Palmsonntag
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Alfons Petzold 1882-1923
Karwoche
In jenen Nächten, die vor Ostern sind,
Da sollt ihr wach sein, wie am hellen Tage.
Da bebt in allen Dingen eine Klage
Und weinen sich die großen Sterne blind.
Durch alle einsam-stillen Gassen schwebt
Ein langer Zug tieftrauriger Gestalten,
Die alle Blumen in den Händen halten,
In denen gleichfalls Leid und Liebe bebt.
Und wo ein Kreuzholz aufgerichtet steht,
Oft kaum gekannt von Licht und Regenschauer,
Reiht sich darum der stumme Zug der Trauer
Und schmückt das Holz mit Blumen und Gebet.
Lk Kap. 19 29 Und es geschah: Er kam in die Nähe von Betfage und Betanien, an den Berg, der Ölberg heißt, da schickte er zwei seiner Jünger aus 30 und sagte: Geht in das Dorf, das vor uns liegt! Wenn ihr hineinkommt, werdet ihr dort ein Fohlen angebunden finden, auf dem noch nie ein Mensch gesessen hat. Bindet es los und bringt es her! 31 Und wenn euch jemand fragt: Warum bindet ihr es los?, dann antwortet: Der Herr braucht es.
Lk Kap. 19 32 Die Ausgesandten machten sich auf den Weg und fanden alles so, wie er es ihnen gesagt hatte. 33 Als sie das Fohlen losbanden, sagten die Leute, denen es gehörte: Warum bindet ihr das Fohlen los? 34 Sie antworteten: Weil der Herr es braucht.
Lk Kap. 19 35 Dann führten sie es zu Jesus, legten ihre Kleider auf das Fohlen und halfen Jesus hinauf. 36 Während er dahinritt, breiteten die Jünger ihre Kleider auf dem Weg aus. 37 Als er sich schon dem Abhang des Ölbergs näherte, begann die Schar der Jünger freudig und mit lauter Stimme Gott zu loben wegen all der Machttaten, die sie gesehen hatten.
Lk Kap. 19 38 Sie riefen: Gesegnet sei der König, der kommt im Namen des Herrn. Im Himmel Friede und Ehre in der Höhe! 39 Da riefen ihm einige Pharisäer aus der Menge zu: Meister, weise deine Jünger zurecht! 40 Er erwiderte: Ich sage euch: Wenn sie schweigen, werden die Steine schreien.
Lk Kap. 19 41 Als er näher kam und die Stadt sah, weinte er über sie (Flevit super illam) 42 und sagte: Wenn doch auch du an diesem Tag erkannt hättest (If thou had'st known), was Frieden bringt. Jetzt aber ist es vor deinen Augen verborgen. 43 Denn es werden Tage über dich kommen, in denen deine Feinde rings um dich einen Wall aufwerfen, dich einschließen und von allen Seiten bedrängen. 44 Sie werden dich und deine Kinder zerschmettern und keinen Stein in dir auf dem andern lassen, weil du die Zeit deiner Heimsuchung nicht erkannt hast.
Eduard Mörike 1804-1875
Karwoche
O Woche, Zeugin heiliger Beschwerde!
Du stimmst so ernst zu dieser Frühlingswonne,
Du breitest im verjüngten Strahl der Sonne
Des Kreuzes Schatten auf die lichte Erde,
Und senkest schweigend deine Flöre nieder;
Der Frühling darf indessen immer keimen,
Das Veilchen duftet unter Blütenbäumen
Und alle Vöglein singen Jubellieder.
O schweigt, ihr Vöglein auf den grünen Auen!
Es hallen rings die dumpfen Glockenklänge,
Die Engel singen leise Grabgesänge;
O still, ihr Vöglein hoch im Himmelblauen!
Ihr Veilchen, kränzt heut keine Lockenhaare!
Euch pflückt mein frommes Kind zum dunkeln Strauße,
Ihr wandert mit zum Muttergotteshause,
Da sollt ihr welken auf des Herrn Altare.
Ach dort, von Trauermelodieen trunken,
Und süß betäubt von schweren Weihrauchdüften,
Sucht sie den Bräutigam in Todesgrüften,
Und Lieb' und Frühling, alles ist versunken!
Emanuel Geibel 1815-1884
Palmsonntagmorgen
Es fiel ein Tau vom Himmel himmlisch mild,
Der alle Pflanzen bis zur Wurzel stillt;
Laß dein Sehnen,
Laß die Thränen!
Es fiel ein Tau, der alles Dürsten stillt.
Ein sanftes Sausen kommt aus hoher Luft.
