Christian Morgenstern 1871-1914
Das große Lalula
Kroklokwafzi! Semememi!
Seiokrontro - prafriplo;
Bifzi, bafzi; hulalemi:
quasti basti bo...
Lalu lalu lalu lalu la!
Hontraruru miromente
zasku zes rü rü?
Entepente, leiolente
klekwapufzi lü?
Lalu lalu lalu lalu la!
Simarar kos malzipempu
silzuzankunkrei(;)!
Marjomar dos: Quempu Lempu
Siri Suri Sei!
Lalu lalu lalu lalu la!
Karl Valentin 1882-1948
Das Futuristische Couplet
Ein Gegenstück zur modernen Malerei
In Nürnberg kam das Ganze,
Es sind ja mal erst recht,
Doch als es mir ganz falsch war,
Ist es ohnedies zu schlecht.
Mit wessen ich grad dachte,
Von ohne sie berührt,
So sind sie denn von vorne rein
Ganz ohne diszipliert.
Wer allzulange sind ist,
Ob arm, geht sich bei dem,
Das einmal es doch lieber sein,
Drum wird ja ohnedem,
Mitsammen, ja denn so kann,
Bei deinem nicht schon sein,
Sobald man kann es bleiben soll,
Zusammen fein zu sein.
Wenn einmal in der Nase,
Hast manchmal du in Ruh,
Die Plattform in der Tasche hast,
Und treibst in allem zu,
So wittert aus den Mitteln,
In Spanien aus und ab,
Der Blumen Augenbrauen senkt,
Mit Asien und in Trapp.
Christian Morgenstern 1871-1914
Gespräch einer Hausschnecke mit sich selbst
Soll i aus meim Hause raus?
Soll i aus meim Hause nit raus?
Einen Schritt raus?
Lieber nit raus?
Hausenitraus –
Hauseraus
Hauseritraus
Hausenaus
Rauserauserauserause ...
(Die Schnecke verfängt sich in ihren eigenen Gedanken oder vielmehr diese gehen mit ihr dermaßen durch, daß sie die weitere Entscheidung der Frage verschieben muß.)
Johann Georg August Galletti 1750-1828
Kathederblüten
Das größte Insekt ist der Elefant.
*
Das Schwein führt seinen Namen mit der Tat, denn es ist ein sehr unreinliches Tier.
*
Die Gans ist das dümmste Tier, denn sie frißt nur so lange, als sie etwas findet.
*
Die Begebenheiten des 30jährigen Krieges habe ich meistens noch selbst erlebt.
*
Ich bin so müde, daß ein Bein das andere nicht sieht.
*
Ich statuiere mit Kant nicht mehr als zwei Kategorien unseres Denkvermögens, nämlich Zaum und Reit, - ich wollte sagen Raut und Zeim.
*
Als ich Sie von ferne sah, Herr Hofrat Ettinger, glaubte ich, Sie wären Ihr Herr Bruder, der Buchhändler Ettinger, als Sie jedoch näher kamen, sah ich, daß Sie es selbst sind und jetzt sehe ich nun, daß Sie Ihr Herr Bruder sind.
Johann Georg August Galletti (* 19. August 1750 in Altenburg; † 16. März 1828 in Gotha) war ein deutscher Historiker und Geograph, Verfasser zahlreicher zeitgenössisch bedeutsamer Historien und Lehrbücher. Bekannter als durch seine wissenschaftliche Tätigkeit – Schiller soll ihn für den „langweiligsten und geistlosesten Historiker, der je gelebt hat“ erklärt haben – wurden seine „Kathederblüten“ genannten Versprecher, die angeblich von seinen Schülern gesammelt und später als Gallettiana veröffentlicht wurden.
Christian Morgenstern 1871-1914
Die Behörde
Korf erhält vom Polizeibüro
ein geharnischt Formular,
wer er sei und wie und wo.
Welchen Orts er bis anheute war,
welchen Stands und überhaupt,
wo geboren, Tag und Jahr.
Ob ihm überhaupt erlaubt,
hier zu leben und zu welchem Zweck,
wieviel Geld er hat und was er glaubt.
Umgekehrten Falls man ihn vom Fleck
in Arrest verführen würde, und
drunter steht: Borowsky, Heck.
Korf erwidert darauf kurz und rund:
»Einer hohen Direktion
stellt sich, laut persönlichem Befund,
untig angefertigte Person
als nichtexistent im Eigen-Sinn
bürgerlicher Konvention
vor und aus und zeichnet, wennschonhin
mitbedauernd nebigen Betreff,
Korf. (An die Bezirksbehörde in –.)«
Staunend liests der anbetroffne Chef.
Christian Morgenstern 1871-1914
Korf erfindet eine Art von Witzen ...
Korf erfindet eine Art von Witzen,
die erst viele Stunden später wirken.
Jeder hört sie an mit Langerweile.
Doch als hätt ein Zunder still geglommen,
wird man nachts im Bette plötzlich munter,
selig lächelnd wie ein satter Säugling.
*
Die Brille
Korf liest gerne schnell und viel;
darum widert ihn das Spiel
all des zwölfmal unerbetnen
Ausgewalzten, Breitgetretnen.
Meistens ist in sechs bis acht
Wörtern völlig abgemacht,
und in ebensoviel Sätzen
läßt sich Bandwurmweisheit schwätzen.
Es erfindet drum sein Geist
etwas, was ihn dem entreißt:
Brillen, deren Energieen
ihm den Text – zusammenziehen!
Beispielsweise dies Gedicht
läse, so bebrillt, man – nicht!
