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Kurt Tucholsky

Die fünfte Jahreszeit

 

Die schönste Zeit im Jahr, im Leben, im Jahr? Lassen Sie mich nach-fühlen.

Frühling? Dieser lange, etwas bleichsüchtige Lümmel, mit einem Papierblütenkranz auf dem Kopf, da stakt er über die begrünten Hügel, einen gelben Stecken hat er in der Hand, präraffaelitisch und wie aus der Fürsorge entlaufen; alles ist hellblau und laut, die Spatzen fiepen und sielen sich in blauen Lachen, die Knospen knospen mit einem kleinen Knall, grüne Blättchen stecken fürwitzig ihre Köpfchen ... ä, pfui Deibel! ... die Erde sieht aus wie unrasiert, der Regen regnet jeglichen Tag und tut sich noch was darauf zugute: ich bin so nötig für das Wachstum, regnet er. Der Frühling —?

Sommer? Wie eine trächtige Kuh liegt das Land, die Felder haben zu tun, die Engerlinge auch, die Stare auch; die Vogelscheuchen scheuchen, daß die ältesten Vögel nicht aus dem Lachen herauskommen, die Ochsen schwitzen, die Dampfpflüge machen Muh, eine ungeheure Tätigkeit hat rings sich aufgetan; nachts, wenn die Nebel steigen, wirtschaftet es noch im Bauch der Erde, das ganze Land dampft vor Arbeit, es wächst, begattet sich, jungt, Säfte steigen auf und ab, die Stuten brüten, Kühe sitzen auf ihren Eiern, die Enten bringen lebendige Junge zur Welt: kleine piepsende Wolleballen, der Hahn — der Hahn, das Aas, ist so recht das Symbol des Sommers! er preist seinen Tritt an, das göttliche Elixier, er ist das Zeichen der Fruchtbarkeit, hast du das gesehn? und macht demgemäß einen mordsmäßigen Krach . . . der Sommer —?

Herbst? Mürrisch zieht sich die Haut der Erde zusammen, dünne Schleier legt sich die Fröstelnde über, Regenschauer fegt über die Felder und peitscht die entfleischten Baumstümpfe, die ihre hölzernen Schwur-finger zum Offenbarungseid in die Luft strecken: Hier ist nichts mehr zu holen ... So sieht es auch aus ... Nichts zu holen ... und der Wind verklagt die Erde, und klagend heult er um die Ecken, in enge Nasengänge wühlt er sich ein, Huuh macht er in den Stirnhöhlen, denn der Wind bekommt Prozente von den Nasendoktoren ... hochauf spritzt brauner Straßen-modder ... die Sonne ist zur Kur in Abazzia ... der Herbst —?

Und Winter? Es wird eine Art Schnee geliefert, der sich, wenn er die Erde nur von weitem sieht, sofort in Schmutz auflöst; wenn es kalt ist, ist es nicht richtig kalt sondern naßkalt, also naß... Tritt man auf Eis, macht das Eis Knack und bekommt rissige Sprünge, so eine Qualität ist das! Manchmal ist Glatteis, dann sitzt der liebe Gott, der gute, alte Mann, in den Wattewolken und freut sich, daß die Leute der Länge lang hinschlagen . . . also, wenn sie denn werden kindisch ... kalt ist der Ostwind, kalt die Sonnenstrahlen, am kältesten die Zentralheizung — der Winter —?

»Kurz und knapp, Herr Hauser! Hier sind unsere vier Jahreszeiten. Bitte: Welche —?«

Keine. Die fünfte.

»Es gibt keine fünfte.«

Es gibt eine fünfte. — Hör zu:

Wenn der Sommer vorbei ist und die Ernte in die Scheuern gebracht ist, wenn sich die Natur niederlegt, wie ein ganz altes Pferd, das sich im Stall hinlegt, so müde ist es — wenn der späte Nachsommer im Verklingen ist und der frühe Herbst noch nicht angefangen hat —: dann ist die fünfte Jahreszeit.

Nun ruht es. Die Natur hält den Atem an; an andern Tagen atmet sie unmerklich aus leise wogender Brust. Nun ist alles vorüber: geboren ist, gereift ist, gewachsen ist, gelaicht ist, geerntet ist — nun ist es vorüber. Nun sind da noch die Blätter und die Gräser und die Sträucher, aber im Augenblick dient das zu gar nichts; wenn überhaupt in der Natur ein Zweck verborgen ist: im Augenblick steht das Räderwerk still. Es ruht.

Mücken spielen im schwarz-goldenen Licht, im Licht sind wirklich schwarze Töne, tiefes Altgold liegt unter den Buchen, Pflaumenblau auf den Höhen ... kein Blatt bewegt sich, es ist ganz still. Blank sind die Far-ben, der See liegt wie gemalt, es ist ganz still. Boot, das flußab gleitet, Aufgespartes wird dahingegeben — es ruht.

So vier, so acht Tage —

Und dann geht etwas vor.

Eines Morgens riechst du den Herbst. Es ist noch nicht kalt; es ist nicht windig; es hat sich eigentlich gar nichts geändert — und doch alles. Es geht wie ein Knack durch die Luft — es ist etwas geschehen; so lange hat sich der Kubus noch gehalten, er hat geschwankt ..., na ... na ..., und nun ist er auf die andere Seite gefallen. Noch ist alles wie gestern: Die Blätter, die Bäume, die Sträucher ... aber nun ist alles anders. Das Licht ist hell, Spin-nenfäden schwimmen durch die Luft, alles hat sich einen Ruck gegeben, dahin der Zauber, der Bann ist gebrochen — nun geht es in einen klaren Herbst. Wie viele hast du? Dies ist einer davon. Das Wunder hat vielleicht vier Tage gedauert oder fünf, und du hast gewünscht, es solle nie, nie auf-hören. Es ist die Zeit, in der ältere Herren sehr sentimental werden — es ist nicht der Johannistrieb, es ist etwas andres. Es ist: optimistische Todesahnung, eine fröhliche Erkenntnis des Endes. Spätsommer, Frühherbst und das, was zwischen ihnen beiden liegt. Eine ganz kurze Spanne Zeit im Jahre.

