Kurt Tucholsky
Die fünfte Jahreszeit
Die schönste Zeit im Jahr, im Leben, im Jahr? Lassen Sie mich nach-fühlen.
Frühling? Dieser lange, etwas bleichsüchtige Lümmel, mit einem Papierblütenkranz auf dem Kopf, da stakt er über die begrünten Hügel, einen gelben Stecken hat er in der Hand, präraffaelitisch und wie aus der Fürsorge entlaufen; alles ist hellblau und laut, die Spatzen fiepen und sielen sich in blauen Lachen, die Knospen knospen mit einem kleinen Knall, grüne Blättchen stecken fürwitzig ihre Köpfchen ... ä, pfui Deibel! ... die Erde sieht aus wie unrasiert, der Regen regnet jeglichen Tag und tut sich noch was darauf zugute: ich bin so nötig für das Wachstum, regnet er. Der Frühling —?
Sommer? Wie eine trächtige Kuh liegt das Land, die Felder haben zu tun, die Engerlinge auch, die Stare auch; die Vogelscheuchen scheuchen, daß die ältesten Vögel nicht aus dem Lachen herauskommen, die Ochsen schwitzen, die Dampfpflüge machen Muh, eine ungeheure Tätigkeit hat rings sich aufgetan; nachts, wenn die Nebel steigen, wirtschaftet es noch im Bauch der Erde, das ganze Land dampft vor Arbeit, es wächst, begattet sich, jungt, Säfte steigen auf und ab, die Stuten brüten, Kühe sitzen auf ihren Eiern, die Enten bringen lebendige Junge zur Welt: kleine piepsende Wolleballen, der Hahn — der Hahn, das Aas, ist so recht das Symbol des Sommers! er preist seinen Tritt an, das göttliche Elixier, er ist das Zeichen der Fruchtbarkeit, hast du das gesehn? und macht demgemäß einen mordsmäßigen Krach . . . der Sommer —?
Herbst? Mürrisch zieht sich die Haut der Erde zusammen, dünne Schleier legt sich die Fröstelnde über, Regenschauer fegt über die Felder und peitscht die entfleischten Baumstümpfe, die ihre hölzernen Schwur-finger zum Offenbarungseid in die Luft strecken: Hier ist nichts mehr zu holen ... So sieht es auch aus ... Nichts zu holen ... und der Wind verklagt die Erde, und klagend heult er um die Ecken, in enge Nasengänge wühlt er sich ein, Huuh macht er in den Stirnhöhlen, denn der Wind bekommt Prozente von den Nasendoktoren ... hochauf spritzt brauner Straßen-modder ... die Sonne ist zur Kur in Abazzia ... der Herbst —?
Und Winter? Es wird eine Art Schnee geliefert, der sich, wenn er die Erde nur von weitem sieht, sofort in Schmutz auflöst; wenn es kalt ist, ist es nicht richtig kalt sondern naßkalt, also naß... Tritt man auf Eis, macht das Eis Knack und bekommt rissige Sprünge, so eine Qualität ist das! Manchmal ist Glatteis, dann sitzt der liebe Gott, der gute, alte Mann, in den Wattewolken und freut sich, daß die Leute der Länge lang hinschlagen . . . also, wenn sie denn werden kindisch ... kalt ist der Ostwind, kalt die Sonnenstrahlen, am kältesten die Zentralheizung — der Winter —?
»Kurz und knapp, Herr Hauser! Hier sind unsere vier Jahreszeiten. Bitte: Welche —?«
Keine. Die fünfte.
»Es gibt keine fünfte.«
Es gibt eine fünfte. — Hör zu:
Wenn der Sommer vorbei ist und die Ernte in die Scheuern gebracht ist, wenn sich die Natur niederlegt, wie ein ganz altes Pferd, das sich im Stall hinlegt, so müde ist es — wenn der späte Nachsommer im Verklingen ist und der frühe Herbst noch nicht angefangen hat —: dann ist die fünfte Jahreszeit.
Nun ruht es. Die Natur hält den Atem an; an andern Tagen atmet sie unmerklich aus leise wogender Brust. Nun ist alles vorüber: geboren ist, gereift ist, gewachsen ist, gelaicht ist, geerntet ist — nun ist es vorüber. Nun sind da noch die Blätter und die Gräser und die Sträucher, aber im Augenblick dient das zu gar nichts; wenn überhaupt in der Natur ein Zweck verborgen ist: im Augenblick steht das Räderwerk still. Es ruht.
