und fahl.

 

Mit seinem dunklen Saume

Gespenstisch ragt der Wald,

Daraus, so wie im Traume,

Von fern die Axt erschallt.

 

Den Pfad mit kühlem Hauche

Umwittert ödes Weh',

Verwais't am dorn'gen Strauche

Bebt Hagebutt' und Schleh'.

 

Wohin die Schritte streben,

Versinkt der Fuß im Kot –

Mühselig ist das Leben

Und traurig wie der Tod.

 

William Keith, Dark November (Pastorale)
William Keith (1838-1911) war ein schottisch-US-amerikanischer Maler der Düsseldorfer Schule.

Hermann von Lingg 1820-1905

Herbstabend

 

Durchs Stoppelfeld auf Nebelstreifen

Weht traurig kalt Novemberwind;

Dort wankt am Wald mit Reisighäufen

Ein armes Weib und führt ihr Kind.

 

Dort sucht man die vergessne Traube,

Dort pflückt man Schleh' und Hagebutt.

Im Hofe pickt die wilde Taube

Ein Körnchen noch aus Stroh und Schutt.

 

Und hier, gebeugt auf müden Füßen,

Kehrt Einer heim, arm und allein,

Um noch zum letztenmal zu grüßen

Die letzte Seele, die noch sein.

 

Charles Ephraim Burchfield, November Dawn
Charles Ephraim Burchfield (1893-1967) waren ein US-amerikanischer Maler.

Bruno Wille 1860-1928

Novemberabend

 

Novemberabend kühlt und feuchtet.

Die Ferne stirbt in Dämmerduft.

Mit mattem Blinzeln nur durchleuchtet

Ein Stern die nebeltrübe Luft.

 

Gedämpfte Glockenlaute beben

Weich summend über Stoppelfeld.

Aus Wiesenniederungen heben

Sich dunkle Massen in die Welt.

 

Ein alter Pflüger mit dem Pferde

Zieht müde heim; die Pfeife glimmt.

Vom Schäferhund umtummelt, schwimmt

Mit Blöken dorfwärts eine Herde.

 

Mit qualmigdunkler Röte säumt

Der Himmel sich. Großleuchtend taucht

Der Mond empor ... Die Landschaft träumt –

Von Ruhesehnsucht überhaucht.

 

Victor Gilsoul, Soir de novembre à Dordrecht, Bruxelles, Musées Royaux des Beaux Arts de Belgique
Victor Gilsoul (1867-1939) war ein belgischer Landschaftsmaler und Radierer.

Anna Ritter 1865-1921

Novemberabend

 

Kein Licht am Himmel,

Kein Laut auf den Gassen ...

In Dunkel und Stille,

Wie bin ich verlassen.

 

Es rauschen die Bäume ...

Der Wind hebt sich leise

Zu friedloser Irrfahrt,

Zu freudloser Reise.

 

Das Feuer im Ofen

Sinkt knisternd zusammen,

Von Asche begraben,

Ersticken die Flammen.

 

Die Lampe nur leuchtet

Hinein in das Zimmer

Und breitet um Alles

Den ruhigen Schimmer.

 

Sie weckt an den Wänden

Die Bilder der Lieben

Und segnet das Lied,

Das ich weinend geschrieben.

 

Und weiß wie ein Freund

Von vergangenen Tagen

Mir tausend vergessene

Dinge zu sagen.

 

Die tönen wie Märchen

Voll Sonne und Freude

Hinein in das graue,

Verlassene Heute.

 

John Atkinson Grimshaw, A Wooded Lane by Moonlight (November Moonlight)
John Atkinson Grimshaw (1836-1893) war ein englischer Maler.

Erich Kästner 1899-1974

Nasser November

 

Ziehen Sie die ältesten Schuhe an,

die in Ihrem Schrank vergessen stehn!

Denn Sie sollten wirklich dann und wann

auch bei Regen durch die Straßen gehn.

 

Sicher werden Sie ein bisschen frieren,

und die Straßen werden trostlos sein.

Aber trotzdem: gehn Sie nur spazieren!...

Und, wenn’s irgend möglich ist, allein.

