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Heinrich Seidel 1842-1906
Frühling
Was rauschet, was rieselt, was rinnet so schnell?
Was blitzt in der Sonne? Was schimmert so hell?
Und als ich so fragte, da murmelt der Bach:
"Der Frühling, der Frühling, der Frühling ist wach!"
Was knospet, was keimet, was duftet so lind?
Was grünet so fröhlich? Was flüstert im Wind?
Und als ich so fragte, da rauscht es im Hain:
"Der Frühling, der Frühling, der Frühling zieht ein!"
Was klingelt, was klaget, was flötet so klar?
Was jauchzet, was jubelt so wunderbar?
Und als ich so fragte, die Nachtigall schlug:
"Der Frühling, der Frühling!" – da wußt' ich genug!
Friederike Kempner 1828-1904
Wenn der holde Frühling lenzt
Und man sich mit Veilchen kränzt
Wenn man sich mit frischem Mut
Schnittlauch in das Rührei tut
Wallen durch des Menschen Säfte
Neue, ungeahnte Kräfte –
Jegliche Verstopfung weicht
Alle Herzen werden leicht
Und das meine fragt sich still
Ob mich dies Jahr einer will?
Barthold Heinrich Brockes 1680-1747
Frühlings-Seufzer
Grosser Gott, in dieser Pracht
Seh' ich Deine Wunder-Macht
Aus vergnüg'ter Seelen an.
Es gereiche dir zu Ehren,
Dass ich sehen, dass ich hören,
Fühlen, schmecken, riechen kann!
Max Dauthendey 1867-1918
Die Amseln haben Sonne getrunken
Die Amseln haben Sonne getrunken,
aus allen Gärten strahlen die Lieder,
in allen Herzen nisten die Amseln,
und alle Herzen werden zu Gärten
und blühen wieder.
Nun wachsen der Erde die großen Flügel
und allen Träumen neues Gefieder;
alle Menschen werden wie Vögel
und bauen Nester im Blauen.
Nun sprechen die Bäume in grünem Gedränge
und rauschen Gesänge zur hohen Sonne,
in allen Seelen badet die Sonne,
alle Wasser stehen in Flammen,
Frühling bringt Wasser und Feuer
liebend zusammen.
Karl Ernst Knodt 1856-1917
Frühling
Frühling ... Eine ganze Welt
Träumt in diesem einen Wort.
Wunder ohne Wahl enthält
Dieser brausende Akkord.
Frühling ... Hör ich diesen Laut,
Hallts im Herzen mir und blüht;
Ein beglänzter Himmel blaut
Über mir und im Gemüt.
Frühling ... Wie ein Glockenton
Klingst du über meinen Pfad,
Singst – woher dem Erdensohn
Einst der ewige Frühling naht.
Fred Endrikat 1890-1942
Es werde
Der Fink probiert sein Osterlied
und läßt die ersten Triller steigen.
Es atmet in den kahlen Zweigen,
wie wenn ein langer Schlaf entflieht.
Am Wiesenhang der Krokus blüht,
der erste zarte Frühlingsbote,
wie bunte Lichtlein, rosarote,
aus welkem Gras hervorgesprüht.
Die Pflugschar ihre Furchen zieht.
Es weht ein Duft von frischer Erde.
Gott sprach sein schönstes Wort: »Es werde.«
Das größte Wunderwerk geschieht.
Adelbert von Chamisso 1781-1838
Frühling
Der Frühling ist kommen, die Erde erwacht,
Es blühen der Blumen genung.
Ich habe schon wieder auf Lieder gedacht,
Ich fühle so frisch mich, so jung.
Die Sonne bescheinet die blumige Au,
Der Wind beweget das Laub.
Wie sind mir geworden die Locken so grau?
Das ist doch ein garstiger Staub.
Es bauen die Nester und singen sich ein
Die zierlichen Vögel so gut.
Und ist es kein Staub nicht, was sollt es denn sein?
Mir ist wie den Vögeln zu Mut.
Der Frühling ist kommen, die Erde erwacht,
Es blühen der Blumen genung.
Ich habe schon wieder auf Lieder gedacht,
Ich fühle so frisch mich, so jung.
Hugo Ball 1886-1927
Frühling
So hast du in Behutsamkeit
Mit Lauben und mit Ranken
Den Garten meiner Nacht umsäumt
Jetzt lächeln die Gedanken.
