Annette von Droste-Hülshoff 1797-1848
Der Frühling ist die schönste Zeit!
Was kann wohl schöner sein?
Da grünt und blüht es weit und breit
Im goldnen Sonnenschein.
Am Berghang schmilzt der letzte Schnee,
Das Bächlein rauscht zu Tal,
Es grünt die Saat, es blinkt der See
Im Frühlingssonnenstrahl.
Die Lerchen singen überall,
Die Amsel schlägt im Wald!
Nun kommt die liebe Nachtigall
Und auch der Kuckuck bald.
Nun jauchzet alles weit und breit,
Da stimmen froh wir ein:
Der Frühling ist die schönste Zeit!
Was kann wohl schöner sein?
Barthold Heinrich Brockes 1680-1747
Frühlings-Seufzer
Grosser Gott, in dieser Pracht
Seh' ich Deine Wunder-Macht
Aus vergnüg'ter Seelen an.
Es gereiche dir zu Ehren,
Dass ich sehen, dass ich hören,
Fühlen, schmecken, riechen kann!
Joseph von Eichendorff 1788-1857
Frische Fahrt
Laue Luft kommt blau geflossen,
Frühling, Frühling soll es sein!
Waldwärts Hörnerklang geschossen,
Mut’ger Augen lichter Schein,
Und das Wirren bunt und bunter
Wird ein magisch wilder Fluß,
In die schöne Welt hinunter
Lockt dich dieses Stromes Gruß.
Und ich mag mich nicht bewahren!
Weit von Euch treibt mich der Wind,
Auf dem Strome will ich fahren,
Von dem Glanze selig blind!
Tausend Stimmen lockend schlagen,
Hoch Aurora flammend weht,
Fahre zu! ich mag nicht fragen,
Wo die Fahrt zu Ende geht!
Ludwig Eichrodt 1827 - 1892
Frühling
Frühling, bist du wiedergekommen?
Lieblicher Lenz, du lachendes Kind!
Kommst du auf dem Fluß geschwommen?
Oder kommst du mit dem Wind?
Unter den weichen singenden Wellen,
Aus den Wassern melodisch klar,
Über die Hügel, die waldig schwellen,
Luget dein kluges Augenpaar.
Schaue ich nur in dein sonniges Auge,
Küsse ich nur deinen wonnigen Mund,
Trink ich von deinem blühenden Hauche,
Wird auch mein winterlich Herze gesund!
Fred Endrikat 1890-1942
Späte Freuden
Wenn ich mir die Welt beseh',
möcht' ich wie ein Böcklein hopsen.
Gestern schmolz der letzte Schnee.
heute sprießen schon die Knopsen.
Ja, der Winter war so rauh,
eisig bliesen seine Stürme.
Heute strahlt der Himmel blau
über Dächer, über Türme.
Alles Leid ist fortgefegt
wie mit einem sanften Besen,
und das Herz so ruhig schlägt.
so, als wäre nichts gewesen.
Lieber Frühling, komm geschwind,
bleib recht lang in diesem Jahre.
Ach, ich freu' mich wie ein Kind.
wie ein Kind im grauen Haare.
Was das arme Herz erhofft,
ist nun wirklich eingetreten.
Schön sind späte Freuden oft
wenn sie sich nur nicht verspäten.
Theodor Fontane 1819-1898
Frühling
Nun ist er endlich kommen doch
in grünem Knospenschuh;
Er kam, er kam ja immer noch,
die Bäume nicken sich's zu.
Sie konnten ihn all erwarten kaum,
nun treiben sie Schuss auf Schuss;
im Garten der alte Apfelbaum,
er sträubt sich, aber er muss.
Wohl zögert auch das alte Herz
und atmet noch nicht frei;
es bangt und sorgt: Es ist erst März,
und März ist noch nicht Mai.
O schüttle ab den schweren Traum
und die lange Winterruh:
Es wagt es der alte Apfelbaum,
Herze, wag's auch du.
Cäsar Flaischlen 1864-1920
Frühling
Das kannst du nicht zwingen:
daß die Knospen springen,
eh' die Sonne ihnen ihren Mai gebracht!
Aber da, was hinter dir liegt,
dich nicht schreckt mehr und unterkriegt:
was Winter in dir abzustreifen
in aller Stille … und Knospen zu reifen
und dich zum Frühling durchzuringen…
Das kannst du zwingen!