Es ist die fünfte und schönste Jahreszeit.

1929

 

Peder Mørk Mønsted, Early Autumn in Forest
Peder Mørk Mønsted (1859-1941) war ein dänischer Landschaftsmaler.

Wilhelm Busch 1832-1908

Im Herbst

 

Der schöne Sommer ging von hinnen,

Der Herbst, der reiche, zog ins Land.

Nun weben all die guten Spinnen

So manches feine Festgewand.

 

Sie weben zu des Tages Feier

Mit kunstgeübtem Hinterbein

Ganz allerliebste Elfenschleier

Als Schmuck für Wiese, Flur und Hain.

 

Ja, tausend Silberfäden geben

Dem Winde sie zum leichten Spiel,

Die ziehen sanft dahin und schweben

Ans unbewußt bestimmte Ziel.

 

Sie ziehen in das Wunderländchen,

Wo Liebe scheu im Anbeginn,

Und leis verknüpft ein zartes Bändchen

Den Schäfer mit der Schäferin.

 

Pieter Aertsen, Market Scene
Pieter Aertsen (um 1509-1575) war ein niederländischer Maler.

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Mihály von Munkácsy, Maizefield, 1874
Mihály von Munkácsy, eigentlich Michael Lieb (1844-1900), war ein ungarischer Maler des Realismus und Freskant, der im 19. Jahrhundert europaweit bekannt war.

Ferdinand von Saar 1833-1906

Nun ist das Korn geschnitten

 

Nun ist das Korn geschnitten,

Die Felder leuchten fahl;

Ringsum ein tiefes Schweigen

Im heißen Sonnenstrahl.

 

Verblüht ist und verklungen,

Was duftete und sang,

Nur sanft tönt von den Triften

Der Herdeglockenklang.

 

Das ist, o Menschenseele,

Des Sommers heil'ger Ernst,

Daß du, noch eh' er scheidet,

Dich still besinnen lernst.

 

 

George Clausen, An Autumn Morning, Ploughing
George Clausen (1852-1844) war ein britischer Künstler, der mit Öl und Aquarell, Radierung, Mezzotinta, Trockenpunkt und gelegentlich Lithografien arbeitete.

Martin Greif 1839-1911

Herbst im Sommer

 

Währt zu lang' ein Regen fort

Und die Bäche gehn geschwollen,

Fallen siehst du da und dort

Blätter, kaum hervorgequollen.

 

Seufzer dringen durch die Luft

Und ein Stöhnen durch die Wälder,

Grabesfeuchter Nebelduft

Dehnt sich hin durch Flur und Felder.

 

Mitten in der Sommerszeit

Kommt dir an den Herbst ein Mahnen,

Wie des Glückes Flüchtigkeit

Wir erst, wenn es schwindet, ahnen.

 

 

 

Lovis Corinth, Herbstblumen, 1895
Lovis Corinth (1858-1925) war ein deutscher Maler, Zeichner und Grafiker.

Maria Luise Weissmann 1899-1929

Abend im Frühherbst

 

Weit ausgegossen liegt das breite Land.

Der Himmel taucht den Scheitel noch ins Licht,

Doch seitlich hebt gelassen eine Hand

Die dunkle Maske Nacht ihm ins Gesicht.

 

Viel fette Lämmer weiden auf der Flur,

In Gärten steht das Kraut in seiner Fülle,

Herbstwälder ziehn als eine goldne Spur,

Am Baum die Frucht glänzt prall in ihrer Hülle.

 

Es ist der letzte dieser kurzen Tage:

All Ding steht reif und rund und unbewegt

Schwebend in sich gebannt wie eine Waage,

Die Tod und Leben gleichgewichtig trägt.

 

 

George Inness, Indian Summer
George Inness (1825-1894) war ein amerikanischer tonalistischer Maler.

Kurt Tucholsky 1890-1935

Die Musik kommt

 

Nun zwängt, die sonst Musik die Töchter lehrte,

sich ins Schwarzseidene mit dem Krachkorsett;

und daß man Haydn, Bach und Koschat ehrte,

beweist man durch Gesang und am Spinett.

 

Nun schlagen wieder löwenmähnige Meister

mit ihren Pranken auf die Flügel ein,

und fiedelt jemand Violin, dann heißt er

Mischka und soll erst sieben Jahre sein.

 

Du siehst mich lächelnd an, Eleonore –

auch du, Geliebte, seist ein Singtalent?

Doch jach entfleucht durch meinem rechten Ohre,

was dein Sopran mir in das linke flennt.

 

Ach ja, der Herbst! Die Blätter werden gelber,

und jedes Mädchen kriegt ein hohes C,

und auch der Muhsikpädagoge selber

stund auf und tremolieretee . . .

 

Du Stadt der Lieder, bist du nicht verwundert?

So jedes Jahr hast du um den Advent

Musikkonzerte Stücker achtzehnhundert –

doch mit Gewinn: nur sechseinhalb Prozent.

 

François-Marie Firmin-Girard, Autumn Market at Les Halles
François-Marie Firmin-Girard, Autumn Promenade
François-Marie Firmin, geb. Firmin-Girard (1838-1921), war ein französischer Maler.

Gottfried Benn 1886-1956

Tag, der den Sommer endet

 

Tag, der den Sommer endet,

Herz, dem das Zeichen fiel.

Die Flammen sind versendet,

die Fluten und das Spiel.

 

Die Bilder werden blasser,

entrücken sich der Zeit.

Wohl spiegelt sie noch ein Wasser,

doch auch dies Wasser ist weit.

