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Emanuel Geibel 1815-1884
Und dräut der Winter noch so sehr
Mit trotzigen Gebärden,
Und streut er Eis und Schnee umher,
Es muß doch Frühling werden.
Und drängen Nebel noch so dicht
Sich vor den Blick der Sonne,
Sie wecket doch mit ihrem Licht
Einmal die Welt zur Wonne.
Blast nur ihr Stürme, blast mit Macht,
Mir soll darob nicht bangen,
Auf leisen Sohlen über Nacht,
Kommt doch der Lenz gegangen.
Da wacht die Erde grünend auf,
Weiß nicht, wie ihr geschehen,
Und lacht in den sonnigen Himmel hinauf,
Und möcht vor Lust vergehen.
Sie flicht sich blühende Kränze ins Haar
Und schmückt sich mit Rosen und Ähren,
Und läßt die Brünnlein rieseln klar,
Als wären es Freudenzähren!
Drum still, und wie es frieren mag,
O Herz, gib dich zufrieden,
Es ist ein großer Maientag
Der ganzen Welt beschieden.
Und wenn dir oft auch bangt und graut,
Als sei die Höll' auf Erden:
Nur unverzagt auf Gott gebaut,
Es muß doch Frühling werden.
Rainer Maria Rilke 1875-1926
Vorfrühling
Härte schwand. Auf einmal legt sich Schonung
an der Wiesen aufgedecktes Grau.
Kleine Wasser ändern die Betonung.
Zärtlichkeiten, ungenau,
greifen nach der Erde aus dem Raum.
Wege gehen weit ins Land und zeigen’s.
Unvermutet siehst du seines Steigens
Ausdruck in dem leeren Baum.
Richard Dehmel 1863-1920
Frühlingsahnung
Die Felder liegen weiß;
wohin ich schau'
ins fahle Nebelgrau,
scheint Schnee und Eis.
Doch da – ein Sonnenstrahl
bricht durch den Flor
und zieht den Blick empor
mit einem Mal,
und von der Erden
ringt jung ein Duft
sich durch die Luft: –
will's Frühling werden?
Hugo von Hofmannsthal 1874-1929
Vorfrühling
Es läuft der Frühlingswind
Durch kahle Alleen,
Seltsame Dinge sind
In seinem Wehn.
Er hat sich gewiegt,
Wo Weinen war,
Und hat sich geschmiegt
In zerrüttetes Haar.
Er schüttelte nieder
Akazienblüten
Und kühlte die Glieder,
Die atmend glühten.
Lippen im Lachen
Hat er berührt,
Die weichen und wachen
Fluren durchspürt.
Er glitt durch die Flöte
Als schluchzender Schrei,
An dämmernder Röte
Flog er vorbei.
Er flog mit Schweigen
Durch flüsternde Zimmer
Und löschte im Neigen
Der Ampel Schimmer.
Es läuft der Frühlingswind
Durch kahle Alleen,
Seltsame Dinge sind
In seinem Wehn.
Durch die glatten
Kahlen Alleen
Treibt sein Wehn
Blasse Schatten.
Und den Duft,
Den er gebracht,
Von wo er gekommen
Seit gestern Nacht.
Wilhelm Jensen 1837-1911
Vorfrühling
Es fällt die Abenddämmerung
vom Himmel nebelnd und weich,
der laute Tag verstummet,
einem müden Kinde gleich.
Nur unsichtbar hernieder
vom Wipfel im leeren Hag
durch raschelnde Blätter des Vorjahrs
ruft einer Drossel Schlag.
Die Wolke löst sich rieselnd
in Tropfen feucht und sacht;
auf einsamem Wege befällt mich
die dunkelnd einsame Nacht.
Mir aber ist süß und sonnig
von Träumen die Seele bewegt,
wie selig vor seinem Geburtstag
ein Kind zum Schlafen sich legt.