Nun singen mir im Gitterwerk
Die süßen Nachtigallen
Und wo ich immer lauschen mag
Will mir ein Lied einfallen.
Die Sonne strahlt in deinem Blick
Und geht in meinem unter.
So schenkst du mir den schönen Tag
Ein mildes Sternenwunder.
So hast du meinen dunklen Traum
Durchleuchtet aller Enden
Und wo ich immer schreiten mag,
Begegne ich deinen Händen.
Ida von Düringsfeld 1815-1876
Alles heilig
Ich sag es euch 's ist alles Heilig jetzt,
Und wer im Blühen einen Baum verletzt,
Der schneidet ein wie in ein Menschenherz;
Und wer sich eine Blume pflückt zum Scherz,
Und sie dann von sich schleudert sorgenlos,
Der reißt ein Kind von seiner Mutter Schoß;
Und wer dem Vogel jetzt die Freiheit raubt,
Der sündigt an eines Sängers Haupt;
Und wer im Frühling bitter ist und hart,
Vergeht sich gegen Gott, der sichtbar ward! –
Christian Morgenstern 1871-1914
Frühlingsregen
Regne, regne Frühlingsregen,
Weine durch die stille Nacht!
Schlummer liegt auf allen Wegen,
Nur dein treuer Dichter wacht ...
Lauscht dem leisen warmen Rinnen
Aus dem dunklen Himmelsdom,
Und es löst in ihm tiefdrinnen
Selber sich ein heisser Strom,
Lässt sich halten nicht und hegen
quillt heraus in sanfter Macht ...
Ahndevoll auf stillen Wegen
Geht der Frühling durch die Nacht.
Francisca Stoecklin 1894-1931
Südlicher Frühling
Zu rasch und farbensatt kommt er,
als daß wir seine Luft
mit zitterndem Verliebtsein spürten.
Wenn nicht die Mandelbäumchen
rosige Zartheit
wie kindliche Küsse
in den blauen Himmel hauchten,
wir würden alles schwer
wie Sommer fühlen.
Kamelien leuchten tödlich rot
aus düster glänzendem Laub,
und in Gewinden feiern
Rosen und Glycinientrauben
tausendfache Feste.
An weißer Mauer baden sich
die grünen Eidechsen
in gleißenden Strahlen.
Sie sind der Sonne zierlichste Getreue.
Und wo du gehst,
raschelt es von Getier.
– Dann in des Haines Schatten ruhend
schließen sich die sonnenmüden Lider.
Und um dich wogt
ein ewig wiederkehrendes Tönen,
von Mückensang und Blumenatmen.
Das hüllt dich ein
und trägt dich fort
auf seidigen Schwingen
in das Reich der wandellosen Schönheit.
Gottfried Keller 1819 - 1890
Frühlingsbotschaft
Zum Gerichte rief der Frühling.
Denn mit Strenge zu verfahren
Gegen ketzerisch verstockte
Übelsinnige Verzweiflung,
Haben seine Heiligkeit
Bei der Sonne Glanz geschworen.
Und in grünem Feuer flammen
Alle Bäume nun auf Erden,
Jeder Baum ist eine Flamme!
Und geschürt sind alle Gluten,
Angefacht glühn alle Rosen,
Während die schismatisch grauen
Aufgelösten Nebelflocken
Klagend durch die Lüfte flattern,
Gleich verbrannter Ketzer Asche;
Doch der heilig ernste Himmel
Lässt sie ohne Spur verschwinden,
Und er schaut ins grüne Feuer
Mit erbarmungsloser Bläue.
Habt ihr jetzo unter euch
Einen schlimmen und verschraubten
Heuchlerischen und verstockten
Und verbohrten Hypochonder,
Der da zwischen Gut und Böse
Eigensinnig schwankt und zweifelt,
Weder warm noch kalt kann werden,
Oder zu gerechtem Argwohn
Grund gibt, dass sein schwarzes Innres
Wohl ein ungeheures hohles
Aufgeblasnes Schisma berge:
Diesen legt nun auf die Folter,
Diesen lasset nun bekennen!