Mücken spielen im schwarz-goldenen Licht, im Licht sind wirklich schwarze Töne, tiefes Altgold liegt unter den Buchen, Pflaumenblau auf den Höhen ... kein Blatt bewegt sich, es ist ganz still. Blank sind die Far-ben, der See liegt wie gemalt, es ist ganz still. Boot, das flußab gleitet, Aufgespartes wird dahingegeben — es ruht.
So vier, so acht Tage —
Und dann geht etwas vor.
Eines Morgens riechst du den Herbst. Es ist noch nicht kalt; es ist nicht windig; es hat sich eigentlich gar nichts geändert — und doch alles. Es geht wie ein Knack durch die Luft — es ist etwas geschehen; so lange hat sich der Kubus noch gehalten, er hat geschwankt ..., na ... na ..., und nun ist er auf die andere Seite gefallen. Noch ist alles wie gestern: Die Blätter, die Bäume, die Sträucher ... aber nun ist alles anders. Das Licht ist hell, Spin-nenfäden schwimmen durch die Luft, alles hat sich einen Ruck gegeben, dahin der Zauber, der Bann ist gebrochen — nun geht es in einen klaren Herbst. Wie viele hast du? Dies ist einer davon. Das Wunder hat vielleicht vier Tage gedauert oder fünf, und du hast gewünscht, es solle nie, nie auf-hören. Es ist die Zeit, in der ältere Herren sehr sentimental werden — es ist nicht der Johannistrieb, es ist etwas andres. Es ist: optimistische Todesahnung, eine fröhliche Erkenntnis des Endes. Spätsommer, Frühherbst und das, was zwischen ihnen beiden liegt. Eine ganz kurze Spanne Zeit im Jahre.
Es ist die fünfte und schönste Jahreszeit.
1929
Wilhelm Busch 1832-1908
Im Herbst
Der schöne Sommer ging von hinnen,
Der Herbst, der reiche, zog ins Land.
Nun weben all die guten Spinnen
So manches feine Festgewand.
Sie weben zu des Tages Feier
Mit kunstgeübtem Hinterbein
Ganz allerliebste Elfenschleier
Als Schmuck für Wiese, Flur und Hain.
Ja, tausend Silberfäden geben
Dem Winde sie zum leichten Spiel,
Die ziehen sanft dahin und schweben
Ans unbewußt bestimmte Ziel.
Sie ziehen in das Wunderländchen,
Wo Liebe scheu im Anbeginn,
Und leis verknüpft ein zartes Bändchen
Den Schäfer mit der Schäferin.
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Ferdinand von Saar 1833-1906
Nun ist das Korn geschnitten
Nun ist das Korn geschnitten,
Die Felder leuchten fahl;
Ringsum ein tiefes Schweigen
Im heißen Sonnenstrahl.
Verblüht ist und verklungen,
Was duftete und sang,
Nur sanft tönt von den Triften
Der Herdeglockenklang.
Das ist, o Menschenseele,
Des Sommers heil'ger Ernst,
Daß du, noch eh' er scheidet,
Dich still besinnen lernst.
Martin Greif 1839-1911
Herbst im Sommer
Währt zu lang' ein Regen fort
Und die Bäche gehn geschwollen,
Fallen siehst du da und dort
Blätter, kaum hervorgequollen.
Seufzer dringen durch die Luft
Und ein Stöhnen durch die Wälder,
Grabesfeuchter Nebelduft
Dehnt sich hin durch Flur und Felder.
Mitten in der Sommerszeit
Kommt dir an den Herbst ein Mahnen,
Wie des Glückes Flüchtigkeit
Wir erst, wenn es schwindet, ahnen.
Maria Luise Weissmann 1899-1929
Abend im Frühherbst
Weit ausgegossen liegt das breite Land.
Der Himmel taucht den Scheitel noch ins Licht,
Doch seitlich hebt gelassen eine Hand
Die dunkle Maske Nacht ihm ins Gesicht.
Viel fette Lämmer weiden auf der Flur,
In Gärten steht das Kraut in seiner Fülle,
Herbstwälder ziehn als eine goldne Spur,
Am Baum die Frucht glänzt prall in ihrer Hülle.
Es ist der letzte dieser kurzen Tage:
All Ding steht reif und rund und unbewegt
Schwebend in sich gebannt wie eine Waage,
Die Tod und Leben gleichgewichtig trägt.
Kurt Tucholsky 1890-1935
Die Musik kommt
Nun zwängt, die sonst Musik die Töchter lehrte,
sich ins Schwarzseidene mit dem Krachkorsett;
und daß man Haydn, Bach und Koschat ehrte,
beweist man durch Gesang und am Spinett.
Nun schlagen wieder löwenmähnige Meister
mit ihren Pranken auf die Flügel ein,
und fiedelt jemand Violin, dann heißt er
Mischka und soll erst sieben Jahre sein.
