Die besinnlichen Tage
zwischen Weihnachten und Neujahr
haben schon manchen
um die Besinnung gebracht.
Joachim Ringelnatz 1883-1934
Eine gewaltige Diskrepanz besteht zwischen der Anzahl der Werke der Lyriker und denen der bildenden Künstler zum Thema Jahreswechsel. Während Erstere ein reichhaltiges Angebot an Gedichten - lustige, ironische, besinnlich, nachdenkliche - vorgelegt haben, gibt es von den Malern und Grafikern fast NICHTS, sieht man einmal von den Grußkartendesignern ab. Viel Gescheites ist aber auch hier nicht.
So hab ich den Gedichten zu Silvester und Neujahr Bilder von Feuerwerken beigegeben, wobei sich kein einziges ausdrücklich auf Silvester bezieht, die Garderoben mancher Betrachter legen dies jedoch bei einigen nahe. Aber Feuerwerk ist Feuerwerk, egal ob der Anlass ein Jubiläum, eine Inthronisation, eine Siegesfeier ein Sommerfest oder eben Silvester ist.
Am Schluss gibt’s dann noch ein paar Grußkarten.
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Theodor Fontane 1819-1898
An Lischen*
Habe ein heitres, fröhliches Herz
Januar, Februar und März,
Sei immer mit dabei
In April und Mai,
Kreische vor Lust
In Juni, Juli und August,
Habe Verehrer, Freunde und Lober
In September und Oktober,
Und bleibe meine gute Schwester
Bis zum Dezember und nächsten Silvester.
*Gemeint ist Fontanes Schwester Elise
Joachim Ringelnatz 1883-1934
Silvester
Daß bald das neue Jahr beginnt,
Spür ich nicht im geringsten.
Ich merke nur: Die Zeit verrinnt
Genauso wie zu Pfingsten,
Genau wie jährlich tausendmal.
Doch Volk will Griff und Daten.
Ich höre Rührung, Suff, Skandal,
Ich speise Hasenbraten.
Mit Cumberland, und vis-à-vis
Sitzt von den Krankenschwestern
Die sinnlichste. Ich kenne sie
Gut, wenn auch erst seit gestern.
Champagner drängt, lügt und spricht wahr.
Prosit, barmherzige Schwester!
Auf! In mein Bett! Und prost Neujahr!
Rasch! Prosit! Prost Silvester!
Die Zeit verrinnt. Die Spinne spinnt
In heimlichen Geweben.
Wenn heute nacht ein Jahr beginnt,
Beginnt ein neues Leben.
Cäsar Flaischlen 1864-1920
Sylvester
Komm, vergiss einmal all die Geschichten
komm und begrab einmal all den Kram!
es sind ja doch nur Lumpereien,
die einem nur das Herz zerquälen,
die einen nur müde machen und lahm!
Die Menschen sind so, ich weiß es wohl:
statt fröhlich und guter Dinge zu sein,
vernörgeln sie sich die schönsten Stunden
mit kindisch törichten Hetzerein.
Sie möchten es selbst nicht, wenn man frägt ...
sie sehnen sich, harmloser sein zu dürfen,
sie nennen es Unrecht, Schande und Hohn
und möchten heraus aus all dem Gezänke ...
und kommen doch nicht los davon ...
und wenn man so zusieht, wie sie allmählich
mutloser werden, trüber und trüber ...
Mein Gott, man könnte weinen drüber!
Lebt mit mehr Freude! ach, ich möcht's
groß wie die Sonne an den Himmel schreiben,
dass es wie Feuer in die Herzen loht ...
lebt mit mehr Freude und ohne die Not
und ohne den Hass und ohne den Neid,
an den ihr das halbe Leben verpasst ...
macht's euch zu Lust und nicht zu Last!
lebt mit mehr Freude,
lebt mit mehr Rast!
Joachim Ringelnatz 1883-1934
Silvester
Es gibt bei Armen und Reichen
So manche Herzen bang und still;
Aus manchem dieser Herzen will
Die Sorge nimmer weichen.
Ich bin einer neuen Idee auf der Spur
Und überlege sie sehr:
Man sollte armen Leuten nur
Gutes tun oder sagen,
Ohne vorher oder hinterher
Nach ihnen zu fragen.
Wer hat das wohl zuerst bestellt,
Was nun so glatt sich leiert:
Dass jeder Stand und alle Welt
Terminlich trauert und feiert.
So wünschlein-pünschlein den andern gleich
Will ich mich nüchtern betrinken,
Um gegen Morgen durchs Federweich
In Kaktusträume zu sinken.
Etwa: Dass eine Mutschekuh,
Die vollgefressen mit Heu war,
Mein Zimmer betrat und rief mir zu:
»Prost Neujahr, Herr Doktor, prost Neujahr!«
Kurt Tucholsky 1907-1935
Was fange ich Silvester an?
Was fange ich Silvester an?
Geh ich in Frack und meinen kessen
blausanen Strümpfen zu dem Essen,
das Herr Generaldirektor gibt?
Wo man heut nur beim Tanzen schiebt?
Die Hausfrau dehnt sich wild im Sessel –
der Hausherr tut das sonst bei Dressel –,
das junge Volk verdrückt sich bald.
Der Sekt ist warm. Der Kaffee kalt –
Prost Neujahr!
Ach, ich armer Mann!
Was fange ich Silvester an?
Wälz ich mich im Familienschoße?
Erst gibt es Hecht mit süßer Sauce,
dann gibts Gelee. Dann gibt es Krach.
Der greise Manne selbst wird schwach.