Dreiunddreißig seinesgleichen
gäben erst – Ein – – Fragezeichen!!
*
Die Mittagszeitung
Korf erfindet eine Mittagszeitung,
welche, wenn man sie gelesen hat,
ist man satt.
Ganz ohne Zubereitung
irgendeiner andern Speise.
Jeder auch nur etwas Weise
hält das Blatt.
Eduard Mörike 1804-1875
Der Kehlkopf
Der Kehlkopf, der im hohlen Bom
Als Weidenschnuppe uns ergötzt,
Dem kam man endlich auf das Trom,
Und hat ihn säuberlich zerbäzt,
Man kam von hinten angestiegen,
Drauf ward er vorne ausgezwiegen.
Joachim Ringelnatz 1883-1934
Kindergebetchen
Erstes
Lieber Gott, ich liege
Im Bett. Ich weiß, ich wiege
Seit gestern fünfunddreißig Pfund.
Halte Pa und Ma gesund.
Ich bin ein armes Zwiebelchen,
Nimm mir das nicht übelchen.
*
Zweites
Lieber Gott, recht gute Nacht.
Ich hab noch schnell Pipi gemacht,
Damit ich von dir träume.
Ich stelle mir den Himmel vor
Wie hinterm Brandenburger Tor
Die Lindenbäume.
Nimm meine Worte freundlich hin,
Weil ich schon sehr erwachsen bin.
*
Drittes
Lieber Gott mit Christussohn,
Ach schenk mir doch ein Grammophon.
Ich bin ein ungezognes Kind,
Weil meine Eltern Säufer sind.
Verzeih mir, daß ich gähne.
Beschütze mich in aller Not,
Mach meine Eltern noch nicht tot
Und schenk der Oma Zähne.
Frank Wedekind 1864-1918
Der Tantenmörder
Ich hab' meine Tante geschlachtet,
Meine Tante war alt und schwach;
Ich hatte bei ihr übernachtet
Und grub in den Kissen-Kasten nach.
Da fand ich goldene Haufen,
Fand auch an Papieren gar viel
Und hörte die alte Tante schnaufen
Ohn' Mitleid und Zartgefühl.
Was nutzt es, dass sie sich noch härme-
Nacht war es rings um mich her-
Ich stieß ihr den Dolch in die Därme,
Die Tante schnaufte nicht mehr.
Das Geld war schwer zu tragen,
Viel schwerer die Tante noch.
Ich fasste sie bebend am Kragen
Und stieß sie ins tiefe Kellerloch.
Ich hab' meine Tante geschlachtet,
Meine Tante war alt und schwach;
Ihr aber, o Richter, ihr trachtet
Meiner blühenden Jugend-Jugend nach.
Vermischtes
Berlin, den Datum weiß ich nicht,
Keinen Kalender hab ich nicht,
Die Tinte ist mir eingefroren,
Die Feder hab ich auch verloren,
Der Bleistift ist mir abgebrochen,
Vor Schreck bin ich ins Bett gekrochen.
(aus: Walter Kiaulehn, Der richtige Berliner)
*
Gibt dir det Leben einen Puff,
da weine keine Träne.
Lach dir 'nen Ast und setz dir druff
Un bammle mit de Beene.
(aus: Walter Kiaulehn, Der richtige Berliner)
*
Es pißt der Hund wohl auf drei Beinen,
Auf allen vieren pißt die Kuh,
Der kleine Pisser pißt ins Leinen,
In meinem Herzen bist nur du!
(aus: Wir machen keinen langen Mist )
*
Aus Irmas Album
Leb immer ohne Sorgen
Und meistens schön und rein,
So wie ein Frühlingsmorgen
Im Abendsonnenschein.
(aus: Fliegende Blätter 83 - 1885)
Das Auto fuhr an einen Baum.
Als man zur Besinnung kam,
schrie der Mann:
»Wo ist der Schnellverband?«
Und die Frau antwortete:
»Er steckt in der Vasenoldose,
die in meiner Puderschachtel liegt,
die sich in deiner Zigarrenkiste befindet,
die wir in meine Nachthemden eingewickelt haben,
zuunterst in meinem kleinen Koffer,
der in die Reisedecke eingeschlagen
und unter deine Wäsche
in den großen Koffer hineingelegt wurde,
den wir in der Eile zu Hause vergessen haben.«
(aus: Alles Unsinn)
Christian Morgenstern 1871-1914
Palmström steht an einem Teiche
und entfaltet groß ein rotes Taschentuch:
Auf dem Tuch ist eine Eiche
dargestellt, sowie ein Mensch mit einem Buch.
Palmström wagt nicht, sich hineinzuschneuzen, -
er gehört zu jenen Käuzen,
die oft unvermittelt-nackt
Ehrfurcht vor dem Schönen packt.
Zärtlich faltet er zusammen,
was er eben erst entbreitet.
Und kein Fühlender wird ihn verdammen,
weil er ungeschneuzt entschreitet
*
Palmström legt des Nachts sein Chronometer,
um sein lästig Ticken nicht zu hören,
in ein Glas mit Opium oder Äther.
Morgens ist die Uhr dann ganz ›herunter‹.
Ihren Geist von neuem zu beschwören,
wäscht er sie mit schwarzem Mokka munter.
*
Palmström, etwas schon an Jahren,
wird an einer Straßenbeuge
und von einem Kraftfahrzeuge überfahren.
"Wie war"(spricht er sich erhebend
und entschlossen weiterlebend)
"möglich, wie dies Unglück, ja -:
daß es überhaupt geschah?