Still grünt das Thal und steht in Veilchenduft;
Göttlich Leben
Fühl' ich weben,
Ein sanftes Sausen lommt aus hoher Luft.
Wie Engelsflügel blitzt es über Land;
Nun schmück' dich, Herz, thu an ein rein Gewand.
Sieh, die Sonne
Steigt in Wonne,
Wie Engelsflügel blitzt es über Land.
Macht weit das Thor! Der König ziehet ein,
Die Welt soll jung und lauter Friede sein;
Streuet Palmen!
Singet Psalmen!
Hosianna singt, der König ziehet ein!
Ludwig Giesebrecht 1792-1873
Glockengeläute
Hörst du der Glocken tiefatmendes Läuten,
Wie von der Höhe zur Tiefe es sinkt?
Fühlst du den tauigen Sabbat sich breiten,
Wie ihn die Seele voll Seligkeit trinkt?
Der ist der Sonntag der gründenden Palmen,
Dunklem Karfreitag das lachende Tor:
Siehe, so grenzen die jubelnden Psalmen
Und Miserere im klagenden Chor.
Gründonnerstag
Abendmahl
Joh 13 1 Es war vor dem Paschafest. Jesus wusste, dass seine Stunde gekommen war, um aus dieser Welt zum Vater hinüberzugehen. Da er die Seinen liebte, die in der Welt waren, liebte er sie bis zur Vollendung. 2 Es fand ein Mahl statt und der Teufel hatte Judas, dem Sohn des Simon Iskariot, schon ins Herz gegeben, ihn auszuliefern.
Joh 13 3 Jesus, der wusste, dass ihm der Vater alles in die Hand gegeben hatte und dass er von Gott gekommen war und zu Gott zurückkehrte, 4 stand vom Mahl auf, legte sein Gewand ab und umgürtete sich mit einem Leinentuch. 5 Dann goss er Wasser in eine Schüssel und begann, den Jüngern die Füße zu waschen und mit dem Leinentuch abzutrocknen, mit dem er umgürtet war.
Joh 13 6 Als er zu Simon Petrus kam, sagte dieser zu ihm: Du, Herr, willst mir die Füße waschen? 7 Jesus sagte zu ihm: Was ich tue, verstehst du jetzt noch nicht; doch später wirst du es begreifen. 8 Petrus entgegnete ihm: Niemals sollst du mir die Füße waschen! Jesus erwiderte ihm: Wenn ich dich nicht wasche, hast du keinen Anteil an mir. 9 Da sagte Simon Petrus zu ihm: Herr, dann nicht nur meine Füße, sondern auch die Hände und das Haupt. 10 Jesus sagte zu ihm: Wer vom Bad kommt, ist ganz rein und braucht sich nur noch die Füße zu waschen. Auch ihr seid rein, aber nicht alle.
Joh 13 11 Er wusste nämlich, wer ihn ausliefern würde; darum sagte er: Ihr seid nicht alle rein. 12 Als er ihnen die Füße gewaschen, sein Gewand wieder angelegt und Platz genommen hatte, sagte er zu ihnen: Begreift ihr, was ich an euch getan habe? 13 Ihr sagt zu mir Meister und Herr und ihr nennt mich mit Recht so; denn ich bin es. 14 Wenn nun ich, der Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, dann müsst auch ihr einander die Füße waschen. 15 Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe.
Joh 13 16 Amen, amen, ich sage euch: Der Sklave ist nicht größer als sein Herr und der Abgesandte ist nicht größer als der, der ihn gesandt hat. 17 Wenn ihr das wisst - selig seid ihr, wenn ihr danach handelt. 18 Ich sage das nicht von euch allen. Ich weiß wohl, welche ich erwählt habe, aber das Schriftwort muss sich erfüllen: Der mein Brot isst, hat seine Ferse gegen mich erhoben. 19 Ich sage es euch schon jetzt, ehe es geschieht, damit ihr, wenn es geschehen ist, glaubt: Ich bin es. 20 Amen, amen, ich sage euch: Wer einen aufnimmt, den ich senden werde, nimmt mich auf; wer aber mich aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat.
Joh 13 21 Nach diesen Worten wurde Jesus im Geiste erschüttert und bezeugte: Amen, amen, ich sage euch: Einer von euch wird mich ausliefern. 22 Die Jünger blickten sich ratlos an, weil sie nicht wussten, wen er meinte. 23 Einer von den Jüngern lag an der Seite Jesu; es war der, den Jesus liebte. 24 Simon Petrus nickte ihm zu, er solle fragen, von wem Jesus spreche. 25 Da lehnte sich dieser zurück an die Brust Jesu und fragte ihn: Herr, wer ist es?