Hoffmann von Fallersleben 1798-1874
Frühlings-Ankunft
Nach diesen trüben Tagen
Wie ist so hell das Feld!
Zerrissne Wolken tragen
die Trauer aus der Welt.
Und Keim und Knospe mühet
Sich an das Licht hervor,
Und manche Blume blühet
Zum Himmel still empor.
Ja auch so gar die Eichen
Und Reben werden grün!
O Herz, das sei dein Zeichen!
Herz, werde froh und kühn!
Ricarda Huch 1864-1947
Vorfrühling
I.
Verdrießlich schmilzt der letzte Schnee,
Der Erde braunes Antlitz seh' ich;
Gebannt mit feuchten Augen steh' ich,
Das altvertraute anzuschauen.
Gesendet vom befreiten See
Die Winde atm' ich froh, die lauen,
Und fühle sacht vom Herzen tauen
Ein heimlich namenloses Weh.
II.
Horch, die jungen Keime klopfen
An die feuchte Erdenmauer,
Milde streicht in dicken Tropfen
Durch die Luft ein Frühlingsschauer.
Langsam wandernd laß ich's gern
Mir auf Haar und Wangen regnen -
Wär' der Freund nicht allzufern,
Mein' ich, müßt' er mir begegnen.
Karl Ernst Knodt 1856-1917
Beim nahenden Frühling
Kann ichs ertragen
– Das ruhige Tagen
Des unruhvollen
Frühlings, des tollen?
Muss ich nicht wecken
Die schlafenden Hecken?
Muss ich nicht wehren
Dem Nachtthau, dem schweren?
Muss ich nicht hüten
Die träumenden Blüten?
Wer ruft den Veilchen,
Den blinkenden, blauen:
»Versteckt euch ein Weilchen
Dem Märzwind, dem rauhen?«
Muss ich nicht jagen
– Alle die Riegel,
Alle die Siegel
Flink zu zerschlagen?
Lasst mich ins Freie,
Steckt mir nicht Grenzen:
Vielleicht, wenn ich schreie,
Ersing ich das Lenzen!
Hugo von Hofmannsthal 1874-1929
Verheißung
Fühlst Du durch die Winternacht
Durch der kalten Sternlein Zittern
Durch der Eiskristalle Pracht
Wie sie flimmern und zersplittern,
Fühlst nicht nahen laue Mahnung,
Keimen leise Frühlingsahnung?
Drunten schläft der Frühlingsmorgen
Quillt in gährenden Gewalten
Und, ob heute noch verborgen,
Sprengt er rings das Eis in Spalten:
Und in wirbelnd lauem Wehen
Braust er denen, die's verstehen.
Hörst Du aus der Worte Hall,
Wie sie kühn und trotzig klettern
Und mit jugendlichem Prall
Klirrend eine Welt zerschmettern:
Hörst Du nicht die leise Mahnung,
Warmen Lebensfrühlings Ahnung?
Edith Södergran 1892-1923
Nordischer Frühling
All meine Luftschlösser geschmolzen wie Schnee,
all meine Träume wie Wasser zerronnen,
von dem was ich liebte blieb einzig mir:
ein blauer Himmel, ein paar blasse Sterne.
Sacht streicht zwischen den Fichten der Wind.
Verharrende Leere. Lautlos das Wasser.
Der alte Baum steht wach und denkt
an die weiße Wolke die er küsste im Traum.
◊
Francisca Stoecklin 1894-1931
Nordischer Frühling
Noch liegt
an verschwiegenen Waldesstellen
längst gefallener Schnee,
wie eine glitzernde Decke
über den weißen,
wartenden Glöckchen.
In der Lichtung,
wo die Sonne
ihren Überfluß schenkt,
lächelt und lebt es
von Goldprimeln, tiefblauen Sternen,
und jungem, bebendem Grün.
– Und der Duft des Seidelbastes
berauscht dich
wie ein Becher Liebestrank.