Ferdinand von Saar 1833–1906
Die Primeln
So seh' ich auch euch jetzt,
Ihr sonnigen Blumenaugen des Lenzes,
In zierliche Töpfe verpflanzt
Und in japanischen Vasen;
Seh' euch mit leisem Schmerz
Kunstvoll zum Strauße gereiht,
Und als schimmernden Brust- und Lockenschmuck
Erhöhen buhlender Schönheit Reiz.
Mehr stets liebt' ich euch
Als die ersten Veilchen
Und die thaufrischen Hagerosen.
Denn jene, ob auch verborgen dem Aug',
Locken dringenden Duft's Pflücker heran –
Und diese, fesselnd mit scharfem Dorn,
Drängen berückend am Strauch sich entgegen.
Ihr aber,
Keusch und unentweiht,
Selig des eig'nen Lichts,
Blühtet
Und verblühtet ihr,
An der Erde heilige Mutterbrust
Dicht geschmiegt.
Höchstens, daß fröhlich euch
Ein ländliches Kind dem braunen Haar gesellt,
Oder der sinnende Dichter
Andächtig euch losgelös't
Von der wurzelumhüllenden Scholle,
Damit ihr, im schlichten Glase getränkt,
Erhelltet seiner düsteren Stube Einsamkeit.
Und doch! Wo immer
Euer sanfter Glanz auch leuchtet –
Selbst in menschenvoller Gassen Kehricht noch:
Wehen um euch,
Unschuldvoll,
Die ersten,
Die reinsten Hauche der Schöpfung!
Friederike Kempner 1828-1904
Wenn der holde Frühling lenzt
Und man sich mit Veilchen kränzt
Wenn man sich mit frischem Mut
Schnittlauch in das Rührei tut
Wallen durch des Menschen Säfte
Neue, ungeahnte Kräfte –
Jegliche Verstopfung weicht
Alle Herzen werden leicht
Und das meine fragt sich still
Ob mich dies Jahr einer will?
Anna Ritter 1865-1921
Erinnerung
Ist dies ein Traum, der meinen Sinn umschmeichelt,
Der mit dem Mondstrahl in das Fenster kam,
Den schweren Druck von meiner Stirne nahm,
Mit Blüthenzweigen nun mein Antlitz streichelt,
Und zu mir spricht in jenen altvertrauten,
In Sturm und Trübsal nie vergeßnen Lauten?
Noch einmal steigt der Frühling mir herauf,
Noch einmal an den übersonnten Wegen
Seh ich den Flieder seine Trauben regen,
Narzissen schauen leuchtend zu mir auf,
Und durch den Garten kommt ein Schritt gegangen,
Der treibt das Blut in meine jungen Wangen.
Vor lauter Sehnsucht ist das Herz mir schwer.
Mit meinen Locken spielen Morgenwinde,
Und an der Mauer wiegt die alte Linde
Breitästig ihre Blüthen hin und her.
Darunter wartet er, daß meine Seele
In langem Kuß der seinen sich vermähle.
Erinnerung, wie gingst du all die Zeit
So farblos neben mir, so altbedächtig,
Wie trittst du heute gar so übermächtig,
So frühlingsfrisch in meine Einsamkeit
Und lockst aus stillen, grün umwachsnen Tiefen
Sehnsucht und Thränen, die so lange schliefen.
Friedrich Rückert 1788-1866
Ich hab in mich gesogen
Ich hab’ in mich gesogen,
Den Frühling treu und lieb,
Dass er, der Welt entflogen,
Hier in der Brust mir blieb.
Hier sind die blauen Lüfte,
Hier sind die grünen Aun,
Die Blumen hier, die Düfte,
Der blühende Rosenzaun.
Und hier am Busen lehnet
Mit süssem Liebesach,
Die Liebste, die sich sehnet
Den Frühlingswonnen nach.
Sie lehnt sich an zu lauschen
Und hört in stiller Lust
Die Frühlingsströme rauschen
In ihres Dichters Brust.
Da quellen auf die Lieder
Und strömen über sie
Den vollsten Frühling nieder,
Den mir der Gott verlieh.