Aufsteigen üble Knatschgerüche.
Der Hans knutscht Minna in der Küche.
Um zwölf steht Rührung auf der Uhr.
Die Bowle –! (›Leichter Mosel‹ nur –).
Prost Neujahr!
Ach, ich armer Mann!
Was fange ich Silvester an?
Mach ich ins Amüsiervergnügen?
Drück ich mich in den Stadtbahnzügen?
Schrei ich in einer schwulen Bar:
»Huch, Schneeballblüte! Prost Neujahr –!«
Geh ich zur Firma Sklarz Geschwister –
(Nein, nein – ich bin ja kein Minister!)
Bleigießen? Ists ein Fladen klein:
Dies wird wohl Deutschlands Zukunft sein ...
Prost Neujahr!
Helft mir armem Mann!
Was fang ich bloß Silvester an –?
(Einladungen dankend verbeten.)
Joseph Furttenbach, "Feuerwerkh, welches Herr Johann Kouhn, den 26. Augusti Anno 1644 in seinem garten uff dem word, hat abgehen lassen", 1645, Nürnberg, Germanisches
Nationalmuseum
Joseph Furttenbach (1591-1667), auch Joseph Furttenbach d. Ä. zur Unterscheidung von seinem gleichnamigen Sohn, war ein deutscher Architekt, Mathematiker, Mechaniker und Chronist.
Fred Endrikat 1890-1942
Sylvesterfeier
Erst haben wir auf den siebzehnten Januar getrunken.
Die Rede war zünftig und der Grog wunderbar.
Hierauf hat der nächste mit dem Finger gewunken,
nun tranken wir auf den neunzehnten Februar.
Anschließend mußten wir uns von den Plätzen erheben,
denn wir tranken auf den zwölften März und den achten April.
Auch den Mai und den Juni ließen wir himmelhoch leben
mit feierlichen Reden und mit Gebrüll.
Vom Juli bis September wurde es immer bunter,
Jedesmal mit einer neuen Runde – das ist doch klar.
Wir tranken den Kalender einmal rauf und wieder runter.
von Sylvester auf- und abwärts bis zu Neujahr.
Hierauf vertilgten wir die Likörkarte alphabetisch,
vom Allasch bis zum Zwetschgenwasser, nach der Reih'.
Beim X gab es Grog. Wir wurden poetisch
und sangen die »Mühle im Schwarzwald« dabei.
Nun folgte das Trinken mit Heimatkunde,
von Apolda bis Zabern, bergauf und bergab.
Der Wirt rief: »Nicht kneifen, ihr Schweinehunde!«
Bei Lüdenscheid machten schon einige schlapp.
Wir hieben die Gläser mit Macht aneinander
und brachten einen Kantus, urmarkig und froh,
für die Asta Nielsen bis zur Zarah Leander
und vom Ali Baba bis zum Cicero.
Mein Nachbar, der lange Ilmendörfer,
zielte mit dem Glas nach einem Hirschgeweih,
er war nämlich Sportsmann, von Geburt Hammerwerfer.
Nun begann eine allgemeine Glaswerferei.
Heißa, da flogen die Scherben. Ich hört' jemand lallen:
»Bravo, meine Herren, das nenn' ich Niveau.«
Weg mit den Gläsern. Peng. Karthago muß fallen.
Schinkenkloppen wäre stillos und roh.
Die sonst so gütige Wirtin war leise verbittert,
dieweil ihr guter Kronleuchter total demoliert,
die Holztäfelung an den Wänden wie von Granaten zersplittert
und die Gipsbüste vom Dante auf dem Klavier ramponiert.
Die Wirtin versuchte, beschwichtigend einzuschreiten.
Wir gröhlten: »Nur einmal blüht im Jahr der Mai.«
Einige andere gingen über zu Tätlichkeiten,
dann kamen Sanitäter und die Polizei.
Im Raume wogte ein festlicher Schwaden
von Rumgrog und Punsch, Nießpulver und Blei,
von Kartoffelsalat und kalten Schweinskarbonaden,
von sauren Gurken und andrer Arznei.
Wir hörten den Nachtwächter draußen Feierabend blasen.
Die Gäste lagen umher wie verlorene russische Eier.
Im Hofe krähten schon die lieben Osterhasen.
Es war eine ausgiebige Sylvesterfeier.
Joachim Ringelnatz 1883-1934
Silvester bei den Kannibalen
Am Silvesterabend setzen
Sich die nackten Menschenfresser
Um ein Feuer, und sie wetzen
Zähneklappernd lange Messer.
Trinken dabei — das schmeckt sehr gut —
Bambus-Soda mit Menschenblut.
Dann werden aus einem tiefen Schacht
Die eingefangenen Kinder gebracht
Und kaltgemacht.
Das Rückgrat geknickt,
Die Knochen zerknackt,
Die Schenkel gespickt,
Die Lebern zerhackt,
Die Bäuchlein gewalzt,
Die Bäckchen paniert,
Die Zehen gesalzt
Und die Äuglein garniert.
Man trinkt eine Runde und noch eine Runde.
Und allen läuft das Wasser im Munde
Zusammen, ausnander und wieder zusammen.
Bis über den feierlichen Flammen
Die kleinen Kinder mit Zutaten
Kochen, rösten, schmoren und braten.
Nur dem Häuptling wird eine steinalte Frau
Zubereitet als Karpfen blau.
Riecht beinah wie Borchardt-Küche, Berlin,
Nur mehr nach Kokosfett und Palmin.
Dann Höhepunkt: Zeiger der Monduhr weist
Auf zwölf. Es entschwindet das alte Jahr.