Bindet ihn mit jungem Efeu,
Werft ihn nieder auf die Rosen,
Giesst ihm Wein auf seine Zunge,
Tropfen flüssig heissen Goldes,
Das den Mann zum Beichten zwingt,
Glas auf Glas, bis er bekennt!
Zeiget sich ein Hoffnungsfunke,
Nur ein Fünklein heitern Glaubens,
Nur ein Strahl des guten Geistes,
O so stellt ihn auf zur Linken,
Zur Belehrung und zur Bessrung!
O so stellt ihn, wo das Herz schlägt,
Auf der Menschheit frohe Linke,
Auf des Frühlings grosse Seite!
Sollt' es sich jedoch ereignen,
Dass das peinliche Verfahren
Nichts enthüllte, nichts ergäbe,
Was da nur der Rede wert,
Das Delirium des Rausches
Selbst nur eine dunkle Leere
Vor den Richtern offenbarte:
Schleunig lasst den Sünder laufen,
Jagt ihn stracks zur schnöden Rechten,
Wo Geheul und Zähneklappern,
Dummheit und Verdammnis wohnen.
Heinrich Seidel 1842-1906
Frühlingslied
(In der Biedermeier-Weise.)
Frühling ist's, wie höchst erfreulich
Wirket dieser Tatbestand!
Dieses dacht' ich, als ich neulich
Ging spazieren auf das Land.
Lerchen singen wie zur Feier,
Blumen blühen roth und weiss,
Billiger sind schon die Eier,
Und die Butter sinkt im Preis!
Und bei all dem reichen Prangen
Wird das Herz so froh gesinnt,
Da so herrlich aufgegangen
Rüben und Kartoffeln sind
Ringsum wogen Saatenfelder
Und der Raps in Blüthe steht,
Der dem Landmann reiche Gelder
Bringet, wenn er wohl geräth.
Herrlich ist's im Wald zu gehen,
Wenn das Wachsthum in ihn fährt!
Ja, dann kann man förmlich sehen,
Wie sich sein Bestand vermehrt.
Und die schöne grüne Wiese!
Prächt'ges Futter wächst darin!
Sicher wohl gewährt auch diese
Einen hohen Reingewinn!
Schafe dort in woll'ger Hülle
Folgen still des Hirten Spur,
Mehrend ihres Fliesses Fülle
Für den grossen Tag der Schur.
Bunte, wohlgenährte Kühe.
Wandeln an dem grünen Hag,
Lohnend ihres Pflegers Mühe
Durch vermehrten Milchertrag.
Und so angenehm im Garten
Ist die holde Frühlingszeit,
Wo Gemüse aller Arten
Uns zum Wohlgeschmack gedeiht:
Wo die zarten Spargel schiessen,
Und Radieschen man gewinnt,
Welche köstlich zu geniessen
Und so leicht verdaulich sind.
Wahrlich, nicht genug zu preisen
Ist des holden Frühlings Macht!
Solches klärlich zu beweisen,
Hab' ich dieses Lied erdacht,
Das in süssen Melodeien
Mir aus meinem Busen sank,
Als zum ersten Mal im Freien
Heut ich wieder Kaffee trank!
Hermann von Gilm zu Rosenegg 1812-1864
Himmel oder Frühling?
Habt ihr mich hinausgetragen,
in den Wald, den morgenfrischen,
wo die Nachtigallen schlagen
in den jungen Rosenbüschen?
Mutter, hilf mir aus dem Bette!
Auf den Rasen möcht ich springen
wie das Reh, und um die Wette
möcht ich mit der Lerche singen.
Und von Blumen welch Gewimmel!
Ach, so schön war's nie auf Erden!
Mutter, sag, ist das der Himmel,
oder will es Frühling werden?
Fred Endrikat 1890-1942
Der textilisierte Frühling
Die Erde prangt in buntgewirktem Kleide,
gleich einem Teppich liegt der Wiesenhang.
Ein Lüftchen weht, so weich wie Samt und Seide,
der Nordwind webt etwas Kattun mit mang.
Der Frühling schenkt der Welt die schönsten Sachen,
es wächst der Stoff, wohin der Frühling haucht.
Ja, ja, der gute Frühling, der kann lachen,
dieweil er keine Kleiderkarte braucht.