 

Müde fällt der Regen durch die Äste.

Und das Pflaster glänzt wie blauer Stahl.

Und der Regen rupft die Blätterreste.

Und die Bäume werden alt und kahl.

 

Abends tropfen hunderttausend Lichter

zischend auf den glitschigen Asphalt.

Und die Pfützen haben fast Gesichter.

Und die Regenschirme sind ein Wald.

 

Ist es nicht, als stiegen Sie durch Träume?

Und Sie gehn doch nur durch eine Stadt!

Und der Herbst rennt torkelnd gegen Bäume.

Und im Wipfel schwankt das letzte Blatt.

 

Geben Sie ja auf die Autos acht.

Gehn Sie, bitte, falls Sie friert, nach Haus!

Sonst wird noch ein Schnupfen heimgebracht.

Und, ziehn Sie sofort die Schuhe aus!

 

Jervis McEntee, November Day, 1863
Jervis McEntee (1828-1981) war ein amerikanischer Maler der Hudson River School.

Felix Dahn 1834-1912

November

 

Die Luft ist grau, das Feld steht kahl,

Die dumpfen Nebel spinnen:

Kein Ton, kein Sang, kein Farbenstrahl: –

Glück zog und Glanz von hinnen.

 

Rings Stille – matt starb selbst der Wind –

Ein Rabe huscht an den Steinen:

Mir ist, ich hör' mein fernes Kind

Bitter, bitter weinen.

 

George Clausen, Morning in November
George Clausen (1852-1844) war ein britischer Künstler, der mit Öl und Aquarell, Radierung, Mezzotinta, Trockenpunkt und gelegentlich Lithografien arbeitete.

Max Dauthendey 1867-1918

Wie im Novembertag das Grün verschwunden

 

Wie im Novembertag das Grün verschwunden

Und sich kein grüner Grashalm mehr gefunden,

So muss vom Morgen bis zum Morgen ich nur darben,

Denn mit der Trennung von der Liebsten starben

Auf Erden und im Himmel alle sieben Farben.

 

Die Tage stehen mir als Nebel draußen,

Und Stille muss vor meinen Ohren sausen.

Die Stille klagt wie Luft in hohlen Stämmen.

Die Träne will die Stille überschwemmen, -

Um sie zu dämmen, müsst' ich's Blut erst hemmen.

 

 

Antonio Fontanesi, November, 1864, Turin, Galleria d'Arte Moderna e Contemporanea
Antonio Fontanesi (1818-1882) war ein italienischer Maler.

Arno Holz 1863-1929

 

Unter

dunkelen, treibenden,

tiefschwerschleppenden Novemberwolken

verdämmert ... die Heide!

 

Gebückt

am Wegrand, kopfnickstumm

sitzt du, starrst du

und

... stierst ...

auf ... deine welken ... Hände.

 

Hofft,

harrt und ... hämmert in dir

noch

ein ... Herz?

 

Lebst ... du ... noch?

 

Schleichend,

unheimlich und tückisch,

durch

schwarzes, spitzes,

feuchtstarres Stachelgras

immer

näher und näher,

ein

klapperndes ... Rascheln.

 

Schauernd, eiskalt,

genickhoch

ein ... Hauch.

 

Gemartert,

im Dornenstrauch,

windgepackt, windgezwackt,

windgezaust

zittert ... ein ... letztes

Blättchen!

 

Jan Toorop, November
Johannes Theodorus (Jan) Toorop (1858-1928) war ein niederländischer Maler.

Paul Boldt 1885-1921

Novemberabend

 

Es weht. Das Abendgold ist eine Fahne,

Die von den Winden schon erbeutet wird.

Ein etwas Herbst in der Platane,

Ein grelles Chrom verweht, verwird.

 

In Wolken gleich verkohlten Stämmen

Riecht man die tote Sonne noch;

Dann das Einatmen, Drängen, Dämmen –

Einsamkeiten kommen hoch.

 

 

Arnold Marc Gorter, November mood
Arnold Marc Gorter (1866 -1933) war ein niederländischer Landschaftsmaler und Zeichner.
 