Und wie sie, davon trunken,
Umblicket rings im Raum,
Blüht auch von ihren Funken
Die Welt, ein Frühlingsstraum
vertont durch Robert Schumann
Hoffmann von Fallersleben 1798-1874
Maler Frühling
Der Frühling ist ein Maler,
er malet alles an,
die Berge mit den Wäldern,
die Täler mit den Feldern:
Was der doch malen kann!
Auch meine lieben Blumen
schmückt er mit Farbenpracht:
Wie sie so herrlich strahlen!
So schön kann keiner malen,
so schön, wie er es macht.
O könnt ich doch so malen,
ich malt ihm einen Strauß
und spräch in frohem Mute
für alles Lieb und Gute
so meinen Dank ihm aus!
Rainer Maria Rilke 1875-1926
Frühling ist wiedergekommen. Die Erde
ist wie ein Kind, das Gedichte weiß;
viel, o viele ... Für die Beschwerde
langen Lernens bekommt sie den Preis.
Streng war ihr Lehrer. Wir mochten das Weiße
an dem Barte des alten Manns.
Nun, wie das Grüne, das Blaue heiße,
dürfen wir fragen: sie kanns, sie kanns!
Erde, die frei hat, du glückliche, spiele!
nun mit den Kindern. Wir wollen dich fangen,
fröhliche Erde. Dem Frohsten gelingts.
O, was der Lehrer sie lehrte, das Viele,
und was gedruckt steht in Wurzeln und langen
schwierigen Stämmen: sie singts, sie singts!
Hugo von Hofmannsthal 1874-1929
Lebensquell
Die Frühlingsfluten ziehn durch meinen Geist
Verwandte Gärung fühl ich sich ergießen
Durch tausend Knospen, die sich heut erschließen,
Und neues Leben dampft und quillt und kreist.
Das ist des ewgen Jugendbrunnens Fließen,
Der jedem Jahr die gleiche Fülle weist:
In neuer, feuchtverklärter Schönheit gleißt
Was er benetzt, und locket zum Genießen:
Gedanken, kommt und trinkt euch neues Leben:
Du scheue Hoffnung, fastverklungnes Fühlen,
Du halbverzagtes, wegemüdes Streben,
Laßt euch von lichter Lebensflut umspülen,
Ihr Träume, Bilder, die ich täglich schaue,
Daß euch auf immer dieser Glanz betaue.
Hermann Lingg 1820-1905
Verspäteter Frühling
Ein Wächter thront, ein grauer,
Auf hoher Wolkenwart,
Der Winter, der im Schauer
Auf uns herunterstarrt.
Er nimmt im ew'gen Eise
Am Schlagbaum seinen Zoll
Vom Frühling, der die Reise
Zu uns vollbringen soll.
Er will uns nicht gestatten
Der Erde buntes Kleid,
Und nicht dem Grün der Matten
Das funkelnde Geschmeid.
Will's eine Schwalbe wagen
Und nach dem Norden sehn,
So läßt er sie verzagen
In rauher Stürme Wehn.
Er merkt es jeden Morgen,
Wenn eine Wolke still,
Die Wärme wo verborgen
Herüber tragen will.
So wird denn nur verbuckelt,
Und unter viel Gefahr
Der Frühling eingeschmuggelt
Bei uns in jedem Jahr.
Alberta von Puttkamer 1849-1923
Lenzerfüllung
Sieh, das fahle Grau am Horizonte
Wird sich bald mit starken Wäldern krönen,
Und der Hügel dort, der stillbesonnte,
Ist schon hellgestirnt mit Tausendschönen.
In den Lüften spielts wie weiche Geigen,
Und die Winde wehen frohe Takte;
Eine Eiche wiegt sich stolz im Reigen,
Knospenschleier hüllt die göttlich nackte ...
Siehst du, wie die Quellen tanzend springen?
Die da lagen in kristallnen Ketten?
Wie sie sich hinaus zu Strömen ringen.
Und ins Freie, Uferlose retten?
Siehst du nicht die tausendschönen Auen?
Fühlst du nicht den großen Lebenswillen
Wie aus unsichtbaren Schalen tauen.
Und empor aus Erdengründen quillen?
Alle, alle goldnen Lebenstriebe
Massen am Erfüllungstage reifen;
Und aus Herzensengen muß die Liebe
Wachsend in die frohe Weite schweifen.