Joh 13 26 Jesus antwortete: Der ist es, dem ich den Bissen Brot, den ich eintauche, geben werde. Dann tauchte er das Brot ein, nahm es und gab es Judas, dem Sohn des Simon Iskariot. 27 Als Judas den Bissen Brot genommen hatte, fuhr der Satan in ihn. Jesus sagte zu ihm: Was du tun willst, das tue bald! 28 Aber keiner der Anwesenden verstand, warum er ihm das sagte.
Johann Gottfried Herder 1744-1803
Das Abendmahl
Er sprach's und wollte scheiden:
»Wie, Brüder, lieb' ich Euch!
Noch einen Kelch der Freuden!
Bis uns in Gottes Reich
Nach Müh und Blut und Streite
Empfängt ein Labemahl,
Genießt an Freundes Seite
Das letzte Freundesmahl!«
Er sprach's, und Herz und Liebe
Umgaben All' ihn da!
Verklärt in Gottes Liebe
Sie Jesus Christus sah:
»Wie ich geliebt Euch habe,
Liebt ewig, ewig Euch!
Wie ich Euch jetzo labe,
Labt einst uns Gottes Reich.«
Er sprach von Blutvergießen,
Von Lieben bis ins Grab:
»Mein Blut muß söhnend fließen,
Mein Leben blühen ab!
Seht, Euch zu Trost und Muthe,
Seht hier Euch ewig Mahl,
Den Bund mit meinem Blute,
Die Feier meiner Qual!
Mein Leib! mein Blut! genießet
Hier ewig meine Kraft!
Des Freundes Blut, es fließet
Zu Eures Lebens Saft.
Bald wird sich Alles wenden;
Getrost! ich bin bei Euch,
Hin zu der Welten Enden
Bis hin in Gottes Reich!«
Er sprach's und ging zum Leiden
Vom letzten Liebesmahl;
Und ewig nach dem Scheiden
Ward es sein Abendmahl,
Ein Mahl der Lieb' und Thränen,
Der Freundschaft in den Tod,
Voll Wehmuth, Wonn' und Sehnen
Und Labsal hin zu Gott.
Auf Paradieses Auen
Umarmt er fern sie schon!
Vom Kelche konnten schauen
Sie auf zu Gottes Thron,
Wo einst, nach Müh und Streite
Und Blut und Kampf und Qual,
An ihres Freundes Seite
Empfängt sie Freudemahl.
Rainer Maria Rilke 1875-1926
Das Abendmahl
Sie sind versammelt, staunende Verstörte,
um ihn, der wie ein Weiser sich beschließt,
und der sich fortnimmt, denen er gehörte,
und der an ihnen fremd vorüberfließt.
Die alte Einsamkeit kommt über ihn,
die ihn erzog zu seinem tiefen Handeln;
nun wird er wieder durch den Ölwald wandeln,
und die ihn lieben, werden vor ihm fliehn.
Er hat sie zu dem letzten Tisch entboten
und (wie ein Schuß die Vögel aus den Schoten
scheucht) scheucht er ihre Hände aus den Broten
mit seinem Wort: sie fliegen zu ihm her;
sie flattern bange durch die Tafelrunde
und suchen einen Ausgang. Aber er
ist überall wie eine Dämmerstunde.
Getsemani
Mt 26 36 Darauf kam Jesus mit ihnen zu einem Grundstück, das man Getsemani nennt, und sagte zu den Jüngern: Setzt euch hier, während ich dorthin gehe und bete! 37 Und er nahm Petrus und die beiden Söhne des Zebedäus mit sich. Da ergriff ihn Traurigkeit und Angst 38 und er sagte zu ihnen: Meine Seele ist zu Tode betrübt. Bleibt hier und wacht mit mir! 39 Und er ging ein Stück weiter, warf sich auf sein Gesicht und betete: Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber. Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst.
Mt 26 40 Und er ging zu den Jüngern zurück und fand sie schlafend. Da sagte er zu Petrus: Konntet ihr nicht einmal eine Stunde mit mir wachen? 41 Wacht und betet, damit ihr nicht in Versuchung geratet! Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. 42 Wieder ging er weg, zum zweiten Mal, und betete: Mein Vater, wenn dieser Kelch an mir nicht vorübergehen kann, ohne dass ich ihn trinke, geschehe dein Wille.
Mt 26 43 Als er zurückkam, fand er sie wieder schlafend, denn die Augen waren ihnen zugefallen. 44 Und er ließ sie, ging wieder weg und betete zum dritten Mal mit den gleichen Worten. 45 Danach kehrte er zu den Jüngern zurück und sagte zu ihnen: Schlaft ihr immer noch und ruht euch aus? Siehe, die Stunde ist gekommen und der Menschensohn wird in die Hände von Sündern ausge-liefert. 46 Steht auf, wir wollen gehen! Siehe, der mich ausliefert, ist da.