Du siehst mich lächelnd an, Eleonore –
auch du, Geliebte, seist ein Singtalent?
Doch jach entfleucht durch meinem rechten Ohre,
was dein Sopran mir in das linke flennt.
Ach ja, der Herbst! Die Blätter werden gelber,
und jedes Mädchen kriegt ein hohes C,
und auch der Muhsikpädagoge selber
stund auf und tremolieretee . . .
Du Stadt der Lieder, bist du nicht verwundert?
So jedes Jahr hast du um den Advent
Musikkonzerte Stücker achtzehnhundert –
doch mit Gewinn: nur sechseinhalb Prozent.
Gottfried Benn 1886-1956
Tag, der den Sommer endet
Tag, der den Sommer endet,
Herz, dem das Zeichen fiel.
Die Flammen sind versendet,
die Fluten und das Spiel.
Die Bilder werden blasser,
entrücken sich der Zeit.
Wohl spiegelt sie noch ein Wasser,
doch auch dies Wasser ist weit.
Du hast eine Schlacht erfahren,
trägst noch ihr Stürmen, ihr Fliehn,
indessen die Schwärme, die Scharen,
die Heere weiterziehn.
Rosen und Waffenspanner,
Pfeile und Flammen weit –;
die Zeichen sinken, die Banner –;
Unwiderbringlichkeit.
Martin Greif 1839-1911
Nachsommer
Es leuchtet der Himmel
Im späten Strahl,
Auf lachende Wiesen
In Berg und Tal.
Rings öffnen sich Kelche,
Die wunderzart –
O zeige dich, Seele,
Von gleicher Art!
Catharina Regina von Greiffenberg 1633-1694
Auf die fruchtbringende Herbstzeit
Freuderfüller, Früchtebringer, vielbeglückter Jahreskoch,
Gründung-, Blüh- und Zeitungziel, werkbeseeltes Lustverlangen!
Lange Hoffnung ist in dir in die Taterweisung gangen.
Ohne dich wird nur beschauet, aber nichts genossen noch.
Du Vollkommenheit der Zeiten, mache bald vollkommen doch,
Was von Blüh- und Wachstumskraft halbes Leben schon empfangen!
Deine Wirkung kann allein mit der Werkvollziehung prangen.
Werter Zeitenschatz, ach, bringe jenes Blühen auch so hoch,
Schütt aus deinem reichen Horn hochverhoffte Freudenfrüchte!
Lieblich süsser Mundergetzer, lab auch unsern Geist zugleich!
So erhebt mit jenen er deiner Früchte Ruhmgerüchte.
Zeitig´ die verlangten Zeiten in dem Oberherrschungsreich,
Lass die Anlasskerne schwarz, Schickungsäpfel saftig werden,
Dass man Gottes Gnadenfrücht froh geniesst und isst auf Erden.
Carl Hermann Busse 1872-1918
Herbstbeginn
I.
Zu Herbst nun gehn die Tage
Und schneller naht die Nacht,
Ganz ohne Klang und Klage
Stirbt Laub und Gärtenpracht.
Scheu bebt ein Schlußverkünden
Auch mir durch Sang und Sinn,
Und nachts auf Wiesengründen
Schleicht schon die Moorfrau hin ...
II.
So will sich rings auf all die Blüten betten
Herbstbraune Ruh,
Wildgänse ziehn in langen weißen Ketten
Dem Süden zu.
Mir ist zu Sinn, als müßt' auch ich jetzt wandern
Von Ort zu Ort,
Nach meiner Heimat, einer ewigen, andern,
Weitfort, weitfort ...
Theodor Fontane 1819-1898
Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland
Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,
Ein Birnbaum in seinem Garten stand,
Und kam die goldene Herbsteszeit
Und die Birnen leuchteten weit und breit,
Da stopfte, wenn's Mittag vom Turme scholl,
Der von Ribbeck sich beide Taschen voll,
Und kam in Pantinen ein Junge daher,
So rief er: »Junge, wiste 'ne Beer?«
Und kam ein Mädel, so rief er: »Lütt Dirn,
Kumm man röwer, ick hebb 'ne Birn.«
So ging es viel Jahre, bis lobesam
Der von Ribbeck auf Ribbeck zu sterben kam.
Er fühlte sein Ende. 's war Herbsteszeit,
Wieder lachten die Birnen weit und breit;
Da sagte von Ribbeck: »Ich scheide nun ab.
