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Theodor Fontane 1819-1898
Frühling
Nun ist er endlich kommen doch
in grünem Knospenschuh;
Er kam, er kam ja immer noch,
die Bäume nicken sich's zu.
Sie konnten ihn all erwarten kaum,
nun treiben sie Schuss auf Schuss;
im Garten der alte Apfelbaum,
er sträubt sich, aber er muss.
Wohl zögert auch das alte Herz
und atmet noch nicht frei;
es bangt und sorgt: Es ist erst März,
und März ist noch nicht Mai.
O schüttle ab den schweren Traum
und die lange Winterruh:
Es wagt es der alte Apfelbaum,
Herze, wag's auch du.
Kurt Tucholsky 1890-1935
Nicht! Noch nicht!
Ein leichter Suff umnebelt die Gedanken.
Verdammt! Der Frühling kommt zu früh.
Der Parapluie
steht tief im Schrank – die Zeitbegriffe schwanken.
Was wehen jetzt die warmen Frühlingslüfte?
Ein lauer Wind umsäuselt still
mich im April –
die Nase schnuppert ungewohnte Düfte.
Du lieber Gott, da ist doch nichts dahinter!
Und wie ein dicker Bär sich murrend schleckt,
zu früh geweckt,
so zieh ich mich zurück und träume Winter.
Ich bin zu schwach. Ich will am Ofen hocken –
die Animalität ist noch nicht wach.
Ich bin zu schwach.
Laternenschimmer will ich, trübe Dämmerung und dichte Flocken.
Ludwig Eichrodt 1827 - 1892
Frühling
Frühling, bist du wiedergekommen?
Lieblicher Lenz, du lachendes Kind!
Kommst du auf dem Fluß geschwommen?
Oder kommst du mit dem Wind?
Unter den weichen singenden Wellen,
Aus den Wassern melodisch klar,
Über die Hügel, die waldig schwellen,
Luget dein kluges Augenpaar.
Schaue ich nur in dein sonniges Auge,
Küsse ich nur deinen wonnigen Mund,
Trink ich von deinem blühenden Hauche,
Wird auch mein winterlich Herze gesund!
Heinrich Heine 1797-1856
Frühlingsbotschaft
Leise zieht durch mein Gemüt
Liebliches Geläute.
Klinge, kleines Frühlingslied.
Kling hinaus ins Weite.
Kling hinaus, bis an das Haus,
Wo die Blumen sprießen.
Wenn du eine Rose schaust,
Sag, ich laß sie grüßen.
Felix Mendelsohn-Bartholdy ergänzte den Text
für seine Vertonung durch eine Strophe
von Hoffmann von Fallersleben,
die er als zweite dazwischenschob:
2/
Sprich zum Vöglein, das da singt
Auf dem Blütenzweige;
Sprich zum Bächlein, das da klingt,
Daß mir keines schweige!
Fred Endrikat 1890-1942
Späte Freuden
Wenn ich mir die Welt beseh',
möcht' ich wie ein Böcklein hopsen.
Gestern schmolz der letzte Schnee.
heute sprießen schon die Knopsen.
Ja, der Winter war so rauh,
eisig bliesen seine Stürme.
Heute strahlt der Himmel blau
über Dächer, über Türme.
Alles Leid ist fortgefegt
wie mit einem sanften Besen,
und das Herz so ruhig schlägt.
so, als wäre nichts gewesen.
Lieber Frühling, komm geschwind,
bleib recht lang in diesem Jahre.
Ach, ich freu' mich wie ein Kind.
wie ein Kind im grauen Haare.
Was das arme Herz erhofft,
ist nun wirklich eingetreten.
Schön sind späte Freuden oft
wenn sie sich nur nicht verspäten.
Richard Dehmel 1863-1920
Der Frühlingskasper
Weil nun wieder Frühling ist,
Leute,
streu ich butterblumengelber Kasper
lachend
lauter lilablaue Asternblüten
hei ins helle Feld!
