Alte deutsche Namen für die lateinische Bezeichnung November sind Windmond (eingeführt von Karl dem Großen im 8. Jahrhundert), Wintermonat und Nebelung. In den Niederlanden wurde der Monat auch Schlachtmond oder Schlachtemonat genannt, da zu dieser Zeit das Einschlachten der Schweine üblich war. Aufgrund der zahlreichen Anlässe des Totengedenkens trägt der November auch die Bezeichnung Trauermonat.
Im römischen Kalender war der November ursprünglich der neunte Monat (lat. novem = neun). Im Jahr 153 v. Chr. wurde der Jahresbeginn allerdings um zwei Monate vorverlegt, sodass die direkte Beziehung zwischen Name und Monatszählung verloren ging. Dies wird manchmal bei der Übertragung der früher oft verwendeten lateinischen Datumsangaben vergessen. Unter Kaiser Commodus wurde der Monat in Romanus umbenannt, nach dem Tod des Kaisers erhielt er aber wieder seinen alten Namen zurück.
Très Riches Heures, Novembre
Die Brüder von Limburg (Paul, Johan und Herman) waren niederländische Miniaturmaler. Das Stundenbuch des Herzogs von Berry (französisch Les Très Riches Heures du Duc de Berry bzw. kurz Très Riches
Heures) ist das berühmteste illustrierte Manuskript des 15. Jahrhunderts. Es handelt sich um ein ausgesprochen reichhaltig verziertes Stundenbuch, das 208 Blätter mit 21,5 cm Breite und 30 cm Höhe
enthält, von denen etwa die Hälfte ganzseitig bebildert sind.
Erich Kästner
Der November
Ach, dieser Monat trägt den Trauerflor ...
Der Sturm ritt johlend durch das Land der Farben.
Die Wälder weinten. Und die Farben starben.
Nun sind die Tage grau wie nie zuvor.
Und der November trägt den Trauerflor.
Der Friedhof öffnete sein dunkles Tor.
Die letzten Kränze werden feilgeboten.
Die Lebenden besuchen ihre Toten.
In der Kapelle klagt ein Männerchor.
Und der November trägt den Trauerflor.
Was man besaß, weiß man, wenn man's verlor.
Der Winter sitzt schon auf den kahlen Zweigen.
Es regnet, Freunde, und der Rest ist Schweigen.
Wer noch nicht starb, dem steht es noch bevor.
Und der November trägt den Trauerflor ...
Heinrich Heine 1797–1856
Im traurigen Monat November war’s
Im traurigen Monat November war’s,
Die Tage wurden trüber,
Der Wind riß von den Bäumen das Laub,
Da reist ich nach Deutschland hinüber.
Und als ich an die Grenze kam,
Da fühlt ich ein stärkeres Klopfen
In meiner Brust, ich glaube sogar
Die Augen begunnen zu tropfen.
Und als ich die deutsche Sprache vernahm,
Da ward mir seltsam zumute;
Ich meinte nicht anders, als ob das Herz
Recht angenehm verblute.
Ein kleines Harfenmädchen sang.
Sie sang mit wahrem Gefühle
Und falscher Stimme, doch ward ich sehr
Gerühret von ihrem Spiele.
Sie sang von Liebe und Liebesgram,
Aufopfrung und Wiederfinden
Dort oben, in jener besseren Welt,
Wo alle Leiden schwinden.
Sie sang vom irdischen Jammertal,
Von Freuden, die bald zerronnen,
Vom Jenseits, wo die Seele schwelgt
Verklärt in ew’gen Wonnen.
Sie sang das alte Entsagungslied,
Das Eiapopeia vom Himmel,
Womit man einlullt, wenn es greint,
Das Volk, den großen Lümmel.
Ich kenne die Weise, ich kenne den Text,
Ich kenn auch die Herren Verfasser;
Ich weiß, sie tranken heimlich Wein
Und predigten öffentlich Wasser.
Ein neues Lied, ein besseres Lied,
O Freunde, will ich euch dichten!
Wir wollen hier auf Erden schon
Das Himmelreich errichten.