Legt mir eine Birne mit ins Grab.«
Und drei Tage drauf, aus dem Doppeldachhaus,
Trugen von Ribbeck sie hinaus,
Alle Bauern und Büdner mit Feiergesicht
Sangen »Jesus meine Zuversicht«,
Und die Kinder klagten, das Herze schwer:
»He is dod nu. Wer giwt uns nu 'ne Beer?«
So klagten die Kinder. Das war nicht recht -
Ach, sie kannten den alten Ribbeck schlecht;
Der neue freilich, der knausert und spart,
Hält Park und Birnbaum strenge verwahrt.
Aber der alte, vorahnend schon
Und voll Mißtraun gegen den eigenen Sohn,
Der wußte genau, was damals er tat,
Als um eine Birn' ins Grab er bat,
Und im dritten Jahr aus dem stillen Haus
Ein Birnbaumsprößling sproßt heraus.
Und die Jahre gehen wohl auf und ab,
Längst wölbt sich ein Birnbaum über dem Grab,
Und in der goldenen Herbsteszeit
Leuchtet's wieder weit und breit.
Und kommt ein Jung' übern Kirchhof her,
So flüstert's im Baume: »Wiste 'ne Beer?«
Und kommt ein Mädel, so flüstert's: »Lütt Dirn,
Kumm man röwer, ick gew' di 'ne Birn.«
So spendet Segen noch immer die Hand
Des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.
Martin Greif 1839-1911
Flucht des Sommers
Des Sommers Rosen prangen
In ihrem letzten Flor,
Daß er schon bald vergangen,
Schwebt leise nur dir vor.
Der Blick hat sich gewöhnet
Ans lang entbehrte Grün,
Wo Vogelschall ertönet
Lauscht nicht das Ohr mehr hin.
Es schwelgen alle Sinne
Und wissen kaum davon –
Wie uns ein Glück wird inne
Erst wann es schon entflohn.
Georg Heym 1887-1912
Sommers Ende
O jammervolle Tage. Untergang,
Bestürzter Bruch mit allem, was da war,
Nichts ist mehr, einem hohlen Fasse gleich
Bist du. Drin schallt es leer und dumpf, als schlüge
Man mit geballter Faust auf einen Sarg.
Dich kränket jede Tröstung. Du beschimpfst,
Was dir die Treue hielt, was ist dir Freundschaft,
Ein kahles Wort, davon die Kälte weht,
Wo Liebe ward getroffen bis ins Mark.
O reiche Tage, wenn du in dich schaust,
Nach Tränen suchend, und du findest nur
Ein trocknes Schluchzen, wie's Erstickte tun,
Auf die ein Berg fiel. Dann verachtest du
Des Lebens Becher. Doch du magst ihn nicht
Ausschütten, denn mit jenem Tage schwand
Dir auch der Mut zu jeder großen Tat.
Du fielst im Wege, und du willst dich nicht
Aus seinem Staube schleppen, dich erfreut
Des Wandrers Tritt auf deinen morschen Leib.
So arm wardst du, der eine Krone trug.
O Herbst, Herbst, der du diesen Sommer
So graunvoll schlugst, daß von der Pracht ihm blieb
Ein Stammeln nur und ein erniedrigt Herz.
Heinrich Heine 1797-1856
Der scheidende Sommer
Das gelbe Laub erzittert,
Es fallen die Blätter herab;
Ach, alles was hold und lieblich,
Verwelkt und sinkt ins Grab.
Die Gipfel des Waldes umflimmert
Ein schmerzlicher Sonnenschein;
Das mögen die letzten Küsse
des scheidenden Sommers sein.
Mir ist, als müßt ich weinen
Aus tiefstem Herzensgrund;
Dies Bild erinnert mich wieder
An unsere Abschiedsstund'.
Ich mußte von dir scheiden,
Und wußte, du stürbest bald;
Ich war der scheidende Sommer,
Du warst der sterbende Wald.
Rainer Maria Rilke 1875-1926
Noch ahnst du nichts vom Herbst des Haines
Noch ahnst du nichts vom Herbst des Haines,
drin lichte Mädchen lachend gehn,
nur manchmal küsst wie fernes, feines
Erinnern dich der Duft des Weines, –
sie lauschen, und es singt wohl eines
ein wehes Lied vom Wiedersehn.
In leiser Luft die Ranken schwanken,
wie wenn wer Abschied winkt. – Am Pfad
stehn alle Rosen in Gedanken,
sie sehen ihren Sommer kranken,
und seine hellen Hände sanken
leise von seiner reifen Tat.
Hans Leifhelm 1891-1947
Nähe des Herbstes
Schwarzes Gewölke der dämmernden Frühe
Wandelt sich kupfrig im Morgenstrahl,
Gleich als wenn er schon herbstlich verblühe,
Bleicht des verfallenen Mondes Fanal,
Dumpf aus dem Dorfe brüllen die Kühe.