 

Du hast eine Schlacht erfahren,

trägst noch ihr Stürmen, ihr Fliehn,

indessen die Schwärme, die Scharen,

die Heere weiterziehn.

 

Rosen und Waffenspanner,

Pfeile und Flammen weit –;

die Zeichen sinken, die Banner –;

Unwiderbringlichkeit.

 

John Joseph Enneking, Autumn Landscape
John Joseph Enneking (1841-1916) war ein amerikanischer impressionistischer Maler, der mit der Boston School verbunden war.

Martin Greif 1839-1911

Nachsommer

 

Es leuchtet der Himmel

Im späten Strahl,

Auf lachende Wiesen

In Berg und Tal.

 

Rings öffnen sich Kelche,

Die wunderzart –

O zeige dich, Seele,

Von gleicher Art!

 

Albert Bierstadt, Indian Summer Hudson River
Albert Bierstadt (1830-1902) war ein amerikanischer Maler deutscher Herkunft.

Catharina Regina von Greiffenberg 1633-1694

Auf die fruchtbringende Herbstzeit

 

Freuderfüller, Früchtebringer, vielbeglückter Jahreskoch,
Gründung-, Blüh- und Zeitungziel, werkbeseeltes Lustverlangen!
Lange Hoffnung ist in dir in die Taterweisung gangen.
Ohne dich wird nur beschauet, aber nichts genossen noch.

Du Vollkommenheit der Zeiten, mache bald vollkommen doch,
Was von Blüh- und Wachstumskraft halbes Leben schon empfangen!
Deine Wirkung kann allein mit der Werkvollziehung prangen.
Werter Zeitenschatz, ach, bringe jenes Blühen auch so hoch,

Schütt aus deinem reichen Horn hochverhoffte Freudenfrüchte!
Lieblich süsser Mundergetzer, lab auch unsern Geist zugleich!
So erhebt mit jenen er deiner Früchte Ruhmgerüchte.

Zeitig´ die verlangten Zeiten in dem Oberherrschungsreich,
Lass die Anlasskerne schwarz, Schickungsäpfel saftig werden,
Dass man Gottes Gnadenfrücht froh geniesst und isst auf Erden.

 

Flori van Acker, Cabbage Harvest in a Bruges Rookery
Florimond Marie van Acker (1858-1940), genannt Flori van Acker war ein belgischer Maler.

George Henry, A Cottar's Garden
George Henry (1858-1943) war ein schottischer Maler, einer der bekanntesten der Glasgow School.

Frits Thaulow, View of Amerikavej in Copenhagen, Statens Museum for Kunst
Frits Thaulow, eigentlich Johan Frederik Thaulow (1847-1906), war ein norwegischer Maler des 19. Jahrhunderts.

Nikolai Feschin, Kapustnitsa (Kohl), 1909
Nikolai Iwanowitsch Feschin, englisch Nicolai Fechin, (1881-1955) war ein russischer bzw. US-amerikanischer Künstler.

Carl Hermann Busse 1872-1918

Herbstbeginn

 

I.

Zu Herbst nun gehn die Tage

Und schneller naht die Nacht,

Ganz ohne Klang und Klage

Stirbt Laub und Gärtenpracht.

 

Scheu bebt ein Schlußverkünden

Auch mir durch Sang und Sinn,

Und nachts auf Wiesengründen

Schleicht schon die Moorfrau hin ...

 

II.

So will sich rings auf all die Blüten betten

Herbstbraune Ruh,

Wildgänse ziehn in langen weißen Ketten

Dem Süden zu.

 

Mir ist zu Sinn, als müßt' auch ich jetzt wandern

Von Ort zu Ort,

Nach meiner Heimat, einer ewigen, andern,

Weitfort, weitfort ...

 

George Inness, Early Autumn, Montclair 1891
George Inness (1825-1894) war ein amerikanischer tonalistischer Maler.

Theodor Fontane 1819-1898

Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland

 

Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,

Ein Birnbaum in seinem Garten stand,

Und kam die goldene Herbsteszeit

Und die Birnen leuchteten weit und breit,

Da stopfte, wenn's Mittag vom Turme scholl,

Der von Ribbeck sich beide Taschen voll,

Und kam in Pantinen ein Junge daher,

So rief er: »Junge, wiste 'ne Beer?«

Und kam ein Mädel, so rief er: »Lütt Dirn,

Kumm man röwer, ick hebb 'ne Birn.«

 

So ging es viel Jahre, bis lobesam

Der von Ribbeck auf Ribbeck zu sterben kam.

Er fühlte sein Ende. 's war Herbsteszeit,

Wieder lachten die Birnen weit und breit;

Da sagte von Ribbeck: »Ich scheide nun ab.

Legt mir eine Birne mit ins Grab.«

Und drei Tage drauf, aus dem Doppeldachhaus,

Trugen von Ribbeck sie hinaus,

Alle Bauern und Büdner mit Feiergesicht

Sangen »Jesus meine Zuversicht«,

Und die Kinder klagten, das Herze schwer:

»He is dod nu. Wer giwt uns nu 'ne Beer?«

 

So klagten die Kinder. Das war nicht recht -

Ach, sie kannten den alten Ribbeck schlecht;

Der neue freilich, der knausert und spart,

Hält Park und Birnbaum strenge verwahrt.

Aber der alte, vorahnend schon

Und voll Mißtraun gegen den eigenen Sohn,

Der wußte genau, was damals er tat,

Als um eine Birn' ins Grab er bat,

Und im dritten Jahr aus dem stillen Haus

Ein Birnbaumsprößling sproßt heraus.

 

Und die Jahre gehen wohl auf und ab,

Längst wölbt sich ein Birnbaum über dem Grab,

Und in der goldenen Herbsteszeit

Leuchtet's wieder weit und breit.