Die Kinder und der Karpfen sind gar.
Es wird gespeist.
Und wenn die Kannibalen dann satt sind,
Besoffen und überfressen, ganz matt sind,
Dann denken sie der geschlachteten Kleinen
Mit Wehmut und fangen dann an zu weinen.
Erich Kästner 1899-1974
Spruch in der Silvesternacht
Man soll das Jahr nicht mit Programmen
beladen wie ein krankes Pferd.
Wenn man es allzu sehr beschwert,
bricht es zu guter Letzt zusammen.
Je üppiger die Pläne blühen,
um so verzwickter wird die Tat.
Man nimmt sich vor, sich zu bemühen,
und schließlich hat man den Salat!
Es nützt nicht viel, sich rotzuschämen.
Es nützt nichts, und es schadet bloß,
sich tausend Dinge vorzunehmen.
Lasst das Programm! Und bessert euch drauflos!
Kurt Tucholsky 1907-1935
Silvester
Im niedern Zimmer
zieht sich der Pfeifenrauch in dicken, blauen Schwaden.
Der Nachtsturm rüttelt an den Fensterladen;
die brave Lampe leuchtet mir wie immer.
Wie stets glüht mir der rote Wein
im festen Glase mit dem Kaiserbilde;
ein stiller Wein - er mundet mir so milde -
ich träum ins Glas - was spiegelt sich darein?
Vier lange Jahre.
Es hieß sich immer wieder, wieder ducken
und schweigen und herunterschlucken.
Der Mensch war Material und Heeresware.
Das ist vorbei.
Was ist uns nun geblieben?
Wo ist das Deutschland, das wir ewig lieben?
Wofür die Plackerei?
Für nichts.
Ich tue einen Zug - die Pfeife knastert -
Was hat man uns gebetet und gepastert -
Tag des Gerichts!
Und wißt ihr, wer uns also traf?
Der Koksbaron und der Monokelträger,
das Bürgerlamm und der Karrierejäger -
Ihr lagt im Schlaf.
So wacht heut auf!
Wir trugen unser Kreuz und jene ihre Orden
wir sind gestoßen und getreten worden:
Muschkot, versauf!
Vergeßt ihr das?
Denkt stets daran, wie jene Alten sungen!
Ich aber komm euch in Erinnerungen
ein volles Glas -!
Josef Weinheber 1892-1945
Silvester
Nun so sind wir wieder vor der braven,
altbewährten Flasche festgeklebt.
Ein Jahr mitgezecht und beigeschlafen,
durchgeschuftet und dahingelebt
und am End' zufrieden, wenn der Haufen
Mißlichkeiten glimpflich abgelaufen.
Was an Träumen, Versen, Taxgebühren
noch vom alten Jahr her fällig ist,
hoffen wir, im neuen zu quittieren.
Leider, wie es geht, in Jahresfrist
wird derselbe Mist als Rest verbleiben,
den wir heut aufs neue Konto schreiben.
Schließlich herrscht kein Grund, sich aufzuregen.
Alte Schulden, halbvernarbtes Weh
woll'n wir heut getrost ad acta legen.
Nur verstimmend wirkt das Resume.
Gehn wir denn mit diesem Nasenstüber
hopps! zur neuen Tagesordnung über.
Schnell die Pfropfen 'raus! Es geht an Zwölfe.
Keine Hoffnung fälscht uns den Genuß,
daß uns Gott im neuen Jahre helfe.
Mit der Flasche machen wir Beschluß:
Rausch macht weiser, besser, innerlicher -
Alles andre aber ist nicht sicher.
Dr. Owlglaß 1873-1945
Silvester
Nun fällt die Klappe wieder zu.
Kriegt auch die arme Seele Ruh?
I Gott bewahre — alle Leute
sind äußerst neu’rungssüchtig heute:
«Erwirb dir, was du noch nicht hast,
und repariere, was nicht passt!
Vom Kopf bis zu den Stiefelsohlen
lass dich, o Adam, »überholen’!»
— Von Herzen gern und danke sehr.
Jedoch gesetzt den Fall, man wär’
längst überholt schon, alte Mode,
ein ausrangierter Don Quijote?
Was dann? ... Ist hier etwa der Satz
der ewigen Wiederkehr am Platz?
Tut’s not, sich in Geduld zu fassen
und, statt zu spielen, bloß zu passen?
Victor Blüthgen 1844-1920
Am Jahresschluß
Bald schließt der zwölfte Glockenschlag
Die letzte Jahresstunde,
Jetzt schlafe, was da schlafen mag,
Wir stehn in froher Runde,
Es klopft das Herz, es dampft das Glas,
Bei kräft’gem Wörtlein leert sich’s baß –
Verbrennt Euch nicht die Lippen
Mit Nippen!
Stoßt an! Wem gilt der erste Schluck?
Dem Frieden, der uns segnet.
Dem Kriegsgelüst mit festem Druck
Ward noch ein Jahr begegnet!
Schwing fürder deinen Palmenzweig,
Und aus der Heimathscholle steig’
Dem Fleiß ein neuer Segen
Entgegen!
Stoßt an! Mein Spruch zum zweiten spricht:
Ein voller Schluck der Treue,
Die Liebe, Freundschaft, Recht und Pflicht
Gewahrt mit frommer Scheue.
In allem Glück die Sicherheit.
Der beste Stab in Noth und Leid!
Bleib’ er im Weiterwallen
Uns allen!
Stoßt an! Wem gilt der dritte Gruß?