Ist die Staatskunst anzuklagen
in bezug auf Kraftfahrwagen?
Gab die Polizeivorschrift
hier dem Fahrer freie Trift?
Oder war vielmehr verboten,
hier Lebendige zu Toten
umzuwandeln, - kurz und schlicht:
Durfte hier der Kutscher nicht -?"
Eingehüllt in feuchte Tücher,
prüft er die Gesetzesbücher
und ist alsobald im klaren:
Wagen durften dort nicht fahren!
Und er kommt zu dem Ergebnis:
"Nur ein Traum war das Erlebnis.
Weil", so schließt er messerscharf,
"nicht sein kann, was nicht sein darf."
Christian Morgenstern 1871-1914
Gruselett
Der Flügelflagel gaustert
durchs Wiruwaruwolz,
die rote Fingur plaustert,
und grausig gutzt der Goltz.
Christian Morgenstern 1871-1914
Im Tierkostüm
Palmström liebt es, Tiere nachzuahmen,
und erzieht zwei junge Schneider
lediglich auf Tierkostüme.
So z.B. hockt er gern als Rabe
auf dem oberen Aste einer Eiche
und beobachtet den Himmel.
Häufig auch als Bernhardiner
legt er zottigen Kopf auf tapfere Pfoten,
bellt im Schlaf und träumt gerettete Wanderer.
Oder spinnt ein Netz in seinem Garten
aus Spagat und sitzt als eine Spinne
tagelang in dessen Mitte.
Oder schwimmt, ein glotzgeäugter Karpfen,
rund um die Fontäne seines Teiches
und erlaubt den Kindern ihn zu füttern.
Oder hängt sich im Kostüm des Storches
unter eines Luftschiffs Gondel
und verreist so nach Ägypten.
Karl Valentin 1882-1948
Wissen Sie schon,
daß man ein weiches Ei nicht als Zahnstocher benutzen soll?
*
Das muß man dem Frühling hoch anrechnen:
Jedes Jahr besingen ihn die Dichter,
und trotzdem kommt er immer wieder.
*
Das Fischen von lebenden Fischen mit der Angel
wird von vielen Seiten als Grausamkeit empfunden:
Hauptsächlich vom Fisch selbst.
*
Die Reichen reichen sich die Hände,
die Armen reichen sich die Arme.
*
Enden tat das Spiel mit dem Sieg der einen Partei -
die andere Partei hatte den Sieg verloren.
Es war vorauszusehen, daß es so kam.
*
Heute ist die gute alte Zeit von morgen.
*
Mögen hätt ich schon wollen,
aber dürfen hab ich mich nicht getraut!
*
Ob so oder so, im Falle es könnte oder es ist,
da erklärlicherweise in Anbetracht oder vielmehr,
warum es so gekommen sein kann oder muß,
so ist kurz gesagt kein Beweis vorhanden,
daß es selbstverständlich erscheint.
*
Nieder mit den Hohen - Es leben die Niederen -
Nieder mit den Niederen - Es leben die ganz Niedrigen.
Nieder mit dem Verstand - es lebe der Blödsinn!
*
Gar nicht krank ist auch nicht gesund.
*
Ich bin kein direkter Rüpel aber die Brennnessel unter den Liebesblumen.
*
Alle reden vom Wetter, aber keiner unternimmt was dagegen.
*
Hoffentlich wird's nicht so schlimm, wie's schon ist.
*
Es freut sich's Herz und das Gemüt,
wo die Blume des Blödsinns blüht.
*
Zuerst wartete ich langsam, dann immer schneller.
*
Nur einen Tag zu spät, aber dennoch zu spät.
*
Ich freue mich wenn es regnet.
Denn wenn ich mich nicht freue, regnet es auch.
*
Als ich die Hebamme sah, die mich empfing, war ich sprachlos.
Ich habe die Frau in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen.
*
Ich wünsch Ihnen ewige Gesundheit und einen guten Hausarzt.
*
Manchmal bin ich einfach nicht meiner Meinung.
*
Heute in mich gegangen - auch nichts los.
Christian Morgenstern 1871-1914
Das Butterbrotpapier
Ein Butterbrotpapier im Wald,
da es beschneit wird, fühlt sich kalt...
In seiner Angst, wiewohl es nie
an Denken vorher irgendwie
gedacht, natürlich, als ein Ding
aus Lumpen usw., fing,
aus Angst, so sagte ich, fing an
zu denken, fing, hob an, begann
zu denken, denkt euch, was das heißt,
bekam (aus Angst, so sagt' ich) - Geist,
und zwar, versteht sich, nicht bloß so
vom Himmel droben irgendwo,
vielmehr infolge einer ganz
exakt entstandnen Hirnsubstanz -
die aus Holz, Eiweiß, Mehl und Schmer,
(durch Angst), mit Überspringung der
sonst üblichen Weltalter, an
ihm Boden und Gefäß gewann -
[(mit Überspringung) in und an
ihm Boden und Gefäß gewann.]
Mithilfe dieser Hilfe nun
entschloß sich das Papier zum Tun,
zum Leben, zum - gleichviel, es fing
zu gehn an - wie ein Schmetterling...
zu kriechen erst, zu fliegen drauf,
bis übers Unterholz hinauf,
dann über die Chaussee und quer
und kreuz und links und hin und her -
wie eben solch ein Tier zur Welt
(je nach dem Wind) (und sollst) sich stellt.