Detlef von Liliencron 1844-1909
Legende
Ev. Matthäi 26, 36-45
Als der Herr in Gethsemane
Auf Knieen lag im schwersten Weh,
Als er sich hob, nach den Jüngern zu schauen,
Ließ er die Thränen niedertauen:
Er fand sie schlafend, und mit den Genossen
Hatte selbst Petrus die Augen geschlossen.
Zum zweiten Mal sucht er die Seinen dann,
Die liegen noch immer in Traumes Bann.
Und zum Dritten, allein im Schmerz,
Zeigt er Gott das kämpfende Herz.
Die heilige Stirn wird ihm feucht und naß,
"Mein Vater, ist es möglich, daß ..."
Und durch ein Gartenmauerloch
Schlüpft ein zottig Hündchen und kroch
Dem Heiland zu Füßen und schmiegt sich ihm an,
Als ob es ihm helfen will und kann.
Und der Herr hat mild lächelnd den Trost gespürt,
Und er nimmt's und drängt's an die Brust gerührt
Und muß es mit seiner Liebe umfassen,
Die Menschen hatten ihn verlassen.
Rainer Maria Rilke 1875-1926
Der Ölbaumgarten
Er ging hinauf unter dem grauen Laub
ganz grau und aufgelöst im Ölgelände
und legte seine Stirne voller Staub
tief in das Staubigsein der heißen Hände.
Nach allem dies. Und dieses war der Schluß.
Jetzt soll ich gehen, während ich erblinde,
und warum willst Du, daß ich sagen muß,
Du seist, wenn ich Dich selber nicht mehr finde.
Ich finde Dich nicht mehr. Nicht in mir, nein.
Nicht in den andern. Nicht in diesem Stein.
Ich finde Dich nicht mehr. Ich bin allein.
Ich bin allein mit aller Menschen Gram,
den ich durch Dich zu lindern unternahm,
der Du nicht bist. O namenlose Scham...
Später erzählte man, ein Engel kam –.
Warum ein Engel? Ach es kam die Nacht
und blätterte gleichgültig in den Bäumen.
Die Jünger rührten sich in ihren Träumen.
Warum ein Engel? Ach es kam die Nacht.
Die Nacht, die kam, war keine ungemeine;
so gehen hunderte vorbei.
Da schlafen Hunde, und da liegen Steine.
Ach eine traurige, ach irgendeine,
die wartet, bis es wieder Morgen sei.
Denn Engel kommen nicht zu solchen Betern,
und Nächte werden nicht um solche groß.
Die Sich-Verlierenden läßt alles los,
und die sind preisgegeben von den Vätern
und ausgeschlossen aus der Mütter Schoß.
Annette von Droste-Hülshoff 1797-1848
Gethsemane
Als Christus lag im Hain Gethsemane
auf seinem Antlitz mit geschloss'nen Augen, -
die Lüfte schienen Seufzer nur zu saugen,
und eine Quelle murmelte ihr Weh,
des Mondes blasse Scheibe widerscheinend, -
das war die Stunde, wo ein Engel weinend
von Gottes Throne ward herabgesandt,
den bittern Leidenskelch in seiner Hand.
Und vor dem Heiland stieg das Kreuz empor;
daran sah seinen eignen Leib er hangen,
zerrissen, ausgespannt; wie Stricke drangen
die Sehnen an den Gliedern ihm hervor.
Die Nägel sah er ragen und die Krone
auf seinem Haupte, wo an jedem Dorn
ein Blutestropfen hing, und wie im Zorn
murrte der Donner mit verhaltnem Tone.
Ein Tröpfeln hört' er; und am Stamme leis
herniederglitt ein Flimmern qualverloren.
Da seufzte Christus, und aus allen Poren
drang ihm der Schweiß.
Und dunkel ward die Nacht, im grauen Meer
schwamm eine tote Sonne, kaum zu schauen
war noch des qualbewegten Hauptes Grauen,
im Todeskampfe schwankend hin und her.
Am Kreuzesfuße lagen drei Gestalten;
er sah sie grau wie Nebelwolken liegen,
er hörte ihres schweren Odems Fliegen,
vor Zittern rauschten ihrer Kleider Falten.
Owelch ein Lieben war wie seines heiß?
Er kannte sie, er hat sie wohl erkannt;
das Menschenblut in seinen Adern stand,
und stärker quoll der Schweiß.