Franz Werfel 1890-1945

Novembergesang

 

Das ist November.

Jahrzeit der Mühlen,

Wind der schwarzen Frühmessen,

Friedhof,

Und Tausendnächtlichkeit

Der kindischen Lichtlein

Und ihre Angst.

Nun sind die Stapfen schwer

Im Straßensumpf.

Oh, wie wir atmen,

Wir armen Tiere!

Aber es errötet schon

Unser Ofenrost,

Wenn draußen das zweifelnd freie,

Verhöhnende Rabenvolk

Fährt über den Tod der Gottsbäume,

Über Schollen und schlotterndes Moor.

 

Nun sagt November:

Das ist eure Welt! –

Und schnaubt in den Rauch

Des schnaufenden Gauls,

Und schnaubt in den Qualm

Der qualvollen Erd'.

Nun tragen wir

Geheimnisvollen Strohkranz

Und Distelschmuck.

Nun vergessen wir euch,

Ihr Freunde, lieben Freunde,

Da unser Atem pilgert

Durch keuchenden Acheron.

Nebel zwischen Bergen und Wäldern,

Nebel

Zwischen unseren Häuptern, Freunde!

Vergessen unser Blick,

Und daß wir uns anrührten,

Und lachten bei den Wahrsagern,

Und tanzten unterm Kronenlicht,

Und abwärts stürzten

Im Abendprunk die Triumphfahrt!

Verloren die Lüge unserer Lust.

Da wir doch lügen mußten!

 

Es schärft sich der Tag.

Und streng wird die Nacht.

Arm sind wir und ohne Brot.

Niemand holt uns Wasser vom Brunnen.

In unserer innerlichen Stadt

Schon wächst das Spital.

Und die Irren

Keifen im kreischenden Garten.

Der Gott des alten Stroms

Benagt die Selbstmörder,

Wenn alle Dome brummen,

Doch die Dämonen,

Unsere unausweichlichen

Schutzengel, Schutzteufel,

Würfeln über den Häusern,

Raufen im Rauch,

Schlagen die Wolken-Schlacht.

Leis aber von unserem Fenster

Sinkt das trostlose Horn ab,

Des guten Hüters Horntreue,

Nächtlich ein schwacher Flug.

 

Dies sei uns aber gesagt,

Euch, die ihr mich vergaßet,

Mir, die ich euch vergaß!

Vergolten werden die Sünden.

Pünktlich, gerecht!!

Dies, Freunde, sehr großer Trost.

Denn hier ist ein Sinn.

 

John William Inchbold, The Burn, November, Cucullen Hills
John William Inchbold (1830-1888) war ein englischer, vom Stil der Präraffaeliten beeinflusster Maler.

Max Dauthendey 1867-1918

November

 

Bin heut im erstarrten Garten gewesen,

Wo ich in deinem Auge einst Lieder gelesen;

Wo die Biene den Tropfen Seligkeit sog,

Und wie ein Stückchen Himmel der Schmetterling flog.

Wo der Mond aufstieg wie der Liebe Lob,

Wie ein Herz, das sich von der Erde hob,

Und wo jetzt die Wurzeln der Blumen verwesen,

Hab ich in toten Blättern noch Lieder gelesen.

 

 

Carl Larsson, November, 1882
Carl Olof Larsson (1853-1919) war ein schwedischer Künstler.

Heinrich Heine 1797–1856

Im traurigen Monat November war’s

 

Im traurigen Monat November war’s,

Die Tage wurden trüber,

Der Wind riß von den Bäumen das Laub,

Da reist ich nach Deutschland hinüber.

 

Und als ich an die Grenze kam,

Da fühlt ich ein stärkeres Klopfen

In meiner Brust, ich glaube sogar

Die Augen begunnen zu tropfen.

 

Und als ich die deutsche Sprache vernahm,

Da ward mir seltsam zumute;

Ich meinte nicht anders, als ob das Herz

Recht angenehm verblute.

 

Ein kleines Harfenmädchen sang.

Sie sang mit wahrem Gefühle

Und falscher Stimme, doch ward ich sehr

Gerühret von ihrem Spiele.

