Und Gott der Herr sprach:
Es ist nicht gut,
dass der Mensch allein sei;
ich will ihm eine Gehilfin machen,
die um ihn sei.
Altes Testament, Das erste Buch Mose - Genesis, 1.Mose 2,18
Wer die Einsamkeit fürchtet,
sollte nicht heiraten.
Anton Pawlowitsch Tschechow 1860-1904
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Rainer Maria Rilke 1875-1926
Herbsttag
Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
Und auf den Fluren laß die Winde los.
Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.
Frida Schanz 1859-1944
Allein
Farblose Herbstestage!
Ich bin allein, allein.
Trüb tönt des Sturmes Klage,
der Regen rauscht darein.
Verhüllt, mit müden Sohlen,
naht sternenlos die Nacht;
es stirbt der Tag verstohlen,
der keinen froh gemacht.
Im Herd verglühn die Reiser;
nur über Wand und Schrein
irrt ein verlorner, leiser,
blassroter Flammenschein.
Die Uhr im Erkerzimmer
hebt aus zu heisrem Schlag.
Wie gern schied ich für immer
mit dir, du fahler Tag!
Charlotte von Ahlefeld 1777-1849
Im Herbst
Wie mit Flor bezogen ist der Himmel,
Graue Nebel sinken feucht und schwer,
Und der Raben hungriges Gewimmel
Zieht auf Stoppelfeldern hin und her.
Blätter rauschen auf den öden Wegen,
Die ich froh und glücklich einst betrat;
Rauhe Lüfte hauchen mir entgegen,
Und durchschaueren die Wintersaat.
Ringsumher ist jede Spur verschwunden
Von des Sommers Lieblichkeit und Lust.
Nur in tiefen, unheilbaren Wunden
Regt sich noch sein Bild in meiner Brust.
Nur die Hoffnung hebt durch frische Farben
Die verblichne, freudenleere Welt;
Sammelt auch auf öden Fluren Garben,
Die sie in der Zukunft Felder stellt.
Und der Schwermuth schauerliche Nächte
Hellt uns oft ihr goldner Himmelsschein;
Freundlich führt uns ihre milde Rechte
In das Reich der Fantasieen ein.
Tön' auch mir mit Deinem Schmeichelworte,
Hoffnung, Frieden in das bange Herz;
Kränze windend um der Zukunft Pforte,
Deute Du der Sehnsucht ihren Schmerz.
Und wenn einst der Sommer wiederkehret,
Lass in seinem frischbelebten Grün
Jede Freude, die mein Herz entbehret,
Mir im Glück des Wiedersehens blühn.
Emmy Ball-Hennings 1885-1948
Klage im Wald
Wo es am innigsten blüht, blüht die Lust.
Was weinst du, weil du leben mußt?
Was singst du, weil du stirbst, mein Herz?
Wo es am innigsten blüht, blüht der Schmerz.
O Blühen im Tode, im Tode Blühen!
O bebender Wald im letzten Glühen!
Was leuchtet dein Blättermeer im Herbst?
Damit du die Ewigkeit ererbst?
Was brennt deine Schönheit im Versinken?
O all dein buntes Farbenwinken.
Wie macht es mich weinen ...?
Es will mir scheinen,
Als versängest du dein Blut im Vergehen.
Deine flammenden Blätter, die weich zur Erde wehen.
Singen Liebe im Sterben.
Leiser noch wirst du werben.
O still, verschweige dich, schweige bald.
Es geht ein Weinen durch den Wald ...
Emil Claar 1842-1930
Ich liebte dich
Ich liebte dich, drum kaum beachtet
Verrann der Lenz. – Kühl ist die Welt.
Nun kommt der Herbst – mir scheint es nachtet
Auf jedem Weg – der Nebel fällt.
Ich liebte dich – drum hast du selber
Verdreifacht meines Herzens Not. –
Die Blätter werden immer gelber,
Nun kommt der Herbst – nun kommt der Tod.