Vogelbeeren locken der Näscher
Schwirrende Schwärme, im Wasser streift
Heimwärts der Otter, der scheue Häscher,
Und wo der Bach das Gehöft umschweift,
Schallt von der Tenne der Dreiklang der Drescher.
Sommerlich will noch der Morgen entbrennen,
Aber der Tau liegt wie Reif so schwer,
Weiter Umkreis ist klar zu erkennen,
Und aus der Ferne schreitet schon her
Der, den die Lippen nur flüsternd nennen.
Doch durch den Mittag wie flutende Wogen
Gehen die Düfte von Erde und Frucht,
Und am schimmernden Himmelsbogen
Kommen in Scharen aus ferner Bucht
Weiß und leuchtend die Wolken gezogen.
Fahl an dem Fensterkreuz hängen die Zöpfe
Blätternder Zwiebel und rascheln gelind,
Über die Ställe neigen die Schöpfe
Tuschelnd Holunder, und ragend im Wind
Bleichen am Giebel die Pferdeköpfe.
Und durch die Klappe schlüpft ein in die Tenne
Heimlich die Katze, und lockend die Schaar,
Wandelt mit ihren Küchlein die Henne,
Sichernd und äugend nach Sperbergefahr,
Daß nicht der Räuber die Beute gewänne.
Stahlblaue Tauben suchen nach Krumen
Hinter dem Hause, der Sperling pickt
Ölige Kerne der Sonnenblumen,
Drüben am Teiche, mit Silber bestickt,
Hocken die Weiden, gebleichte Muhmen.
Weintrauben reifen mit gärendem Blute
Spät an der Südwand, im Obstbaum hängt
Vogelscheuche mit nickendem Hute,
Und in der Koppel das Fohlen drängt
Furchtsam sich nah an die weidende Stute.
Sieh, in dem Garten die Georginen
Glänzen metallisch, das Bohnenblatt dorrt,
Wehend in glitzernden Serpentinen
Segeln die flüchtigen Herbstfäden fort,
Letzten Gewinst tragen heimwärts die Bienen.
Nah ist die Zeit, da wie jähes Erschrecken
Fremd und verwirrend der Weststurm geht,
Geisterhaft wirbelt es auf an den Ecken,
Flatternd im kreisenden Taumel verweht
Falbes Laub und es knistern die Hecken.
Friedrich Hebbel 1813-1863
Herbstbild
Dies ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah!
Die Luft ist still, als atmete man kaum,
und dennoch fallen raschelnd, fern und nah,
die schönsten Früchte ab von jedem Baum.
O stört sie nicht, die Feier der Natur!
Dies ist die Lese, die sie selber hält;
denn heute löst sich von den Zweigen nur,
was vor dem milden Strahl der Sonne fällt.
Detlev von Liliencron 1844-1909
Herbst
Astern blühen schon im Garten,
Schwächer trifft der Sonnenpfeil.
Blumen, die den Tod erwarten
Durch des Frostes Henkerbeil.
Brauner dunkelt längst die Heide,
Blätter zittern durch die Luft.
Und es liegen Wald und Weide
Unbewegt in blauem Duft.
Pfirsich an der Gartenmauer,
Kranich auf der Winterflucht.
Herbstes Freuden, Herbstes Trauer,
Welke Rosen, reife Frucht.
Hermann Lingg 1820-1905
Abnehmende Tage
Nach langen sonnighellen Wochen
Wie hat es heut mich überrascht,
Ich sah das Sonnlicht wie gebrochen,
Schon von der Dämmrung Flug erhascht!
Es lag ein hold und sanft Verglimmen,
Welch eine Stille auf der Welt!
Im Wald die letzten Vogelstimmen,
Die Flur vom Abendrot erhellt.
Noch war mit ihren Blumen allen
Die Wiese bunt geschmückt und reich,
Doch wie der Sense schon verfallen
Und wie von Ahnungsgrauen bleich!
Es klang ein Echo ferner Laute,
Und ach, in diesem Abend lag
Ein Etwas, das mir still vertraute:
Von heute nimmt nun ab der Tag!
Vergleichen mußt' ich's mit den Jahren,
Wo erstes Alter uns beschleicht,
Wo staunend wir und ernst gewahren,
Daß uns ein kühler Hauch erreicht.
Ob auch noch stolze Freuden kommen
Und alles uns noch glücken mag,
Doch wirklich hat schon abgenommen
Das Licht von unserm Lebenstag.
Ferdinand von Saar 1833-1906
Herbst
Der du die Wälder färbst,
Sonniger, milder Herbst,
Schöner als Rosenblühn
Dünkt mir dein sanftes Glühn.