Max Dauthendey 1867-1918
Die Nacht macht alle Bäume gleich,
Sie stehen wie die dunklen Mauern
Von einem unterirdischen Reich
Und wie Gestalten, die am Wege kauern.
Doch ihre Frühlingsgeister halten mit dir Schritt.
Sie senden Blütenrauch im Dunkeln her
Und gehen abwechselnd am Wege mit,
Und sie verlassen dich nur schwer.
Nie sind der Frühlingsnacht die Wege leer.
Richard Dehmel 1863-1920
Zwischen Ostern und Pfingsten
Und jeden Abend kannst du so aufatmen:
du horchst ins Dorf hin, was die Glocken wollen,
du gehst ins Freie,
der Rauch der Hütten umarmt die Eichenkronen:
auf, Seele, auf!
Heut aber weht noch heimlich ein Echohauch
unter den knospenvollen Wipfeln nach:
ins Freie auf – so frei ins Freie,
wie dort der Vater mit seinem Kindchen Ball spielt.
Und über dir, lichtgrün im Blauen,
spielt eine Birke
mit einem strahlend blühenden Ahorn Braut.
Ernst Wilhelm Lotz 1890-1914
Frühlingsatem
Eine Liebesfrohheit hat meine Wangen rot gepudert.
Mein Atem mischt sich weich dem Tagwind.
Wo ich die Straßen betrete, sind sie zum Festzug bereitet.
Ein blumiges Schauvolk festschreitet und gleitet.
Menschen erwartungs-groß haben sich aufgestellt,
Aus allen Fenstern kommen Blicke zu mir Sonntag-erhellt.
Mit bloßem Kopfe und mit vor Jungkraft federnden Zehen
Muß ich immer und immer durch Sonnenstraßen gehen.
Ich habe ein fernblaues Mädchen am Ende der Straße erschaut,
Das liebruhelos Säulen von Sonnenstaub vor mir baut.
Und während ich gehe, geht in meiner Herzbrust jemand mit viel schnelleren Füßen
Und ruft: Wir werden heut küssen! küssen!
Weichluft-umschlungen verzittert mein Jubelschrei hinab in die Brust,
Und mein Atem strömt ab in den Wind. Von Dächern weht ein Gelächter.
Gustav Schüler 1868-1938
Frühling
Die Sonne jauchzt in Siegen,
wie blitzt ihr goldnes Kleid!
Tauschwere Wiesen liegen
in stiller Herrlichkeit.
Die Wälder und Felder schließen
all ihre Schätze auf,
heilige Geister gießen
Wunder von Schönheit drauf.
Heilige Geister schützen
mit treuer Hand das Licht;
sie müssen den Himmel stützen,
der sonst von Fülle bricht.
Georg Philipp Harsdörffer 1607-1658
Der Frühling
Der frohe Frühling kömmt heran,
Der Schnee dem Klee entweichet;
Der Lenz, der bunte Blumenmann,
Mit linden Winden häuchet.
Die Erd' eröffnet ihre Brust,
Mit Saft und Kraft erfüllet;
Der zarte West, der Felder Lust,
Hat nun den Nord gestillet.
Es hat der silberklare Bach
Den Harnisch ausgezogen,
Es jagt die Fluth der Fluthe nach,
Durch bunten Kies gesogen.
Das Thauen nun die Auen frischt,
Die weiße Wollenheerde
Auf neubegrüntem Teppich tischt
Und tanzet auf der Erde.
Man hört die heisre Turteltaub',
Die Schwalb' und Nachtigallen.
Das grünlichweiße Blüthenlaub
Muß aus den Knospen fallen
Und bauen diesen Schattenthron
Den Luft- und Feldergästen.
Die Rose hebt die Dornenkron'
Auf schwachen Stachelästen.
Die Sonne wieder stärker scheint
Und machet früher wachen.
Allein die dürre Rebe weint,
Wann Feld und Wälder lachen.
Die hochgeschätzte Tulipan,
Das Sinnbild auf dem Beete,
Zieht ihre fremden Kleider an
Und pranget in die Wette.
Ach Gott, der du mit so viel Gut
Bekrönst des Jahres Zeiten,
Laß uns auch mit erfreutem Muth
Zum Paradies bereiten,
Da wir dich werden für und für,
Die höchste Schönheit, finden,
Dagegen diese schnöde Zier
Ist eitler Staub der Sünden.