Wir wollen auf Erden glücklich sein,
Und wollen nicht mehr darben;
Verschlemmen soll nicht der faule Bauch,
Was fleißige Hände erwarben.
Es wächst hienieden Brot genug
Für alle Menschenkinder,
Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust,
Und Zuckererbsen nicht minder.
Ja, Zuckererbsen für jedermann,
Sobald die Schoten platzen!
Den Himmel überlassen wir
Den Engeln und den Spatzen.
Und wachsen uns Flügel nach dem Tod,
So wollen wir euch besuchen
Dort oben, und wir, wir essen mit euch
Die seligsten Torten und Kuchen.
Ein neues Lied, ein besseres Lied!
Es klingt wie Flöten und Geigen!
Das Miserere ist vorbei,
Die Sterbeglocken schweigen.
Die Jungfer Europa ist verlobt
Mit dem schönen Geniusse
Der Freiheit, sie liegen einander im Arm,
Sie schwelgen im ersten Kusse.
Und fehlt der Pfaffensegen dabei,
Die Ehe wird gültig nicht minder —
Es lebe Bräutigam und Braut,
Und ihre zukünftigen Kinder!
Ein Hochzeitkarmen ist mein Lied,
Das bessere, das neue!
In meiner Seele gehen auf
Die Sterne der höchsten Weihe —
Begeisterte Sterne, sie lodern wild,
Zerfließen in Flammenbächen —
Ich fühle mich wunderbar erstarkt,
Ich könnte Eichen zerbrechen!
Seit ich auf deutsche Erde trat,
Durchströmen mich Zaubersäfte —
Der Riese hat wieder die Mutter berührt,
Und es wuchsen ihm neu die Kräfte.
Stefan George 1868-1933
Novemberrose...
Sag mir blasse Rose dort
Was stehst du noch an so trübem ort?
Schon senkt sich der herbst am zeitenhebel
Schon zieht an den bergen novembernebel.
Was bleibst du allein noch blasse rose?
Die letzte deiner gefährten und schwestern
Fiel tot und zerblättert zur erde gestern
Und liegt begraben im mutterschoosse...
Ach mahne mich nicht dass ich mich beeile!
Ich warte noch eine kleine weile.
Auf eines jünglings grab ich stehe:
Er vieler hoffnung und entzücken
Wie starb er? Warum? Gott es wissen mag!
Eh ich verwelke eh ich vergehe
Will ich sein frisches grab
noch schmücken
Am totentag.
Felix Dahn 1834-1912
November
Die Luft ist grau, das Feld steht kahl,
Die dumpfen Nebel spinnen:
Kein Ton, kein Sang, kein Farbenstrahl: –
Glück zog und Glanz von hinnen.
Rings Stille – matt starb selbst der Wind –
Ein Rabe huscht an den Steinen:
Mir ist, ich hör' mein fernes Kind
Bitter, bitter weinen.
Max Dauthendey 1867-1918
November
Grau verwirrt der leere Wald.
Mit tausend blauglühenden Ätheraugen,
Hoch durch schwarzen Fichtenbehang,
Irren Heere blauer gigantischer Blüten.
Von fremden Dolden,
Niemand hat je sie belauscht,
Blüht jeder Morgen im Grase
Eisiger Samen.
Graue Frauen,
Die lautlos im Reigen kamen,
Sind lautlos gegangen.
Der Bleichen Juwelen
Strahlende Fäden
Irisgrün, irisgolden,
Hangen an allen Zweigen.
In nackten Kronen singen
Wachszarte Ströme der Sonne.
Um bloße Säulen,
Auf weißen Schwingen kreist
Einäugig ein Aar,
Das Schweigen.
Martin Greif 1839-1911
Novemberstimmung
Die Flur umher
es kalt durchweht,
wo nirgend mehr
ein Blümlein steht.
Im Wald zerstiebt
das welke Laub –
Die ich geliebt,
sind alle Staub.
Sich frühe neigt
der Sonne Lauf,
am Himmel steigt
der Mond herauf.
Es füllt sich sacht
das Sternenzelt.
Sie sind erwacht
in jener Welt.