Nimmermehr Sturm und Drang,
Nimmermehr Sehnsuchtsklang;
Leise nur atmest du
Tiefer Erfüllung Ruh.
Aber vernehmbar auch
Klaget ein scheuer Hauch,
Der durch die Blätter weht,
Daß es zu Ende geht.
Christian Morgenstern 1871-1914
Früh-Herbst
Sieh, des Herbstes Geisteshelle
klärt und adelt die Gelände;
Erdenbreiten, Himmelswände
kost dieselbe lautre Welle.
O du glückversunken Säumen,
eh' die Sommerfarben sterben!
O du letztes Liebeswerben
aus den unbegriffnen Räumen!
»Dass mir so die Seele leuchte,
wann ich einst des Winters werde!«
Und in meines Auges Feuchte
spiegelt sich der Schmelz der Erde.
Theodor Storm 1817-1888
Herbstnachmittag
Halbschläfrig sitz ich im Lehnstuhl;
Vor der Tür auf dem Treppenstein
Schwatzen die Mädchen und schauen
In den hellen Sonnenschein.
Die Braunen, das sind meine Schwestern,
Die Blond' ist die Liebste mein.
Sie nähen und stricken und sticken,
Als sollte schon Hochzeit sein. –
Von fern das Kichern und Plaudern
Und um mich her die Ruh,
In den Lüften ein Schwirren und Summen –
Mir fallen die Augen zu.
Und als ich wieder erwache,
Ist alles still und tot,
Und durch die Fensterscheiben
Schimmert das Abendrot.
Die Mädchen sitzen wieder
Am Tisch im stummen Verein;
Und legen zur Seite die Nadeln
Vor dem blendenden Abendschein.
Heinrich Seidel 1842-1906
Sonniger Herbsttag
Abschiedshauch durchweht die Lüfte,
Letzte Farben, letzte Düfte,
Und ein letzter holder Klang. –
Wo sind jene schönen Tage,
Da aus jedem Blüthenhage
Tönte Nachtigallensang?
Zwar noch blüht die letzte Rose,
Doch die bleiche Herbstzeitlose
Schimmert schon im Wiesengrün;
Sie verschlief das beste Wetter
Und nun kommt sie ohne Blätter
Sich beizeit noch auszublühn.
Träumerisch in sich versunken
Und wie von Erinnrung trunken
Liegt die Welt so blau und weit,
Sehnsuchtsvoll, mit sanfter Klage,
Still gedenkend goldner Tage
Und der schönen Rosenzeit!
Georg Trakl 1887-1914
Musik im Mirabell
2. Fassung - 1912
Ein Brunnen singt. Die Wolken stehn
Im klaren Blau, die weißen, zarten.
Bedächtig stille Menschen gehn
Am Abend durch den alten Garten.
Der Ahnen Marmor ist ergraut.
Ein Vogelzug streift in die Weiten.
Ein Faun mit toten Augen schaut
Nach Schatten, die ins Dunkel gleiten.
Das Laub fällt rot vom alten Baum
Und kreist herein durchs offne Fenster.
Ein Feuerschein glüht auf im Raum
Und malet trübe Angstgespenster.
Ein weißer Fremdling tritt ins Haus.
Ein Hund stürzt durch verfallene Gänge.
Die Magd löscht eine Lampe aus,
Das Ohr hört nachts Sonatenklänge.
Heinrich Seidel 1842-1906
Wandervögel
Wandervögel durch die Lüfte
Gleiten hin im Abendglühn,
In das Land der Märchendüfte,
Südwärts zu dem ew'gen Grün
Ziehn vorbei an Thal und Hügeln,
An so manch geliebtem Ort;
Und auf ihren leichten Flügeln
Tragen sie den Sommer fort.
Doch ich weiss, ihr kehrt ja wieder:
Singend in des Frühlings Schein
Bringt den Wunderklang der Lieder
Ihr vom Märchenlande heim.
Der du treulos mir entschwunden,
Wandervogel, goldnes Glück –
Nach so tausend grauen Stunden –
Wann – ach wann kehrst du zurück?!
Theodor Storm 1817-1888
Herbst
Schon ins Land der Pyramiden
Flohn die Störche übers Meer;
Schwalbenflug ist längst geschieden,
Auch die Lerche singt nicht mehr.
Seufzend in geheimer Klage
Streift der Wind das letzte Grün;
Und die süßen Sommertage,
Ach, sie sind dahin, dahin!
Nebel hat den Wald verschlungen,
Der dein stillstes Glück gesehn;
Ganz in Duft und Dämmerungen
Will die schöne Welt vergehn.