Und kommt ein Jung' übern Kirchhof her,

So flüstert's im Baume: »Wiste 'ne Beer?«

Und kommt ein Mädel, so flüstert's: »Lütt Dirn,

Kumm man röwer, ick gew' di 'ne Birn.«

 

So spendet Segen noch immer die Hand

Des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.

 

 

Jacobus van Looy, Poires, ca.1920, Dordrecht Museum
Jacobus van Looy (1855-1930) war ein niederländischer Genre- und Porträtmaler sowie Schriftsteller.

 

Auguste Renoir,

Le Poirier -

Der Birnbaum,

um 1870
Pierre-Auguste Renoir (1841-1919), oft nur Auguste Renoir genannt, war einer der bedeutendsten französischen Maler des Impressionismus.

Martin Greif 1839-1911

Flucht des Sommers

 

Des Sommers Rosen prangen

In ihrem letzten Flor,

Daß er schon bald vergangen,

Schwebt leise nur dir vor.

 

Der Blick hat sich gewöhnet

Ans lang entbehrte Grün,

Wo Vogelschall ertönet

Lauscht nicht das Ohr mehr hin.

 

Es schwelgen alle Sinne

Und wissen kaum davon –

Wie uns ein Glück wird inne

Erst wann es schon entflohn.

 

 

 

Ivan Goryushkin-Sorokopudov, Falling Leaves
Ivan Silych Goryushkin-Sorokopudov (1873-1954) war ein russischer Maler.

Georg Heym 1887-1912

Sommers Ende

 

O jammervolle Tage. Untergang,

Bestürzter Bruch mit allem, was da war,

Nichts ist mehr, einem hohlen Fasse gleich

Bist du. Drin schallt es leer und dumpf, als schlüge

Man mit geballter Faust auf einen Sarg.

Dich kränket jede Tröstung. Du beschimpfst,

Was dir die Treue hielt, was ist dir Freundschaft,

Ein kahles Wort, davon die Kälte weht,

Wo Liebe ward getroffen bis ins Mark.

O reiche Tage, wenn du in dich schaust,

Nach Tränen suchend, und du findest nur

Ein trocknes Schluchzen, wie's Erstickte tun,

Auf die ein Berg fiel. Dann verachtest du

Des Lebens Becher. Doch du magst ihn nicht

Ausschütten, denn mit jenem Tage schwand

Dir auch der Mut zu jeder großen Tat.

Du fielst im Wege, und du willst dich nicht

Aus seinem Staube schleppen, dich erfreut

Des Wandrers Tritt auf deinen morschen Leib.

So arm wardst du, der eine Krone trug.

O Herbst, Herbst, der du diesen Sommer

So graunvoll schlugst, daß von der Pracht ihm blieb

Ein Stammeln nur und ein erniedrigt Herz.

 

 

George Henry, Autumn
George Henry (1858-1943) war ein schottischer Maler, einer der bekanntesten der Glasgow School.

Heinrich Heine 1797-1856

Der scheidende Sommer

 

Das gelbe Laub erzittert,

Es fallen die Blätter herab;

Ach, alles was hold und lieblich,

Verwelkt und sinkt ins Grab.

 

Die Gipfel des Waldes umflimmert

Ein schmerzlicher Sonnenschein;

Das mögen die letzten Küsse

des scheidenden Sommers sein.

 

Mir ist, als müßt ich weinen

Aus tiefstem Herzensgrund;

Dies Bild erinnert mich wieder

An unsere Abschiedsstund'.

 

Ich mußte von dir scheiden,

Und wußte, du stürbest bald;

Ich war der scheidende Sommer,

Du warst der sterbende Wald.

 

Philipp Franck, Herbst am Wannsee
Philipp Franck (1860-1944) war ein deutscher Maler, Grafiker, Zeichenlehrer und Illustrator.

Rainer Maria Rilke 1875-1926

Noch ahnst du nichts vom Herbst des Haines

 

Noch ahnst du nichts vom Herbst des Haines,

drin lichte Mädchen lachend gehn,

nur manchmal küsst wie fernes, feines

Erinnern dich der Duft des Weines, –

sie lauschen, und es singt wohl eines

ein wehes Lied vom Wiedersehn.

 

In leiser Luft die Ranken schwanken,

wie wenn wer Abschied winkt. – Am Pfad

stehn alle Rosen in Gedanken,

sie sehen ihren Sommer kranken,

und seine hellen Hände sanken

leise von seiner reifen Tat.

 

Émile Friant, Les Amoureux, Musée des beaux arts de Nancy
Émile Friant (1863-1932) war ein französischer Maler.

Hans Leifhelm 1891-1947

Nähe des Herbstes

 

Schwarzes Gewölke der dämmernden Frühe

Wandelt sich kupfrig im Morgenstrahl,

Gleich als wenn er schon herbstlich verblühe,

Bleicht des verfallenen Mondes Fanal,

Dumpf aus dem Dorfe brüllen die Kühe.

 

Vogelbeeren locken der Näscher

Schwirrende Schwärme, im Wasser streift

Heimwärts der Otter, der scheue Häscher,

Und wo der Bach das Gehöft umschweift,

Schallt von der Tenne der Dreiklang der Drescher.

 

Sommerlich will noch der Morgen entbrennen,

Aber der Tau liegt wie Reif so schwer,

Weiter Umkreis ist klar zu erkennen,

Und aus der Ferne schreitet schon her

Der, den die Lippen nur flüsternd nennen.

 

Doch durch den Mittag wie flutende Wogen

Gehen die Düfte von Erde und Frucht,

Und am schimmernden Himmelsbogen

Kommen in Scharen aus ferner Bucht

Weiß und leuchtend die Wolken gezogen.

 

Fahl an dem Fensterkreuz hängen die Zöpfe

Blätternder Zwiebel und rascheln gelind,

Über die Ställe neigen die Schöpfe

Tuschelnd Holunder, und ragend im Wind

Bleichen am Giebel die Pferdeköpfe.