Lass dich lächelnd von dem Frühling führen,
Gib die Seele frei an seine Sonne!
Offen findst du meines Herzens Türen,
Wo du bergen kannst die Knospenwonne ...
Julie Eyth 1816-1904
Im Frühling
Sonne des Frühlings,
Welche mir scheint,
Sieh, wie mein Auge
Bitterlich weint.
Unter dem Hügel
Regt es sich hier,
Kommen die Gräslein
Wieder herfür.
Unter dem Hügel
Regt es sich hier,
Kommen die Rosen
Wieder herfür.
Unter dem Hügel
Regt es sich hier,
Kommen die Toten
Nimmer herfür.
Sonne des Frühlings,
Welche mir scheint,
Sieh, wie mein Auge
So bitterlich weint.
Peter Hammerschlag 1902-1942
Technischer Frühling
Mein Motorrad grast froh am Rain.
Der Frühling kommt. Die Stoppuhr schlägt.
Ich sehe wie ein Bäuerlein
Den Dampf-Pflug flott geschultert trägt.
Halb schüchtern naht ein Hanomag
Und küßt mein Rad auf beide Pneus ...
Die Platte trillert Lerchenschlag.
(Gespielt von den Jack-Hylton-Boys.)
Die Schwalben hocken in der Luft.
Der Telegraphendraht ist fort.
Lautsprecher nach dem Weibchen ruft.
Die Schnecken treiben Schnellkriechsport.
Im Himmel sitzt zur Stunde wohl
Der liebe Gott, so sanft und nett
Im sternbesäten Overall
Vor seinem großen Schalterbrett ...
Wir wollen fröhlich tun und spieln
Mit Tönen, Wellen, Stahl und Strahl.
Wenn wir uns dann verzweifelt fühln,
So hilft er uns wohl noch einmal ...
Heinrich Heine 1797-1856
Es drängt die Not, es läuten die Glocken,
Und ach! ich hab den Kopf verloren!
Der Frühling und zwei schöne Augen,
Sie haben sich wider mein Herz verschworen.
Der Frühling und zwei schöne Augen
Verlocken mein Herz in neue Betörung!
Ich glaube die Rosen und Nachtigallen
Sind tief verwickelt in dieser Verschwörung.
Johann Wolfgang von Goethe 1749-1832
Frühling übers Jahr
Das Beet, schon lockert
Sich's in die Höh',
Da wanken Glöckchen
So weiß wie Schnee;
Safran entfaltet
Gewalt'ge Glut,
Smaragden keimt es
Und keimt wie Blut.
Primeln stolzieren
So naseweis,
Schalkhafte Veilchen,
Versteckt mit Fleiß;
Was auch noch alles
Da regt und webt,
Genug, der Frühling,
Er wirkt und lebt.
Doch was im Garten
Am reichsten blüht,
Das ist des Liebchens
Lieblich Gemüt.
Da glühen Blicke
Mir immerfort,
Erregend Liedchen,
Erheiternd Wort;
Ein immer offen,
Ein Blütenherz,
Im Ernste freundlich
Und rein im Scherz.
Wenn Ros' und Lilie
Der Sommer bringt,
Er doch vergebens
Mit Liebchen ringt.
Johann Christian Günther 1695-1723
Frühling
Hier setze dich, verschämtes Kind!
Hier ist gut sein, hier laß uns bleiben,
Wo Wind und Lind gesprächig sind,
Und Feld und Wald den Gram vertreiben;
In dieser grünen Einsamkeit,
Wo Bach und Stein und Blätter rauschen
Soll weder List, Gefahr noch Neid
Den süßen Frühlingsscherz belauschen.
Die Schätze deiner keuschen Zucht
Und der noch unberührten Brüste
Sind wahrlich eine seltne Frucht,
Nach der ich innerlich gelüste;
Erschrick nicht vor der schnellen Hand
Und laß sie um den Busen spielen,
Ich führe dich in einen Stand,
Des Lebens Kern und Mark zu fühlen.
Beschau die Werke der Natur,
Betrachte Bäume, Feld und Tiere,
Und lerne, wie der Liebe Spur,
Dich überall zum Scherzen führe!
Wodurch sind ich und du denn da?
Zu was bist du nebst mir geboren?