Arno Holz 1863-1929
Unter
dunkelen, treibenden,
tiefschwerschleppenden Novemberwolken
verdämmert ... die Heide!
Gebückt
am Wegrand, kopfnickstumm
sitzt du, starrst du
und
... stierst ...
auf ... deine welken ... Hände.
Hofft,
harrt und ... hämmert in dir
noch
ein ... Herz?
Lebst ... du ... noch?
Schleichend,
unheimlich und tückisch,
durch
schwarzes, spitzes,
feuchtstarres Stachelgras
immer
näher und näher,
ein
klapperndes ... Rascheln.
Schauernd, eiskalt,
genickhoch
ein ... Hauch.
Gemartert,
im Dornenstrauch,
windgepackt, windgezwackt,
windgezaust
zittert ... ein ... letztes
Blättchen!
Heinrich Hoffmann 1809-1894
November
Trüber Himmel, raue Tage
Kommen sicher jedes Jahr;
Schwere Sorgen, harte Plage,
Jedes Leben bringt sie dar.
Doch bedenkt, die heitern Stunden
Hätten nie euch so beglückt,
Hättet ihr nicht überwunden,
Was in trüben euch bedrückt.
Klabund 1890-1928
Novemberelegie
Ich habe gestern ein Gedicht an dich geschrieben.
Ich saß am offenen Fenster.
Ich fröstelte.
Der Herbstwind wehte.
Er hat’s verweht.
Als du zu mir kamst,
Standen zwei alte Weiber im Hausflur.
Sie krächzten hinter dir her
Wie Krähen.
Du hüpftest wie eine Bachstelze stolz und zierlich.
Öde ist die Welt, ein braches Feld, und böse sind die Menschen.
Küsse mich mit deinen braunen Augen
Und wirf die Arme
Wie weiße Fliederäste um mich
Und schenke mir, dem herbstlich taumelnden,
Den Sommer,
Schenke
Noch einmal Sommer mir
Und weiße Rosen,
Letztes Licht.
Da nun der Winter eisig reisig klirrt
Und weißer Schnee die Wege wirrt:
Wohin soll ich wandern?
Wo soll ich bleiben,
Ich Habenichts,
Weißnichts,
Kannnichts?
Ich liege schon im offnen Sarg.
Küss meine kalten Lippen,
Um die der Schneesturm stob,
Ein letztes Mal
Und schlag den Deckel zu
Und geh ins Leben
Und lächle deiner Tränen. Lebe!
Liebe!
Und sei geliebt! Gelobt! Bedankt!
Helene Krüger 1861-?
Nebelschleier, feucht und schwer,
Wallten um die elfte Schwester,
Fröstelnd schreitet sie einher,
Zieht des Mantels Falten fester.
Ihre Augen blicken trüb',
Ach, dahin ist alles Prangen!
Was den heit'ren Schwestern lieb,
Ist zur Ruhe eingegangen.
Aber sieh, des Menschen Lust
Ruht nicht mit den Kreaturen,
Jägereifer in der Brust
Folgt er kühn des Wildes Spuren.
Leicht entdeckt im weichen Schnee
Von der losgelass'nen Meute,
Werden Häslein, Fuchs und Reh
Seiner Flinte sichre Beute.
Auch November, feucht und grau,
Bietet seinem Herzen Freuden,
Und er sieht die hohe Frau
Ungern nur von hinnen scheiden.
Conrad Ferdinand Meyer 1825-1898
Novembersonne
In den ächzenden Gewinden
Hat die Kelter sich gedreht,
Unter meinen alten Linden
Liegt das Laub hoch aufgeweht.
Dieser Erde Werke rasten,
Schon beginnt die Winterruh -
Sonne, noch mit unverblassten,
Goldnen Strahlen wanderst du!
Ehe sich das Jahr entlaubte,
Gingen, traun, sie müßig nie,
Nun an deinem lichten Haupte
Flammen unbeschäftigt sie.
Erst ein Ackerknecht, ein Schnitter,
Und ein Traubenkoch zuletzt
Bist du nun der freie Ritter,
Der sich auf der Fahrt ergetzt.