Die Sonnenleiche schwand, nur schwarzer Rauch,
in ihm versunken Kreuz und Seufzerhauch;
ein Schweigen, grauser als des Donners Toben,
schwamm durch des Äthers sternenleere Gassen;
kein Lebenshauch auf weiter Erde mehr,
ringsum ein Krater, ausgebrannt und leer,
und eine hohle Stimme rief von oben:
»Mein Gott, mein Gott, wie hast du mich verlassen!«
Da weinte Christus mit gebrochnem Munde:
»Herr, ist es möglich, so laß diese Stunde
an mir vorübergehn!«
Ein Blitz durchfuhr die Nacht; im Lichte schwamm
das Kreuz, ostrahlend mit den Marterzeichen,
und Millionen Hände sah er reichen,
sich angstvoll klammernd um den blut'gen Stamm,
o Händ' und Händchen aus den fernsten Zonen!
Und um die Krone schwebten Millionen
noch ungeborner Seelen, Funken gleichend;
ein leiser Nebelhauch, dem Grund entschleichend,
stieg aus den Gräbern der Verstorbnen Flehn.
Da hob sich Christus in der Liebe Fülle,
und: »Vater, Vater,« rief er, »nicht mein Wille,
der deine mag geschehn!«
Still schwamm der Mond im Blau, ein Lilienstengel
stand vor dem Heiland im betauten Grün;
und aus dem Lilienkelche trat der Engel
und stärkte ihn.
Richard Dehmel 1863-1920
Gethsemane
Lautlos steht der starre Hain der Palmen,
tiefe Schatten schaun aus Busch und Halmen,
ihre blauen Tränen weint die Nacht.
Nur von dumpfen Menschenlauten schauert
der verstummte starre Hain, und schauert;
einsam stöhnt und stöhnt und trauert
auf den Knien ein Mann in Betteltracht.
Höre, höre, Geist der Wahrheit,
meinen Zwiespalt, meine dunkle Schuld:
der ich wandelte in Kampf und Starrheit,
Liebe lehrt'ich und Geduld.
Ach! ein Baum, der Licht gab, wollt'ich leben,
übermächtig der Natur;
nur mein Glaube war mir Leben.
Ach, sie sahn nicht auf mein Streben,
sahn die Tat, des Baumes Schatten nur.
Übermenschlich hab'ich mich vermessen,
und sie haben fromm gemeint:
Ich, ich lebte selbstvergessen.
Einer, Er nur - Judas! Freund!
warum willst du mich verraten?!
O zertrennte mich doch mein Gebet,
daß ich zwiefach lebte Wort und Taten,
Menschen menschlich irrend zu beraten,
auch dem Zweifel ein Prophet!
Und zum Mond die Arme wild gebreitet
und die Augen in die Nacht geweitet,
läßt er seine dunkeln Blicke irr'n.
Und er sieht die Scharen seiner Qualen,
durch das Dickicht brechen bleiche Stralen,
und sie bohren ihm die fahlen
Dolche gierig in die glühende Stirn.
Wehe, wehe, Geist der Liebe:
voller Reinheit schwebst du klar und hoch,
doch dein Pfad ist Nacht und kalt und trübe,
und mich kettete die Erde doch!
Schwerter stieß ich in die weichsten Herzen:
Allen wollt'ich liebend glühn,
aber meiner Mutter mach'ich Schmerzen
und mit sehnsuchtwundem Herzen
weint um mich die Magdalenerin.
Nackt und bloß, und nur ein Menschensohn,
wollt'ich trösten all mein arm Geschlecht;
doch im Mitleid glimmt die Rache schon,
auch der Reichste hat auf Liebe Recht!
Judas, Judas, kommst du mich zu richten?
ist Entsagung, ist Gewalt mein Loos?
Muß denn diese Welt sich erst vernichten,
um das Reich des Friedens aufzurichten?
Freiheit, lebst du im Gewissen blos?!
Und verzagt aufs Antlitz hingezwungen,
spürt er heftiger die Anfechtungen,
seine zarte Stirne trieft von Schweiß.
Und er fühlt wie Blut die großen Tropfen
von den Schläfen in die Gräser tropfen,
seine brennenden Pulse klopfen
an die Erde hart und laut und heiß.
Geist des Lebens: Klarheit, Klarheit!
wird denn Sieg um Opfer nur gewährt?
Sieh, es kommt der Jünger Meiner Wahrheit:
hier der Todesbecher, hier das Schwert!
Selig, meiner Inbrunst mich zu töten,
eine Lebensleuchte wollt'ich stehn,
aber jetzt in Todesnöten
sieh mich zittern, sieh mich beten:
laß den Kelch an mir vorübergehn!