Lilablaue Astern, liebe Leute,
Astern
blühn im deutschen Vaterland bekanntlich
bloß im Herbst.
Aber Ich, ich butterblumengelber Kasper,
streue,
weil nun wieder heller Frühling ist,
tanzend
tausend dunkelblaue Asternblüten
hei in alle Welt!
Heinrich Seidel 1842-1906
Frühlingsbote
Der Frühling weiß zu finden
Mich tief in Stadt und Stein,
Gießt mir ins Herz den linden
Fröhlichen Hoffnungsschein.
Manch' grüne Wipfel lauschen
Zwischen den Dächern vor,
Ein Lerchenklang durch's Rauschen
Der Stadt schlägt am mein Ohr.
Ein Schmetterling als Bote
Flattert im Wind vorbei,
Hinschwebend über das todte
Steinerne Einerlei.
Kurt Tucholsky 1890-1935
Der Lenz ist da!
Das Lenzsymptom zeigt sich zuerst beim Hunde,
Dann im Kalender und dann in der Luft,
Und endlich hüllt auch Fräulein Adelgunde
Sich in die frischgewaschene Frühlingsluft.
Ach ja, der Mensch! Was will er nur vom Lenze?
Ist er denn nicht das ganze Jahr in Brunst?
Doch seine Triebe kennen keine Grenze –
Dies Uhrwerk hat der liebe Gott verhunzt.
Der Vorgang ist in jedem Jahr derselbe:
Man schwelgt, wo man nur züchtig beten sollt,
Und man zerdrückt dem Heiligtum das gelbe
Geblümte Kleid – ja, hat das Gott gewollt?
Die ganze Fauna treibt es immer wieder:
Da ist ein Spitz und eine Pudelmaid –
die feine Dame senkt die Augenlider,
Der Arbeitsmann hingegen scheint voll Neid.
Durch rauh Gebrüll läßt sich das Paar nicht stören,
Ein Fußtritt trifft den armen Romeo –
Mich deucht, hier sollten zwei sich nicht gehören…
Und das geht alle, alle Jahre so.
Komm, Mutter, reich mir meine Mandoline,
Stell mir den Kaffee auf den Küchentritt. –
Schon dröhnt mein Baß: Sabine, bine, bine…
Was will man tun? Man macht es schließlich mit.
Johann Wolfgang von Goethe 1749-1832
Mit einem gemalten Band
Kleine Blumen, kleine Blätter
Streuen mir mit leichter Hand
Gute junge Frühlings-Götter
Tändelnd auf ein luftig Band.
Zephir, nimms auf deine Flügel,
Schlings um meiner Liebsten Kleid!
Und so tritt sie vor den Spiegel
All in ihrer Munterkeit.
Sieht mit Rosen sich umgeben,
Selbst wie eine Rose jung.
Einen Blick, geliebtes Leben!
Und ich bin belohnt genung.
Fühle, was dies Herz empfindet,
Reiche frei mir deine Hand,
Und das Band, das uns verbindet,
Sei kein schwaches Rosenband!
Otto Prechtler 1813-1881
Wer keinen Frühling hat
Wer keinen Frühling hat, dem blüht er nicht!
Wer schweigt, dem tönt kein Echo hier auf Erden!
Weß Herz nicht dichtet, der faßt kein Gedicht,
Und wer nicht liebt, dem wird nicht Liebe werden.
Was ist der Geist, der nie zum Geiste spricht,
Der selbstgefällig will in sich verwesen?
Was ist ein Gemüt, das nie die Rinde bricht?
Was eine Schrift, die nicht und nie zu lesen?
Es findet jeder Geist verwandte Geister!
Kein Herz, das einsam ohne Liebe bricht!
Nur wer sich selbst verlor, ist ein Verwaister!
Wer keinen Frühling hat, dem blüht er nicht!
Cäsar Flaischlen 1864-1920
Ich möchte still am Wege stehn
Ich möchte still am Wege stehn
und möcht' es Frühling werden sehn,
ich könnt' noch immer wie ein Kind
bei jeder kleinen Knospe säumen!