Und die Schüler, zu den Bänken
Kehrend, grüßen jubelvoll,
Hingelagert vor den Schenken,
Dich als Musengott Apoll.
Heinrich Seidel 1842-1906
November
Solchen Monat muss man loben:
Keiner kann wie dieser toben,
Keiner so verdrießlich sein
Und so ohne Sonnenschein!
Keiner so in Wolken maulen,
Keiner so mit Sturmwind graulen!
Und wie nass er alles macht!
Ja, es ist ’ne wahre Pracht.
Seht das schöne Schlackerwetter!
Und die armen welken Blätter,
Wie sie tanzen in dem Wind
Und so ganz verloren sind!
Wie der Sturm sie jagt und zwirbelt
Und sie durcheinanderwirbelt
Und sie hetzt ohn’ Unterlass:
Ja, das ist Novemberspaß!
Und die Scheiben, wie sie rinnen!
Und die Wolken, wie sie spinnen
Ihren feuchten Himmelstau
Ur und ewig, trüb und grau!
Auf dem Dach die Regentropfen:
Wie sie pochen, wie sie klopfen!
Schimmernd hängt’s an jedem Zweig,
Einer dicken Träne gleich.
O, wie ist der Mann zu loben,
Der solch' unvernünft’ges Toben
Schon im Voraus hat bedacht
Und die Häuser hohl gemacht!
So, dass wir im Trocknen hausen
Und mit stillvergnügtem Grausen
Und in wohlgeborgner Ruh
Solchem Gräuel schauen zu!
Franz Werfel 1890-1945
Madonna mit den Krähen
Es ist November in der Welt.
Der Baum hebt nackt sein Krüppelbein.
Gebüsch bebt, bettelnd hingestellt.
Vereinsamt stiert der Meilenstein.
Frech wie ein Storch auf brachem Feld
Die alte Vogelscheuche lungert.
Die Mutter schleppt sich querfeldein.
Das Kindlein friert, das Kindlein hungert.
So grau war noch November nie.
Die Mutter rastet auf dem Stein.
Das Kind liegt schlaff auf ihrem Knie.
Wie sie allein ist nichts allein.
Wohl besser wär’s, es würde schnein,
Verschnein die Weiten und die Nähen,
Sie hebt den Kopf, sie hört ein Schrein,
Die Krähen kommen, hundert Krähen ...
Das Volk rauscht durch die Luft und schlägt
Und taumelt um Marias Haupt.
Doch keine Kräh im Schnabel trägt
Ein Bröcklein, fluges wo geklaubt.
Nie war die Welt so ausgeraubt.
Die Krähen rings verzweifelt streichen,
Aus Feld und Bäumen, todentlaubt,
Der Mutter Speisung darzureichen.
Nicht Korn und Haselnuss gibt’s mehr.
So kahl war kein November noch,
Und keine Nacht so liebeleer
Wie diese, die jetzt näherkroch.
Die Schwärze schlurft aus Schlucht und Loch.
Maria haucht, ihr Kind zu wärmen,
Und beugt sich tief, wenn immer noch
Die Krähn sie wahnsinnschrill umschwärmen.
Max Dauthendey 1867-1918
November
Bin heut im erstarrten Garten gewesen,
Wo ich in deinem Auge einst Lieder gelesen;
Wo die Biene den Tropfen Seligkeit sog,
Und wie ein Stückchen Himmel der Schmetterling flog.
Wo der Mond aufstieg wie der Liebe Lob,
Wie ein Herz, das sich von der Erde hob,
Und wo jetzt die Wurzeln der Blumen verwesen,
Hab ich in toten Blättern noch Lieder gelesen.
Ricarda Huch 1864-1947
November
Das Licht erlischt.
Die Nacht wird lang, es wachsen die Schatten,
Der Welt wird kahl, leer werden die Matten.
Wir essen Asche ins tägliche Brot gemischt –
Das Licht erlischt.
Das Licht ist tot.
Still sind die einst so fröhlichen Gassen,
Wieviel haben uns auf immer verlassen,
Die am Tisch mit uns saßen, mit uns brachen das Brot –
Das Licht ist tot.