Rainer Maria Rilke 1875-1926
Es ist ein Schnee gefallen,
Denn es ist noch nicht Zeit,
Daß von den Blümlein allen,
Daß von den Blümlein allen
Wir werden hoch erfreut.
Der Sonnenblick betrüget
Mit mildem, falschem Schein,
Die Schwalbe selber lüget,
Die Schwalbe selber lüget,
Warum? Sie kommt allein.
Sollt ich mich einzeln freuen,
Wenn auch der Frühling nah?
Doch kommen wir zu zweien,
Doch kommen wir zu zweien,
Gleich ist der Sommer da.
Martin Greif 1839-1911
Frühlingsnähe
Wieder seh ich jenen Schimmer,
Jenen Schimmer an den Bäumen,
Der mir sagt, es könne nimmer
Lange mehr der Frühling säumen.
Ja, es ist ein holdes Zeichen,
Und, bevor wir ihn noch bitten,
Wird er uns mit seinen reichen
Wunderblüten überschütten.
Otto Julius Bierbaum 1865-1910
Vorfrühling
Sieh da: Die Weide schon im Silberpelz,
Die Birken glänzen, ob auch ohne Laub,
In einem Lichte, das wie Frühling ist.
Der blaue Himmel zeigt türkisenblau
Ganz schmale Streifen, und ich weiß, das ist
Des jungen Jahres erster Farbenklang,
Die ferne Flöte der Beruhigung:
Die Liebe hat die Flügel schon gespannt,
Sie naht gelassenen Flügels himmelher,
Bald wird die Erde bräutlich heiter sein.
Nun Herz, sei wach und halte dich bereit
Dem holden Gaste, der mit Blumen kommt
Und Liebe atmet, wie die Blume Duft.
Sei wach und glaube: Liebe kommt zu dir,
Wenn du nur recht ergeben und getrost
Dich auftust wie ein Frühlingsblumenkelch.
Otto Ernst 1862-1926
Vorfrühling
Welch goldnes Leuchten fließt so ungeahnt
Wie lichter Zauber um die starren Bäume?
Was zittert wie geheimer Feierton
Mit leisem Klingen durch des Himmels Räume?
Die Flut des Lichts rinnt mit froher Hast
Vom Felsenhaupt bis in des Abgrunds Klüfte,
Und horch! - schon ruft ein Fink mit leisem Schlag
Zaghaften Jubel in die stillen Lüfte.
Es hat der Lenz in stummer Ungeduld
Der Erde schon gestanden seine Liebe,
Die Lider ihr mit lindem Strahl geküßt,
Daß sie nicht mehr im Schlaf befangen bliebe.
Er hat der tief entschlafenen zugeraunt
Der Sehnsucht erste, seligbange Frage
Und ihr versprochen, was die Liebe schenkt:
Verklärte Nächte, sonnenschöne Tage! -
Und sieh! Von ihrem Antlitz hebt sie leis
Den duftgewobnen, zarten Nebelschleier
Und schaut mit Augen, die der Traum noch bannt,
Wie zweifelnd auf den leuchtenden Befreier.
Noch fast sie nicht die ganze süße Luft,
Noch hängt an ihrer Wimper schweres Trauern;
Doch mehr und mehr erkennt sie schon den freund,
Und leis erbebt ihr Leib in Wonneschauern. –
Selma Meerbaum-Eisinger 1924-1942
Frühling
Sonne. Und noch ein bißchen aufgetauter Schnee
und Wasser, das von allen Dächern tropft,
und dann ein bloßer Absatz, welcher klopft,
und Straßen, die in nasser Glattheit glänzen,
und Gräser, welche hinter hohen Fenzen
dastehen, wie ein halbverscheuchtes Reh ...
Himmel. Und milder, warmer Regen, welcher fällt,
und dann ein Hund, der sinn- und grundlos bellt,
ein Mantel, welcher offen weht,
ein dünnes Kleid, das wie ein Lachen steht,
in einer Kinderhand ein bißchen nasser Schnee
und in den Augen Warten auf den ersten Klee ...