Und klänge in den kahlen Bäumen
ein Vogeltriller … ach, ich könnt',
mir einen langen Sommer träumen
voll Klang und Glanz und Sonnenschein
und glücklich sein!
Friedrich Hölderlin 1770-1843
Der Frühling
Wenn auf Gefilden neues Entzücken keimt
Und sich die Ansicht wieder verschönt und sich
An Bergen, wo die Bäume grünen,
Hellere Lüfte, Gewölke zeigen,
O! welche Freude haben die Menschen! froh
Gehn an Gestaden Einsame, Ruh' und Lust
Und Wonne der Gesundheit blühet,
Freundliches Lachen ist auch nicht ferne.
Fred Endrikat 1890-1942
Pessimist im Lenz
Die Sonne lacht. Ja, ja – die hat gut lachen,
sie steht am Himmel – frisch, fromm, frei und froh.
Wenn ich die Sonne wär' – ich würd' es auch so machen.
Mir geht mit Grundeis leider der Popo.
Der Flieder blüht. Ja, ja – der hat gut blühen,
ihn schützt der Zaun und eine Gartentür.
Er ist geschützt vor Ochsen und den Kühen.
Ich stehe außerhalb – und wer schützt mir?
Die Amsel lockt. Ja, ja – die hat gut locken,
sie sitzt im Baum, es jubelt fern und nah.
Es jubeln alle Kirchen, Kuh- und Käseglocken:
Der Lenz und der Gerichtsvollzieher sind da.
Ludwig Uhland 1787-1847
Frühlingslied des Rezensenten
Frühling ists, ich laß es gelten,
Und mich freuts, ich muß gestehen,
Daß man kann spazieren gehen,
Ohne just sich zu erkälten.
Störche kommen an und Schwalben,
Nicht zu frühe! nicht zu frühe!
Blühe nur, mein Bäumchen, blühe!
Meinethalben, meinethalben!
Ja! ich fühl ein wenig Wonne,
Denn die Lerche singt erträglich,
Philomele nicht alltäglich,
Nicht so übel scheint die Sonne.
Daß es keinen überrasche,
Mich im grünen Feld zu sehen!
Nicht verschmäh ichs auszugehen,
Kleistens ›Frühling‹ in der Tasche!
Luise Otto-Peters 1819-1895
Erwachen
Der Frühling ist gekommen
Nach langer Winterszeit,
Das Eis ist fortgeschwommen,
Kein Weg ist mehr verschneit.
Die Lerchen singend schweben
Ob frisch ergrünter Flur,
Ringsum ein blühend Leben
Und neuen Schaffens Spur.
Ich weiß nicht was geschehen
In meiner eignen Brust?
Nie konnt ich so verstehen
Des Werdens ganze Lust.
Ein jubelndes Entzücken
Mich immer mehr erfüllt:
Was Glück ist – was Beglücken
Das wird mir jetzt enthüllt.
Die Liebe ist gekommen
Mit aller ihrer Macht!
Ihr Weckruf ward vernommen
Wie ich es nie gedacht.
Und aller Vöglein Lieder
Sie tönen in mir auch
Und Alles klinget wieder
Wie Offenbarungshauch.
Ludwig Anzengruber 1839 - 1889
Frühling
Wenn wir mit jedem neuen Jahre
Sich schmücken sehen Wald und Flur,
Beschleicht uns neidisches Empfinden
Ob unsers Lebens flücht'ger Spur.
Der Neid, daß uns kein Frühling wieder
Will kehren nach der Jugend Tagen,
Daß Bäumen gleich mit kahlen Ästen
Wir winterlich zum Himmel ragen!
Daß sich mit Blüten und mit Düften
Allimmerdar der Lenz erneut,
Indes das Schicksal auch nicht eine
Der Blumen auf den Weg uns streut!
Doch möchten wir uns nur bespiegeln
Im tiefen Born des Selbsterkennens,
Wir fänden selbst, als abgestorben,
Uns wert des Fällens und Verbrennens.