A. de Nora 1864-1936
Föhn
Laß deinen Atem wehen,
Frühling, du Held!
Mag auch zugrunde gehen,
Was morsch auf der Welt!
Die Erde will keinen Freier,
Der lahm und lack,
Solch eine Hochzeitsfeier
Feiert im Frack.
Nein! einen wilden tollen
Nackten Geselln,
und in die Küsse sollen
Todschreie gelln!
Wogen sollen brüllen
Gepeitscht an den Strand,
Brechende Wälder füllen
Mit Stöhnen das Land,
Lawinen sollen dröhnen
Ins zitternde Tal,
Um das Brautbett tönen
Soll Sturmchoral!
So empfangen und zeugen
Riesen ihr Kind. –
– Uns ziemt es zu schweigen,
Zwerge, die wir sind …
Joseph von Eichendorff 1788-1857
Frühlingsdämmerung
In der stillen Pracht,
in allen frischen Büschen und Bäumen
flüstert's wie Träumen
die ganze Nacht.
Denn über den mondbeglänzten Ländern
mit langen weißen Gewändern
ziehen die schlanken
Wolkenfrau'n wie geheime Gedanken,
senden von den Felsenwänden
hinab die behenden
Frühlingsgesellen, die hellen Waldquellen,
die's unten bestellen
an die duftgen Tiefen,
die gerne noch schliefen.
Nun wiegen und neigen in ahnendem Schweigen
sich alle so eigen
mit Ähren und Zweigen,
erzählens' den Winden,
die durch die blühenden Linden
vorüber den grasenden Rehen
säuselnd über die Seen gehen,
daß die Nixen verschlafen auftauchen
und fragen,
was sie so lieblich hauchen –
wer mag es wohl sagen?
Nikolaus Lenau 1802-1850
Primula veris
1
Liebliche Blume,
Bist du so früh schon
Wiedergekommen?
Sei mir gegrüßet,
Primula veris!
Leiser denn alle
Blumen der Wiese
Hast du geschlummert,
Liebliche Blume,
Primula veris!
Dir nur vernehmbar
Lockte das erste
Sanfte Geflüster
Weckenden Frühlings,
Primula veris!
Mir auch im Herzen
Blühte vor Zeiten,
Schöner denn alle
Blumen der Liebe,
Primula veris!
2
Liebliche Blume,
Primula veris!
Holde, dich nenn ich
Blume des Glaubens.
Gläubig dem ersten
Winke des Himmels
Eilst du entgegen,
Öffnest die Brust ihm.
Frühling ist kommen.
Mögen ihn Fröste,
Trübende Nebel
Wieder verhüllen;
Blume, du glaubst es,
Daß der ersehnte
Göttliche Frühling
Endlich gekommen,
Öffnest die Brust ihm;
Aber es dringen
Lauernde Fröste
Tödlich ins Herz dir.
Mag es verwelken!
Ging doch der Blume
Gläubige Seele
Nimmer verloren.
Ferdinand von Saar 1833–1906
Die Primeln
So seh' ich auch euch jetzt,
Ihr sonnigen Blumenaugen des Lenzes,
In zierliche Töpfe verpflanzt
Und in japanischen Vasen;
Seh' euch mit leisem Schmerz
Kunstvoll zum Strauße gereiht,
Und als schimmernden Brust- und Lockenschmuck
Erhöhen buhlender Schönheit Reiz.
Mehr stets liebt' ich euch
Als die ersten Veilchen
Und die thaufrischen Hagerosen.
Denn jene, ob auch verborgen dem Aug',
Locken dringenden Duft's Pflücker heran –
Und diese, fesselnd mit scharfem Dorn,
Drängen berückend am Strauch sich entgegen.
Ihr aber,
Keusch und unentweiht,
Selig des eig'nen Lichts,
Blühtet
Und verblühtet ihr,
An der Erde heilige Mutterbrust
Dicht geschmiegt.
Höchstens, daß fröhlich euch
Ein ländliches Kind dem braunen Haar gesellt,
Oder der sinnende Dichter
Andächtig euch losgelös't
Von der wurzelumhüllenden Scholle,
Damit ihr, im schlichten Glase getränkt,
Erhelltet seiner düsteren Stube Einsamkeit.