 

Und durch die Klappe schlüpft ein in die Tenne

Heimlich die Katze, und lockend die Schaar,

Wandelt mit ihren Küchlein die Henne,

Sichernd und äugend nach Sperbergefahr,

Daß nicht der Räuber die Beute gewänne.

 

Stahlblaue Tauben suchen nach Krumen

Hinter dem Hause, der Sperling pickt

Ölige Kerne der Sonnenblumen,

Drüben am Teiche, mit Silber bestickt,

Hocken die Weiden, gebleichte Muhmen.

 

Weintrauben reifen mit gärendem Blute

Spät an der Südwand, im Obstbaum hängt

Vogelscheuche mit nickendem Hute,

Und in der Koppel das Fohlen drängt

Furchtsam sich nah an die weidende Stute.

 

Sieh, in dem Garten die Georginen

Glänzen metallisch, das Bohnenblatt dorrt,

Wehend in glitzernden Serpentinen

Segeln die flüchtigen Herbstfäden fort,

Letzten Gewinst tragen heimwärts die Bienen.

 

Nah ist die Zeit, da wie jähes Erschrecken

Fremd und verwirrend der Weststurm geht,

Geisterhaft wirbelt es auf an den Ecken,

Flatternd im kreisenden Taumel verweht

Falbes Laub und es knistern die Hecken.

 

Aleksandr Golovin, Herbstlandschaft, um 1918-19, Nationales Kunstmuseum der Republik Belarus
Aleksandr Yakovlevich Golovin (1863-1930) war ein russischer Maler und Theaterschaffender.

Sergei Winogradow, Birch Trees, Sunny Day
Sergei Arsenjewitsch Winogradow (1869-1938) war ein russischer Maler.

Friedrich Hebbel 1813-1863

Herbstbild

 

Dies ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah!

Die Luft ist still, als atmete man kaum,

und dennoch fallen raschelnd, fern und nah,

die schönsten Früchte ab von jedem Baum.

 

O stört sie nicht, die Feier der Natur!

Dies ist die Lese, die sie selber hält;

denn heute löst sich von den Zweigen nur,

was vor dem milden Strahl der Sonne fällt.

 

Willard Leroy Metcalf, Indian summer in Vermont
Willard Leroy Metcalf (1858-1925) war ein amerikanischer Maler

Detlev von Liliencron 1844-1909

Herbst

 

Astern blühen schon im Garten,

Schwächer trifft der Sonnenpfeil.

Blumen, die den Tod erwarten

Durch des Frostes Henkerbeil.

 

Brauner dunkelt längst die Heide,

Blätter zittern durch die Luft.

Und es liegen Wald und Weide

Unbewegt in blauem Duft.

 

Pfirsich an der Gartenmauer,

Kranich auf der Winterflucht.

Herbstes Freuden, Herbstes Trauer,

Welke Rosen, reife Frucht.

 

 

 

Karl Hartmann, Herbstsonne, 1903
Karl Ludwig Georg Wilhelm Hartmann (1861-1927) war ein deutscher Maler und Baumeister.

Hermann Lingg 1820-1905

Abnehmende Tage

 

Nach langen sonnighellen Wochen

Wie hat es heut mich überrascht,

Ich sah das Sonnlicht wie gebrochen,

Schon von der Dämmrung Flug erhascht!

 

Es lag ein hold und sanft Verglimmen,

Welch eine Stille auf der Welt!

Im Wald die letzten Vogelstimmen,

Die Flur vom Abendrot erhellt.

 

Noch war mit ihren Blumen allen

Die Wiese bunt geschmückt und reich,

Doch wie der Sense schon verfallen

Und wie von Ahnungsgrauen bleich!

 

Es klang ein Echo ferner Laute,

Und ach, in diesem Abend lag

Ein Etwas, das mir still vertraute:

Von heute nimmt nun ab der Tag!

 

Vergleichen mußt' ich's mit den Jahren,

Wo erstes Alter uns beschleicht,

Wo staunend wir und ernst gewahren,

Daß uns ein kühler Hauch erreicht.

 

Ob auch noch stolze Freuden kommen

Und alles uns noch glücken mag,

Doch wirklich hat schon abgenommen

Das Licht von unserm Lebenstag.

 

Pascal Dagnan-Bouveret, Willows by a Stream, 1908, Museum of Fine Arts
Pascal Adolphe Jean Dagnan (1852-1929), genannt Dagnan-Bouveret, war ein französischer Maler.

Ferdinand von Saar 1833-1906

Herbst

 

Der du die Wälder färbst,

Sonniger, milder Herbst,

Schöner als Rosenblühn

Dünkt mir dein sanftes Glühn.

 

Nimmermehr Sturm und Drang,

Nimmermehr Sehnsuchtsklang;

Leise nur atmest du

Tiefer Erfüllung Ruh.

 

Aber vernehmbar auch

Klaget ein scheuer Hauch,

Der durch die Blätter weht,

Daß es zu Ende geht.

 

Mathias J. Alten, Early Autumn, Fisk Lake
Mathias Joseph Alten (1871-1938) war ein deutsch-amerikanischer impressionistischer Maler.

Christian Morgenstern 1871-1914

Früh-Herbst

 

Sieh, des Herbstes Geisteshelle

klärt und adelt die Gelände;

Erdenbreiten, Himmelswände

kost dieselbe lautre Welle.

 

O du glückversunken Säumen,

eh' die Sommerfarben sterben!

O du letztes Liebeswerben

aus den unbegriffnen Räumen!

 

»Dass mir so die Seele leuchte,

wann ich einst des Winters werde!«

Und in meines Auges Feuchte

spiegelt sich der Schmelz der Erde.