Es wäre auch in uns oft wieder
Ein neuer Frühling aufgewacht,
Wenn nicht der Herzen eis'ge Kälte
Ihn rasch erstarren hätt' gemacht!
Friedrich Rückert 1788-1866
Ich hab in mich gesogen
Ich hab’ in mich gesogen,
Den Frühling treu und lieb,
Dass er, der Welt entflogen,
Hier in der Brust mir blieb.
Hier sind die blauen Lüfte,
Hier sind die grünen Aun,
Die Blumen hier, die Düfte,
Der blühende Rosenzaun.
Und hier am Busen lehnet
Mit süssem Liebesach,
Die Liebste, die sich sehnet
Den Frühlingswonnen nach.
Sie lehnt sich an zu lauschen
Und hört in stiller Lust
Die Frühlingsströme rauschen
In ihres Dichters Brust.
Da quellen auf die Lieder
Und strömen über sie
Den vollsten Frühling nieder,
Den mir der Gott verlieh.
Und wie sie, davon trunken,
Umblicket rings im Raum,
Blüht auch von ihren Funken
Die Welt, ein Frühlingsstraum
vertont durch Robert Schumann
Max Dauthendey 1867-1918
Nie sangen die Vögel so lüstern.
Sonne und Winde flüstern
Von weichen, wonnigen Frauen,
Alle Bäume hangen voll Küsse,
Alle Lippen müssen verlangen,
Der Frühling ist hungersäend
Über die Erde gegangen.
Eduard Mörike 1804-1875
Im Frühling
Hier lieg ich auf dem Frühlingshügel:
Die Wolke wird mein Flügel,
Ein Vogel fliegt mir voraus.
Ach, sag mir, all-einzige Liebe,
Wo du bleibst, dass ich bei dir bliebe!
Doch du und die Lüfte, ihr habt kein Haus.
Der Sonnenblume gleich
steht mein Gemüte offen,
Sehnend, sich dehnend
In Lieben und Hoffen.
Frühling, was bist du gewillt?
Wann werd ich gestillt?
Die Wolke seh ich wandeln und den Fluss,
Es dringt der Sonne goldner Kuss
Mir tief bis ins Geblüt hinein;
Die Augen, wunderbar berauschet,
Tun, als schliefen sie ein,
Nur noch das Ohr dem Ton der Biene lauschet.
Ich denke dies und denke das,
Ich sehne mich, und weiss nicht recht, nach was:
Halb ist es Lust, halb ist es Klage;
Mein Herz, o sage,
Was webst du für Erinnerung
In golden grüner Zweige Dämmerung?
– Alte unnennbare Tage!
Joseph von Eichendorff 1788-1857
Frische Fahrt
Laue Luft kommt blau geflossen,
Frühling, Frühling soll es sein!
Waldwärts Hörnerklang geschossen,
Mut’ger Augen lichter Schein,
Und das Wirren bunt und bunter
Wird ein magisch wilder Fluß,
In die schöne Welt hinunter
Lockt dich dieses Stromes Gruß.
Und ich mag mich nicht bewahren!
Weit von Euch treibt mich der Wind,
Auf dem Strome will ich fahren,
Von dem Glanze selig blind!
Tausend Stimmen lockend schlagen,
Hoch Aurora flammend weht,
Fahre zu! ich mag nicht fragen,
Wo die Fahrt zu Ende geht!
Johann Christian Günther 1695-1723
Frühling
Hier setze dich, verschämtes Kind!
Hier ist gut sein, hier laß uns bleiben,
Wo Wind und Lind gesprächig sind,
Und Feld und Wald den Gram vertreiben;
In dieser grünen Einsamkeit,
Wo Bach und Stein und Blätter rauschen
Soll weder List, Gefahr noch Neid
Den süßen Frühlingsscherz belauschen.