Der, so die Welt im Wesen sah,
Hat uns zum Lieben auserkoren!
Otto Prechtler 1813-1881
Wer keinen Frühling hat
Wer keinen Frühling hat, dem blüht er nicht!
Wer schweigt, dem tönt kein Echo hier auf Erden!
Weß Herz nicht dichtet, der faßt kein Gedicht,
Und wer nicht liebt, dem wird nicht Liebe werden.
Was ist der Geist, der nie zum Geiste spricht,
Der selbstgefällig will in sich verwesen?
Was ist ein Gemüt, das nie die Rinde bricht?
Was eine Schrift, die nicht und nie zu lesen?
Es findet jeder Geist verwandte Geister!
Kein Herz, das einsam ohne Liebe bricht!
Nur wer sich selbst verlor, ist ein Verwaister!
Wer keinen Frühling hat, dem blüht er nicht!
Pauline Schanz 1828-1913
Nun ist das Wunder neu gescheh'n
Nun ist das Wunder neu gescheh'n,
Des Grabes Riegel ist zersprungen;
Doch ihr habt schweigend zugeseh'n,
Daß Leben sich dem Tod entrungen.
Kein Halleluja himmelwärts
Hat euren Dank emporgetragen,
Aus der verjüngten Erde Herz
In grünen Flammen ausgeschlagen.
Ungläubig Volk, vor deinem Blick
Kehrt Jahr um Jahr von Land zu Landen
Der Wunder herrlichstes zurück:
Wach auf! Der Frühling ist erstanden
Ungläubig Volk, wach' auf, wach' auf!
Der Segen kommt einhergeschritten;
Noch gibt der Herr dir Brot vollauf,
Wie damals in der Wüste Mitten.
Die Blüte ringt vom Ast sich los,
Des Erntesegens duft'ger Bote,
Der Halm quillt aus der Erde Schoß,
Es reift das Korn und wird zum Brote.
Die Beere wächst, die Traube schwillt,
Des Weines goldne Wellen steigen,
Daß Labung deinen Becher füllt,
Hell aus der Rebe herben Zweigen.
Wohin du blickst, ein Wunder taucht
Aus jeder Knospe enger Hülle;
Ungläubig Volk, das Wunder braucht,
Wach' auf und sieh' der Wunder Fülle!
Joseph Victor von Scheffel 1826-1886
»Manch ein schwer Problema hab' ich
Prüfend in dem Katerherzen
Schon erwogen und ergründet,
Aber eins bleibt ungelöst mir,
Ungelöst und unbegriffen:
Warum küssen sich die Menschen?
's ist nicht Haß, sie beißen nicht,
Hunger nicht, sie fressen sich nicht.
's kann auch kein zweckloser, blinder
Unverstand sein, denn sie sind sonst
Klug und selbstbewußt im Handeln,
Warum also, frag' umsonst ich,
Warum küssen sich die Menschen;
Warum meistens nur die jüngern?
Warum diese meist im Frühling?
Über diese Punkte werd' ich
Morgen auf des Daches Giebel
Etwas näher meditieren.«
Friedrich von Schiller 1759-1805
Der Jüngling am Bache
An der Quelle saß der Knabe,
Blumen wand er sich zum Kranz,
Und er sah sie fortgerissen,
Treiben in der Wellen Tanz.
»Und so fliehen meine Tage
Wie die Quelle rastlos hin!
Und so bleichet meine Jugend,
Wie die Kränze schnell verblühn!
Fraget nicht, warum ich traure
In des Lebens Blütenzeit!
Alles freuet sich und hoffet,
Wenn der Frühling sich erneut.
Aber diese tausend Stimmen
Der erwachenden Natur
Wecken in dem tiefen Busen
Mir den schweren Kummer nur.
Was soll mir die Freude frommen,
Die der schöne Lenz mir beut?
Eine nur ists, die ich suche,
Sie ist nah und ewig weit.
Sehnend breit ich meine Arme
Nach dem teuren Schattenbild,
Ach, ich kann es nicht erreichen,
Und das Herz bleibt ungestillt!
Komm herab, du schöne Holde,
Und verlaß dein stolzes Schloß!
Blumen, die der Lenz geboren,
Streu ich dir in deinen Schoß.
Horch, der Hain erschallt von Liedern,
Und die Quelle rieselt klar!