 

 

Heinrich Wilhelm Trübner, Der Starnberger See, 1911
Heinrich Wilhelm Trübner (1851-1917) war ein deutscher Maler, der dem so genannten „Leibl-Kreis“ um Wilhelm Leibl angehörte und stilistisch dem Realismus, Naturalismus und im Spätwerk dem deutschen Impressionismus folgte.

Theodor Storm 1817-1888

Herbstnachmittag

 

Halbschläfrig sitz ich im Lehnstuhl;

Vor der Tür auf dem Treppenstein

Schwatzen die Mädchen und schauen

In den hellen Sonnenschein.

 

Die Braunen, das sind meine Schwestern,

Die Blond' ist die Liebste mein.

Sie nähen und stricken und sticken,

Als sollte schon Hochzeit sein. –

 

Von fern das Kichern und Plaudern

Und um mich her die Ruh,

In den Lüften ein Schwirren und Summen –

Mir fallen die Augen zu.

 

Und als ich wieder erwache,

Ist alles still und tot,

Und durch die Fensterscheiben

Schimmert das Abendrot.

 

Die Mädchen sitzen wieder

Am Tisch im stummen Verein;

Und legen zur Seite die Nadeln

Vor dem blendenden Abendschein.

 

Józef Marian Chelmonski, Indian Summer, 1875, Nationalmuseum in Warschau
Józef Marian Chelmonski (1849-1914) war ein polnischer Maler.

Heinrich Seidel 1842-1906

Sonniger Herbsttag

 

Abschiedshauch durchweht die Lüfte,

Letzte Farben, letzte Düfte,

Und ein letzter holder Klang. –

Wo sind jene schönen Tage,

Da aus jedem Blüthenhage

Tönte Nachtigallensang?

 

Zwar noch blüht die letzte Rose,

Doch die bleiche Herbstzeitlose

Schimmert schon im Wiesengrün;

Sie verschlief das beste Wetter

Und nun kommt sie ohne Blätter

Sich beizeit noch auszublühn.

 

Träumerisch in sich versunken

Und wie von Erinnrung trunken

Liegt die Welt so blau und weit,

Sehnsuchtsvoll, mit sanfter Klage,

Still gedenkend goldner Tage

Und der schönen Rosenzeit!

 

Walter Moras, Spreewaldlandschaft bei Lehde
Walter Moras, Waldlandschaft mit Teich
Walter Moras (1856-1925) war ein deutscher Maler.

Georg Trakl 1887-1914

Musik im Mirabell

2. Fassung - 1912

 

Ein Brunnen singt. Die Wolken stehn

Im klaren Blau, die weißen, zarten.

Bedächtig stille Menschen gehn

Am Abend durch den alten Garten.

 

Der Ahnen Marmor ist ergraut.

Ein Vogelzug streift in die Weiten.

Ein Faun mit toten Augen schaut

Nach Schatten, die ins Dunkel gleiten.

 

Das Laub fällt rot vom alten Baum

Und kreist herein durchs offne Fenster.

Ein Feuerschein glüht auf im Raum

Und malet trübe Angstgespenster.

 

Ein weißer Fremdling tritt ins Haus.

Ein Hund stürzt durch verfallene Gänge.

Die Magd löscht eine Lampe aus,

Das Ohr hört nachts Sonatenklänge.

 

 

Winslow Homer, Gathering Autumn Leaves
Winslow Homer (1836-1910) war ein US-amerikanischer Zeichner und Maler.

Heinrich Seidel 1842-1906

Wandervögel

 

Wandervögel durch die Lüfte

Gleiten hin im Abendglühn,

In das Land der Märchendüfte,

Südwärts zu dem ew'gen Grün

 

Ziehn vorbei an Thal und Hügeln,

An so manch geliebtem Ort;

Und auf ihren leichten Flügeln

Tragen sie den Sommer fort.

 

Doch ich weiss, ihr kehrt ja wieder:

Singend in des Frühlings Schein

Bringt den Wunderklang der Lieder

Ihr vom Märchenlande heim.

 

Der du treulos mir entschwunden,

Wandervogel, goldnes Glück –

Nach so tausend grauen Stunden –

Wann – ach wann kehrst du zurück?!

 

 

George Henry, Autumn
George Henry (1858-1943) war ein schottischer Maler, einer der bekanntesten der Glasgow School.

Theodor Storm 1817-1888

Herbst

 

Schon ins Land der Pyramiden

Flohn die Störche übers Meer;

Schwalbenflug ist längst geschieden,

Auch die Lerche singt nicht mehr.

 

Seufzend in geheimer Klage

Streift der Wind das letzte Grün;

Und die süßen Sommertage,

Ach, sie sind dahin, dahin!

 

Nebel hat den Wald verschlungen,

Der dein stillstes Glück gesehn;

Ganz in Duft und Dämmerungen

Will die schöne Welt vergehn.

 

Nur noch einmal bricht die Sonne

Unaufhaltsam durch den Duft,

Und ein Strahl der alten Wonne

Rieselt über Tal und Kluft.

 

Und es leuchten Wald und Heide,

Dass man sicher glauben mag,

Hinter allem Winterleide

Lieg ein ferner Frühlingstag.

 

Albert Bierstadt, Indian Sunset, Deer by a Lake.
Albert Bierstadt (1830-1902) war ein amerikanischer Maler deutscher Herkunft.

Joseph Victor von Scheffel 1826-1886

Wer klappert von dem Turme

 

Wer klappert von dem Turme

Seltsamen Gruß mir? horch!

Das ist in seinem Neste

Mein alter Freund, der Storch.

 

Er rüstet sich zur Reise

Weit über Land und See,

Der Herbst kommt angezogen,

Drum sagt er uns Ade!

 

Hast recht, daß du verreisest,

Bei uns wird's kahl und still,

Grüß mir das Land Italien

Und auch den Vater Nil.

 

Es werde dir im Süden

Ein besser Mahl zuteil,

Als deutsche Frösch' und Kröten,

Maikäfer und Langweil'!