Doch, Freunde! werdet bleich gleich mir! -:
Ein Vogel, dick und ganz voll Gier,
erblickt's (wir sind im Januar...) -
und schickt sich an, mit Haut und Haar -
und schickt sich an, mit Haar und Haut -
(wer mag da endigen!) (mir graut) -
(Bedenkt, was alles nötig war!) -
und schickt sich an, mit Haut und Haar --
ein Butterbrotpapier im Wald
gewinnt - aus Angst - Naturgestalt...
Genug!! Der wilde Specht verschluckt
das unersetzliche Produkt...
Johannes Trojan 1837-1915
Das Quadrat
Laßt uns das Quadrat betrachten,
denn das ist dem Geist gesund.
Höher müssen wir es achten,
als den Kreis, der gar zu rund.
Niemand kann es ihm bestreiten,
daß es ist an Tugend reich.
Denn es hat vier gute Seiten,
und sie sind einander gleich.
Ohne jeden falschen Dünkel
steht es da auf dem Papier.
Denn es hat nur rechte Winkel
und besitzt derselben vier.
Manchen Vorzug hat´s unstreitig,
den beim Dreieck man vermisst,
und erfreut auch anderseitig,
weil es so symmetrisch sit.
Ja, zur Lust der Weltbewohner
ist´s geschaffen in der Tat.
Reinlicher und zweifelsohner
ist wohl nichts als das Quadrat.
*
Der
Rosenzweig
Von Kurt dem Träumer
Von einem blühenden Rosenstrauch
Brach heut' ich ein Zweiglein mir.
Das trug eine volle Ros' und auch
Dazu der Knospen vier.
Und als ich der Liebsten den Zweig gereicht,
Da fiel mir folgendes ein:
O diese Rose, wie sehr sie gleicht
Einer Sau mit vier Ferkelein.
Das sagt' ich der Liebsten, sie nahm es schief,
Warf mir den Zweig ins Gesicht,
Ich aber schimpfend von dannen lief
Und machte dieses Gedicht.
*
Skat
Und als an das blaue Meer ich trat,
Da standen drei Männer drinnen,
Die spielten während des Bades Skat,
Und einer schien zu gewinnen.
Der Skat dabei auf dem Wasser schwamm.
Mich aber dünkte das wundersam.
Und als ich kam auf des Faulhorns Höh',
Wohl über Klippen und Grate,
Da fand ich drei Männer im ewigen Schnee,
Sie saßen schon lange beim Skate.
Der eine gab schon zum hundertsten Mal –
Da floh ich schaudernd hinab ins Thal.
Es sitzen da im geheimen Rath
Drei strenge Richter der Todten.
Sie sollen's sein, doch sie spielten Skat,
Obgleich es Pluto verboten.
O sagt, wohin kann ein Mensch noch gehn,
Um nicht drei Männer beim Skat zu sehn?
Wilhelm Busch 1832-1908
Gemartert
Ein gutes Tier
Ist das Klavier,
Still, friedlich und bescheiden,
Und muß dabei
Doch vielerlei
Erdulden und erleiden.
Der Virtuos
Stürzt darauf los
Mit hochgesträubter Mähne.
Er öffnet ihm
Voll Ungestüm
Den Leib gleich der Hyäne.
Und rasend wild,
Das Herz erfüllt
Von mörderlicher Freude,
Durchwühlt er dann,
Soweit er kann,
Des Opfers Eingeweide.
Wie es da schrie,
Das arme Vieh,
Und unter Angstgewimmer
Bald hoch, bald tief
Um Hilfe rief,
Vergess' ich nie und nimmer.
Joachim Ringelnatz 1883-1934
Betrachtungen über dicke und dünne Frauen
Die dünne Frau sitzt angesichts
Der Magerkeit beinah auf nichts.
Wenn dicke Fraun schon merklich schwitzen,
Dann soll man sie nicht noch erhitzen.
Die dünne Frau ist leicht verstimmt,
Wenn man ihr Rückenmark entnimmt.
Die Lerche steigt ins Wolkenblau.
Wie anders ist die dicke Frau.
Bei dünnen Frauen schmeckt das Knie
Nach ihrem Tod wie Sellerie.
Die dicken Fraun der Eskimos,
Die haben eisige Popos.
Die dünnen Fraun am schwarzen Meere
Benutzt man dort im Krieg als Speere.
Wenn dicke Frauen rasch verwesen,
So stört das sehr beim Zeitungslesen.
Es ist nicht fair, die dünnen Frauen
Vorm Frühstück mit Metall zu hauen.
Um dicke Frauen zu entkleiden,
Tut man sie besser erst zerschneiden.
Im Gegensatz zu den sehr dicken
Sind dünne Frauen leicht zu verschicken.
Nikolaus Rost 1542-1622
Ein Meidlein jung
Ein Meidlein jung gefällt mir wohl,
Von Jahren alt, weis wie ein Kohl',
Schön wie ein Rap ihr gelbes Haar,
Triefftunckel seind die Aeuglein klar.
Die Stirn rund wie ein gfalten Rock,
Feist außgedürrt die Bäcklein schmock.
Blaurot ist ihr das Mündlein weiß,
Schön häßlich ich sie schelt und preiß.
Schneeweiß sind ihre schwarze Händ,
Wie eine Schneck im Gang behend,
Wie ein Kettenhund freundlich redt,
Sauhöflich, wenn sie geht und steht.
Ein solches Meidlein hätt ich gern,
Nah bei ihr zsein' sehr weit und fern,
Sie oft zu herzen nimmermehr,
Gott nehm sie bald! ist mein Begehr.
schmock = schmuck
zsein = zu sein
Nikolaus Rost, auch Rosthius, (* um 1542 in Weimar; † 22. November 1622 in Kosma) war ein deutscher Kantor und Komponist.