Raum ist in der kleinsten Hütte
Für ein glücklich liebend Paar.«
Fred Endrikat 1890-1942
Pessimist im Lenz
Die Sonne lacht. Ja, ja – die hat gut lachen,
sie steht am Himmel – frisch, fromm, frei und froh.
Wenn ich die Sonne wär' – ich würd' es auch so machen.
Mir geht mit Grundeis leider der Popo.
Der Flieder blüht. Ja, ja – der hat gut blühen,
ihn schützt der Zaun und eine Gartentür.
Er ist geschützt vor Ochsen und den Kühen.
Ich stehe außerhalb – und wer schützt mir?
Die Amsel lockt. Ja, ja – die hat gut locken,
sie sitzt im Baum, es jubelt fern und nah.
Es jubeln alle Kirchen, Kuh- und Käseglocken:
Der Lenz und der Gerichtsvollzieher sind da.
Hermann Harry Schmitz 1880-1913
Anemonen
Ein Strauß von Anemonen stand auf meinem Tisch.
Mit bunten Farben, fast zu laut,
sangen die Boten neuen Lebens
ihr jubelnd Lied vom Frühling,
von blauen Himmeln und von Sonnensiegen –
Das war der Morgen.
Der Mittag kam.
Und stürmischer und gellend wie Fanfarenklänge
umtost der Anemonen jauchzend Lied
von neuem Glück, von ewigen Seligkeiten
meine Seele.
Ich griff berauscht nach diesem Glück,
Das Glück – das größte Glück!
Und meine Seele sank ins Wunderbare.
Ein Strauß von Anemonen stand auf meinem Tisch.
Heinrich Seidel 1842-1906
Frühling
Was rauschet, was rieselt, was rinnet so schnell?
Was blitzt in der Sonne? Was schimmert so hell?
Und als ich so fragte, da murmelt der Bach:
"Der Frühling, der Frühling, der Frühling ist wach!"
Was knospet, was keimet, was duftet so lind?
Was grünet so fröhlich? Was flüstert im Wind?
Und als ich so fragte, da rauscht es im Hain:
"Der Frühling, der Frühling, der Frühling zieht ein!"
Was klingelt, was klaget, was flötet so klar?
Was jauchzet, was jubelt so wunderbar?
Und als ich so fragte, die Nachtigall schlug:
"Der Frühling, der Frühling!" – da wußt' ich genug!
Joseph von Eichendorff 1788-1857
Durcheinander
Spatzen schrein und Nachtigallen,
Nelke glüht und Distel sticht,
Rose schön durch Nesseln bricht,
Besser noch hat mir gefallen
Liebchens spielendes Augenlicht;
Aber fehlte auch nur eins von allen,
's wär eben der närrische Frühling nicht.
Nikolaus Lenau 1802-1850
Ich sah den Lenz einmal,
Erwacht im schönsten Tal;
Ich sah der Liebe Licht
Im schönsten Angesicht.
Und wandl' ich nun allein
Im Frühling durch den Hain,
Erscheint aus jedem Strauch
Ihr Angesicht mir auch.
A. de Nora 1864-1936
Föhn
Laß deinen Atem wehen,
Frühling, du Held!
Mag auch zugrunde gehen,
Was morsch auf der Welt!
Die Erde will keinen Freier,
Der lahm und lack,
Solch eine Hochzeitsfeier
Feiert im Frack.
Nein! einen wilden tollen
Nackten Geselln,
und in die Küsse sollen
Todschreie gelln!
Wogen sollen brüllen
Gepeitscht an den Strand,
Brechende Wälder füllen
Mit Stöhnen das Land,
Lawinen sollen dröhnen
Ins zitternde Tal,
Um das Brautbett tönen
Soll Sturmchoral!
So empfangen und zeugen
Riesen ihr Kind. –
– Uns ziemt es zu schweigen,
Zwerge, die wir sind …
Percy Bysshe Shelley 1792-1822
Als dann der Frühling im Garten stand,
Das Herz ein seltsam Sehnen empfand,
Und die Blumen und Kräuter und jeder Baum
wachten auf aus dem Wintertraum,
Schneeglöckchen und Veilchen hat über Nacht
der warme Regen ans Licht gebracht,
Aus Blüten und dunkler Erde ein Duft
durchzog wie ein sanftes Rufen die Luft.