 

Sie sang von Liebe und Liebesgram,

Aufopfrung und Wiederfinden

Dort oben, in jener besseren Welt,

Wo alle Leiden schwinden.

 

Sie sang vom irdischen Jammertal,

Von Freuden, die bald zerronnen,

Vom Jenseits, wo die Seele schwelgt

Verklärt in ew’gen Wonnen.

 

Sie sang das alte Entsagungslied,

Das Eiapopeia vom Himmel,

Womit man einlullt, wenn es greint,

Das Volk, den großen Lümmel.

 

Fortsetzung unten

 

Willard Leroy Metcalf, Vermont hills november, 1923
Willard Leroy Metcalf (1858-1925) war ein amerikanischer Maler.

Fortsetzung: Heine, Im traurigen Monat November war’s

 

Sie sang das alte Entsagungslied,

Das Eiapopeia vom Himmel,

Womit man einlullt, wenn es greint,

Das Volk, den großen Lümmel.

 

Ich kenne die Weise, ich kenne den Text,

Ich kenn auch die Herren Verfasser;

Ich weiß, sie tranken heimlich Wein

Und predigten öffentlich Wasser.

 

Ein neues Lied, ein besseres Lied,

O Freunde, will ich euch dichten!

Wir wollen hier auf Erden schon

Das Himmelreich errichten.

 

Wir wollen auf Erden glücklich sein,

Und wollen nicht mehr darben;

Verschlemmen soll nicht der faule Bauch,

Was fleißige Hände erwarben.

 

Es wächst hienieden Brot genug

Für alle Menschenkinder,

Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust,

Und Zuckererbsen nicht minder.

 

Ja, Zuckererbsen für jedermann,

Sobald die Schoten platzen!

Den Himmel überlassen wir

Den Engeln und den Spatzen.

 

Fortsetzung unten

 

Frank V. Dudley, November Morning
Frank V. Dudley (1868-1957) war ein US-amerikanischer Landschaftsmaler.

Fortsetzung: Heine, Im traurigen Monat November war’s

 

Und wachsen uns Flügel nach dem Tod,

So wollen wir euch besuchen

Dort oben, und wir, wir essen mit euch

Die seligsten Torten und Kuchen.

 

Ein neues Lied, ein besseres Lied!

Es klingt wie Flöten und Geigen!

Das Miserere ist vorbei,

Die Sterbeglocken schweigen.

 

Die Jungfer Europa ist verlobt

Mit dem schönen Geniusse

Der Freiheit, sie liegen einander im Arm,

Sie schwelgen im ersten Kusse.

 

Und fehlt der Pfaffensegen dabei,

Die Ehe wird gültig nicht minder —

Es lebe Bräutigam und Braut,

Und ihre zukünftigen Kinder!

 

Ein Hochzeitkarmen ist mein Lied,

Das bessere, das neue!

In meiner Seele gehen auf

Die Sterne der höchsten Weihe —

 

Begeisterte Sterne, sie lodern wild,

Zerfließen in Flammenbächen —

Ich fühle mich wunderbar erstarkt,

Ich könnte Eichen zerbrechen!

 

Seit ich auf deutsche Erde trat,

Durchströmen mich Zaubersäfte —

Der Riese hat wieder die Mutter berührt,

Und es wuchsen ihm neu die Kräfte.

 

 

Franz Melchers, Het jaar - November
Franz Melchers (1868-1944) ein niederländischer Maler, Designer und Kupferstecher deutscher Herkunft, der hauptsächlich in Belgien und den Niederlanden Karriere machte.
 

Georg Heym 1887-1912

November

 

Blinde stehen im Weg. Ihre großen Lider

Sind wie kleine Felle heruntergehängt,

Eine Sonntagsglocke hinten, die über den Feldern

In der Turmspitze sanft sich schaukelt und schwenkt.

 

Manchmal ein Leierkasten irgendwo ferne.

Manchmal ein Ton, den der Wind verzehrt.

Und das Herz gibt der Trauer sich gerne,

Unter Wolken, da Sommer so ferne gekehrt.