Die Schätze deiner keuschen Zucht
Und der noch unberührten Brüste
Sind wahrlich eine seltne Frucht,
Nach der ich innerlich gelüste;
Erschrick nicht vor der schnellen Hand
Und laß sie um den Busen spielen,
Ich führe dich in einen Stand,
Des Lebens Kern und Mark zu fühlen.
Beschau die Werke der Natur,
Betrachte Bäume, Feld und Tiere,
Und lerne, wie der Liebe Spur,
Dich überall zum Scherzen führe!
Wodurch sind ich und du denn da?
Zu was bist du nebst mir geboren?
Der, so die Welt im Wesen sah,
Hat uns zum Lieben auserkoren!
Hermann Lingg 1820-1905
Frühlingssegen
Mein Herz, aus goldnen Jugendtagen,
Aus glücklicher Vergangenheit
In grünes Laub ist's ausgeschlagen,
Da lebt's und atmet und gedeiht.
Die Sehnsucht aber, die ich hatte,
Und mancher wundersüße Traum,
Sie säuseln jetzt im Lindenblatte
Und flüstern in dem Tannenbaum.
Ich lebe, wo die Finken schlagen,
Man kann mich in der Blütezeit
Nach Haus in einem Zweige tragen,
Gefangen bin ich und befreit.
Es bringt mir in der Morgenkühle
Des Sonntags reine Himmelslust
Die längst entschlummerten Gefühle
Erinnernd wieder in die Brust.
Hugo von Hofmannsthal 1874-1929
Abend im Frühling
Er ging. Die Häuser waren alle groß.
Am lichten Himmel standen schon die Sterne.
Die Erde war den Winter wieder los.
Er fühlte seine Stimme in der Kehle
Und hatte seine Hände wieder gerne.
Er war sehr müde, aber wie ein Kind.
Er ging die Straße zwischen vielen Pferden.
Er hätte ihre Stirnen gern berührt
Und rief ihr frühres Leben sich zurück
Mit unbewußten streichelnden Gebärden.
Peter Hammerschlag 1902-1942
Technischer Frühling
Mein Motorrad grast froh am Rain.
Der Frühling kommt. Die Stoppuhr schlägt.
Ich sehe wie ein Bäuerlein
Den Dampf-Pflug flott geschultert trägt.
Halb schüchtern naht ein Hanomag
Und küßt mein Rad auf beide Pneus ...
Die Platte trillert Lerchenschlag.
(Gespielt von den Jack-Hylton-Boys.)
Die Schwalben hocken in der Luft.
Der Telegraphendraht ist fort.
Lautsprecher nach dem Weibchen ruft.
Die Schnecken treiben Schnellkriechsport.
Im Himmel sitzt zur Stunde wohl
Der liebe Gott, so sanft und nett
Im sternbesäten Overall
Vor seinem großen Schalterbrett ...
Wir wollen fröhlich tun und spieln
Mit Tönen, Wellen, Stahl und Strahl.
Wenn wir uns dann verzweifelt fühln,
So hilft er uns wohl noch einmal ...
Rudolf Presber 1868-1935
Der Moderne
Nun hab' ich mein grämliches Winterweh
Sechs Monde mystisch gehütet
Und hab' auf manchem ästhetischen Tee
Pessimistische Eier gebrütet.
Mein Büchlein, das meinen Gram umschloß,
Kam in die besten Familien;
Mein Büchlein, das meinen Kummer ergoß
Auf stilisierte Lilien.
Die schlanken Mondänen durchforschten's mit Fleiß,
Und heimlich lasen's die Zofen;
Und alle tranken literweis
Mein Herzblut aus meinen Strophen.
Sie lobten an meiner Seele Not
Die Feuer, die zuckend verflammten,
Und sprachen von meinem nahen Tod
Mit der Ruhe des Standesbeamten…
Doch heut' ist draußen der Frühling erwacht,
Schon duftet's nach hellen Syringen –
Mein Herz spürt die Sonne und klopft und lacht
Und hört die Knospen springen.
Mein Herz zerreißt seinen Trauerflor,
Meine Jugend wird wieder munter,
Sie haut der Sorge eins hinter das Ohr
Und schmeißt sie die Treppe hinunter.