Joachim Ringelnatz 1883-1934
Bumerang
War einmal ein Bumerang;
War ein weniges zu lang.
Bumerang flog ein Stück,
Aber kam nicht mehr zurück.
Publikum – noch stundenlang –
Wartete auf Bumerang.
*
Volkslied
Wenn ich zwei Vöglein wär
Und auch vier Flügel hätt,
Flög die eine Hälfte zu dir.
Und die andere, die ging auch zu Bett,
Aber hier zu Haus bei mir.
Wenn ich einen Flügel hätt
Und gar kein Vöglein wär,
Verkaufte ich ihn dir
Und kaufte mir dafür ein Klavier.
Wenn ich kein Flügel wär
(Linker Flügel beim Militär)
Und auch keinen Vogel hätt,
Flög ich zu dir.
Da 's aber nicht kann sein,
Bleib ich im eignen Bett
Allein zu zwein.
*
Preisaufgaben
Das Es ki mo no to ne
Besteht aus fünfmal Wort.
Und eine Kaffeebohne
Treibt niemals Pferdesport.
Man soll nicht Pferde reizen.
Ein Pferd ist keine Kuh.
Wenn Aale Beine spreizen,
Sieht niemals jemand zu.
Je mand ar in der brüs te,
Recht sauber eingehüllt,
Erregen oft Gelüste,
Die manches gern erfüllt.
Man ches ter ho sen il es –,
Geht vieles stumpf einher.
Quatsch gibt den Dummen vieles,
Gibt Klugen manchmal mehr.
Johannes Trojan 1837-1915
Die achtundachtziger Weine
Ein saures Stück Arbeit
In diesem Jahr am Rheine
Sind leider gewachsen Weine,
Die an Wert nur geringe,
Es reiften nur Säuerlinge
Im Verlauf dieses Herbstes;
Nur Herberes bracht er und Herbstes -
Zu viel Regen, zu wenig Sonnenschein
Ließ erhofften Segen zerronnen sein,
Nichts Gutes floß in die Tonnen ein.
Der 88er Rheinwein
Ist, leider Gottes, kein Wein,
Um Leidende zu laben,
Um Gram zu begraben,
Um zu vertreiben Trauer;
Er ist dafür zu sauer.
An der Mosel steht es noch schlimmer,
Da hört man nichts als Gewimmer,
Nichts als Ächzen und Stöhnen
Von den Vätern und Söhnen,
Den Müttern und den Töchtern
Über den noch viel schlechtern
Ertrag der heurigen Lese.
Der Wein ist wahrhaft böse,
Ein Rachenputzer und Krätzer,
Wie unter Gläubigen ein Ketzer,
Wie ein Strolch, ein gefährlicher,
In dem Kreise Ehrlicher
Unter guten Weinen erscheint er,
Aller Freude ist ein Feind er.
Aller Lust ein Verderber;
Sein Geschmack ist fast noch herber
Als der des Essigs, des reinen -
Ein Wein ist er zum Weinen.
Aber der Wein, der in Sachsen
In diesem Jahr ist gewachsen,
Und bei Naumburg, im Tale
Der rasch fließenden Saale,
Der ist saurer noch viele Male
Als der sauerste Moselwein.
Wenn du ihn schlürfst in dich hinein,
Ist dirs, als ob ein Stachelschwein
Dir kröche durch die Kehle,
Das deinen Magen als Höhle
Erkor, darin zu hausen.
Angst ergreift dich und Grausen.
Aber der Grünberger
Ist noch sehr viel ärger.
Laß ihn nicht deine Wahl sein!
Gegen ihn ist der Saalwein
Noch viel süßer als Zucker.
Er ist ein Wein für Mucker,
Für die schlechtesten Dichter
Und dergleichen Gelichter.
Er macht lang die Gesichter,
Blaß die Wangen; wie Rasen
So grün färbt er die Nasen.
Wer ihn trinkt, den durchschauert es,
Wer ihn trank, der bedauert es.
Er hat etwas so Versauertes,
Daß er sich nicht läßt mildern
Und schwer nur ist zu schildern
In Worten oder Bildern.
Aber der Züllichauer
Ist noch zwölfmal so sauer
Als der Wein von Grünberg,
Der ist an Säure ein Zwerg
Gegen den Wein von Züllichau.
Wie eine borstige wilde Sau
Zu einer zarten Taube
So verhält sich, das glaube,
Dieser Wein zu dem Rebensaft
Aus Schlesien. Er ist schauderhaft,
Er ist gräßlich und greulich,
Über die Maßen abscheulich.
Man sollte ihn nur auf Schächerbänken
Den Gästen in die Becher schenken,
Mit ihm nur schwere Verbrecher tränken
Aber nicht ehrliche Zecher kränken.
Wenn du einmal kommst
In diesem Winter nach Bomst,
Deine Erfahrung zu mehren,
Und man setzt, um dich zu ehren,
Dir heurigen Bomster Wein vor,
Dann, bitt ich dich, sieh dich fein vor,
Daß du nichts davon verschüttest
Und dein Gewand nicht zerrüttest,
Weil er Löcher frißt in die Kleider
Und auch in das Schuhwerk, leider.
Denn dieses Weines Säure
Ist eine so ungeheure,
Daß gegen ihn Schwefelsäure
Der Milch gleich ist, der süßen,
Die zarte Kindlein genießen.
Fällt ein Tropfen davon auf den Tisch,
So fährt er mit lautem Gezisch
Gleich hindurch durch die Platte.