 

Oben gehen noch einige Leute

Hoch und schwarz, und ihr Mantel fliegt,

Und die Pappeln sausen über die Himmel,

Braun mit den Köpfen, die Wind verbiegt.

 

Wer über die Höhen geht, spiegelt sich ferne,

In der winzigen Sonne, lichtlos und tot,

Und über der bergigen Schluchten Kühle

Löschet ein gelbes Abendrot.

 

Iwan Choultsé, Novembre
Iwan Fedorowitsch Choultsé (1874-1939) war ein Maler des russischen Realismus.

Ricarda Huch 1864-1947

November

 

Das Licht erlischt.

Die Nacht wird lang, es wachsen die Schatten,

Der Welt wird kahl, leer werden die Matten.

Wir essen Asche ins tägliche Brot gemischt –

Das Licht erlischt.

 

Das Licht ist tot.

Still sind die einst so fröhlichen Gassen,

Wieviel haben uns auf immer verlassen,

Die am Tisch mit uns saßen, mit uns brachen das Brot –

Das Licht ist tot.

 

Das Herz ist schwer.

Wo sind die vor uns dahingegangen?

Das Licht am Himmel wird neu erprangen,

Die toten Menschen kommen nie mehr – nie mehr –

Das Herz ist schwer.

 

George Clausen, Old Essex in November
George Clausen (1852-1844) war ein britischer Künstler, der mit Öl und Aquarell, Radierung, Mezzotinta, Trockenpunkt und gelegentlich Lithografien arbeitete.

Christian Morgenstern 1871-1914

Novembertag

 

Nebel hängt wie Rauch ums Haus,

drängt die Welt nach innen;

ohne Not geht niemand aus;

alles fällt in Sinnen.

 

Leiser wird die Hand, der Mund,

stiller die Gebärde.

Heimlich, wie auf Meeresgrund,

träumen Mensch und Erde.

 

Franklin de Haven, November
Franklin de Haven (1856-1934) war ein amerikanischer Maler.

Gustav Falke 1853-1916

November

 

Verloren friert der Mond im fahlen Blau

Des dämmernden Novemberhimmels ganz allein.

Kein Sternlein tröstet ihn. Irr flackt ein fahler Schein

Durchs traurige Gewirr der fast entlaubten Äste:

Der alten Eiche falln die Abendgäste,

Die grauen Krähn, ins ausgestorbne Haus.

Erzählen sich vom letzten Leichenschmaus

Und ziehn dann krächzend in ihr Nachtquartier

In langen Flügen durchs Revier.

Fern grenzt der Wald, ein schwarzer Strich, das Land,

Verschwimmend, bis sich Erd- und Himmelswand

Gespensterhaft im Schattenschoß verbinden.

Kein Hauch bewegt die Luft. Nur leise nahen, schwinden,

Verworrene Laute, Klagen der Natur,

Die auf des Sommers toter Spur

Ihr Witwenkleid mit müden Schritten schleift,

Vom weißen Licht schwermütigen Monds bereift.

Zu ihren Füßen unterm Nebel springt

Der bange Bach wie auf der Flucht und weint,

Weil bis zu ihm der stille Freund nicht dringt,

Mit dem er nächtens gern im Liebesspiel sich eint.

Ach, gestern fand ich dort,

Wo er durch Wiesen biegt

Und unterm Weidenbusch sich wie ein Schlänglein schmiegt,

Noch eine Blume am versteckten Ort

Und fand ein ausgebleichtes Endchen Band,

Womit ich Sommers dort ein zärtlich Kränzchen wand.

Für wen? Es schwamm hinab auf ungewisser Welle.

Schlecht träumt sichs heut von Licht und Helle.

Der kalte Nebel steigt und spinnt das Herz in Trauer.

- Novemberschauer.

 

 

Guy Orlando Rose, November twilight 1908
Guy Orlando Rose (1867-1925) war ein US-amerikanischer Maler und gilt als einer der Hauptvertreter des kalifornischen Impressionismus des späten 19. und angehenden 20. Jahrhunderts.

Helene Krüger 1861 - um 1940

 

Nebelschleier, feucht und schwer,

Wallten um die elfte Schwester,

Fröstelnd schreitet sie einher,

Zieht des Mantels Falten fester.