Vom junggrünen Teppich der Wiese her
Klingen Schalmeien und Tänze…
So werf' ich hinter der Fliehenden her
Die raschelnden Lorbeerkränze.
Und blinzelt zur Nacht mir ein lustiger Stern,
Ich folg' ihm augenblicklich –
O Gott, wie bin ich unmodern!
O Gott, wie bin ich glücklich!
Auguste Kurs 1815-1892
In den duftenden Frühling will ich hinaus
In den duftenden Frühling will ich hinaus,
Hinweg aus dem kalten, beengenden Haus
In die freie verlockende Weite;
Was soll mir der Bücher verdrießlicher Kram,
Die ich immer und immer vergeblicher nahm,
Ich werfe sie freudig zur Seite.
Denn find' ich nicht draußen der Blätter genug?
Da schimmert geheimnißvoll jeglicher Zug
Von des Ewigen eigenen Händen,
Das wieget die übrigen Lettern wohl auf,
So will ich denn auch in geflügeltem Lauf
Von dem Einen zum Andern mich wenden.
Da bin ich nun draußen und blicke umher,
Wie wird das Studiren schon wieder mir schwer,
Hier unter den blühenden Bäumen!
Sie senden schon Blüthe auf Blüthe mir zu,
So will ich hier rasten in seliger Ruh,
Und will nur genießen und träumen.
Fred Endrikat 1890-1942
Frühling ist's!
Frühling ist's! Die Hennen glucksen.
Veilchen raus - und weiße Buxen.
Frauen schnüren sich geringer,
und der Bauer schiebt den Dünger.
Fliegen klettern unverdrossen
auf den Nasensommersprossen.
Ringsum blüht's an allen Hecken -
und es riecht aus den Ap'theken.
Ich steck mir voll Übermut
'nen Sonnenstrahl an meinen Hut.
Freudig jubeln und frohlocken
Kirchen-, Kuh- und Käseglocken.
Frühling wird's mit Vehemenz.
Auf grünen Filzpantoffeln naht der Lenz!
Hugo Ball 1886-1927
Frühlingstänzerin
In deinen Blicken wiegt sich der Frühling,
Rosengeflecht und ein Apfelzweig
Schaukeln ihn duftend einher.
Auf deiner Lippen Granat- und Marmorsitz
Streiten zehntausend Lerchen in süßem Tumult
Wähnend sie säßen im Morgenrot.
Wo deine lieblich errötenden Füße schreiten,
Schlägt aus dem Boden ein holder Schwall von Musik
Und erstürmt sich den Himmel.
Wippend dem zierlichen Schmetterling gleich
Schreitest du tanzerhobenen Arms
Wie über schwankendes Seil.
Wenn deine tastenden Brüste den Atem der Gärten verspüren,
Heben und senken sie sich, zugespitzt,
In verworrnen Gedanken.
Zierlich ist deine Seele, dem Rotkehlchen gleich,
Und so ängstlich, daß sie bei plötzlichem Wort
Flatternd im Käfig sich stößt.
Heinrich Seidel 1842-1906
Frühling
Das Bächlein rinnt vom Berge nieder wieder,
Weil Eis und Schnee in allen Gauen thauen,
Und Vöglein, die dem Lenz dem lauen trauen,
Trägt aus dem Süden ihr Gefieder wieder.
Es klingen ihre süssen Lieder wieder
Am Bach, wo Veilchen wir die blauen schauen,
Und auf den neubelebten Auen bauen
Ihr Nest in Rosen sie und Flieder wieder.
Wenn Nachtigallen in Syringen singen,
Darf da der Dichter in dem Reigen schweigen?
O nein, es soll auch ihn zum Singen zwingen!