Eisen zerstört er wie Watte,
Durch Stahl geht er wie durch Butter,
Er ist aller Sauerkeit Mutter.
Standhalten vor diesem Sauern
Weder Schlösser noch Mauern.
Es löst in dem scharfen Bomster Wein
Sich Granit auf und Ziegelstein.
Diamanten werden sogleich,
In ihn hineingelegt, pflaumenweich,
Aus Platina macht er Mürbeteig.
Dieses vergiß nicht, falls du kommst
In diesem Winter einmal nach Bomst.
Christian Morgenstern 1871-1914
Der Seufzer
Ein Seufzer lief Schlittschuh auf nächtlichem Eis
und träumte von Liebe und Freude.
Es war an dem Stadtwall, und schneeweiß
glänzten die Stadtwallgebäude.
Der Seufzer dacht an ein Maidelein
und blieb erglühend stehen.
Da schmolz die Eisbahn unter ihm ein –
und er sank – und ward nimmer gesehen.
*
Vice versa
Ein Hase sitzt auf einer Wiese,
des Glaubens, niemand sähe diese.
Doch im Besitze eines Zeißes,
betrachtet voll gehaltnen Fleißes
vom vis-à-vis gelegnen Berg
ein Mensch den kleinen Löffelzwerg.
Ihn aber blickt hinwiederum
ein Gott von fern an, mild und stumm.
*
Das Nasobêm
Auf seinen Nasen schreitet
einher das Nasobêm,
von seinem Kind begleitet.
Es steht noch nicht im Brehm.
Es steht noch nicht im Meyer.
Und auch im Brockhaus nicht.
Es trat aus meiner Leyer
zum ersten Mal ans Licht.
Auf seinen Nasen schreitet
(wie schon gesagt) seitdem,
von seinem Kind begleitet,
einher das Nasobêm.
Moritz Gottlieb Saphir 1795-1858
Weil gar zu schön im Glas der Wein geblunken,
hat sich der Hans dick voll getrinkt.
Drauf ist im Zickzack er nach Haus gehunken
und seiner Grete in den Arm gesinkt.
Die aber hat ganz mächtig abgewunken
und hinter ihm die Türe zugeklunken.
Moritz Gottlieb Saphir, österreichischer Journalist und Satiriker, Kritiker
Unbekannte Autoren
Finster war's, der Mond schien helle
Auf die grünbeschneite Flur,
Als ein Wagen blitzesschnelle
Langsam um die Ecke fuhr.
Drinnen saßen stehend Leute
Schweigend ins Gespräch vertieft,
Als ein totgeschossner Hase
Auf dem Wasser Schlittschuh lief
Und ein blondgelockter Knabe
Mit kohlrabenschwarzem Haar
Auf die grüne Bank sich setzte,
Die gelb angestrichen war.
*
Ick sitze hier und esse Klops
Ick sitze hier und esse Klops,
Uff eenmal kloppt's.
Ick kieke, staune, wundre mir,
Uff eenmal jeht se uff, die Tier,
Nanu, denk ick, ick denk, nanu,
Jetzt isse uff, erscht war se zu.
Ick jehe raus und blicke,
Und wer steht draußen? — Icke!
(aus, Dunkel war's)
Christian Morgenstern 1871-1914
Die beiden Esel
Ein finstrer Esel sprach einmal
zu seinem ehlichen Gemahl:
»Ich bin so dumm, du bist so dumm,
wir wollen sterben gehen, kumm!«
Doch wie es kommt so öfter eben:
Die beiden blieben fröhlich leben.
*
Der Schnupfen
Ein Schnupfen hockt auf der Terrasse,
auf daß er sich ein Opfer fasse
– und stürzt alsbald mit großem Grimm
auf einen Menschen namens Schrimm.
Paul Schrimm erwidert prompt: »Pitschü!«
und hat ihn drauf bis Montag früh.
Unbekannter Autor
Fürchterliche Ballade
in drei schauderhaften Abteilungen
I
Der Saal erglänzt im hellsten Kerzenstrahle,
Und lustger Sang ertönt aus jeder Kahle.
Und Tänzer fliegen auf der Freude Schwingen;
Doch ein Herz klopft voll Kummer und voll Bingen.
Es ist das Herz des Fräuleins Leonore,
Des Fräuleins mit dem rabenschwarzen Lockenhoore.
Lenoren sah man mit dem Ritter Kunzen
Schon etliche Galopps zusammen tunzen.
Das sah auch Ritter Veit, und Eifersucht
Ward gleich in seiner wilden Brust entfucht.
Zu Kunzen geht er hin und sagt ihm grimmig:
Gleich gehst du mit mir, oder Gott verdimm mich!
II
Der Garten glänzt im hellsten Mondenstrahle,
Und aus den Zweigen tönt das Lied der Philomale.
Der Ritter Veit zieht seine Klinge nackigt
Und steht voll Mordgier in dem dunklen Dackigt.
Der Ritter Kunz naht jetzt und spricht: Was soll ich?
Da sagt sein Feind: Dein Schwert zieh oder deinen Dollich!
Da sagt ihm Ritter Kunz: Du willst mir trumpfen?
Ich spotte dein! Auf, laß uns blutig kumpfen!
Schon fechten sie in wildentbranntenm Trotzen,
Daß durch die Nacht die scharfen Schwerter blotzen.
Und ehe fünf Minuten noch verstrichen,
Da lagen beide jämmerlich durchstichen.
III
Kaum hörte man im Saal Geklirr der Klingen,
So deckte Leichenblässe alle Wingen.
Schnell stürzet alles nach der dunklen Grotte.