Und doch! Wo immer
Euer sanfter Glanz auch leuchtet –
Selbst in menschenvoller Gassen Kehricht noch:
Wehen um euch,
Unschuldvoll,
Die ersten,
Die reinsten Hauche der Schöpfung!
Josef Weinheber 1892-1945
Primel
Woher, du süße Erstlingin im März,
nimmst du die unbeirrbare Gewalt
und nennst die Schuld, von der die Erde hallt,
und weckst das wirre Herz?
Und während es noch leise weiterweint,
wer lehrte dich den sanften Sturm, der stet
am Schmerze rührt und wie ein Reigen scheint,
der von den Sternen weht -
Wer führte dich, daß du zur rechten Zeit
uns kamst (wir hatten kaum mehr, kaum gelebt)
und blühst die Erde wieder gut und weit,
indes das Herz noch leise weiterbebt?
Barthold Heinrich Brockes 1680-1747
Die Traubenhyazinthe
Angenehmes Frühlingskindchen,
Kleines Traubenhyazinthchen,
Deiner Farb und Bildung Zier
Zeiget mit Verwunderung mir
Von der bildenden Natur
eine neue Schönheitsspur.
An des Stengels blauer Spitzen
Sieht man, wenn man billig sieht,
Deiner sonderbaren Blüt
Kleine blaue Kugeln sitzen,
Dran, so lange sich ihr Blatt
Noch nicht aufgeschlossen hat,
Wie ein Purpurstern sie schmücket,
Man nicht sonder Lust erblicket.
Aber wie von ungefähr
Meine Blicke hin und her
Auf die offnen Blumen liefen,
Konnt ich in den blauen Tiefen
Wie aus himmelblauen Höhen
Silberweiße Sternchen sehen,
Die in einer blauen Nacht,
So sie rings bedeckt, im Dunkeln
Mit dadurch erhöhter Pracht
Noch um desto heller funkeln.
Ihr so zierliches Gepränge,
Ihre Nettigkeit und Menge,
Die die blauen Tiefen füllt,
Schiene mir des Himmels Bild,
Welches meine Seele rührte
Und durch dieser Sternen Schein,
Die so zierlich, rein und klein,
Mich zum Herrn der Sterne führte,
Dessen unumschränkte Macht
aller Himmel tiefe Meere,
Aller Welt- und Sonnen Heere
Durch ein Wort hervorgebracht;
Dem es ja so leicht, die Pracht
In den himmlischen Gefilden
Als die Sternchen hier zu bilden.
Durch dein sternenförmig Wesen
Gibst du mir, beliebte Blume,
ein' Erinnerung zu lesen,
Dass wir seiner nicht vergessen,
Sondern in den schönen Werken
Seine Gegenwart bemerken,
Seine weise Macht ermessen
Und sie wie in jenen Höhen
So auf Erden auch zu sehen.
Hermann Harry Schmitz 1880-1913
Anemonen
Ein Strauß von Anemonen stand auf meinem Tisch.
Mit bunten Farben, fast zu laut,
sangen die Boten neuen Lebens
ihr jubelnd Lied vom Frühling,
von blauen Himmeln und von Sonnensiegen –
Das war der Morgen.
Der Mittag kam.
Und stürmischer und gellend wie Fanfarenklänge
umtost der Anemonen jauchzend Lied
von neuem Glück, von ewigen Seligkeiten
meine Seele.
Ich griff berauscht nach diesem Glück,
Das Glück – das größte Glück!
Und meine Seele sank ins Wunderbare.
Ein Strauß von Anemonen stand auf meinem Tisch.
Ludwig Eichrodt 1827 - 1892
Frühling
Frühling, bist du wiedergekommen?
Lieblicher Lenz, du lachendes Kind!
Kommst du auf dem Fluß geschwommen?
Oder kommst du mit dem Wind?
Unter den weichen singenden Wellen,
Aus den Wassern melodisch klar,
Über die Hügel, die waldig schwellen,
Luget dein kluges Augenpaar.
Schaue ich nur in dein sonniges Auge,
Küsse ich nur deinen wonnigen Mund,
Trink ich von deinem blühenden Hauche,
Wird auch mein winterlich Herze gesund!
Heinrich Heine 1797-1856
Es drängt die Not, es läuten die Glocken,
Und ach! ich hab den Kopf verloren!