Wenn auf zum Aether Lerchenschwingen dringen,
Soll auch der Dichter, was ihm eigen, zeigen
Und seine Reime hold zum Klingen bringen!
aus: Reimkunststücke, aus der Mappe des lyrischen Dichters Johannes Köhnke
Isolde Kurz 1853-1944
Frühlingslied
Lieblich im Lenzeshauch
Baden die Glieder,
Seele, der Schmetterling,
Löst sein Gefieder.
Hoch bis zur Sonne
Schwillt mir das Herz,
Ach, und die Wonne
Mischt sich mit Schmerz.
Möchte zum Himmelsblau
Jubelnd mich heben,
Möcht' in der grünen Au
Wurzeln und kleben,
Möcht' in den Gluten
Schmelzend vergehn,
Still mich verbluten
An Sehnsuchtswehn.
Kannst nicht zum Himmelsblau
Jubelnd dich heben.
Sollst nicht in grüner Au
Wurzeln und kleben,
Aber dies Dehnen,
Weltenumfangen,
Liebendes Sehnen
Am nächsten zu hangen,
Schwanken und Beben,
Jubel und Schmerz,
Das ist dein Leben,
O Menschenherz.
Ilse von Stach 1879-1941
Frühling
Wie soll mein Herz den Frühling überstehn,
wenn sonnentrunken wieder rings auf Erden
die Knospe schwillt in ahnungsvollem Werden
und tausend Wünsche durch die Täler gehn ...
Wie soll mein Herz den Frühling überstehn!
Den Frühling, den auch du so sehr geliebt,
wenn, wo ein Herz um deines fast vergangen,
zwei Augen leuchtend gross an dir gehangen,
ein Lippenpaar, das immer gibt und gibt.
Wie hat dein Herz den Frühling dann geliebt! -
Und wieder wird's von Tal zu Tale wehn,
dieselbe liebeselge Frühlingsfeier,
dann stehn die Birken keusch im Hochzeitsschleier,
und durch die Nächte wird ein Flüstern gehn -
Wie soll mein Herz den Frühling überstehn!
Rainer Maria Rilke 1875-1926
Will dir den Frühling zeigen ...
Will dir den Frühling zeigen,
der hundert Wunder hat.
Der Frühling ist waldeigen
und kommt nicht in die Stadt.
Nur die weit aus den kalten
Gassen zu zweien gehn
und sich bei den Händen halten –
dürfen ihn einmal sehn.
Jakob Bosshart 1862-1924
Lenz
Blätterrausch,
Duftender Maien,
Erdenrausch,
Wandern zu zweien!
Singen und Sehnen
In Stube und Wald,
Kindliches Wähnen
Und stille Gewalt,
Hoffen und Bangen
Und Jubeln und Zagen,
Glühende Wangen
Und zitterndes Wagen,
Fliehen und Suchen und Küsse ergattern –
Hörst du die Finken im Fliederbusch flattern?
Pauline Schanz 1828-1913
Nun ist das Wunder neu gescheh'n
Nun ist das Wunder neu gescheh'n,
Des Grabes Riegel ist zersprungen;
Doch ihr habt schweigend zugeseh'n,
Daß Leben sich dem Tod entrungen.
Kein Halleluja himmelwärts
Hat euren Dank emporgetragen,
Aus der verjüngten Erde Herz
In grünen Flammen ausgeschlagen.
Ungläubig Volk, vor deinem Blick
Kehrt Jahr um Jahr von Land zu Landen
Der Wunder herrlichstes zurück:
Wach auf! Der Frühling ist erstanden
Ungläubig Volk, wach' auf, wach' auf!
Der Segen kommt einhergeschritten;
Noch gibt der Herr dir Brot vollauf,
Wie damals in der Wüste Mitten.
Die Blüte ringt vom Ast sich los,
Des Erntesegens duft'ger Bote,
Der Halm quillt aus der Erde Schoß,
Es reift das Korn und wird zum Brote.
Die Beere wächst, die Traube schwillt,
Des Weines goldne Wellen steigen,
Daß Labung deinen Becher füllt,
Hell aus der Rebe herben Zweigen.