Allzu willig war mein Fleisch dem Geist!
weh: entbrächen meines Glaubens Gluten.
Sollen Tausend um mich Einen bluten?
Wer nach Meinem Wandel lebt, verwaist.
Nein, ich fühl es: nicht wie Ich will, Vater,
dunkler Geist, der alle Seelen speist,
allen Fleisches Schöpfer und Berater,
Du des Lebens, Du des Todes Vater,
Deiner Hand befehl ich meinen Geist!
Und er horcht, und sieht die Nacht erglühen,
starrer stehn die Bäume, Fackeln sprühen
auf, und dumpfe Menschenlaute nahn.
Und verzückt den Seherblick gehoben,
steht und hört er seine Häscher toben,
und ein Lächeln schluchzt nach Oben:
Judas, komm! ich schreite nur voran –
Karfreitag
Mk 15 24 Dann kreuzigten sie ihn. Sie verteilten seine Kleider, indem sie das Los über sie warfen, wer was bekommen sollte. 25 Es war die dritte Stunde, als sie ihn kreuzigten. 26 Und eine Aufschrift gab seine Schuld an: Der König der Juden. 27 Zusammen mit ihm kreuzigten sie zwei Räuber, den einen rechts von ihm, den andern links.
Mk 15 29 Die Leute, die vorbeikamen, verhöhnten ihn, schüttelten den Kopf und riefen: Ach, du willst den Tempel niederreißen und in drei Tagen wieder aufbauen? 30 Rette dich selbst und steig herab vom Kreuz! 31 Ebenso verhöhnten ihn auch die Hohepriester und die Schriftgelehrten und sagten untereinander: Andere hat er gerettet, sich selbst kann er nicht retten. 32 Der Christus, der König von Israel! Er soll jetzt vom Kreuz herabsteigen, damit wir sehen und glauben. Auch die beiden Männer, die mit ihm zusammen gekreuzigt wurden, beschimpften ihn.
Mk 15 37 Jesus aber schrie mit lauter Stimme. Dann hauchte er den Geist aus. 38 Da riss der Vorhang im Tempel in zwei Teile von oben bis unten. 39 Als der Hauptmann, der Jesus gegenüberstand, ihn auf diese Weise sterben sah, sagte er: Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn.
Mk 15 33 Als die sechste Stunde kam, brach eine Finsternis über das ganze Land herein - bis zur neunten Stunde. 34 Und in der neunten Stunde schrie Jesus mit lauter Stimme: Eloï, Eloï, lema sabachtani?, das heißt übersetzt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? 35 Einige von denen, die dabeistanden und es hörten, sagten: Hört, er ruft nach Elija! 36 Einer lief hin, tauchte einen Schwamm in Essig, steckte ihn auf ein Rohr und gab Jesus zu trinken. Dabei sagte er: Lasst, wir wollen sehen, ob Elija kommt und ihn herabnimmt.
Karl Friedrich von Gerok 1815-1890
Golgatha
Nimm, Herr, mich mit auf deinem Todesgange,
Daß ich den letzten Segen noch empfange,
Den du im Dulden, Bluten und Erblassen
Der Welt gelassen.
Mit Zions Töchtern möcht ich um dich klagen,
Mit Simon dir den Marterbalken tragen
Und mit Johannes unter bittern Wehen
Am Kreuze stehen.
Die Füße, die mit nimmermüdem Schritte
So sanft gewandelt in des Volkes Mitte,
O laß mich sie, eh' sie erstarren müssen,
Noch einmal küssen.
Die Hände, die nur wohlgetan auf Erden
Und zum Dank ans Holz geheftet werden,
O breite sie vom Kreuzesarm zum Segen
Mir noch entgegen!
Ihr Lippen, stets holdselig anzuhören,
So vielgetreu im Trösten, Mahnen, Lehren,
O gönnt mir noch, eh' ihr euch müßt entfärben,
Ein Wort im Sterben!
Doch stille, horch! Die Hammerschläge klingen,
die ihm durchs Fleisch und mir durchs Herze dringen,
Er aber fleht zu Gott mit Engelsmienen:
Vergib du ihnen!
Nun hängt er nackt inmitten der Verbrecher
Und neigt sich mild zum reuevollen Schächer
Und öffnet ihm mit hohem Gnadenworte
Des Himmels Pforte.
Die Mutter sieht er mit dem Schwert im Herzen,
Am Kreuze stehn in namenlosen Schmerzen,
Drum sorgt er, daß an Sohnesstatt ihr bliebe
Johannis Liebe.