Und sieht bald, was sich da ereignet hotte.
Lenore ruft: Weh mir, ich komm zu späte!
Sie liegen beide tot in ihrem Bläte.
So ruft die Jungfrau tugendreich und edel
Und nimmt aus ihren Haaren eine spitze Nedel,
Blickt in den Mond mit Schauder und mit Grausen
Und stößt die Nadel tief in ihren Bausen.
Und alles sieht mit Angst und mit Entsetzen
Der Jungfrau rotes Blut hochaufwärts spretzen.
Schon sinkt sie hin, die so viel Anmut hatte,
Und auf zwei Leichen lieget jetzt die dratte.
Aus wilder Eifersucht entstehet immer
Not, Drangsal, Trübsal, Pein und großer Jimmer.
Was das Geschick auch Böses mag verhängen,
Man tut nicht recht, sich selbsten umzubrängen.
aus "Musenklänge aus Deutschlands Leierkasten..."
Jakob van Hoddis 1887-1942
Weltende
Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,
In allen Lüften hallt es wie Geschrei.
Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei
Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut.
Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen
An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.
Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.
Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.
Johann Georg August Galletti 1750-1828
Kathederblüten
In Paris werden Spiegel verfertigt, die ohne Glas und Rahmen wohl 12000 Taler kosten.
*
Wer auf einen sehr hohen Berg steigt, der wird schwindlig;
natürlich - denn es schwindelt ihn.
*
Als Humboldt den Chimborasso bestieg,
war die Luft so dünn,
daß er nicht mehr ohne Brille lesen konnte.
*
In der Sahara liegt der Sand so locker,
daß heute da Berge sind,
wo morgen Täler waren.
*
Das beste Pflanzensalz im Tierreich ist Erz.
*
Auf schwarzen Bergen sind schwarze Tiere schwarz.
Gerrit van Hondhorst, The Steadfast Philosopher
Gerrit van Honthorst (1592-1656) war ein niederländischer Maler. Er zählte zu den Anhängern Caravaggios und wird als einer der Utrechter Caravaggisten bezeichnet. Pseudonyme: Gherardo della Notte,
Gerard van Honthorst, Gherardo Fiammingo oder Gerardo van Hermansz.
Wilhelm Busch 1832-1908
Der Philosoph
Ein Philosoph von ernster Art,
Der sprach und strich sich seinen Bart:
»Ich lache nie. Ich lieb' es nicht,
Mein ehrenwertes Angesicht
Durch Zähnefletschen zu entstellen
Und närrisch wie ein Hund zu bellen;
Ich lieb' es nicht, durch ein Gemecker
Zu zeigen, daß ich Witzentdecker;
Ich brauche nicht durch Wertvergleichen
Mit andern mich herauszustreichen,
Um zu ermessen, was ich bin,
Denn dieses weiß ich ohnehin.
Das Lachen will ich überlassen
Den minder hochbegabten Klassen.
Ist einer ohne Selbstvertraun
In Gegenwart von schönen Fraun,
So daß sie ihn als faden Gecken
Abfahren lassen oder necken,
Und fühlt er drob geheimen Groll
Und weiß nicht, was er sagen soll,
Dann schwebt mit Recht auf seinen Zügen
Ein unaussprechliches Vergnügen.
Und hat er Kursverlust erlitten,
Ist er moralisch ausgeglitten,
So gibt es Leute, die doch immer
Noch dümmer sind als er und schlimmer.
Und hat er etwa krumme Beine,
So gibt's noch krümmere als seine.
Und tröstet sich und lacht darüber
Und denkt: Da bin ich mir doch lieber.
Den Teufel lass' ich aus dem Spiele.
Auch sonst noch lachen ihrer viele,
Besonders jene ewig Heitern,
Die unbewußt den Mund erweitern,
Die, sozusagen, auserkoren
Zum Lachen bis an beide Ohren.
Sie freuen sich mit Weib und Kind
Schon bloß, weil sie vorhanden sind.
Ich dahingegen, der ich sitze
Auf der Betrachtung höchster Spitze,
Weit über allem Was und Wie,
Ich bin für mich und lache nie.«
Oscar Blumenthal 1852-1917
Vier kleine Gedichte
Seitdem bei Schiller ist zu lesen,
Verstand ist stets bei wen'gen nur gewesen,
Glaubt die Menge wahnbethört,
Daß sie zur Minderheit gehört.
*
Du willst bei Fachgenossen gelten?
Das ist verlorne Liebesmüh.
Was dir mißglückt, verzeihn sie selten;
was dir gelingt, verzeihn sie nie!
*
Wagner gleicht Beethoven? – Mit Verlaub,
Ein Unterschied bleibt, ein schwerer:
Bei Beethoven war der Musiker taub,
Bei Wagner werden's die Hörer.
*
Der satte Reichtum hat's ausgedacht,
daß Armut niemandem Schande macht.
Die Schlemmer lehren am vollen Tisch,
wie Salz und Brot hält die Wangen frisch.
Die Tauben gurren vom Dachesrand:
"Nehmt lieber den Sperling in der Hand!" …
Und die Dummen faßten den Mehrheitsbeschluß,
daß stets der Klügere nachgeben muß.
Unbekannter Autor
Lügenerzählung
Als im Jahre vierunddreißig siebzehnhundert
die Donau brannte und die Bauern bellten
und die Hunde Stroh herbeischleppten,
um das Feuer zu löschen, da begab sich's,
daß ich wandern mußte.