Nur noch einmal bricht die Sonne
Unaufhaltsam durch den Duft,
Und ein Strahl der alten Wonne
Rieselt über Tal und Kluft.
Und es leuchten Wald und Heide,
Dass man sicher glauben mag,
Hinter allem Winterleide
Lieg ein ferner Frühlingstag.
Joseph Victor von Scheffel 1826-1886
Wer klappert von dem Turme
Wer klappert von dem Turme
Seltsamen Gruß mir? horch!
Das ist in seinem Neste
Mein alter Freund, der Storch.
Er rüstet sich zur Reise
Weit über Land und See,
Der Herbst kommt angezogen,
Drum sagt er uns Ade!
Hast recht, daß du verreisest,
Bei uns wird's kahl und still,
Grüß mir das Land Italien
Und auch den Vater Nil.
Es werde dir im Süden
Ein besser Mahl zuteil,
Als deutsche Frösch' und Kröten,
Maikäfer und Langweil'!
Behüt' dich Gott, du Alter,
Mein Segen mit dir zieht,
Du hast in stillen Nächten
Oftmals gehört mein Lied.
Und wenn du nicht zufällig
Im Nest verschlafen bist,
So hast du auch gesehen,
Wie sie mich einst geküßt.
Doch schwatz nicht aus der Schule,
Schweig still, alter Kumpan!
Was geht die Afrikaner
Die Lieb' am Rheine an?
Georg Trakl 1887-1914
Sonniger Nachmittag
Ein Ast wiegt mich im tiefen Blau.
Im tollen, herbstlichen Blattgewirr
Flimmern Falter, berauscht und irr.
Axtschläge hallen in der Au.
In roten Beeren verbeißt sich mein Mund
Und Licht und Schatten schwanken im Laub.
Stundenlang fällt goldener Staub
Knisternd in den braunen Grund.
Die Drossel lacht aus den Büschen her
Und toll und laut schlägt über mir
Zusammen das herbstliche Blattgewirr –
Früchte lösen sich leuchtend und schwer.
Heinrich Seidel 1842-1906
Reimkunststücke - 3. Herbst
aus der Mappe des lyrischen Dichters Johannes Köhnke,
wirklichen Mitglieds des "Allgemeinen deutschen Reimvereins".
Der Dichter singt, wenn auch die Blätter fallen,
Wenn nach des Sommers Ueberschwenglichkeiten
Beginnt die Zeit der Unzulänglichkeiten,
Und Büchsen bei des Horns Geschmetter knallen.
Der Dichter singt, und um so netter schallen
Die goldnen Reime, wenn Bedenklichkeiten
Ob aller irdischen Vergänglichkeiten
Sich gleich dem düstren Sturmeswetter ballen.
Der Dichter singt, wenn alle Lieder schweigen,
Wenn zu des Südens ew’gem Sonnenbrande
Die Nachtigallen ihr Gefieder neigen.
Der Dichter singt, und seine Reime klingen:
Er sieht aus Hypokrenes Bronnensande
Zu jeder Zeit die Liederkeime dringen!
Georg Trakl 1887-1914
Verklärter Herbst
Gewaltig endet so das Jahr
Mit goldnem Wein und Frucht der Gärten.
Rund schweigen Wälder wunderbar
Und sind des Einsamen Gefährten.
Da sagt der Landmann: Es ist gut.
Ihr Abendglocken lang und leise
Gebt noch zum Ende frohen Mut.
Ein Vogelzug grüßt auf der Reise.
Es ist der Liebe milde Zeit.
Im Kahn den blauen Fluß hinunter
Wie schön sich Bild an Bildchen reiht -
Das geht in Ruh und Schweigen unter.
Ernst Stadler 1883-1914
Herbstgang
Und strahlend unter goldnem Baldachin
um starre Wipfel funkelnd hingebreitet
und Kronen tragend gehn wir hin
und flüsternd gleitet
dein süßer Tritt gedämpft im bunten Laub.
Aus wilden schwanken lachenden Girlanden
rieselt's wie goldner Staub
und webt sich fließend ein in den Gewanden
und heftet wie Juwelen schwer
sich dir ins Haar und jagt vom Licht gehetzt
in grellen Wirbeln vor uns her
und sinkt aufstiebend in das wirre Meer
kräuselnder Blätter die vom Abendduft genetzt
wie goldgewirkte Teppiche sich spannen ...
Nun lischt im fernsten Feld der letzte Laut.
Vom Feuer leis umglüht ragen die Tannen.
Ein feiner dünner Nebel staut
und schlingt sich bäumend um zermürbte Reiser
und irgendwo zerfällt ein irres Rufen.