Heinrich Seidel 1842-1906
Einsamkeit
Mondesglanz auf feuchten Wiesen,
Auf dem stillen Nebelsee,
Bäume ragen, dunkle Riesen,
Wo ich einsam sinnend steh!
Vogelruf aus thauigen Feldern,
Wasserrauschen fern im Grund,
Tiefes Schweigen in den Wäldern,
Sternenflimmer hoch im Rund.
Und mein Blut geht hin und wieder,
Und vorüber rinnt die Zeit,
Schauer senkt sich auf mich nieder
Vor dem Hauch der Einsamkeit.
Johannes Trojan 1837-1915
Einsamkeit
Von dem Gewühl des Markts verwirrt,
Schleicht wohl der Mensch sich fort und irrt
Lauschend durch Wildnis, Wald und Öde.
Es graut ihm bald im einsamen Revier,
Baum spricht zu Baum, das Tier ruft nach dem Tier —
Da lüstet's Menschenohr nach Menschenrede.
Ida von Conring 1855-1928
Herbst
Der Herbst ist da mit seinen rauen Winden,
Er ist gekommen, eh du es gedacht.
Du sahst des Sommers zarte Blüten schwinden,
Sahst Blätter welken, fallen, über Nacht,
Und Alles ruft dir ernst und mahnend zu:
O Menschenkind, einst wirst auch scheiden du!
Sieh‘, wie der Sonne letzter matter Schimmer,
Ein falber Goldstrahl, durch die Wipfel floss,
Ist’s noch das mächt’ge Taggestirn, das vormals
Die heißen Flammenpfeile niederschoss?
Wie Abschiedsgrüßen winkt ihr Strahl dir her:
Auch du wirst gehn, und Scheiden ist so schwer.
Auch du wirst scheiden – ob in Jugendprangen
Ob, wenn dein Haupt der Schnee des Alters bleicht –
Ob du auf Dornenpfaden bist gegangen,
Ob dir ein lichter Traum dein Dasein däucht –
Dir kommt der Herbst, wie heute der Natur,
Auch du wirst ruhen, wart ein Weilchen nur!
So wie die grünen Blätter sich entfärben,
Und erdenwärts im kalten Hauche wehn,
So wirst auch du einst altern, welken, sterben –
Und friedlich schlummern bis zum Auferstehn.
Bis licht in deinen tiefen Schlummer fällt
Ein Frühlingsstrahl, der nicht von dieser Welt.
Richard Dehmel 1863-1920
Mein Wald
Der Herbst stürmt seine Tänze.
Durch dürre Blätter muß ich gehn;
in meinen Wald.
In meinem lieben Wald,
wo nicht ein Baum mein eigen ist,
gehn fremde Leute durch den Wind
und sagen: es ist kalt.
Und da steht auch mein Stein,
auf dem ich manchmal sitze,
wenn mein Herz stürmt.
Friedrich Nietzsche 1844-1900
Vereinsamt
Die Krähen schrein
Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:
Bald wird es schnein –
Wohl dem, der jetzt noch – Heimat hat!
Nun stehst du starr,
Schaust rückwärts, ach! wie lange schon!
Was bist du Narr
Vor Winters in die Welt – entflohn?
Die Welt – ein Tor
Zu tausend Wüsten stumm und kalt!
Wer das verlor,
Was du verlorst, macht nirgends Halt.
Nun stehst du bleich,
Zur Winter-Wanderschaft verflucht,
Dem Rauche gleich,
Der stets nach kältern Himmeln sucht.
Flieg, Vogel, schnarr
Dein Lied im Wüsten-Vogel-Ton! –
Versteck, du Narr,
Dein blutend Herz in Eis und Hohn!
Die Krähen schrein
Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:
Bald wird es schnein,
Weh dem, der keine Heimat hat!
Georg Trakl 1887-1914
Der Herbst des Einsamen
Der dunkle Herbst kehrt ein voll Frucht und Fülle,
Vergilbter Glanz von schönen Sommertagen.
Ein reines Blau tritt aus verfallener Hülle;
Der Flug der Vögel tönt von alten Sagen.