Das Herz ist schwer.
Wo sind die vor uns dahigegangen?
Das Licht am Himmel wird neu erprangen,
Die toten Menschen kommen nie mehr – nie mehr –
Das Herz ist schwer.
Elisabeth Kulmann 1808-1825
Die letzten Blumen starben
Die letzten Blumen starben!
Längst sank die Königin
Der warmen Sommermonde,
Die holde Rose hin!
Du, hehre Georgine,
Erhebst nicht mehr dein Haupt!
Selbst meine hohe Pappel
Sah ich schon halb entlaubt.
Bin ich doch weder Pappel,
Noch Rose, zart und schlank;
Warum soll ich nicht sinken,
Da selbst die Rose sank?
Ernst Lissauer 1882-1927
Erwachen im November
Ist nicht ein Gram gesessen mir zu Häupten?
Ich schlief so hart und bin so dumpf erwacht;
Als ob Gewölke blasser Asche stäubten,
Färbt sich mit schalem Tag die Nacht.
Noch kann ich nicht die Stube sehen.
Sie ist voll Schwermut wie ein Schiff voll Fracht.
Noch weiß ich keinen Schmerz. Jedoch er wird geschehen.
Clara Müller-Jahnke 1860-1905
Im Novembersturm
Der Sturmwind rast und der Regen schlägt
ans Fenster in schweren Tropfen –
Ich fühl in der tollen Novembernacht
mein Herz wohl hörbar klopfen.
Es schlägt in brennender Ungeduld
sehnsüchtig und beklommen ...
Ach, wenn die Stunde doch Flügel hätt'
und wäre der Winter gekommen!
Und deckte die Ströme das blinkende Eis
und der Schnee die schweigende Runde –
und wären wir endlich allein, allein
in der heimlichen Mitternachtsstunde!
O Liebster, Liebster, – der Sturmwind rast
und der Regen rauscht endlos nieder –
mir aber fluten durch Haupt und Herz
traumselige Liebeslieder.
Anna Ritter 1865-1921
Novemberabend
Kein Licht am Himmel,
Kein Laut auf den Gassen ...
In Dunkel und Stille,
Wie bin ich verlassen.
Es rauschen die Bäume ...
Der Wind hebt sich leise
Zu friedloser Irrfahrt,
Zu freudloser Reise.
Das Feuer im Ofen
Sinkt knisternd zusammen,
Von Asche begraben,
Ersticken die Flammen.
Die Lampe nur leuchtet
Hinein in das Zimmer
Und breitet um Alles
Den ruhigen Schimmer.
Sie weckt an den Wänden
Die Bilder der Lieben
Und segnet das Lied,
Das ich weinend geschrieben.
Und weiß wie ein Freund
Von vergangenen Tagen
Mir tausend vergessene
Dinge zu sagen.
Die tönen wie Märchen
Voll Sonne und Freude
Hinein in das graue,
Verlassene Heute.
Max Dauthendey 1867-1918
Erster November
Da draußen ist frühe Nebelnacht,
Die hat den Tag um Stunden bestohlen,
Hat aus den Fenstern Laternen gemacht.
Ich möchte mir den Mond herholen,
Dass ich einen hätt’, der ewig lacht,
Denn die Nacht ist wie ein schwarzes Bett.
Dort hat der Tod, wie auf Lagern aus Kohlen,
Gedankenlos als Dieb seine Ruhestätt’.
Weiß nicht, ist die Stadt draußen klein oder groß,
Ob Menschen drin hausen, oder bin ich allein,
Denn ein jeder Tag schwarz wie der Fluss fortfloss,
Und beklagt gingen viele zur Nacht hinein.
Auch Vater und Mutter haben gefragt,
Und niemandem wurde der Weg gesagt.
Auch Vater und Mutter wurden zu Stein,
Ein Stein, der sich über dem Grabe schloss.
Drauf lese ich heut’ ihre Namen bloß,
Nur noch die Namen sind beide mein.
Woher sie kamen, wohin sie gingen, -
Ich kann die Nacht nicht zum Reden zwingen.