Da kam ich an eine Kirche von Pappdeckel,
darin war ein Pfarrer von grauem Löschpapier,
der sprach: »Meine Tochter ist ein geschickter Zimmermann,
macht Schuhe und Strümpfe aller Art,
und alle Leute lassen bei ihr backen.«
Als ich weiter ging, kam ich an ein Guck,
da lochte ich hinein;
da sah ich vier Stühle auf ihren Herrn sitzen,
da tat ich meinen Tag ab und sagte:
»Guten Hut, meine Damen.«
(aus: Nassauisches Kinderleben)
Joachim Ringelnatz 1883-1934
An Berliner Kinder
Was meint ihr wohl, was eure Eltern treiben,
Wenn ihr schlafen gehen müßt?
Und sie angeblich noch Briefe schreiben.
Ich kann’s euch sagen: Da wird geküßt,
Geraucht, getanzt, gesoffen, gefressen,
Da schleichen verdächtige Gäste herbei.
Da wird jede Stufe der Unzucht durchmessen
Bis zur Papagei-Sodomiterei.
Da wird hasardiert um unsagbare Summen.
Da dampft es von Opium und Kokain.
Da wird gepaart, daß die Schädel brummen.
Ach schweigen wir lieber. — Pfui Spinne, Berlin!
*
Überall
Überall ist Wunderland
Überall ist Leben
Bei meiner Tante im Strumpfenband
wie irgendwo daneben.
Überall ist Dunkelheit
Kinder werden Väter.
Fünf Minuten später
stirbt sich was für einige Zeit.
Überall ist Ewigkeit.
Wenn Du einen Schneck behauchst
Schrumpft er ins Gehäuse,
Wenn Du ihn in Kognak tauchst,
Sieht er weiße Mäuse.
Erich Mühsam 1874-1934
Heimweg
Mein Heimweg ist nicht lang.
Er läßt mir grade Zeit
zu einem Lobgesang
auf meine Tüchtigkeit.
Ich saß beim Alkohol
und schwatzte angenehm
von Kunst und Menschenwohl:
ich weiß nicht mehr zu wem.
Jetzt aber geh ich heim
und lobe meinen Fleiß,
der stets mit einem Reim
sich zu bestätigen weiß.
*
Futuristischer Schleifenschüttelreim
Der Nitter splackt.
Das Splatter nickt,
wenn splitternackt
die Natter splickt.
Adolf Glaßbrenner 1810-1876
Die neue Geschichte
Unterhaltung zweier Männer aus dem Volke
A. Sag mal, hast du denn schon davon gehört?
B. Wovon denn?
A. Nu von die Jeschichte mit den - mit den - na da draußen, da neben die - Jees! wie heeßen denn die Leute?
B. Meenst du vielleicht die neue Bierkneipe?
A. I ne doch! Ick meene die Jeschichte da mit den - na, der Name schwebt mir uf de Lippe. Die da draußen vorjejangen is, da bei – da draußen bei – Jott, du mußt ja den Ort kennen!
B. Ach, Jees, des is die Jeschichte mit den - ja, die kenn ick – mit den - na mit den, Jees, wie heeßt er doch? Die meenste?
A. Richtig, die meen ick. Also du kennst se schon?
B. Ja, die kenn ick; die hat mir ja der - der - na wie heeßt er denn, erzählt. Der – da draußen - du weeßt ja!
A. Ja, ick weeß schon, det is die Jeschichte! Von den hab ick se ooch.
Adolf Glaßbrenner war ein deutscher Humorist und Satiriker, „Erfinder der querköpfig-verschmitzten Type, der Protokollant des biedermeierlichen Berlin, gar der Vater des Berliner Witzes“ (Heinrich-Jost: Adolf Glaßbrenner).
Christian Morgenstern 1871-1914
O – raison d'esclave
"Krücken, Krücken! gebt uns Krücken!
Ach, wie geht die Menschheit lahm,
seit man, neu sie zu beglücken,
ihr die alten Stützen nahm.
Brillen, Brillen! gebt uns Brillen!
grün und blau und gelb und rot!
Volles Licht ist für Pupillen
unsrer Art der sichre Tod.
Lügen, Lügen! gebt uns Lügen!
Ach, die Wahrheit ist so roh!
Wahrheit macht uns kein Vergnügen,
Lügen machen fett und froh!
Gängelbänder, Schaukelpferde,
Himmel, Hölle und Moral –
und dich selbst gib deiner Herde
neu zurück, o großer Baal!
P.S.
Johann Michael Moscherosch 1601-1669
Grabschrift
Hie lig ich Hanß Schilckebrod
Und bitt dich lieber Herre Gott/
Das ewig Leben wolst geben mir:
Wie ich wolt haben geben dir /
Wann du wärest Hanß Schilckebrod
Und ich wär lieber Herre Gott.
Johann Michael Moscherosch, Pseudonym Philander (* 7. März 1601 in Willstätt; † 4. April 1669 in Worms), war ein deutscher Staatsmann, Satiriker und Pädagoge in der Zeit des Barock.
P.P.S.
Hier ruhen meine Gebeine,
ich wollt es wären Deine!
(Grabinschrift aus: Dymocritos 12)
P.P.P.S.
Hier liegt Hans Gottlieb Lamm,
Er starb durch'n Sturz vom Damm,
Eigentlich hieß er Leim,
Das paßt aber nicht in 'n Reim.
(aus: Grabinschriften)
P.P.P.P.S.
Hier ruh ich aus von meiner Erdenplag
Mich kann kein Hoffen mehr betrügen,
Und kommt dereinst der Auferstehungstag,
Ich rühr mich nicht, ich bleibe liegen.
(aus: Grabinschriften)