 

Ihre Augen blicken trüb',

Ach, dahin ist alles Prangen!

Was den heit'ren Schwestern lieb,

Ist zur Ruhe eingegangen.

 

Aber sieh, des Menschen Lust

Ruht nicht mit den Kreaturen,

Jägereifer in der Brust

Folgt er kühn des Wildes Spuren.

 

Leicht entdeckt im weichen Schnee

Von der losgelass'nen Meute,

Werden Häslein, Fuchs und Reh

Seiner Flinte sichre Beute.

 

Auch November, feucht und grau,

Bietet seinem Herzen Freuden,

Und er sieht die hohe Frau

Ungern nur von hinnen scheiden.

 

Theodore C. Steele, November morning, 1904
Theodore Clement Steele (1847-1926) war ein amerikanischer impressionistischer Maler, der für seine Landschaften in Indiana bekannt war.
 

Martin Greif 1839-1911

Novemberstimmung

 

Die Flur umher

es kalt durchweht,

wo nirgend mehr

ein Blümlein steht.

 

Im Wald zerstiebt

das welke Laub –

Die ich geliebt,

sind alle Staub.

 

Sich frühe neigt

der Sonne Lauf,

am Himmel steigt

der Mond herauf.

 

Es füllt sich sacht

das Sternenzelt.

Sie sind erwacht

in jener Welt.

 

John Atkinson Grimshaw, A November Morning
John Atkinson Grimshaw (1836-1893) war ein englischer Maler.

Wilhelm Müller 1794-1827

November

 

Zu rechter Zeit hab' ich dir's angesehen,

Daß du, auf Tanz und Jagd und Becherklingen,

Verlangen fühlst nach würdigeren Dingen,

Womit ich gleich dir kann zu Diensten stehen.

 

Durch Leipzigs volle Laden ging ich spähen,

Was uns die deutschen Pressen Neues bringen:

Die Bogen, die noch auf den Seilen hingen,

Sie mußten ungetrocknet mit mir gehen.

 

Sparöfen kauft' ich auch und Sorgenstühle,

Kaffee und Knaster von der besten Sorte,

Und lange runde Bernsteinpfeifenspitzen.

 

Entreiß' dich, Freund, dem eitlen Weltgewühle:

Ich führe zu der Weisheit heil'gen Pforte

Die Jünger, ohne sehr sie zu erhitzen.

 

Theodore C. Steele, November's harmony, 1893
Theodore Clement Steele (1847-1926) war ein amerikanischer impressionistischer Maler, der für seine Landschaften in Indiana bekannt war.

Heinrich Kämpchen 1847-1912

November

 

Nun ist in Sturmestosen

Das Sonnengold verglüht,

Verblüht sind alle Rosen,

Die Astern auch verblüht. –

 

Und wie des Waldes Bäume

Entblättert steh’n und kahl,

So sind des Sommers Träume

Verblichen auch zumal. –

 

Fort ist das Schaugepränge

Der Farben blau und rot,

Fort sind die Lustgesänge,

Die Feld und Wald uns bot. –

 

Schon zieht’s mit leisem Beben

Durch die bereifte Flur,

Und finst’re Mächte weben

Das Bahrtuch der Natur. –

 

Wie lange noch, wie lange?

Dann ist das Werk vollbracht –

Und sie, die todesbange,

Schläft in der Winternacht. –

 

Olga Wisinger-Florian, Jardin du restaurant en novembre (Mofi de Bisamberg), 1903, Wien, Musée Léopold Collection privée
Olga Wisinger-Florian (1844-1926) war eine österreichische Malerin des Impressionismus.

Clara Müller-Jahnke 1860-1905

Im Novembersturm

 

Der Sturmwind rast und der Regen schlägt

ans Fenster in schweren Tropfen –

Ich fühl in der tollen Novembernacht

mein Herz wohl hörbar klopfen.

 

Es schlägt in brennender Ungeduld

sehnsüchtig und beklommen ...

Ach, wenn die Stunde doch Flügel hätt'

und wäre der Winter gekommen!