Dem tapfern Muth im Streben,
Der wehrhaft und mit festem Fuß
Hinschreitet durch das Leben.
Ihn lähmt nicht Sorg’ noch Widerdrang,
Er findet Weg für jeden Gang –
Will ihm das Heut nicht borgen,
Zahlt’s Morgen.
Stoßt an! Und wem der vierte Schluck?
Der Hoffnung frohgemuthet,
Die wie ihr immergrüner Schmuck!
Mit keinem Tod verblutet.
Zerrinnt die Gegenwart zu Schaum,
Sie rettet uns den schönen Traum
Und winkt uns traut im Stillen
Erfüllen.
Und wenn uns bleiben diese Vier,
Mich dünkt, wir können’s wagen,
Daß heiter unsre Bürde wir
Zwölf Monde weiter tragen.
Zum guten Schluß die Gläser klar –
Es schlägt – fahr wohl, du altes Jahr!
Behüt uns Gott mit Treuen
Im neuen!
Joachim Ringelnatz 1883-1934
Silvester
Zwischen zweier Jahre Sarg und Windel
Wiederholt sich immer solch historischer Schwindel,
Der zumal Kalenderfabrikanten
Und viele alte antitot gesinnte Tanten
Hochbeglückt.
Und auch mich.
Prosit Neujahr, Brüder!
Ich bin heute lüderlich.
Ja, ich brülle und betrinke mich.
Mich schlägt keine Uhr.
Und ich wünsche jedem Menschen nur:
Daß von dem, was er mit losem Munde
Heute erfleht,
möglichst wenig in Erfüllung geht.
Weil die Welt mir doch zu jeder Stunde
So am richtigsten erscheint, wie sie besteht.
Joachim Ringelnatz 1883-1934
Der Glückwunsch
Ein Glückwunsch ging ins neue Jahr,
Ins Heute aus dem Gestern.
Man hörte ihn sylvestern.
Er war sich aber selbst nicht klar,
Wie eigentlich sein Hergang war
Und ob ihn die Vergangenheit
Bewegte oder neue Zeit.
Doch brachte er sich dar, und zwar
Undeutlich und verlegen.
Weil man ihn nicht so ganz verstand,
So drückte man sich froh die Hand
Und nahm ihn gern entgegen.
Maria Luise Weissmann 1899-1929
Jahres-Ende
Du greises Jahr: du eilst, dem Ziele zu
Rascher und rascher, sehnst dich nach der Ruh
In einem tiefen grenzenlosen Tod.
Doch sieh: ich eile schneller, nach dem Rot
Des neuen Morgens gierig, dir voraus.
O komm! Hinübergeh! Lösch aus, lösch aus!
Gezeichnetes, Beladenes, befleckt
Mit großer Müdigkeit, mit Schmerz bedeckt –
Vergeh – ich werde! Stirb – und ich vermag
Aufzuerstehn: o neuer, reinster Tag!
Ludwig Thoma als Peter Schlemihl 1867-1921
Silvesternacht
Und nun, wenn alle Uhren schlagen,
So haben wir uns was zu sagen,
Was feierlich und hoffnungsvoll
Die ernste Stunde weihen soll.
Zuerst ein Prosit in der Runde!
Ein helles, und aus frohem Munde!
Ward nicht erreicht ein jedes Ziel,
Wir leben doch, und das ist viel.
Noch einen Blick dem alten Jahre,
Dann legt es auf die Totenbahre!
Ein neues grünt im vollen Saft!
Ihm gelte unsre ganze Kraft!
Wir fragen nicht: Was wird es bringen?
Viel lieber wollen wir es zwingen,
Daß es mit uns nach vorne treibt,
Nicht rückwärts geht, nicht stehen bleibt.
Nicht schwächlich, was sie bringt, zu tragen,
Die Zeit zu lenken, laßt uns wagen!
Dann hat es weiter nicht Gefahr.
In diesem Sinne: Prost Neujahr!
Ludwig Thoma 1867-1921
Neujahr bei Pastors
Mama schöpft aus dem Punschgefäße,
Der Vater lüftet das Gesäße
Und spricht: »Jetzt sind es vier Minuten
Nur mehr bis zwölfe, meine Guten.
Ich weiß, daß ihr mit mir empfindet,
Wie dieses alte Jahr entschwindet,
Und daß ihr Gott in seinen Werken
– Mama, den Punsch noch was verstärken! –
Und daß ihr Gott von Herzen danket,
Auch in der Liebe nimmer wanket,
Weil alles, was uns widerfahren
– Mama, nicht mit dem Arrak sparen! –
Weil, was geschah, und was geschehen,
Ob wir es freilich nicht verstehen,
Doch weise war, durch seine Gnade
– Mama, er schmeckt noch immer fade! –
In diesem Sinne meine Guten,
Es sind jetzt bloß mehr zwei Minuten,
In diesem gläubig frommen Sinne
– Gieß noch mal Rum in die Terrine! –
Wir bitten Gott, daß er uns helfe
Auch ferner – Wie? Es schlägt schon zwölfe?
Dann prosit! Prost an allen Tischen!
– Ich will den Punsch mal selber mischen.«
Wilhelm Busch 1832-1908
Zum Neujahr
Bald, so wird es zwölfe schlagen.
Prost Neujahr! wird mancher sagen;
Aber mancher ohne Rrren!
Denn es gibt vergnügte Herren.
Auch ich selbst, auf meinen Wunsch,
Mache mir ein wenig Punsch. -
Wie ich nun allhier so sitze
Bei des Ofens milder Hitze,
Angetan den Rock der Ruhe
Und die schönverzierten Schuhe,
Und entlocke meiner Pfeife
Langgedehnte Wolkenstreife,
Da spricht mancher wohl entschieden:
Dieser Mensch ist recht zufrieden!