Und deiner Schleppe Goldsaum knistert leiser
und atmend steigen wir auf steilen Stufen.
Weit wächst das Land von Schatten feucht umballt.
Drohend aus Nebeln reckt sich Baum an Baum.
Und schwarz umfängt uns schon der große Wald.
Und dunkel trägt uns schon der große Traum.
Kurt Tucholsky 1890-1935
Schöner Herbst
Das ist ein sündhaft blauer Tag!
Die Luft ist klar und kalt und windig,
weiß Gott: ein Vormittag, so find ich,
wie man ihn oft erleben mag.
Das ist ein sündhaft blauer Tag!
Jetzt schlägt das Meer mit voller Welle
gewiß an eben diese Stelle,
wo dunnemals der Kurgast lag.
Ich hocke in der großen Stadt:
und siehe, durchs Mansardenfenster
bedräuen mich die Luftgespenster ...
Und ich bin müde, satt und matt.
Dumpf stöhnend lieg ich auf dem Bett.
Am Strand war es im Herbst viel schöner ...
Ein Stimmungsbild, zwei Fölljetöner
und eine alte Operett!
Wenn ich nun aber nicht mehr mag!
Schon kratzt die Feder auf dem Bogen –
das Geld hat manches schon verbogen ...
Das ist ein sündhaft blauer Tag!
Rudolf Presber 1868-1935
Drachen
Denkst du noch vor manchen Jahren,
Wenn - des Sommers Epilog -
Heim das letzte Korn gefahren
Und der Wind durch Stoppeln flog?
Wenn die Weide müd sich neigte
Auf des Baches Spiegelglas,
Und die Grille leiser geigte,
Die versteckt in Furchen saß?
Hei, war das ein Laufen, Lachen,
War der Tag auch kühl und rauh -
Hoch in Lüften unsre Drachen
Schaukelnd bohrten sich ins Blau.
Hei, wie unser Herz sich freute,
Wenn als leichten Wolkenpflug
Kecker Wind die bunte Beute
Höher, immer höher trug.
Und zu Himmelspromenaden,
Wenn er still im Äther hing,
Ließen lockrer wir den Faden
Unsrem leichten Schmetterling.
Unser Stolz gab ihm Geleite,
Träumt sich seinesgleichen schon,
Da - ein Ruck - und der Befreite
Segelt fessellos davon ...
Nimmer haben wir gefunden
Den verwegnen Himmelsgast;
Oder, ach, er hing zerschunden
Irgendwo am Pappelast.
Seiner Rippen dürre Stecken,
Müd umraschelt vom Papier,
Scheue Krähen nur zu schrecken
Tauglich schien der Ärmste mir.
Heimwärts mit gerümpfter Lippe
Zogen schweigend wir ins Land;
Eine abgeriss'ne Strippe
In geballter Bubenhand ...
Kühle Weisheit ward mein eigen,
Die des Lebens Schule pflegt;
Keine bunten Drachen steigen,
Wenn der Herbst die Stoppeln fegt.
Aber wie viel kühne Pläne,
Hold von Hoffnungen beschwert,
Zogen hin als Wolkenkähne,
Deren keiner wiederkehrt.
Stets betrogner Menschensippen
Echtes Kind im Unverstand,
Halt' ich abgeriss'ne Strippen
Alle Tage in der Hand ...
Georg Britting 1891-1964
Drachen
Die Drachen steigen wieder
Und schwanken mit den Schwänzen
Und brummen stumme Lieder
Zu ihren Geistertänzen.
Von wo der knallende Wind herweht?
Von Bauerngärten schwer!
Jeder Garten prallfäustig voll Blumen steht,
Die Felder sind lustig leer.
Der hohe Himmel ist ausgeräumt,
Wasserblau, ohne Regenunmut.
Eine einzige weiße Wolke schäumt,
Goldhufig, wie ein Roß gebäumt,
Glanzstrudlig durch die Luftflut.
Otto Erich Hartleben 1864-1905
Lied des Trotzes
Es lebt noch eine Flamme,
es grünt noch eine Saat –
verzage nicht, noch bange:
im Anfang war die That!
Die finstren Wolken lagern
schwer auf dem greisen Land,
die welken Blätter rascheln,
was glänzt, ist Herbstestand ...
Den Blick zum Staub gewendet,
so hasten sie dahin,
verdüstert ihre Stirnen,
dumpf und gemein ihr Sinn ...
Doch seh ich Fäuste zittern
und Schläfen fühl ich glühn,
Zornadern seh ich schwellen,
manch Auge trotzig sprühn ...
Es lebt noch eine Flamme,
es grünt noch eine Saat –
verzage nicht, noch bange:
im Anfang war die That!