Der Frühling und zwei schöne Augen,
Sie haben sich wider mein Herz verschworen.
Der Frühling und zwei schöne Augen
Verlocken mein Herz in neue Betörung!
Ich glaube die Rosen und Nachtigallen
Sind tief verwickelt in dieser Verschwörung.
Ludwig Uhland 1787-1847
Lob des Frühlings
Saatengrün, Veilchenduft,
Lerchenwirbel, Amselschlag,
Sonnenregen, linde Luft!
Wenn ich solche Worte singe,
braucht es dann noch großer Dinge,
Dich zu preisen, Frühlingstag?
Wilhelm Busch 1832-1908
Vertraut
Wie liegt die Welt so frisch und tauig
Vor mir im Morgensonnenschein.
Entzückt vom hohen Hügel schau ich
Ins frühlingsgrüne Tal hinein.
Mit allen Kreaturen bin ich
In schönster Seelenharmonie.
Wir sind verwandt, ich fühl es innig,
Und eben darum lieb ich sie.
Und wird auch mal der Himmel grauer;
Wer voll Vertraun die Welt besieht,
Den freut es, wenn ein Regenschauer
Mit Sturm und Blitz vorüberzieht.
Otto Prechtler 1813-1881
Wer keinen Frühling hat
Wer keinen Frühling hat, dem blüht er nicht!
Wer schweigt, dem tönt kein Echo hier auf Erden!
Weß Herz nicht dichtet, der faßt kein Gedicht,
Und wer nicht liebt, dem wird nicht Liebe werden.
Was ist der Geist, der nie zum Geiste spricht,
Der selbstgefällig will in sich verwesen?
Was ist ein Gemüt, das nie die Rinde bricht?
Was eine Schrift, die nicht und nie zu lesen?
Es findet jeder Geist verwandte Geister!
Kein Herz, das einsam ohne Liebe bricht!
Nur wer sich selbst verlor, ist ein Verwaister!
Wer keinen Frühling hat, dem blüht er nicht!
Albin Zollinger 1895-1941
Genesung im Frühling
Hyazinthblütne Verzückungen
Glimmen, Explosionen
Süßer, süßer Luft!
Zauber blasen
Aus Kelchen kristallenen Winds, orangene
Düfte
Meerblauer Glut.
Es schneit
Wonnig Gefunkel, das Herz
Phosphoresziert
Überschwenglich
Verheißung von gleißendem Sommer!
Dr. Owlglaß 1873-1945
Ernste Mahnworte an die Lenzlyriker
Der Krokus blüht, die Amsel schlägt.
Du fühlst dich gleichfalls angeregt.
Und weil das denn so Sitte ist,
reimst du den innerlichen Mist.
In Gottes Namen! Aber, gelt,
verschweig's der überigen Welt
und pack es nicht in ein Kuwähr
und schick es keinem Redakteur.
Du ahnst nicht, wieviel Seelenzimt
der Ärmste täglich zu sich nimmt!
Er klappert mit dem Backenzahn
und schlottert wie im Fieberwahn!
Und scheint's dir trotzdem, daß du mußt,
und sprengt es dir die Hemdenbrust,
und wirst du anderswie nicht froh,
dann wenigstens mit Rückporto!
Nikolaus Lenau 1802-1850
Liebesfeier
An ihren bunten Liedern klettert
Die Lerche selig in die Luft;
Ein Jubelchor von Sängern schmettert
Im Walde, voller Blüt und Duft.
Da sind, so weit die Blicke gleiten,
Altäre festlich aufgebaut,
Und all die tausend Herzen läuten
Zur Liebesfeier dringend laut.
Der Lenz hat Rosen angezündet
An Leuchtern von Smaragd im Dom;
Und jede Seele schwillt und mündet
Hinüber in den Opferstrom.
Rainer Maria Rilke 1875-1926
Sonett an Orpheus I/21
Frühling ist wiedergekommen. Die Erde
ist wie ein Kind, das Gedichte weiß;
viele, o viele.... Für die Beschwerde
langen Lernens bekommt sie den Preis.
Streng war ihr Lehrer. Wir mochten das Weiße
an dem Barte des alten Manns.
Nun, wie das Grüne, das Blaue heiße,
dürfen wir fragen: sie kanns, sie kanns!