Jetzt aber sieh! wie sich der Tag umnachtet;
Jetzt aber horch! wie seine Seele schmachtet:
Mein Gott, mein Gott, was hast du mich verlassen?
Wer kann es fassen?
Mich dürstet! klagt er, seine Glieder beben,
Die Zunge muß verdorrt am Gaumen kleben:
Lebendig Wasser strömt vom Lebensfürsten,
Und er muß dürsten.
Doch nur getrost, schon ist sein Kampf geendet,
Die Schrift erfüllt, des Vaters Werk vollendet,
Es ist vollbracht! - durch alle Himmelshallen
Soll's widerschallen.
Aus Wolkennacht schon dämmert neu die Sonne,
Das Todesweh geht aus in Himmelswonne,
Und sterbend spricht er: Vater, ich befehle
Dir meine Seele.
Es ist vollbracht! mein Heiland ist verschieden,
Sein müdes Haupt, es neigt sich nun im Frieden;
Die Erde bebt, des Abgrunds Felsen splittern,
Die Menschen zittern.
Das Volk verstummt und wendet sich zu gehen,
Doch Herr, deine Kreuz bleibt aufgerichtet stehen,
Ein Heilspanier der Welt für alle Zeiten
Und Ewigkeiten.
Mich aber laß an deinem Kreuz verweilen,
Dein schuldlos Blut soll meine Wunden heilen,
Dein bittrer Kampf soll mir den Frieden geben,
Dein Tod das Leben!
Annette von Droste-Hülshoff 1797-1848
Am Karfreitage
Weinet, weinet, meine Augen,
Rinnt nur lieber gar zu Tränen,
Ach, der Tag will euch nicht taugen,
Und die Sonne will euch höhnen!
Seine Augen sind geschlossen,
Seiner Augen süßes Scheinen.
Weinet, weinet unverdrossen,
Könnt doch nie genugsam weinen!
Als die Sonne das vernommen,
Hat sie eine Trauerhülle
Um ihr klares Aug' genommen,
Ihre Tränen fallen stille.
Und ich will noch Freude saugen
Aus der Welt, der hellen, schönen?
Weinet, weinet meine Augen,
Rinnt nur lieber gar zu Tränen!
Still, Gesang und alle Klänge,
Die das Herze fröhlich machen!
"Kreuz'ge, kreuz'ge!" brüllt die Menge,
Und die Pharisäer lachen.
Jesu mein, in deinen Schmerzen
Kränkt dich ihre Schuld vor allen;
Ach, wie ging es dir zu Herzen,
Dass so viele mussten fallen!
Und die Vöglein arm, die kleinen,
Sind so ganz und gar erschrocken,
Dass sie lieber möchten weinen,
Wären nicht die Äuglein trocken;
Sitzen traurig in den Zweigen,
Und kein Laut will rings erklingen.
Herz, die armen Vöglein schweigen,
Und du musst den Schmerz erzwingen!
Weg mit goldenen Pokalen,
Süßem Wein vom edlen Stamme!
Ach, ihn sengt in seinen Qualen
Noch des Durstes heiße Flamme!
Dass er laut vor Schmerz muß klagen,
Erd und Himmel muß erbleichen,
Da die Henkersknecht' es wagen,
Gall' und Essig ihm zu reichen!
Weiche Polster, seidne Kissen,
Kann mir noch nach euch verlangen,
Da mein Herr, so gar zerrissen.
Muß am harten Kreuze hangen?
O wie habt ihr ihn getroffen,
Dorn und Nagel, Rut' und Spieße!
Doch das Schuldbuch liegt ja offen,
Dass sein heilig Blut es schließe.
In der Erde alle Toten
Fahren auf wie mit Entsetzen,
Da sie mit dem heil'gen, roten
Blute sich beginnt zu netzen.
Können nicht mehr ruhn die Toten,
Wo sein köstlich Blut geflossen;
Viel zu heilig ist der Boden,
Der so teuren Trank genossen.
Er, der Herr in allen Dingen,
Muss die eigne Macht besiegen,
Dass er mit dem Tod kann ringen,
Und dem Tode unterliegen.
Gänzlich muß den Kelch er trinken,
Menschenkind, kannst du's ertragen?
Seine süßen Augen sinken,
Und sein Herz hört auf zu schlagen.
Als nun Jesu Herz tut brechen:
Bricht die Erd' in ihren Gründen,
Bricht das Meer in seinen Flächen,
Bricht die Höll' in ihren Schlünden,
Und der Felsen harte Herzen
Brechen all mit lautem Knalle.
Ob in Wonne, ob in Schmerzen?
Bricht's der Rettung, bricht's dem Falle?