Frühling. Die Bäume sind erst jetzt ganz kahl
und jeder Strauch ist wie ein weicher Schall
als erste Nachricht von dem neuen Glück.
Und morgen kehren Schwalben auch zurück.
Erich Mühsam 1878-1934
Wollte nicht der Frühling kommen?
Wollte nicht der Frühling kommen?
War nicht schon die weiße Decke
von dem Rasenplatz genommen
gegenüber an der Ecke?
Nebenan die schwarze Linde
ließ sogar schon (sollt ich denken)
von besonntem Märzenwinde
kleine, grüne Knospen schwenken.
In die Herzen kam ein Hoffen,
in die Augen kam ein Flüstern –
und man ließ den Mantel offen,
und man blähte weit die Nüstern.
Ja, es waren schöne Tage.
Doch sie haben uns betrogen.
Frost und Sturm und Schnupfenplage
sind schon wieder eingezogen.
Zugeknöpft bis an den Kiefer
flieht der Mensch die Gottesfluren,
wo ein gelblichweißer, tiefer
Schnee versteckt die Frühlingsspuren.
Sturmwind pfeift um nackte Zweige,
und der Rasenplatz ist schlammig.
In mein Los ergeben neige
ich das Auge. Gottverdammich!
Dr. Owlglass*
Schneeschmelze
Die Erde schluckt alles: schluckt den Schnee,
des Winters Leid, des Lebens Weh.
Sie schluckt's und spuckt es wieder aus,
macht Gras und Kraut und Blumen draus.
Und immer, immer ist jemand da,
der noch nie so viel Schönes sah
– bis alles wieder welkt und dorrt.
So geht das fort und ewig fort.
Stumm sitzt Gott Vater auf dem Thron.
... O Gott, was hast du bloß davon?
*eigentlich Hans Erich Blaich, dt. Arzt, Schriftsteller und Lyriker
Johann Georg Fischer 1816-1897
Zeitiger Frühling
(auch: „Balder Frühling“)
Springt der Bube das Dorf hinaus:
»Vater, es ist schon Frühling drauss,
Zum Schmetterlingsfang die beste Zeit.«
Ist zwar kein Frühling noch weit und breit,
Fing kaum der Staub des Märzen an;
Doch die Jugend will ihren Willen han. –
Wie, wenn ich nach dem Jungen ging,
Zu schauen, was er im Garne fing?
Freute mich ja so ein Falter selber,
So ein roter oder zitronengelber!
Richtig! da flattert's schon; – doch wie! –
Sah ich doch all mein Leben nie
Einen so artlichen Schmetterling:
Ein milchjung, geschlacht und huschig Ding,
So scheu halb und so flüchtig noch,
So dreist halb und fürwitzig doch,
Minder im Fluge, mehr im Lauf,
Ein herziger Kindskopf obenauf,
Schwarzaugen, so funkend und feuernd schon,
Zöpfe, so lang als die ganze Person,
Eine rote Masche als Halsgeschmeid,
Statt der Flügel ein fliegend Kleid,
Und ein lustiges Kreuzband zum Beschluss
Kurzweilig zeichnet den muntern Fuß.
Ein Extra-Märzenvogel der!
Mein luftiger Ärgster hinterher,
Das Schmetterlingsgarn verächtlich weggeschmissen.
Ja nun, nun freilich muss Frühling sein,
Er blüht mir ja selber zum Haus herein; –
Was doch die Jungen alles besser wissen!
Georg Heym 1887-1912
Abende im Vorfrühling
I.
Dem Bettler stahlen Kinder seine Krücken.
Nun sitzt er schimpfend am Laternenpfahl.
Den Blick lockt an ein großes rotes Mal,
Das wuchernd zieht vom Halse zu dem Rücken.
Am Neubau hämmert in den harten Stahl
Ein Mann seit Stunden, daß er birst zu Stücken.