Gekeltert ist der Wein, die milde Stille
Erfüllt von leiser Antwort dunkler Fragen.
Und hier und dort ein Kreuz auf ödem Hügel;
Im roten Wald verliert sich eine Herde.
Die Wolke wandert übern Weiherspiegel;
Es ruht des Landmanns ruhige Gebärde.
Sehr leise rührt des Abends blauer Flügel
Ein Dach von dürrem Stroh, die schwarze Erde.
Bald nisten Sterne in des Müden Brauen;
In kühle Stuben kehrt ein still Bescheiden
Und Engel treten leise aus den blauen
Augen der Liebenden, die sanfter leiden.
Es rauscht das Rohr; anfällt ein knöchern Grauen,
Wenn schwarz der Tau tropft von den kahlen Weiden.
Theodor Däubler 1876-1934
Einsam
Ich rufe! Echolos sind alle meine Stimmen.
Das ist ein alter, lauteleerer Wald.
Ich atme ja, doch gar nichts regt sich oder hallt.
Ich lebe, denn ich kann noch lauschen und ergrimmen.
Ist das kein Wald? Ist das ein Traumerglimmen?
Ist das der Herbst, der schweigsam weiter wallt?
Das war ein Wald! Ein Wald voll alter Urgewalt.
Dann kam ein Brand, den sah ich immer näher klimmen.
Erinnern kann ich mich, erinnern, bloß erinnern.
Mein Wald war tot. Ich lispelte zu fremden Linden,
Und eine Quelle sprudelte in meinem Innern.
Nun starr ich in den Traum, das starre Waldgespenst.
Mein Schweigen, ach, ist aber gar nicht unbegrenzt.
Ich kann in keinem Wald das Echo-Schweigen finden.
Richard Dehmel 1863-1920
Stiller Gang
Der Abend graut, Herbstfeuer brennen.
Über den Stoppeln geht der Rauch entzwei.
Kaum ist mein Weg noch zu erkennen.
Bald kommt die Nacht; ich muß mich trennen.
Ein Käfer surrt an meinem Ohr vorbei.
Vorbei.
Joseph Freiherr von Eichendorff 1788-1857
Herbstweh
So still in den Feldern allen,
Der Garten ist lange verblüht,
Man hört nur flüsternd die Blätter fallen,
Die Erde schläfert – – ich bin so müd.
Es schüttelt die welken Blätter der Wald,
Mich friert, ich bin schon alt,
Bald kommt der Winter und fällt der Schnee,
Bedeckt den Garten und mich und alles, alles Weh.
Friedrich Hebbel 1813-1863
Spaziergang am Herbstabend
Wenn ich Abends einsam gehe
Und die Blätter fallen sehe,
Finsternisse nieder wallen,
Ferne, fromme Glocken hallen:
Ach, wie viele sanfte Bilder,
Immer inniger und milder,
Schatten längst vergangner Zeiten,
Seh' ich dann vorüber gleiten.
Was ich in den fernsten Stunden,
Oft nur halb bewußt, empfunden,
Dämmert auf in Seel' und Sinnen,
Mich noch einmal zu umspinnen.
Und im inneren Zerfließen
Mein' ich's wieder zu genießen,
Was mich vormals glücklich machte,
Oder mir Vergessen brachte.
Doch, dann frag' ich mich mit Beben:
Ist so ganz verarmt dein Leben?
Was du jetzt ersehnst mit Schmerzen,
Sprich, was war es einst dem Herzen?
Völlig dunkel ist's geworden,
Schärfer bläs't der Wind aus Norden,
Und dies Blatt, dies kalt benetzte,
Ist vielleicht vom Baum das letzte.
Hedwig Lachmann 1865-1918
Unterwegs
Ich wandre in der großen Stadt. Ein trüber
Herbstnebelschleier flattert um die Zinnen,
das Tagwerk schwirrt und braust vor meinen Sinnen,
und tausend Menschen gehn an mir vorüber.
Ich kenn’ sie nicht. Wer sind die vielen? Tragen
sie in der Brust ein Los wie meins? Und blutet
ihr Herz vielleicht, von mir so unvermutet,
als ihnen fremd ist meines Herzens Schlagen?