 

Und deckte die Ströme das blinkende Eis

und der Schnee die schweigende Runde –

und wären wir endlich allein, allein

in der heimlichen Mitternachtsstunde!

 

O Liebster, Liebster, – der Sturmwind rast

und der Regen rauscht endlos nieder –

mir aber fluten durch Haupt und Herz

traumselige Liebeslieder.

 

Magnus Hjalmar Munsterhjelm, November Evening
Magnus Hjalmar Munsterhjelm (1840-1905) war ein finnischer Landschaftsmaler der Düsseldorfer Schule.

Heinrich Lersch 1889-1936

November

 

Es weint ein schmerzlich

Lied sich durch den Wald,

ist's Vogel- oder Menschenton?

Ist es der Wind, der Äste geigt?

 

Der Nordwind hat sich aufgemacht,

er fegte erst die Felder kahl;

dann ging er durch den Sommerwald

und nahm die bunten Stimmen mit

und trank der Blätter grünes Blut.

 

Nun deckt ein Schleier, grau und dicht,

das welke Antlitz der Natur,

dass niemand ihren Kummer sieht.

Es weint ein schmerzlich Lied

sich durch den Wald.

 

 

James Thomas Watts, November Evening in a Welsh Wood
James Thomas Watts (1853–1930) war ein englischer Maler.

Bruno Wille 1860-1928

Novemberlaub

 

Auf stöhnender Föhre fidelt der Sturm

Heulende düstre Balladen;

Es schnaubt sein Odem, nebelfeucht

Von nordischen Seegestaden.

 

So trübe der Himmel, als wär's schon spät.

Die Wolken pilgern traurig.

Im Strudel taumelt verkommenes Laub

Um Baumgerippe so schaurig.

 

Ein letztes Blättchen am Dornenstrauch

Fröstelt in starrem Weh ...

O mach ein Ende, Novembersturm!

Deck zu, du wogender Schnee!

 

Lovell Birge Harrison, Novembre
Lovell Birge Harrison (1854-1929) war ein amerikanischer Genre- und Landschaftsmaler, Lehrer und Schriftsteller.

Erich Kästner 1899-1974

Der November     

 

Ach, dieser Monat trägt den Trauerflor ...

Der Sturm ritt johlend durch das Land der Farben.

Die Wälder weinten. Und die Farben starben.

Nun sind die Tage grau wie nie zuvor.

Und der November trägt den Trauerflor.

 

Der Friedhof öffnete sein dunkles Tor.

Die letzten Kränze werden feilgeboten.

Die Lebenden besuchen ihre Toten.

In der Kapelle klagt ein Männerchor.

Und der November trägt den Trauerflor.

 

Was man besaß, weiß man, wenn man's verlor.

Der Winter sitzt schon auf den kahlen Zweigen.

Es regnet, Freunde, und der Rest ist Schweigen.

Wer noch nicht starb, dem steht es noch bevor.

Und der November trägt den Trauerflor ...

 

Edward Wilkins Waite, A Brief November Day
Edward Wilkins Waite (1854-1924) war ein englischer Landschaftsmaler.

Wilhelm Engelhardt 1857-1935

Totensonntag 1893

 

Heute mir und morgen dir!

So hört man die Glocken klingen,

Wenn wir die Verstorbenen hier

Auf den Gottesacker bringen.

Aus den Gräbern ruft's herfür:

Heute mir und morgen dir!

 

Heute rot und morgen tot!

Unser Leben eilt auf Flügeln,

Und wir haben's täglich not,

Dass wir uns an Andern spiegeln.

Wie bald ruft des Herrn Gebot:

Heute rot und morgen tot!

 

Mensch, es ist der alte Bund,

Und der Tod zählt keine Jahre;

Bist du heute noch gesund,

Denk an keine Totenbahre!

Jedem kommt die letzte Stund',

Mensch, das ist der alte Bund!

 

Ach, wer weiß, wie nah mein Tod!

Ich will sterben, eh' ich sterbe,

So wird mir die letzte Not

Wenn sie kommt, doch nicht zu herbe.

Rüste mich dazu mein Gott!

Ach, wer weiß, wie nah mein Tod!