Ein Pärchen füttert Schwäne von den Brücken,
Um sich versammelnd ihre kleine Zahl.
Im Uferwalde brennt in gelbem Schein
Der Abendhimmel. Wolken ziehn zu paar
Darüber hin. Ihm wird der Glanz genommen.
Doch glänzt im ros’gen Blau der Edelstein
Des Abendsternes, einsam, rein und klar.
Es brennt zu hell. Zu Nacht wird Regen kommen.
Georg Heym 1887-1912
Abende im Vorfrühling
II .
Die Fischer kommen von dem ersten Fang.
Soldaten stehen vor den Fensterreihen
An der Kaserne schon zu zwein und dreien.
Sie sperren neckend eines Mädchens Gang.
Die Frauen plaudern zu der Nadeln Klang.
Die Kinder spielen wieder in dem Freien.
«Ein Storch, ein Storch.» Die Kinderstimmen schreien.
Und alle schauen nach den Vögeln lang.
Zwei Männer ziehen einen kleinen Wagen.
Sie machen vor dem letzten Hause halt.
Ein Sarg wird durch die stumme Tür getragen.
Still wird die Gasse. Es durchweht sie kalt.
Doch bald die Nadeln wieder klappernd jagen
Und Kinderlärmen wieder durch sie schallt.
Georg Heym 1887-1912
Abende im Vorfrühling
III.
In großen Höhen zieht ein Wölkchen kaum.
Das Land liegt rings in zarter Helligkeit.
Am Horizonte in den Bergen weit
Ruht grün und rot der Abendwolken Saum.
Es ist, als lebte jeder kahle Baum.
Die Äste fassen in den Himmel breit.
Sie zittern in dem Licht vor Freudigkeit:
Des Frühlings Düfte ziehen durch den Raum,
Durch sonntagsstille Gassen. Manchmal weht
Ein Windhauch durch den Winkel und verfliegt
An blinde Scheiben klopfend. Manchmal geht
Der Fenster eins, das in den Blumen steht,
In erste Frühlingsblumen eingeschmiegt.
Es läßt den Abend ein und schließt sich spät.
Anna Ritter 1865-1921
Vorfrühling
Über den Feldern ein warmer Hauch,
Schwellende Knospen am Dornenstrauch
Ungeduldige Wölkchen schweben
Über mir hin, und fern im Land,
Wo die Berge ihr Haupt erheben,
Aus dem feinen, bläulichen Rauch
Winkt eine Hand:
»Wartest du auch?
Wartest du auch auf das blühende Leben...?«
Emerenz Meier 1874-1928
Vorfrühling
Da draussen rauscht der Regen,
Der Wind braust überm Land;
Doch leise webt den Segen
Des neuen Lenzes Hand.
Sie lockt aus Strauch und Bäumen
Der Knospen grünen Schein,
Sie schmückt mit lichten Säumen
Der Wälder düstre Reih'n.
Sie webt schon an dem Kleide
Der stillen Erdenbraut,
Die bald zu aller Freude
Dem Frühling wird getraut.
Mag jetzt der Sturm nur tosen,
Er knickt die Hoffnung nicht.
Bald winken uns die Rosen
Und blüh'n Vergissmeinnicht.
Christian Morgenstern 1871-1914
Vorfrühling
Die blätterlosen Pappeln stehn so fein,
so schlank, so herb am abendfahlen Zelt.
Die Amseln jubeln wild und bergquellrein,
und wunderlich in Ahnung ruht die Welt.
Gespenstische Gewölke, schwer und feucht,
zerschatten den noch ungesternten Raum
und Übergraun, im sinkenden Geleucht.
Gebirg und Grund, ein krauser, trunkner Traum.
Hedwig Lachmann 1865-1918
Dämmerung im Vorfrühling
Der Tag bleicht. Letzte Helligkeit
Quillt aus dem ebenmässigen Gewölk.