Allerheiligen (lateinisch Festum Omnium Sanctorum) ist ein christliches Fest, an dem aller Heiligen gedacht wird, der „verherrlichten Glieder der Kirche, die schon zur Vollendung gelangt sind“, der bekannten wie der unbekannten. Das Fest wird in der Westkirche am 1. November begangen, in den orthodoxen Kirchen am ersten Sonntag nach Pfingsten.
Am Tag nach Allerheiligen, dem 2. November, begeht die römisch-katholische Kirche den Allerseelentag, an dem der Armen Seelen im Fegefeuer gedacht wird. Vielerorts wird die damit verbundene Gräbersegnung bereits am Nachmittag von Allerheiligen, dem arbeitsfreien staatlichen Feiertag, vorgenommen. Damit verbunden ist der Brauch, die Gräber vor allem mit Lichtern besonders zu schmücken. Auf den Mainzer Friedhöfen wird die traditionelle Mainzer Kerze, der Newweling, entzündet.
Georg Trakl 1887-1914
Allerseelen
An Karl Hauer
Die Männlein, Weiblein, traurige Gesellen,
Sie streuen heute Blumen blau und rot
Auf ihre Grüfte, die sich zag erhellen.
Sie tun wie arme Puppen vor dem Tod.
O! wie sie hier voll Angst und Demut scheinen,
Wie Schatten hinter schwarzen Büschen stehn.
Im Herbstwind klagt der Ungebornen Weinen,
Auch sieht man Lichter in der Irre gehn.
Das Seufzen Liebender haucht in Gezweigen
Und dort verwest die Mutter mit dem Kind.
Unwirklich scheinet der Lebendigen Reigen
Und wunderlich zerstreut im Abendwind.
Ihr Leben ist so wirr, voll trüber Plagen.
Erbarm' dich Gott der Frauen Höll' und Qual,
Und dieser hoffnungslosen Todesklagen.
Einsame wandeln still im Sternensaal.
Ludwig Bauer 1832-1910
Ich stand gelehnt am Leichenstein
Ich stand gelehnt am Leichenstein
Am Allerseelentag
Von hundert Kerzen lichter Schein
Auf all den stummen Gräbern lag.
Ich dachte, wie viel Glück und Schmerz
Hier tief begraben liegt,
Wie manches sturmbewegte Herz
Auf ewig ward zur Ruh gewiegt.
Da gingst du still vorbei an mir,
Ich sah dir ins Gesicht,
Und eine Thräne blitzte dir
Im Aug', bestrahlt vom Kerzenlicht.
Im tiefsten Herzen hat sich da
Ein Grab mir aufgethan,
Und die gestorb'ne Jugend sah
Aus deinem Aug' mich lebend an!
Giovanni Segantini, The pain comforted by the Faith (The comfort of the Faith)
Giovanni Segantini (1858-1899) war ein in Welschtirol als österreichischer Staatsbürger geborener Maler des realistischen Symbolismus. Er galt als Meister der Hochgebirgslandschaft und begann früh
mit der Freilichtmalerei.
Joachim Ringelnatz 1883-1934
Auf ein Grab
Ein Wind, gütig fächelnd,
Läßt Blätter und Tränen verwehn.
Empfange einst lächelnd,
Die weinend dir nachgesehn.
Gewesen, nicht vergessen;
Erinnert, doch verziehn.
Was uns Besitztum schien,
Hat keins von uns besessen,
War höchstens nur geliehn.
Rainer Maria Rilke 1875-1926
Schlußstück
Der Tod ist groß.
Wir sind die Seinen
lachenden Munds.
Wenn wir uns
mitten im Leben meinen,
wagt er zu weinen
mitten in uns.
Ferdinand von Saar 1833-1906
Trauer
Frühe schon aus leisem Schlummer
Stört mich auf der wache Kummer,
Und mit stumm getrag'ner Pein
Schreit' ich in den Tag hinein.
Immer schwerer das Vollbringen,
Immer selt'ner das Gelingen,
Und es schwindet die Geduld –
Und ich fühl' die eig'ne Schuld.