Leider muss ich, dementgegen,
Schüttelnd meinen Kopf bewegen. -
Schweigend lüfte ich das Glas.
(Ach, wie schön bekömmt mir das!) -
Sonsten wie erfreulich war es,
Wenn man so am Schluss des Jahres
Oder in des Jahres Mitten
Zum bewussten Schrein geschritten
Und in süßem Traum verloren,
Emsig den Kupon geschoren!
Aber itzo auf die Schere
Sickert eine Trauerzähre,
Währenddem der Unterkiefer
Tiefer sinkt und immer tiefer. -
Traurig leere ich das Glas
(Ach, wie schön bekömmt mir das!) -
Henriette, dieser Name
Füllt mich auch mit tiefem Grame:
Die ich einst in leichten Stoffen
Herzbeklemmend angetroffen
Nachts auf dem Kasinoballe,
Sie, die später auf dem Walle
Beim Ziewiet der Philomele
Meine unruhvolle Seele
Hoch beglückt und tief beseligt,
Sie ist anderweit verehlicht,
Ist im Standesamtsregister
Aufnotieret als Frau Pfister,
Und es wird davon gesprochen,
Nächstens käme sie in Wochen. -
Grollend lüfte ich das Glas.
(Ach, wie schön bekömmt mir das!) -
Ganz besonders und vorzüglich
Macht es mich so mißvergnüglich,
Dass es mal nicht zu vermeiden,
Von hienieden abzuscheiden,
Dass die Denkungskraft entschwindet,
Dass man sich so tot befindet,
Und es sprechen dann die Braven:
Siehe da, er ist entschiafen.
Und sie ziehn gelind und lose
Aus der Weste oder Hose
Den geheimen Bund der Schlüssel,
Und man rührt sich auch kein bissel,
Sondern ist, obschon vorhanden,
Friedlich lächelnd einverstanden. -
Schaudernd leere ich das Glas.
(Ach, wie schön bekömmt mir das!) -
Wo wird dann die Seele weilen?
Muss sie sich in Duft zerteilen?
Oder wird das alte Streben,
Hübsche Dinge zu erleben,
Sich in neue Form ergießen,
Um zu lieben, zu genießen,
Oder in Behindrungsfällen
Sehr zu knurren und zu bellen?
Kann man, frag' ich angstbeklommen,
Da denn gar nicht hinterkommen?
Kommt, o kommt herbeigezogen,
Ihr verehrten Theologen,
Die ihr längst die ew'ge Sonne
Treu verspundet in der Tonne.
Überschüttet mich mit Klarheit! -
Doch vor allem hoff' ich Wahrheit
Von dem hohen Philosophen;
Denn nur er, beim warmen Ofen,
Als der Pfiffigste von allen,
Fängt das Licht in Mäusefallen. -
Prost Neujahr! Und noch ein Glas!
(Ei, wie schön bekömmt mir das!) -
Uh, mir wird so wohl und helle!
Himmel, Sterne, Meereswelle,
Weiße Möwen, goldne Schiffe;
Selig schwanken die Be-jiffe,
Und ich tauche in das Bette
Mit dem Seufzer: Hen-i-jette!
August Heinrich Hoffmann von Fallersleben 1798-1874
Neujahrslied
So singen wir, so trinken wir
Uns froh hinein ins neue Jahr.
Wir lassen drüben Gram und Leid,
Und nehmen mit die Fröhlichkeit
Ins neue Jahr.
So singen wir, so trinken wir
Uns froh hinein ins neue Jahr.
Die Freundschaft geht von selber mit,
Begleitet treu uns Schritt für Schritt
Ins neue Jahr.
So singen wir, so trinken wir
Uns froh hinein ins neue Jahr.
Die Hoffnung wartet unser dort,
Sie sprach: »Kommt mit! ich ziehe fort
Ins neue Jahr.«
So singen wir, so trinken wir
Uns froh hinein ins neue Jahr.
Drum, wer's nicht froh beginnen kann,
Der fang es lieber gar nicht an,
Das neue Jahr!
Johann Peter Hebel 1760-1826
Neujahrslied
Mit der Freude zieht der Schmerz
Traulich durch die Zeiten.
Schwere Stürme, milde Weste,
Bange Sorgen, frohe Feste
Wandeln sich zur Seiten.
Und wo eine Träne fällt,
Blüht auch eine Rose.
Schon gemischt, noch eh’ wir’s bitten,
Ist für Throne und für Hütten
Schmerz und Lust im Lose.
War’s nicht so im alten Jahr?
Wird’s im neuen enden?
Sonnen wallen auf und nieder,
Wolken geh’n und kommen wieder
Und kein Mensch wird’s wenden.
Gebe denn, der über uns
Wägt mit rechter Waage,
Jedem Sinn für seine Freuden,
Jedem Mut für seine Leiden
In die neuen Tage.
Jedem auf dem Lebenspfad
Einen Freund zur Seite,
Ein zufriedenes Gemüte
Und zu stiller Herzensgüte
Hoffnung ins Geleite.
Wilhelm Busch 1832-1908
Prosit Neujahr!
Das alte Jahr gar schnell entwich,
es konnt sich kaum gedulden
und ließ mit Freuden hinter sich
den dicken Sack voll Schulden.