Die Erde trocken und befreit
Von Schnee; nur hie und da die Spur
Von dünnem Eise, wie Glasur.
Die Dunkelheit wächst sanft und stät;
Ein Licht, das aufblitzt, glimmt noch matt;
Die Kinder spielen noch so spät,
Der Tagesfreuden nimmer satt.
Die Menschen schreiten säumig, wie verführt;
Und atmend heben sie das Kinn
So an die Luft, als läge drin
Für sie ein Etwas, das den Sinn
Wie eine wahre Seligkeit berührt.
Ernst Stadler 1883-1914
Vorfrühling
Bäume weiß ich, frühlingsstarke Bäume,
denen gärend der Jugend Saft
durch glühende Adern singt.
Die lechzend verlangen
nach dem Rausche der Erfüllung.
Aber noch starren sie kahl und stumm.
Harte Schorfe ketten die vorschwellenden Triebe.
Und in wilden Träumen nur langen sie empor
zu dem schaffenden Licht,
daß es sie bade in Glanz und Glut.
Weiten sich ihre Äste, daß gierig sie einsögen
den zauberstarken Most lauen Sommerregens,
zu erblühen und zu leben gleich ihren Brüdern.
Denn noch kennen sie nicht den Sommerrausch
der Erfüllung. Aber krachend durchwühlt ihren Leib
der Lenzstrom der Ahnung.
Wanderer ziehen vorüber,
und also spricht einer zum anderen:
»Sehet die Bäume dort,
wie kahl sie stehen und stumm!
Kalt schleppt sich ihr Blut, und mürrisch fliehen
sie des Lenzes sanft wirkende Kraft.
Lasset sie im Dunkeln, die Finstern! ...«
So sprechen sie und gehen vorbei. –
Und nicht einer,
der sähe die stürmenden Flammen der Sehnsucht,
die gierend aus ihren Augen lodern
und verzehrend über ihnen zusammengluten ...
Georg Britting 1891-1964
Vorfrühling
In das große, graue Himmelstuch
Ist ein blauer Streif gerissen.
Aufgeschlagen wie ein Buch
Liegt der Acker. Die zu lesen wissen
Lesen: Frühling! in der groben Schollenschrift.
Ackerfurchen sind wie krumme Zeilen,
Pappeln Ausrufzeichen, und zuweilen
Setzen Tümpel, die ein Lichtstrahl trifft
Hinter einen Satz den Punkt.
Die Scheune mit dem grünen Dach,
Auf Bretterfüßen, morsch und schwach,
Ist von einem Lichterkranz umprunkt.
Drei Krähen, schwarz und in Talaren,
Hocken auf dem Heckenband.
Schlag in die Hand! In Federwindfanfaren
Schaukeln sie zum nächsten Ackerrand.
Ihre schwarzen Schatten schwanken
Spukhaft überm Wasserloch,
Wo sie krächzend niedersanken,
Sich schnell die Maus in ihren Höhlengang verkroch.
Peter Hille 1854-1904
Vorfrühling
Weltanfassende, fröhliche Dummheit,
Sprießendes Singen seimigen Grases,
Wohligschelmisch Gewölk.
Weicher Schalmeientöne,
Sinniges Grübchen.
Am markig umwundenen Knie,
Ziehet's spielend hin:
Fromm in Sonne,
Atmende Auen.
Reime und Maße,
Tabulatur der Stände
Gezählt am peinlich
Gekrümmten Finger -
Das ist vorüber.
Blöde zwinkernd
Putzt die stechenden Brillengläser
Heisere Gescheitheit.
Melodische Seele der Welt,
Frühling, Schalmei,
Spiele, spiele uns alle hin
In alles Schönheit tanzendes Leben.
In das muntere Gesetz
Alle Sterne strahlenden
Liebenden Reigens.
Warum kommen nur die Menschen nicht,
Wollen sie nicht?
Und zwingen zum Tanz?...