Fühl' es mit geheimem Beben:
Uferlos verrinnt mein Leben
In ein Meer von Qual und Noth –
Komm', o komme, Tod!
Franz Reinhold Fuchs 1858-1938
Allerseelen
Welch traumhaft stilles Schreiten
Den fahlen Hain entlang!
Rings müder Blätter Gleiten,
Und über Stoppelbreiten
Verlorner Glockenklang.
Was je dein Herz besessen
An Hoffnung, Glück und Leid,
Was unter Gruftzypressen
Geschlummert, halbvergessen,
Gibt klagend dir Geleit.
Gestalten, längst entschwunden,
Brechen des Grabes Bann:
Neu bluten alte Wunden,
Und tote Wonnestunden
Lächeln dich schmerzlich an.
Herz, heiß die Sehnsucht schweigen,
Die um Vergangnes wirbt! –
Die ew’gen Sterne steigen,
Die Heimat dir zu zeigen,
Wo jede Klage stirbt!
Johann Peter Glöckner*
Denk' an den Tod!
Denk' an den Tod
Mit seinen Schauern und mit seinen Schrecken!
Erschütternd tönt sein Wort, dich aufzuwecken,
Eh deinen Staub des Grabes Dunkel decken –
Denk' an den Tod!
Denk' an den Tod
Mit seinen Freuden und mit seinen Wonnen!
Beseligend, wenn Gram und Leid zerronnen,
Enthüllt er dir der ew'gen Heimat Sonnen –
Denk' an den Tod!
*Lebensdaten nicht bekannt, vermutlich lebte er im 19. Jahrhundert
Arno Holz 1863-1929
Ein Herz, das zersprungen
Den Menschen fernab
In Sammt und in Trauer
Liegt einsam ein Grab,
Ein Grab an der Mauer.
Kein Marmorstein deckt
Den sinkenden Hügel,
Doch drüberhin reckt
Ein Baum seine Flügel.
Ein Christuskreuz sieht
Aus blühendem Flieder
Und manchmal auch kniet
Ein Weib davor nieder.
Und gestern, als sacht
Ich vorübergegangen,
Da gab ich drauf Acht,
Was die Vögel dort sangen.
Ich lauschte und sieh,
Da war es die alte,
Die Schmerzmelodie,
Die noch niemals verhallte:
Ein Baum, der verblüht,
Ein Ton, der verklungen,
Ein Stern, der verglüht,
Ein Herz, das zersprungen!
Da Gedichte zu Allerheiligen und Allerseelen nicht sehr zahlreich sind, seien hier die Texte der fünf Kindertotenlieder von Friedrich Rückert wiedergegeben, die von Gustv Mahler vertont wurden.
Als Kindertodtenlieder bezeichnete der Dichter Friedrich Rückert die 428 Gedichte, die er unter dem Eindruck des Todes seiner Kinder Luise und Ernst 1833/1834 schrieb.
Die Gedichte erlangten Bekanntheit durch die Vertonung Gustav Mahlers. Der Historiker und Schriftsteller Hans Wollschläger nannte die Kindertodtenlieder „die größte Totenklage der Weltliteratur“.
Alle damals sechs Kinder Rückerts waren im Dezember 1833 an Scharlach erkrankt. Am 31. Dezember 1833 starb Rückerts seinerzeit einzige Tochter Luise (* 25. Juni 1830), am 16. Januar 1834 sein Sohn Ernst (* 1. Januar 1829). Die übrigen vier Kinder erholten sich von der Krankheit
Friedrich Rückert 1788–1866
In diesem Wetter, in diesem Braus
In diesem Wetter, in diesem Braus,
Nie hätt’ ich gesendet die Kinder hinaus;
Man hat sie hinaus getragen,
Ich durfte dazu nichts sagen.
In diesem Wetter, in diesem Saus,
Nie hätt’ ich gelassen die Kinder hinaus,
Ich fürchtete, sie erkranken,
Das sind nun eitle Gedanken.
In diesem Wetter, in diesem Graus,
Hätt’ ich gelassen die Kinder hinaus,
Ich sorgte, sie stürben morgen,
Das ist nun nicht zu besorgen.