Friedrich Hölderlin 1770-1843
Der Frühling
Wenn auf Gefilden neues Entzücken keimt
Und sich die Ansicht wieder verschönt und sich
An Bergen, wo die Bäume grünen,
Hellere Lüfte, Gewölke zeigen,
O! welche Freude haben die Menschen! froh
Gehn an Gestaden Einsame, Ruh' und Lust
Und Wonne der Gesundheit blühet,
Freundliches Lachen ist auch nicht ferne.
Ludwig Uhland 1787-1847
Lob des Frühlings
Saatengrün, Veilchenduft,
Lerchenwirbel, Amselschlag,
Sonnenregen, linde Luft!
Wenn ich solche Worte singe,
braucht es dann noch großer Dinge,
Dich zu preisen, Frühlingstag?
Friedrich von Spee-Langenfeld 1591-1635
Der trübe Winter ist vorbei,
die Kranich wiederkehren.
Nun reget sich der Vögel Schrei,
die Nester sich vermehren.
Laub allgemach
nun schleicht an Tag,
die Blümlein sich nun melden,
wie Schlänglein krumm
gern lächelnd um
die Bächlein kühl in Wäldern.
Eduard Mörike 1804-1875
Der Himmel glänzt vom reinsten Frühlingslichte,
Ihm schwillt der Hügel sehnsuchtsvoll entgegen,
Die starre Welt zerfließt in Liebessegen,
Und schmiegt sich rund zum zärtlichsten Gedichte.
Wenn ich den Blick nun zu den Bergen richte,
Die duftig meiner Liebe Tal umhegen -
O Herz, was hilft dein Wiegen und dein Wägen,
Daß all der Wonnestreit in dir sich schlichte!
Du, Liebe, hilf den süßen Zauber lösen,
Womit Natur in meinem Innern wühlet!
Und du, o Frühling, hilf die Liebe beugen!
Lisch aus, o Tag! Laß mich in Nacht genesen!
Indes ihr sanften Sterne göttlich kühlet,
Will ich zum Abgrund der Betrachtung steigen.
Heinrich Heine 1797-1856
Frühlingsbotschaft
Leise zieht durch mein Gemüt
Liebliches Geläute.
Klinge, kleines Frühlingslied.
Kling hinaus ins Weite.
Kling hinaus, bis an das Haus,
Wo die Blumen sprießen.
Wenn du eine Rose schaust,
Sag, ich laß sie grüßen.
Felix Mendelsohn-Bartholdy ergänzte den Text für seine Vertonung
durch eine Strophe von Hoffmann von Fallersleben,
die er als zweite dazwischenschob:
2/
Sprich zum Vöglein, das da singt
Auf dem Blütenzweige;
Sprich zum Bächlein, das da klingt,
Daß mir keines schweige!
Kurt Tucholsky 1890-1935
Der Lenz ist da!
Das Lenzsymptom zeigt sich zuerst beim Hunde,
Dann im Kalender und dann in der Luft,
Und endlich hüllt auch Fräulein Adelgunde
Sich in die frischgewaschene Frühlingsluft.
Ach ja, der Mensch! Was will er nur vom Lenze?
Ist er denn nicht das ganze Jahr in Brunst?
Doch seine Triebe kennen keine Grenze –
Dies Uhrwerk hat der liebe Gott verhunzt.
Der Vorgang ist in jedem Jahr derselbe:
Man schwelgt, wo man nur züchtig beten sollt,
Und man zerdrückt dem Heiligtum das gelbe
Geblümte Kleid – ja, hat das Gott gewollt?
Die ganze Fauna treibt es immer wieder:
Da ist ein Spitz und eine Pudelmaid –
die feine Dame senkt die Augenlider,
Der Arbeitsmann hingegen scheint voll Neid.
Durch rauh Gebrüll läßt sich das Paar nicht stören,
Ein Fußtritt trifft den armen Romeo –
Mich deucht, hier sollten zwei sich nicht gehören…
Und das geht alle, alle Jahre so.
Komm, Mutter, reich mir meine Mandoline,
Stell mir den Kaffee auf den Küchentritt. –
Schon dröhnt mein Baß: Sabine, bine, bine…
Was will man tun? Man macht es schließlich mit.