Der Nebel tropft. Wir alle wandern, wandern.
Von dir zu mir erhellt kein Blitz die Tiefen.
Und wenn wir uns das Wort entgegenriefen –
es stirbt im Wind, und keiner weiß vom andern.
Cäsar Flaischlen 1864-1920
Laß sterben, was sterben will
Laß sterben, was sterben will, und schleppe
dich mit ihm nicht müde! Du zwingst es doch
nicht mehr zum Leben und zu der frohen Freude
eines Sommers! Es hat die Kraft nicht mehr,
dein Mitleid, deine Liebe dir zu danken, und zerrt
dich selber nur in seinen Herbst!
Laß sterben drum, was sterben will ...
und ohne Klage!
Martin Greif 1839-1911
Am herbstlichen Seeufer
Düstere Wogen
Kommen gezogen
Seufzend heran –
Einsamer Tage
Herbstliche Klage
Kündet sich an!
Georg Philipp Harsdörffer 1607-1658
Der Herbst
Nun heben an zu klagen die Hügel, Tal und Feld,
Es bringt viel Missbehagen des rauhen Windes Kält',
Es fallen falbe Blätter
Und schweben in der Luft;
Denn Schnee und Winterwetter
Der Nordenstürmer ruft.
Die reifen Früchte fallen, wenn man sie nicht nimmt ab,
Die alten Menschen wallen hin zu dem alten Grab.
Das, was hat zugenommen
Bis auf gewisse Zeit,
Muss zu dem Ende kommen
In dieser Eitelkeit.
Wann wir die Äxte sehen den Bäumen angesetzt,
So ist es bald geschehen, dass er, dadurch verletzt,
Zu der entfärbten Erden
Sich neigend bricht und kracht,
Und muss er endlich werden
Dem Feuer zugebracht.
So müssen auch die alle, so sind ohn' gute Frucht,
Sich fürchten vor dem Falle, das ist die Menschensucht.
Und wie der Baum gefället,
So liegt er fort und fort;
Der Böse wird gestellet
Dort in den Jammerort.
So lasset uns bedenken bei dieser Herbsteszeit,
Wie alle Ding' erkranken und zu dem Tod bereit.
Dass wir noch länger leben,
Dass Alles nicht ist aus,
Hat Gottes Gnad' gegeben
Hier in dem Erdenhaus.
Gerhart Hauptmann 1862-1946
Der Herbstwind heult
Der Herbstwind heult, die Blätter jagen,
vom Sturm gescheucht, durch kalte Luft.
Die hüllenlosen Bäume ragen,
Denkmäler einer Totengruft.
Des Sommers Gluten blass verlodern,
von Wolkenmassen ausgedrückt,
die Sonne selbst scheint zu vermodern,
vom bleichen Tode angeblickt.
Es trieft aus nassen Ästen nieder,
Verwesung birgt ein jeder Hauch.
Und, Quelle meiner jungen Lieder,
Verwesung, scheint es, naht dir auch.
Mein Innres krampft sich jäh zusammen,
mein Auge ist von Schleiern schwer,
denn jene tiefgenährten Flammen
des Herzens leichten ihm nicht mehr.
Aus Wolken, die am Himmel schwimmen,
ein Tränenstrom in meinen taut,
und alles will zusammenstimmen
in einen einzigen Sterbelaut.
Georg Heym 1887-1912
Im Herbst
Wir lieben das Vergehende und Müde,
Den letzten Glanz im Abendlande,
Den Traurigen und Schönen,
Als verschiede
Mit ihm auch unsre Jugend ewig.
Und manche Blätter von den Zweigen gleiten
Dir auf das Haar, noch zitternd leise,
Als wollten sie in Golde sich bereiten
Ein Grabtuch und in Schönheit sterben.
Arno Holz 1863-1929
In welken Kronen
In welken Kronen
wiegt sich … der Herbst.
Purpurne Blätter schweben,
schwanken … schaukeln,
trägkreiseln,
fallen.