Heinrich Daniel Zschokke 1771-1848
Neujahrswünsche
Jeder wünscht sich langes Leben,
seine Kisten voller Geld,
Wiesen, Wälder, Äcker, Reben -
Klugheit, Schönheit, Ruhm der Welt,
doch wenn alles würde wahr
was man wünscht zum neuen Jahr,
dann erst wär es um die Welt,
glaubt es, jämmerlich bestellt.
Lebten alle tausend Jahre,
was gewönnen wir dabei?
Kahle Köpfe, graue Haare
und das ew'ge Einerlei!
Im erschrecklichen Gedränge
ungeheurer Menschenmenge
würden Stadt und Dorf zu enge,
und die ganze Welt zu klein.
Niemand könnte etwas erben,
denn es würde keiner sterben;
und wer möchte Doktor sein?
Wäre jedermann so reich,
als wohl jeder wünscht zu werden:
Nun, dann würden wir auf Erden
uns, in Sorgen, alle gleich.
Da niemand des andern Bürde
künftig auf sich laden würde,
müßte jeglicher allein
sein höchsteigner Diener sein;
selber seine Strümpfe stricken,
möcht' er nicht gern barfuß gehn;
selber Rock und Hosen flicken
möcht' er nicht wie Adam stehen;
müßte kochen, braten, backen,
liebte er gesunde Kost.
Wäre er kein Freund vom Frost,
müßt' er selber Holz sich hacken.
Ständen alle ohne Mängel
wir hienieden schon, als Engel,
o wie wär' es böse Zeit
für die liebe Geistlichkeit!
Wer denn könnte Pfarrer werden
in dem Himmel hier auf Erden,
wenn der Laie besser wäre
als die Predigt, die er hört?
Nur wo nötig ist die Lehre
-und sonst nirgends- hat sie Wert.
Advokaten gingen müßig;
Richter wären überflüßig;
und Dragoner und Husaren
wären überflüß'ge Waren.
Ach, in diesem Weltgetümmel
wüchse wieder neue Not,
denn es brächte unser Himmel
manchen braven Mann ums Brot.
Wären alle Mädchen schön,
und von außen und von innen
und vom Wirbel bis zum Zehn
zauberische Huldgöttinnen:
zu alltäglich, zu gemein
würden schöne Mädchen sein;
niemand würde auf sie blicken. -
Wäre alles Diamant,
was jetzt Kiesel ist und Sand,
niemand möchte sich drum bücken.
Jeder wünscht zum neuen Jahr.
Aber würde alles wahr,
dann erst wär' es um die Welt,
glaubt es, jämmerlich bestellt!
Wollet Ihr die Welt verbessern,
(bloße Wünsche tun es nie,
Spiele sind's der Phantasie!)
wollet ihr die Welt verbessern,
fange jeder an bei sich,
denn der Mittelpunkt der größern
Welt ist jeglichem sein Ich.
Dieses Ich wirft seine Strahlen,
einer innern Sonne gleich,
durch des Lebens weites Reich.
Wie es selber ist, so malen
sich die Dinge klein und groß,
prächtig oder farbenlos!
Friedrich von Logau 1605-1655
Zum Jahreswechsel
Ernst war das Jahr, das nun geendet,
ernst ist das Jahr, das nun beginnt.
Daß sich die Welt zum beß'ren wendet
sei, Mensch, zum Besseren gesinnt.
Bedenk: das Schicksal aller Welt
ist mit in deine Macht gestellt,
und auch das Kleinste in der Zeit
ist Bild und Keim der Ewigkeit.
Clara Müller-Jahnke 1860-1905
Jahrwende
Am altersgrauen Baum der Zeit
ist eine Blume abgeblüht,
und eine Knospe tut sich auf.
Die Menschheit seufzt in gleicher Fron;
von ihrer müden Stirne fällt
der Schweiß in Tropfen erdenwärts.
Ihr Glaube aber träumt im Licht:
vor ihren Sehnsuchtsblicken schwimmt
das Morgenrot des neuen Tags.
Wie auch die Kette klirrt und drückt,
der Zukunft Sturm zerbricht sie doch, –
und jedes Jahr löst einen Ring.
Und jede Knospe, die erblüht
am altersgrauen Baum der Zeit,
birgt einen Keim der künftigen Frucht.
So grüß ich dich, du neues Jahr;
du junge Knospe tu dich auf,
und blüh' in lichtem Rosenrot!
Des Friedens milder Maienwind
umspiele deinen vollen Schoß,
der Liebe Geist befruchte dich!
Und deine Düfte gieße aus, –
mit Blütenblättern kränze du
der Menschheit tiefgefurchte Stirn.
In des Jahrhunderts Niedergang
sei du ein lichter Zukunftstraum,
sei du ein Gruß der neuen Zeit!
Joachim Ringelnatz 1883-1934
In der Neujahrsnacht
Die Kirchturmglocke schlägt zwölfmal Bumm.
Das alte Jahr ist wieder ’mal um.
Die Menschen können sich in den Gassen
Vor lauter Übermut gar nicht mehr fassen.
Sie singen und springen umher wie die Flöhe
Und werfen Mützen in die Höhe.
Der Schornsteinfegergeselle Schwerzlich
Küsst Herrn Conditor Krause herzlich.
Der alte Gendarm brummt heute sogar
Ein freundliches: Prosit zum neuen Jahr.
Theodor Fontane 1819-1898
Und wieder hier draußen ein neues Jahr ...
Und wieder hier draußen ein neues Jahr -
Was werden die Tage bringen?!
Wird’s werden, wie es immer war,
Halb scheitern, halb gelingen?
Wird’s fördern das, worauf ich gebaut,
Oder vollends es verderben?