 

Behüt' dich Gott, du Alter,

Mein Segen mit dir zieht,

Du hast in stillen Nächten

Oftmals gehört mein Lied.

 

Und wenn du nicht zufällig

Im Nest verschlafen bist,

So hast du auch gesehen,

Wie sie mich einst geküßt.

 

Doch schwatz nicht aus der Schule,

Schweig still, alter Kumpan!

Was geht die Afrikaner

Die Lieb' am Rheine an?

 

Jervis McEntee, Indian Summer
Jervis McEntee (1828-1981) war ein amerikanischer Maler der Hudson River School.

Georg Trakl 1887-1914

Sonniger Nachmittag

 

Ein Ast wiegt mich im tiefen Blau.

Im tollen, herbstlichen Blattgewirr

Flimmern Falter, berauscht und irr.

Axtschläge hallen in der Au.

 

In roten Beeren verbeißt sich mein Mund

Und Licht und Schatten schwanken im Laub.

Stundenlang fällt goldener Staub

Knisternd in den braunen Grund.

 

Die Drossel lacht aus den Büschen her

Und toll und laut schlägt über mir

Zusammen das herbstliche Blattgewirr –

Früchte lösen sich leuchtend und schwer.

 

John Joseph Enneking, Early Autumn
John Joseph Enneking (1841-1916) war ein amerikanischer impressionistischer Maler, der mit der Boston School verbunden war.

Heinrich Seidel 1842-1906

Reimkunststücke - 3. Herbst

 

aus der Mappe des lyrischen Dichters Johannes Köhnke,

wirklichen Mitglieds des "Allgemeinen deutschen Reimvereins".

 

 

Der Dichter singt, wenn auch die Blätter fallen,

Wenn nach des Sommers Ueberschwenglichkeiten

Beginnt die Zeit der Unzulänglichkeiten,

Und Büchsen bei des Horns Geschmetter knallen.

 

Der Dichter singt, und um so netter schallen

Die goldnen Reime, wenn Bedenklichkeiten

Ob aller irdischen Vergänglichkeiten

Sich gleich dem düstren Sturmeswetter ballen.

 

Der Dichter singt, wenn alle Lieder schweigen,

Wenn zu des Südens ew’gem Sonnenbrande

Die Nachtigallen ihr Gefieder neigen.

 

Der Dichter singt, und seine Reime klingen:

Er sieht aus Hypokrenes Bronnensande

Zu jeder Zeit die Liederkeime dringen!

 

Joaquín Sorolla, Comiendo uvas
Joaquín Sorolla y Bastida (1863-1923) war ein spanischer Maler und Grafiker des Impressionismus.

Georg Trakl 1887-1914

Verklärter Herbst

 

Gewaltig endet so das Jahr

Mit goldnem Wein und Frucht der Gärten.

Rund schweigen Wälder wunderbar

Und sind des Einsamen Gefährten.

 

Da sagt der Landmann: Es ist gut.

Ihr Abendglocken lang und leise

Gebt noch zum Ende frohen Mut.

Ein Vogelzug grüßt auf der Reise.

 

Es ist der Liebe milde Zeit.

Im Kahn den blauen Fluß hinunter

Wie schön sich Bild an Bildchen reiht -

Das geht in Ruh und Schweigen unter.

 

Philippe Mercier, The Grape Vine, Cannes
Philippe Mercier (1689-1760) war ein französischer Maler und Radierer, der hauptsächlich in England lebte und aktiv war.

Ernst Stadler 1883-1914

Herbstgang

 

Und strahlend unter goldnem Baldachin

um starre Wipfel funkelnd hingebreitet

und Kronen tragend gehn wir hin

und flüsternd gleitet

dein süßer Tritt gedämpft im bunten Laub.

Aus wilden schwanken lachenden Girlanden

rieselt's wie goldner Staub

und webt sich fließend ein in den Gewanden

und heftet wie Juwelen schwer

sich dir ins Haar und jagt vom Licht gehetzt

in grellen Wirbeln vor uns her

und sinkt aufstiebend in das wirre Meer

kräuselnder Blätter die vom Abendduft genetzt

wie goldgewirkte Teppiche sich spannen ...

 

Nun lischt im fernsten Feld der letzte Laut.

Vom Feuer leis umglüht ragen die Tannen.

Ein feiner dünner Nebel staut

und schlingt sich bäumend um zermürbte Reiser

und irgendwo zerfällt ein irres Rufen.

 

Und deiner Schleppe Goldsaum knistert leiser

und atmend steigen wir auf steilen Stufen.

Weit wächst das Land von Schatten feucht umballt.

Drohend aus Nebeln reckt sich Baum an Baum.

Und schwarz umfängt uns schon der große Wald.

Und dunkel trägt uns schon der große Traum.

 

Carl Carlsen, A Forest Walk in Autumn
Carl Christian Edvard Otto Carlsen (1855-1917) war ein dänischer Maler.

Kurt Tucholsky 1890-1935

Schöner Herbst

 

Das ist ein sündhaft blauer Tag!

Die Luft ist klar und kalt und windig,

weiß Gott: ein Vormittag, so find ich,

wie man ihn oft erleben mag.

 

Das ist ein sündhaft blauer Tag!

Jetzt schlägt das Meer mit voller Welle

gewiß an eben diese Stelle,

wo dunnemals der Kurgast lag.

 

Ich hocke in der großen Stadt:

und siehe, durchs Mansardenfenster

bedräuen mich die Luftgespenster ...

Und ich bin müde, satt und matt.

 

Dumpf stöhnend lieg ich auf dem Bett.

Am Strand war es im Herbst viel schöner ...

Ein Stimmungsbild, zwei Fölljetöner

und eine alte Operett!

 

Wenn ich nun aber nicht mehr mag!