Nebel webt schon,
Krähen krächzen.
Stare sammeln sich
… Drosseln … ziehen
… Wildgänse wandern.
Noch einmal,
kühlblass, müde
scheint die … Sonne.
Am stillen See,
auf der kleinen Brücke,
über das alte, krumme, morschmoosige Balkengeländer gelehnt,
unter den dunklen,
riesigen, schlangenbunt sich verästelnden Platanen,
versunken,
einsam … lange,
stehe ich,
starre … und … träume
in ein
gespiegeltes, seltsam fantastisches,
wie unirdisches,
märchenhaftes, zauberhaftes
Paradies!
Friedrich Kayssler 1874-1945
Herbst
Die Sonne scheint so matt in diesen Tag.
Die Wege sind so still.
So still, als schriee jedes dürre Blatt,
wenn es die leise Pfote meines Hundes trat.
Und ich? Noch stiller als dies alles,
dumpf und fremd mir selbst,
unhörbar schleichend neben mir.
Hans Leifhelm 1891-1947
Herbstelegie
Schon zerblättert Mais im Wind,
Schon geht sirrend die Sense durchs Feld,
Aus dem Walde der Elsterruf gellt,
Wenn der nebelnde Morgen beginnt.
Und die Sonne kommt blutig herauf
Aus den kämpfenden Tiefen der Nacht,
Wo das lautlose Wintertier wacht
Und sich anschickt zum eisigen Lauf.
Doch der Tag will noch einmal erblühn,
Dieses Tal hält noch sommerlich Rast,
Eh das prangende Leben verblaßt,
Eh die Steinnelken purpurn versprühn.
Oh du Mittag am glühenden Rain,
Wenn die Grille den Geistertakt spinnt,
Wenn die Weinbeere drängend verrinnt,
Wenn die Eidechse zuckt im Gestein.
Aus der Ferne das Windrad erklingt
Wie Musik im verlassenen Land,
Immerzu als ein tönendes Band,
Das den fliehenden Sommer umschlingt.
In verträumter Kadenz perlt der Klang
Wie ein Lied aus vergessener Zeit,
Hügel ab, hügelan, nah und weit,
Wandert magischen Echos Gesang.
Frühe Dämmerung grenzenlos fällt,
Grüne Schlange entflieht in den Wald,
Glück und Leid sinken hin ohne Halt,
Unter Herbststernen wandelt die Welt.
In den Farben des Untergangs brennt
Des Gebirges opalener Kreis,
Bis der Reif alles deckt still und weiß,
Bis das Herz keine Stätte mehr kennt.
Nikolaus Lenau 1802-1850
Herbstentschluß
Trübe Wolken, Herbstestluft,
Einsam wandl' ich meine Straßen,
Welkes Laub, kein Vogel ruft –
Ach, wie stille! wie verlassen!
Todeskühl der Winter naht;
Wo sind, Wälder, eure Wonnen?
Fluren, eurer voller Saat
Goldne Wellen sind verronnen!
Es ist worden kühl und spät,
Nebel auf der Wiese weidet,
Durch die öden Haine weht
Heimweh, – alles flieht und scheidet.
Herz, vernimmst du diesen Klang
Von den felsentstürzten Bächen?
Zeit gewesen wär' es lang,
Daß wir ernsthaft uns besprächen!
Herz, du hast dir selber oft
Weh getan und hast es andern,
Weil du hast geliebt, gehofft;
Nun ist's aus, wir müssen wandern!
Auf die Reise will ich fest
Ein dich schließen und verwahren,
Draussen mag ein linder West
Oder Sturm vorüberfahren;
Daß wir unserem letzten Gang
Schweigsam wandeln und alleine,
Daß auf unserm Grabeshang
Niemand als der Regen weine!
Nikolaus Lenau 1802-1850
Herbstlied
Ja, ja, ihr lauten Raben
Hoch in der kühlen Luft,
's geht wieder ans Begraben,
Ihr flattert um die Gruft!