Erde, die frei hat, du glückliche, spiele
nun mit den Kindern. Wir wollen dich fangen,
fröhliche Erde. Dem Frohsten gelingts.
O, was der Lehrer sie lehrte, das Viele,
und was gedruckt steht in Wurzeln und langen
schwierigen Stämmen: sie singts, sie singts!
Richard Zoozmann 1863-1934
Frühlingslied
Es tat der Reif den kleinen Vögeln weh,
Da schwiegen sie im Leide;
Jetzt wieder hör ich sie so hold wie eh
Auf neuergrünter Heide.
Die Blumen stritten mit dem grünen Klee:
Wer länger wäre?
Ich sagte meiner Herrin diese Märe.
Uns hat des Winters Frost und andre Not
Gar viel getan zu Leide.
Ich glaubte schon, nie wieder Blumen rot
Zu sehn auf grüner Heide.
Es schmerzte gute Herzen, wär ich tot,
Die Lust verlangen
Und sonst auch gerne sangen oder sprangen.
Versäumt ich solchen wonniglichen Tag,
Mit Recht ich Tadel leide,
Denn für die Lustbarkeit wär hart solch Schlag –
O weh, daß ich nun meide
Die Freuden alle, deren einst ich pflag.
Daß Gott euch segne:
O wünschet doch, daß mir auch Heil begegne!
Nachdichtung des Gedichts Der rîfe tet den kleinen vogellîn wê ... von Walter von der Vogelweide
Arno Holz 1863-1929
Er klagt, dass der Frühling so kurz blüht
Kleine Blumen wie aus Glas
seh ich gar zu gerne,
durch das dunkel-grüne Gras
kucken sie wie Sterne.
Gelb und rosa, rot und blau
schön sind auch die weißen;
Trittmadam und Himmelstau
wie sie alle heißen.
Komm und gib mir mittendrin
Küssgens ohnbemessen.
Morgen sind sie längst dahin
und wir selbst – vergessen!
Frank Wedekind 1864-1918
Frühling
Willkommen, schöne Schäferin
In deinem leichten Kleide,
Mit deinem leichten frohen Sinn,
Willkommen auf der Weide.
Sieh, wie so klar mein Bächlein fließt,
Zu tränken deine Herde!
Komm setz dich, wenn du müde bist,
Zu mir auf die grüne Erde.
Und trübt sich der Sonne goldiger Schein,
Und fällt ein kühlender Regen,
Dann ist mein Mantel nicht zu klein,
Wollen beide darunter uns legen.
Friedrich Rückert 1788-1866
Eingeschlafen im Abendhauch
War der knospende Rosenstrauch,
Und staunend, als er früh erwacht,
Stand er in voller Blütenpracht,
Was tut nicht eine Frühlingsnacht
An Menschenblumenknospen auch!
Josef Weinheber 1892-1945
Frühling
Frühling läßt sein blaues Band
munter weh'n ums graue Haus.
Wieder flattern durch die Lüfte
Raben keck zum Leichenschmaus.
Süße, wohlbekannte Düfte
her vom Herd des Humbugs dringen,
und des Krisenvogels Schwingen
streifen ahnungsvoll das Land.
Veilchen träumen schon
von der Hochsaison:
ob die Fremden, ach, die frommen,
wollen balde kommen.
Keine Spur!
- Horch von fern ein leiser Harfenton -
Konjunktur!
Frühling, ja, du bist's!
Dich hab' ich vernommen!
Kurt Tucholsky 1890-1935
Frühling
Lenz! Dich hätten wir beinah vergessen!
Frisch und kühn
sprießt inmitten dem Randal indessen
junges Grün.
Blätter stecken ihre zarten Spitzen
hastend aus.
wie sie schmuck auf ihren Ästen sitzen!
Feucht und kraus!
Und sie sehen: Bunte Tumultanten!
Militär!
Sehen wildgewordene Adjutanten –
Welch ein Heer!
Und sie sehen: Grad die falschen Leute
packts Gericht.
Doch die großen Diebe ... Heute?
Heute nicht.
Und die jungen Blätter blitzen
Und sie denken sich: Was mag das sein?
Könnten sie, sie zögen ihre Spitzen
schleunigst wieder ein –!