In diesem Wetter, in diesem Braus,
Sie ruhn als wie in der Mutter Haus,
Von keinem Sturm erschrecket,
Von Gottes Hand bedecket.
Friedrich Rückert 1788–1866
Oft denk’ ich, sie sind nur ausgegangen
Oft denk’ ich, sie sind nur ausgegangen,
Bald werden sie wieder nach Haus gelangen,
Der Tag ist schön, o sei nicht bang,
Sie machen nur einen weitern Gang.
Ja wohl, sie sind nur ausgegangen,
Und werden jetzt nach Haus gelangen,
O sei nicht bang, der Tag ist schön,
Sie machen den Gang zu jenen Höhn
Sie sind uns nur voraus gegangen,
Und werden nicht hier nach Haus verlangen;
Wir holen sie ein auf jenen Höhn
Im Sonnenschein, der Tag ist schön
Friedrich Rückert 1788–1866
Wenn dein Mütterlein tritt zur Tür herein
Wenn dein Mütterlein
Tritt zur Tür herein,
Und den Kopf ich drehe,
Ihr entgegen sehe,
Fällt auf ihr Gesicht
Erst der Blick mir nicht,
Sondern auf die Stelle,
Näher nach der Schwelle,
Dort, wo würde dein
Lieb Gesichtchen sein,
Wenn du freudenhelle
Trätest mit herein,
Wie sonst, mein Töchterlein.
Wenn dein Mütterlein
Tritt zur Tür herein,
Mit der Kerze Schimmer,
Ist es mir, als immer
Kämst du mit herein,
Huschtest hinterdrein,
Als wie sonst ins Zimmer!
O du, des Vaters Zelle,
Ach, zu schnell, zu schnell,
Erloschner Freudenschein!
Friedrich Rückert 1788–1866
Nun seh' ich wohl, warum so dunkle Flammen
Nun seh' ich wohl, warum so dunkle Flammen
Ihr sprühtet mir in manchem Augenblicke,
O Augen, gleichsam um in einem Blicke
Zu drängen eure ganze Macht zusammen.
Dort ahnt' ich nicht, weil Nebel mich umschwammen,
Gewoben vom verblendenden Geschicke,
Daß sich der Strahl bereits zur Heimkehr schicke
Dorthin, von wannen alle Strahlen stammen.
Ihr wolltet mir mit eurem Leuchten sagen:
Wir möchten nah dir immer bleiben gerne,
Doch ist und das vom Schicksal abgeschlagen.
Sieh' recht uns an! denn bald sind wir dir ferne.
Was dir noch Augen sind in diesen Tagen,
In künft'gen Nächten sind es dir nur Sterne.
Friedrich Rückert 1788–1866
Nun will die Sonne so hell aufgehn
Nun will die Sonne so hell aufgehn,
Als sei kein Unglück die Nacht geschehn.
Das Unglück geschah auch mir allein,
Die Sonne, sie scheinet allgemein.
Du mußt die Nacht nicht in dir verschrenken,
Mußt sie ins ewige Licht versenken.
Ein Lämpchen verlosch in meinem Zelt,
Heil sei dem Freudenlichte der Welt!
Andreas Gryphius 1616-1664
Alles, was die Welt uns schenket,
Nimmt die Welt, wenn wir vergehn:
Liebe nur bleibt ewig stehn,
Lieb' ist, die kein Sterben kränket,
Liebe bricht durch Grab und Tod,
Liebe tritt mit uns vor Gott.
Theodor Fontane 1819-1898
Leben, wohl dem, dem es spendet
Freude, Kinder, täglich Brot,
Doch das Beste, was es sendet,
Ist das Wissen, daß es endet,
Ist der Ausgang, ist der Tod.
Alles ist nur Übergang.
Merke wohl die ernsten Worte:
Von der Stunde, von dem Orte
Treibt dich eingepflanzter Drang.
Tod ist Leben, Sterben Pforte.
Alles ist nur Übergang.
Unbekannt
Alte Brückeninschrift in Wien