Die Wälder sind gestorben,
Hier, dort ein leeres Nest;
Die Wiesen sind verdorben;
O kurzes Freudenfest!
Ich wandre hin und stiere
In diese trübe Ruh,
Ich bin allein und friere
Und hör euch Raben zu.
Auch mir ist Herbst, und leiser
Trag ich den Berg hinab
Mein Bündel dürre Reiser,
Die mir das Leben gab.
Einst sah ich Blüten prangen
An meinem Reiserbund,
Und schöne Lieder klangen
Im Laub, das fiel zu Grund.
Die Bürde muß ich tragen
Zum letzten Augenblick;
Den Freunden nachzuklagen,
Ist herbstliches Geschick.
Soll mit dem Rest ich geizen
Und mit dem Reisig froh
Mir meinen Winter heizen?
Ihr Raben, meint ihr so?
Erinnerungen schärfen
Mir nur des Winters Weh;
Ich möchte lieber werfen
Mein Bündel in den Schnee.
Hermann von Lingg 1820-1905
Herbstabend
Durchs Stoppelfeld auf Nebelstreifen
Weht traurig kalt Novemberwind;
Dort wankt am Wald mit Reisighäufen
Ein armes Weib und führt ihr Kind.
Dort sucht man die vergessne Traube,
Dort pflückt man Schleh' und Hagebutt.
Im Hofe pickt die wilde Taube
Ein Körnchen noch aus Stroh und Schutt.
Und hier, gebeugt auf müden Füßen,
Kehrt Einer heim, arm und allein,
Um noch zum letztenmal zu grüßen
Die letzte Seele, die noch sein.
Selma Meerbaum-Eisinger 1924-1942
Herbst
Der Regen spinnt
Sein graues Lied
Von Sehnsucht und
Von schwerem Weh.
Von Träumen blind
Alleinseins müd
Bin ich ein Hund
Und – geh'.
Verloschnes Gold
Und toter Traum
Von Liebe sieht
Mich an und schweigt.
Und um mich rollt
Schillernder Schaum –
Die Sehnsucht zieht
Und – geigt.
Der Herbst ist da
Und weint mich an
Mit Augen, die
Erloschen sind.
Ich weiß, er sah:
Das Glück verrann,
Zwang mich ins Knie
Und – ging.
Anna Ritter 1865-1921
Im Herbst
Schon färbt der Wein sich roth,
Der Herbst will kommen,
Die Trauben hangen leuchtend am Spalier,
Und in den Wegen liegt das Laub gesät.
Du sprichst von Liebe, doch es klingt beklommen,
Du fühlst wohl selbst: die Werbung kommt zu spät,
Denn auch in uns ist lang der Sommer todt.
Dort, wo der Weg sich theilt,
Wo in die Weiden
Der Sonne letzte, rothe Gluth sich hängt,
Und uns Erinnerung grüßt von jener Bank,
Dort laß uns tapfer von einander scheiden.
Nein - nicht in Thränen, Freund, in stillem Dank,
Daß uns der späte Sonnenstrahl ereilt!
Georg Trakl 1887-1914
Ein Herbstabend
Das braune Dorf. Ein Dunkles zeigt im Schreiten
Sich oft an Mauern, die im Herbste stehn,
Gestalten: Mann wie Weib, Verstorbene gehn
In kühlen Stuben jener Bett bereiten.
Hier spielen Knaben. Schwere Schatten breiten
Sich über braune Jauche. Mägde gehn
Durch feuchte Bläue und bisweilen sehn
Aus Augen sie, erfüllt von Nachtgeläuten.
Für Einsames ist eine Schenke da;
Das säumt geduldig unter dunklen Bogen,
Von goldenem Tabaksgewölk umzogen.
Doch immer ist das Eigne schwarz und nah.
Der Trunkne sinnt im Schatten alter Bogen
Den wilden Vögeln nach, die ferngezogen.
Ludwig Uhland 1787-1862
Zu meinen Füßen sinkt ein Blatt
Zu meinen Füßen sinkt ein Blatt,
Der Sonne müd, des Regens satt;
Als dieses Blatt war grün und neu,
Hatt ich noch Eltern, lieb und treu.