Schon kratzt die Feder auf dem Bogen –

das Geld hat manches schon verbogen ...

Das ist ein sündhaft blauer Tag!

 

 

 

Lesser Ury, Herbststimmung am Grunewaldsee
Leo Lesser Ury (1861-1931) war ein deutscher Maler und Grafiker der impressionistischen Berliner Secession. Seine Motive waren anfangs Landschaften, Großstadtbilder und Stillleben, in seiner Spätzeit schuf er auch Monumentalbilder mit biblischen Motiven.

Rudolf Presber 1868-1935

Drachen

 

Denkst du noch vor manchen Jahren,

Wenn - des Sommers Epilog -

Heim das letzte Korn gefahren

Und der Wind durch Stoppeln flog?

Wenn die Weide müd sich neigte

Auf des Baches Spiegelglas,

Und die Grille leiser geigte,

Die versteckt in Furchen saß?

Hei, war das ein Laufen, Lachen,

War der Tag auch kühl und rauh -

Hoch in Lüften unsre Drachen

Schaukelnd bohrten sich ins Blau.

 

Hei, wie unser Herz sich freute,

Wenn als leichten Wolkenpflug

Kecker Wind die bunte Beute

Höher, immer höher trug.

Und zu Himmelspromenaden,

Wenn er still im Äther hing,

Ließen lockrer wir den Faden

Unsrem leichten Schmetterling.

Unser Stolz gab ihm Geleite,

Träumt sich seinesgleichen schon,

Da - ein Ruck - und der Befreite

Segelt fessellos davon ...

 

Nimmer haben wir gefunden

Den verwegnen Himmelsgast;

Oder, ach, er hing zerschunden

Irgendwo am Pappelast.

Seiner Rippen dürre Stecken,

Müd umraschelt vom Papier,

Scheue Krähen nur zu schrecken

Tauglich schien der Ärmste mir.

Heimwärts mit gerümpfter Lippe

Zogen schweigend wir ins Land;

Eine abgeriss'ne Strippe

In geballter Bubenhand ...

 

Kühle Weisheit ward mein eigen,

Die des Lebens Schule pflegt;

Keine bunten Drachen steigen,

Wenn der Herbst die Stoppeln fegt.

Aber wie viel kühne Pläne,

Hold von Hoffnungen beschwert,

Zogen hin als Wolkenkähne,

Deren keiner wiederkehrt.

Stets betrogner Menschensippen

Echtes Kind im Unverstand,

Halt' ich abgeriss'ne Strippen

Alle Tage in der Hand ...

 

 

 

 

Carl Spitzweg, Drachensteigen
Franz Carl Spitzweg (veraltet auch: Karl Spitzweg; 1808-1885) war ein deutscher Maler und Zeichner der Spätromantik und des Biedermeiers.
 

 

Edward Atkinson Hornel, Kite Flying, Japan
Edward Atkinson Hornel (1864-1933) war ein schottischer Maler des Spätimpressionismus und wichtiger Vertreter der Glasgow Boys, einer Künstlergruppe aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert.
 

Georg Britting 1891-1964

Drachen

 

Die Drachen steigen wieder

Und schwanken mit den Schwänzen

Und brummen stumme Lieder

Zu ihren Geistertänzen.

 

Von wo der knallende Wind herweht?

Von Bauerngärten schwer!

Jeder Garten prallfäustig voll Blumen steht,

Die Felder sind lustig leer.

 

Der hohe Himmel ist ausgeräumt,

Wasserblau, ohne Regenunmut.

Eine einzige weiße Wolke schäumt,

Goldhufig, wie ein Roß gebäumt,

Glanzstrudlig durch die Luftflut.

 

 

 

Harold Harvey, The Kite Flyer
Harold Harvey (1874–1941) war ein britischer Künstler.
 

Otto Erich Hartleben 1864-1905

Lied des Trotzes

 

Es lebt noch eine Flamme,

es grünt noch eine Saat –

verzage nicht, noch bange:

im Anfang war die That!

 

Die finstren Wolken lagern

schwer auf dem greisen Land,

die welken Blätter rascheln,

was glänzt, ist Herbstestand ...

 

Den Blick zum Staub gewendet,

so hasten sie dahin,

verdüstert ihre Stirnen,

dumpf und gemein ihr Sinn ...

 

Doch seh ich Fäuste zittern

und Schläfen fühl ich glühn,

Zornadern seh ich schwellen,

manch Auge trotzig sprühn ...

 

Es lebt noch eine Flamme,

es grünt noch eine Saat –

verzage nicht, noch bange:

im Anfang war die That!

 

Dame Laura Knight, Flying a Kite
Dame Laura Knight (1877-1970) war eine britische impressionistische Malerin.
 

Das gefährlichste

Möbelstück ist die

›Lange Bank‹,
das gefährlichste

Instrument die

›Alte Leier‹.
Abraham a Sancta Clara

Wer Trinken, Rauchen und Sex aufgibt,

lebt auch nicht länger.

Es kommt ihm nur so vor.
Sigmund Freud

Tradition ist die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche.
Gustav Mahler

Was wir brauchen,

sind ein paar verrückte Leute;

seht euch an,

wohin uns die Normalen gebracht haben.
George Bernard Shaw

Der Kluge lernt aus allem
und von jedem,
der Normale aus
seinen Erfahrungen und
der Dumme
weiß alles besser.
Sokrates
Es ist schon alles gesagt,
nur noch nicht von allen.
Karl Valentin

Um ernst zu sein,

genügt Dummheit,

während zur Heiterkeit

ein großer Verstand unerläßlich ist.
William Shakespeare

Blüte edelsten Gemütes
ist die Rücksicht;
doch zuzeiten
sind erfrischend

wie Gewitter
goldne Rücksichtslosigkeiten.

Theodor Storm

BuchKult

Franz Dewes

fjdewes@buchkult-dewes.de

 

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