Gleichviel, was es im Kessel braut,
Nur wünsch’ ich nicht zu sterben.
Ich möchte noch wieder im Vaterland
Die Gläser klingen lassen,
Und wieder noch des Freundes Hand
Im Einverständnis fassen.
Ich möchte noch wirken und schaffen und tun
Und atmen eine Weile,
Denn um im Grabe auszuruhn,
Hat’s nimmer Not noch Eile.
Ich möchte leben, bis all dies Glühn
Rücklässt einen leuchtenden Funken
Und nicht vergeht wie die Flamm’ im Kamin,
Die eben zu Asche gesunken.
Gottfried Keller 1819-1890
So werd ich manchmal irre an der Stunde
So werd ich manchmal irre an der Stunde,
An Tag und Jahr, ach, an der ganzen Zeit!
Sie gärt, sie tost, doch mitten auf dem Grunde
Ist es so still, so kalt und zugeschneit!
Habt ihr euch auf ein neues Jahr gefreut,
Die Zukunft preisend mit beredtem Munde?
Es rollt heran und schleudert weit, o weit!
Zurück euch, ihr versinkt im alten Schlunde!
O hätt den Hammer ich des starken Thor,
Auf das Jahrhundert einen Schlag zu führen,
Ich schlüg sein morsches Zeigerblatt zu Trümmern!
Tritt denn kein Uhrenmacher kühn hervor,
Die irre Zeit mit Macht zu regulieren?
Soll sie denn ganz in Staub und Rost verkümmern?
Richard von Schaukal 1874-1942
Das neue Jahr
Ein Kinderlied
Das alte Jahr hat über Nacht
in aller Stille sich fortgemacht.
Das neue ist noch ein kleines Kind:
es weiß noch gar nicht, wer wir sind.
Und ist doch unser Herr von heut,
hat Macht über soviel tausend Leut’.
So wollen wir denn, ohne umzuschaun,
ihm all unsre Sachen anvertraun.
Es stammt aus einem großen Haus:
es kennt sich ganz gewiss bald aus.
Johann Peter Hebel 1760-1826
Neujahrswunsch des Wochenblattträgers für 1812
Als wenns nie da gewesen wär,
Ist wieder eins hinunter,
Begraben in das tiefe Meer,
Bei Fusel und Burgunder.
Bei Saitenspiel, Pistolenschuß
Und krachenden Petarden,
Bei Händedruck und Liebes-Kuß
In Sälen und Mansarten.
S’hats wohl verdient das gute Jahr
Für viele schöne Gaben,
Daß wir an seiner Todten-Bahr
Valet getrunken haben.
Was will ich lange Seiten voll
Sie alle recitiren,
Ich hoff, das liebe neue soll
Sie selber repetiren.
Mit Blüthen war der März geschmückt,
Mit Blüthen der Oktober,
Manch Kindlein in der Wiege liegt,
Mit Bäcklein wie Zinnober.
Vor allem ist der liebe Wein
Nach Herzenswunsch gerathen,
Und mancher schmollt im Kämmerlein,
Und zählet die Dukaten.
An unser einen kommt es spät,
Auch etwas zu erhaschen,
Und wenn man auf der Gasse geht,
Zu klimpern in den Taschen.
Doch was mir werden soll, das war
In guter Hand indessen,
Ich weiß, das gabenreiche Jahr
Hat mich nicht ganz vergessen.
August Heinrich Hoffmann von Fallersleben 1798-1874
Neujahrslied
Das alte Jahr vergangen ist,
Das neue Jahr beginnt.
Wir danken Gott zu dieser Frist,
Wohl uns, dass wir noch sind!
Wir sehn aufs alte Jahr zurück
Und haben neuen Mut:
Ein neues Jahr, ein neues Glück!
Die Zeit ist immer gut.
Ja, keine Zeit war jemals schlecht:
In jeder lebet fort
Gefühl für Wahrheit, Ehr’ und Recht
Und für ein freies Wort.
Hinweg mit allem Weh und Ach!
Hinweg mit allem Leid!
Wir selbst sind Glück und Ungemach,
Wir selber sind die Zeit.
Und machen wir uns froh und gut,
Ist froh und gut die Zeit
Und gibt uns Kraft und frohen Mut
Bei jedem neuen Leid.
Und was einmal die Zeit gebracht,
Das nimmt sie wieder hin -
Drum haben wir bei Tag und Nacht
Auch immer frohen Sinn.
Und weil die Zeit nur vorwärts will,
So schreiten vorwärts wir;
Die Zeit gebeut, nie stehn wir still,
Wir schreiten fort mit ihr.
Ein neues Jahr, ein neues Glück!
Wir ziehen froh hinein,
Denn vorwärts! vorwärts! nie zurück!
Soll unsre Losung sein.
Richard von Schaukal 1874-1942
Neues Jahr
Wieder ein Ring am Baum,
der seine Wurzeln in Traum
taucht und Tiefe der Nacht.
Wieder ein Zeichen der Zeit,
die durch die Ewigkeit
tastende Menschen erdacht.
Wieder um Weh und Wahn
kreisend gemessene Bahn,
bis wir am Ziel erwacht.
Karl Henckell 1864-1929
Mein Neujahrswunsch
Was ich erwünsche vom neuen Jahre?
Dass ich die Wurzel der Kraft mir wahre,
Festzustehen im Grund der Erden,
Nicht zu lockern und morsch zu werden,
Mit den frisch ergrünenden Blättern
Wieder zu trotzen Wind und Wettern,
Mag es ächzen und mag es krachen,
Stark zu rauschen, ruhig zu lachen,
So in Regen wie Sonnenschein
Freunden ein Baum des Lebens zu sein.