O wie vergänglich ist ein Laub,
Des Frühlings Kind, des Herbstes Raub!
Doch hat dies Laub, das niederbebt,
Mir so viel Liebes überlebt.
Georg Trakl 1887-1914
Ein Herbstabend
An Karl Röck
Das braune Dorf. Ein Dunkles zeigt im Schreiten
Sich oft an Mauern, die im Herbste stehn,
Gestalten: Mann wie Weib, Verstorbene gehn
In kühlen Stuben jener Bett bereiten.
Hier spielen Knaben. Schwere Schatten breiten
Sich über braune Jauche. Mägde gehn
Durch feuchte Bläue und bisweilen sehn
Aus Augen sie, erfüllt von Nachtgeläuten.
Für Einsames ist eine Schenke da;
Das säumt geduldig unter dunklen Bogen,
Von goldenem Tabaksgewölk umzogen.
Doch immer ist das Eigne schwarz und nah.
Der Trunkne sinnt im Schatten alter Bogen
Den wilden Vögeln nach, die ferngezogen.
Wang Wei 699-759
In einer Herbstnacht einsam sitzend
Einsam sitzend, bekümmert ob der grauen Schläfen,
Im leeren Zimmer ersehn ich die zweite Nachtwache.
Wilde Beeren fallen im Rauschen des Regens,
Unter der Lampe zirpt eine Heuschrecke.
Des Schopfs Ergrauen ist schließlich unumkehrbar,
Das Lebenselixier hat niemand je zustandegebracht,
Wer wissen will, was Krankheit und Alter überwindet,
Der muß sich allein dem Ungeborenen widmen.
Georg Trakl 1887-1914
Melancholie des Abends
Der Wald, der sich verstorben breitet –
Und Schatten sind um ihn, wie Hecken.
Das Wild kommt zitternd aus Verstecken,
Indes ein Bach ganz leise gleitet
Und Farnen folgt aus alten Steinen
Und silbern glänzt aus Laubgewinden.
Man hört ihn bald in schwarzen Schlünden –
Vielleicht, daß auch schon Sterne scheinen.
Der dunkle Plan scheint ohne Maßen,
Verstreute Dörfer, Sumpf und Weiher,
Und etwas täuscht dir vor ein Feuer.
Ein kalter Glanz huscht über Straßen.
Am Himmel ahnet man Bewegung,
Ein Heer von wilden Vögeln wandern
Nach jenen Ländern, schönen, andern.
Es steigt und sinkt des Rohres Regung.
Wilhelm Busch 1832-1908
Der Einsame
Wer einsam ist, der hat es gut,
Weil keiner da, der ihm was tut.
Ihn stört in seinem Lustrevier
Kein Tier, kein Mensch und kein Klavier,
Und niemand gibt ihm weise Lehren,
Die gut gemeint und bös zu hören.
Der Welt entronnen, geht er still
In Filzpantoffeln, wann er will.
Sogar im Schlafrock wandelt er
Bequem den ganzen Tag umher.
Er kennt kein weibliches Verbot,
Drum raucht und dampft er wie ein Schlot.
Geschützt vor fremden Späherblicken,
Kann er sich selbst die Hose flicken.
Liebt er Musik, so darf er flöten,
Um angenehm die Zeit zu töten,
Und laut und kräftig darf er prusten,
Und ohne Rücksicht darf er husten,
Und allgemach vergißt man seiner.
Nur allerhöchstens fragt mal einer:
Was, lebt er noch? Ei, Schwerenot,
Ich dachte längst, er wäre tot.
Kurz, abgesehn vom Steuerzahlen,
Läßt sich das Glück nicht schöner malen.
Worauf denn auch der Satz beruht:
Wer einsam ist, der hat es gut.
Carl Spitzweg 1808-1885
Oft is mir kommen so in Sinn:
I möcht a Klausner wer'n!
Adje, du schöne Welt, fahr hin,
Will nix mehr von dir hör'n!