 

Selig, wer in Christo stirbt!

Denn ihm wird der Tod zum Leben;

Der das Leben hier erwirbt,

Dem nur wird es dort gegeben.

Wer nicht lebet, der verdirbt:

Selig, wer in Christo stirbt!

 

 

 

Olga

Wisinger-Florian, November, Wien Musée Léopold Collection privée
Olga Wisinger-Florian (1844-1926) war eine österreichische Malerin des Impressionismus.

Josef Weinheber 1892-1945

November

 

Im Kirchhof brennt das stille Licht.

Die Toten ruhen, weine nicht.

Geborgen in der Erd, vergeht

der Keim, umdaß er aufersteht.

Martini Reif, Andreä Schnee,

die Magd trägt aus ihr süßes Weh.

Vom Hochwald dröhnt der Büchsenhall,

es stampft das Vieh im warmen Stall,

der Nebel hüllt das stille Land,

die Kerze ist herabgebrannt.

Laß frosten, laß vergehn, laß schnein!

Der Mensch muß wach und einsam sein.

 

 

Gustav Adolf Closs, Die zwölf Monate, November
Gustav Adolf Carl Closs (bzw. Cloß; 1864-1938) war ein deutscher Maler, Illustrator und Heraldiker.

Erich Kästner 1899-1974

Stimmen aus dem Massengrab

(Für den Totensonntag, Anstatt einer Predigt)

 

Da liegen wir und gingen längst in Stücken.

Ihr kommt vorbei und denkt: sie schlafen fest.

Wir aber liegen schlaflos auf dem Rücken,

weil uns die Angst um Euch nicht schlafen läßt.

 

Wir haben Dreck im Mund. Wir müssen schweigen.

Und möchten schreien, bis das Grab zerbricht!

Und möchten schreiend aus den Gräbern steigen!

Wir haben Dreck im Mund. Ihr hört uns nicht.

 

Ihr hört nur auf das Plaudern der Pastoren,

wenn sie mit ihrem Chef vertraulich tun.

Ihr lieber Gott hat einen Krieg verloren

und läßt euch sagen: Laßt die Toten ruhn!

 

Ihr dürft die Angestellten Gottes loben.

Sie sprachen schön am Massengrab von Pflicht.

Wir lagen unten, und sie standen oben.

„Das Leben ist der Güter höchstes nicht.“

 

Da liegen wir, den toten Mund voll Dreck.

Und es kam anders, als wir sterbend dachten.

Wir starben. Doch wir starben ohne Zweck.

Ihr laßt Euch morgen, wie wir gestern, schlachten.

 

Vier Jahre Mord, und dann ein schön Geläute!

Ihr geht vorbei und denkt: sie schlafen fest.

Vier Jahre Mord, und ein paar Kränze heute.

Verlasst Euch nie auf Gott und seine Leute!

Verdammt, wenn ihr das je vergeßt!

 

 

Julie de Graag,

Memento Mori, 1916

Das gefährlichste

Möbelstück ist die

›Lange Bank‹,
das gefährlichste

Instrument die

›Alte Leier‹.
Abraham a Sancta Clara

Wer Trinken, Rauchen und Sex aufgibt,

lebt auch nicht länger.

Es kommt ihm nur so vor.
Sigmund Freud

Tradition ist die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche.
Gustav Mahler

Was wir brauchen,

sind ein paar verrückte Leute;

seht euch an,

wohin uns die Normalen gebracht haben.
George Bernard Shaw

Der Kluge lernt aus allem
und von jedem,
der Normale aus
seinen Erfahrungen und
der Dumme
weiß alles besser.
Sokrates
Es ist schon alles gesagt,
nur noch nicht von allen.
Karl Valentin

Um ernst zu sein,

genügt Dummheit,

während zur Heiterkeit

ein großer Verstand unerläßlich ist.
William Shakespeare

Blüte edelsten Gemütes
ist die Rücksicht;
doch zuzeiten
sind erfrischend

wie Gewitter
goldne Rücksichtslosigkeiten.

Theodor Storm

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Franz Dewes

fjdewes@buchkult-dewes.de

 

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