Und für wen ist denn gerungen
In den qualenvollen Stunden,
Und der heil'ge Leib durchdrungen
Mit den gnadenvollen Wunden?
Herz, mein Herz, kannst du nicht springen
Mit den Felsen und der Erde,
Nur, daß ich mit blut'gen Ringen
Neu an ihn gefesselt werde?
Hast du denn so viel gegeben,
Herr, für meine arme Seele?
Ist ihr ewig, ewig Leben
Dir so wert trotz Schuld und Fehle?
Ach, so laß sie nicht gefunden
Sein, um tiefer zu vergehen!
Lass sie deine heil'gen Wunden
Nicht dereinst mit Schrecken sehen!
Karl Friedrich von Gerok 1815-1890
Golgatha (Karfreitag)
Durch manche Länderstrecke trug ich den Wanderstab,
von mancher Felsenecke schaut ich ins Tal hinab;
doch über alle Berge, die ich auf Erden sah,
geht mir ein stiller Hügel, der Hügel Golgatha.
Er ragt nicht in die Wolken mit eisgekrönter Stirn,
er hebt nicht in die Lüfte die sonnige Alpenfirn,
doch so der Erd entnommen und so dem Himmel nah
bin ich noch nie gekommen, wie dort auf Golgatha.
Es trägt sein kahler Gipfel nicht Wälderkronen stolz,
nicht hohe Eichenwipfel, nicht köstlich Zedernholz;
doch alle Königszedern, die einst der Hermon sah,
sie neigen ihre Kronen dem Kreuz von Golgatha.
Nicht gibt es dort zu schauen der Erde Herrlichkeit,
nicht grüngestreckte Augen, nicht Silberströme breit;
doch alle Pracht der Erde verging mir, als ich sah
das edle Angesichte am Kreuz auf Golgatha.
Kein Bächlein quillt kristallen dort aus bemoostem Stein,
nicht stolze Ströme wallen von jenen Höhn landein;
doch rinnt vom Stamm des Kreuzes in alle Lande da
ein Born des ew'gen Lebens, das Blut von Golgatha.
Dort schlägt der stolze Heide stillbüßend an die Brust,
des Schächers Todesleide entblühet Himmelslust;
dort klingen Engelsharfen ein selig Gloria,
die Ewigkeiten singen ein Lied von Golgatha.
Dorthin, mein Erdenpilger, dort halte süße Rast;
dort wirf dem Sündentilger zu Füßen deine Last!
Dann geh und rühme selig, wie wohl dir dort geschah,
der Weg zum Paradiese geht über Golgatha!
Peter Hille 1854-1904
Karfreitag
Karfreitags Krone. Heldenkönig! Einsames Haupt.
Verstoßen. Erheben
Die feige Flucht verdammender Hände.
Ein suchender führender Quell.
Wenn ich erhöht sein werde, will ich alle zu mir ziehen.
Und die Welt, die schwere Welt, die leichtsinnschwere Welt,
Fast schon oben, reißt ab, eine Wunde reißt auf,
Der Seele, Wunde des Leibes, Wunde des Todes:
Vater verzeihe ihnen, sie wissen nicht, was sie tun.
Zum schmerzlichen Hohn der Dornenkrone
Fallen kühlende Tropfen fühlender Größe.
Dem bedeutenden, einsamen Menschen an seinem Tage nahe sei,
So ist stiller Freitag, so ist Ostern
Trauerhelles Opferglück.
Abschiednehmendes Wiedersehn.
Christian Morgenstern 1871-1914
Karfreitagmorgen
Heute will ein alter Mensch
wiederum zu Grabe sterben,
und der neue soll von ihm
nichts als nur den Willen erben,
nach dem endlichen Gelingen
immer tiefer hinzudringen.
Hilf zu solchem Ziel auch Du
mit dem eignen Stirb und Werde!
Lass uns einig unsre Erde
läutern, edlerm Stoffe zu!
Lass uns, liebes Lebensmein,
einer Sehnsucht Flügel sein!
Matthias Grünewald, Kreuzigung, Isenheimer Altar, Tafel Mitte
Matthias Grünewald (16. Jahrhundert) war ein bedeutender Maler und Grafiker der Renaissance. Artikel bei Wikipedia mit vielen Detailaufnahmen
Rogier van der Weyden, Kreuzabnahme, ca 1435
Rogier van der Weyden, ehemals Rogier de le Pasture (um 1399/1400-1464), war ein flämischer Maler und gilt als einer der wichtigsten Vertreter der Altniederländischen Malerei. Artikel bei Wikipedia mit vielen Detailaufnahmen