Wilhelm Busch 1832-1908
Zu Neujahr
Will das Glück nach seinem Sinn
Dir was Gutes schenken,
Sage Dank und nimm es hin
Ohne viel Bedenken.
Jede Gabe sei begrüßt,
Doch vor allen Dingen:
Das, worum du dich bemühst,
Möge dir gelingen.
Friedrich Rudolph Ludwig von Canitz 1654-1699
Das Neue Jahr
Sonnet
So bleibt auf ewig nun das alte Jahr zurücke:
Wie theilt der Sonnen Lauff so schnell die Zeiten ab!
Wie schleppet uns so bald das Alter in das Grab!
Das heißt wol schlecht gelebt die kurtzen Augenblicke,
In welchen viel Verdruß, vermischt mit schlechtem Glücke,
Und lauter Unbestand sich zu erkennen gab!
Das heißt wol schlecht gewohnt, wenn uns der Wander-Stab
Nie aus den Händen kömmt; Wenn wir durch List und Stricke
Hinstraucheln in der Nacht, da wenig Licht zu sehn,
Und Licht, dem allemahl nicht sicher nachzugehn!
Denn, so der Höchste nicht ein eignes Licht will weisen,
Das, wenn wir uns verwirrt, uns Sinn und Auge rührt,
Ist alles Licht ein Licht, das zur Verdamniß führt!
O gar zu kurtze Zeit! O gar zu schweres Reisen!
Otto Julius Bierbaum 1865-1910
Neujahrspredigt
Laßt uns, Freunde, ins neue Jahr
Eingehn wie in ein schönes, gesichertes Haus,
In dem die Liebe und der Friede wohnt
Und Schönheit überall heimisch ist.
Und laßt uns, Freunde, heiter gelassenen Sinns,
Mit keinem Haß belastet, ohne Neid,
Heil, liebe Freunde, im starken Herzen, laßt uns
In dieses neue Haus einziehn, und lachend.
Wir sind wohl keiner wundenlos, unversehrt,
Und jeder spürte, daß Niederträchtigkeit
Sehnenkräftige Bogen und giftige Pfeile hat,
Und daß der Dummheit Kartaunen nicht bloß brüllen,
Sondern auch vieles zerstören können, das
Mit Mühe und Kunst errichtet ward, – und, ach,
Des Schlimmsten wurden wir uns wohl auch bewußt,
Daß Schwachheit unser Teil ist und irgendwo
Jeder, wie fest er gefügt sich dünke,
Locker und undicht ist im Baue.
Das aber, Freunde, fechte uns nicht an!
Wir wollen tapfer sein und, gilts Gefecht,
Mit Lachen in den Feind gehn, da wir ja
Als Edle kämpfen und dem Troß voran
Als Wissende: Es ist die Kraft in uns,
Allein zu stehn, gemeiner Art entrückt.
Wenn aber Dumpfheit alles niederschlägt
Und Kampf nicht lohnt und Widerwillen uns
Erfassen will, so wollen wir, Freunde, nicht
Mit Trübsal abziehn, sondern heiter
Das Schwert der Scheide schenken und mit Gesang
Den Schritt wegwenden in die Einsamkeit.
Dies, liebe Freunde, ist nach meinem Sinn,
Vielleicht das Beste, das das Jahr bescheren mag:
Verborgenheit und Ruhe in uns selbst.
Wohl dem, der dies erfährt, doch selig der
(Wie selig, weiß ich, der es nun erfuhr)
Der nicht allein in dieses schöne Haus
Gelassener Beschaulichkeit zu gehen braucht.
In Einsamkeit vereint, das ist mein Spruch,
Und dies mein Wunsch, daß jeder, der es wert,
Voll aus, bis auf den Grund ausfühlen möge, welch ein Glück
Dies Wort umschließt: In Einsamkeit vereint.
Neujahrswünsche
Das neue Jahr sei ein Jahr des Lichtes,
der Liebe und des Schaffens.
Bringe den Menschen die Krone des Lebens
und lasse die Kronen dieses Lebens menschlich sein.
Setze dem Überfluß Grenzen
und lasse die Grenzen überflüssig werden.
Gib allem Glauben seine Freiheit
und mache die Freiheit zum Glauben aller.
Nimm den Ehefrauen das letzte Wort
und erinnere die Ehemänner dagegen an ihr erstes.
Lasse die Leute kein falsches Geld machen
aber auch das Geld keine falschen Leute.
Gib den Regierungen ein besseres Deutsch
und den Deutschen bessere Regierungen.
Schenke unseren Freunden mehr Wahrheit
und der Wahrheit mehr Freunde.
Gib den Gutgesinnten
eine gute Gesinnung;
lasse die Wissenschaft
Wissen schaffen.
Und lasse die, die rechtschaffen sind,
auch Recht schaffen,
Lasse uns nicht vergessen,
daß wir alle von Gottes Gnaden sind
und daß alle allerhöchsten Menschen Demokraten waren.
Gib unserem Verstand Herz
und unserem Herzen Verstand,
auf daß unsere Seele schon hier selig wird.
Sorge dafür, daß wir alle in den Himmel
kommen - aber noch lange nicht!
Wünsche eines unbekannten Dorfpfarrers in Mecklenburg,
die er in seiner Neujahrspredigt am 1. Januar 1864 äußerte
Wenn das alte Jahr erfolgreich war,
dann freue dich aufs neue.
Und war es schlecht,
ja dann erst recht!
Albert Einstein