Wohin du blickst, ein Wunder taucht
Aus jeder Knospe enger Hülle;
Ungläubig Volk, das Wunder braucht,
Wach' auf und sieh' der Wunder Fülle!
Stefan George 1868-1933
Gartenfrühlinge
Schimmer aus lichtgoldnem blatte
Treibt aus dem waldigen finster ..
Dass die bescheidene ginster
Ruhe der trauer beschatte!
Nah in den gärten duften die mandeln
Dort sah ich augen voll glut und traum
Ich will die gärten wieder durchwandeln
Hände baden im blumigen flaum.
Seltnerer vögel gefieder
Büsche in zierlichen kegeln!
Trunkene falter segeln
Reicher ertönen dort lieder.
Kostbarer wie sie die quelle verstreut
Schmächtigem springbrunn funken entstieben ..
Werden sie leuchten leuchten mir heut?
Werd ich die süssen traum-augen lieben?
Johann Wolfgang von Goethe 1749-1832
Frühling übers Jahr
Das Beet, schon lockert
Sich's in die Höh',
Da wanken Glöckchen
So weiß wie Schnee;
Safran entfaltet
Gewalt'ge Glut,
Smaragden keimt es
Und keimt wie Blut.
Primeln stolzieren
So naseweis,
Schalkhafte Veilchen,
Versteckt mit Fleiß;
Was auch noch alles
Da regt und webt,
Genug, der Frühling,
Er wirkt und lebt.
Doch was im Garten
Am reichsten blüht,
Das ist des Liebchens
Lieblich Gemüt.
Da glühen Blicke
Mir immerfort,
Erregend Liedchen,
Erheiternd Wort;
Ein immer offen,
Ein Blütenherz,
Im Ernste freundlich
Und rein im Scherz.
Wenn Ros' und Lilie
Der Sommer bringt,
Er doch vergebens
Mit Liebchen ringt.
Theodor Körner 1791-1813
Im Frühling
Morgenduft!
Frühlingsluft!
Glühend Leben,
Mutige Lust,
Freudiges Streben
In freudiger Brust!
Hinauf, hinauf
Auf der lichten Bahn
Dem Frühling entgegen!
Auf allen Fluren
Der Liebe Spuren,
Der Liebe Segen.
Wälderwärts
Zieht mich mein Herz,
Begaus, Bergein,
Frei in die Welt hinein,
Durch des Tages Glut,
Durch nächtlich Grausen.
Jugendmut
Will nicht weilen und hausen.
Wie alle Kräfte gewaltig sich regen,
Mit heißer Sehnsucht spät und früh,
Dem ewigen Morgen der Liebe entgegen,
Entgegen dem Frühling der Phantasie!
Joseph Victor von Scheffel 1826-1886
»Manch ein schwer Problema hab' ich
Prüfend in dem Katerherzen
Schon erwogen und ergründet,
Aber eins bleibt ungelöst mir,
Ungelöst und unbegriffen:
Warum küssen sich die Menschen?
's ist nicht Haß, sie beißen nicht,
Hunger nicht, sie fressen sich nicht.
's kann auch kein zweckloser, blinder
Unverstand sein, denn sie sind sonst
Klug und selbstbewußt im Handeln,
Warum also, frag' umsonst ich,
Warum küssen sich die Menschen;
Warum meistens nur die jüngern?
Warum diese meist im Frühling?
Über diese Punkte werd' ich
Morgen auf des Daches Giebel
Etwas näher meditieren.«
Theodor Fontane 1819-1898
Frühlingslieder
Der Frühling hat des Winters Kette
Gelöst nach altem gutem Brauch;
O, daß er doch zerbrochen hätte
Die Ketten unserer Freiheit auch.
Er nahm das weiße Totenlinnen,
Das die gestorben Erde trug,
Und sieht die Fürsten weiter spinnen
An unsrer Freiheit Leichentuch.
Wird nie der Lenz der Freiheit kommen?
Und werden immer Schnee und Eis
Und nimmer Ketten uns genommen?
Es seufzt mein Herz: wer weiß, wer weiß?!
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