Nun -
Und die spatzschreienden Hecken
Und die paarenden Tiere sagen:
Die Welt geht weiter.
Auf vermoderter Triebe Rost
Immer wieder nachquillend
Tauender Teufel bereuender Frost.
Auf der grünen weiteblauen
Himmelswiese
Dauern hin, spielend versonnen,
Weltverlorne Lichtungen,
Locken rötlich träumende Kindesköpfe.
Gelbes rotes strotzendes Feuer
Roter Blumen.
Blitzelt auf bräunlichen Ständern
Suchend wach...
Entgilbender Himmel -
Ist es nicht wärmer schon oben?
Da Gott Vater erst
Und erste Welt;
War das nicht so wie himmlische
Weltanfassende Dummheit.
Paul Boldt 1885-1921
Vorfrühlingshimmel
Blätter wollen im Winde fliegen,
Winde die Chaussee begleiten,
Wolken sich auf Winden wiegen,
Taumelnde Beschwerlichkeiten. –
Und ich komme, seltsam kühn,
Und als ob ich nicht Ich wäre,
Aus den Winden, Avenuen,
Mehr in das Imaginäre.
Max Dauthendey 1867-1918
Die werden wie Menschen jetzt warm
Die Baumstämme werden wie Menschen jetzt warm,
Sie nehmen den Sonnenschein gern in den Arm.
Der Schnee rund um den Stamm entweicht,
Soweit des Baumes Wurzel reicht.
Die Schneeglocken hocken da rund in Scharen
Begrüßt von den Staren.
Auf graslosem Boden bloß Keim bei Keim,
Beim kahlen Baum duftet's nach Honigseim,
Es duftet nach Liebe, dem Frost entronnen,
Erste Blüte und letzter Schnee sich dort sonnen.
Josef Weinheber 1892-1945
Vorfrühling
Spürst du das leise Grün? Fühlst du die Knospen am Strauch:
ahnst du den weiten Wind? -
Liebste, o still! Liebe ist nur ein Hauch.
Hörst du die Stille? Tief, einzig und gross,
wie unsre Träume sind -
Sprich nicht! Jetzt nicht! Liebe ist Lauschen bloss.
Siehst du die Wolke inmitten unendlichen Blau's
wehen und wandern, Kind? -
Kehren wir um! Liebe ist Sehnsucht nach Haus.
Felix Schumann 1854-1879
Wollt ihr Wolken gar nicht weichen?
Wollt ihr Wolken gar nicht weichen?
Sonne, willst du nie mehr glühn?
Frühling gibt noch gar kein Zeichen
Und die Erde wird nicht grün.
Und die Linde streckt noch immer
Kahl die alten Äste aus,
Und der Rauch steigt aus dem Zimmer
Immer noch zum Dach hinaus.
Im Kamin verglühn die Kohlen,
Dämmrung spinnt mich leise ein,
Mit der Hoffnung schleicht verstohlen
Wehmut sich ins Herz hinein.
Kommt der Lenz auch endlich wieder,
Bringt er mir das alte Glühn?
Wird mit Rosmarin und Flieder
Auch die Liebe wieder blühn?
August Stramm 1874-1915
Vorfrühling
Pralle Wolken jagen sich in Pfützen
Aus frischen Leibesbrüchen schreien Halme Ströme
Die Schatten stehen erschöpft.
Auf kreischt die Luft
Im Kreisen, weht und heult und wälzt sich
Und Risse schlitzen jählings sich
Und narben
Am grauen Leib.
Das Schweigen tappet schwer herab
Und lastet!
Da rollt das Licht sich auf
Jäh gelb und springt
Und Flecken spritzen –
Verbleicht
Und
Pralle Wolken tummeln sich in Pfützen.
Peter Hille 1854-1904
Winterstiefel
Ein Scherzo aus dem Vorfrühling
Hat ja nur sich selber an,
Schämt sich nicht, hat Freud′ daran
Krauses Haar wie lachend Gold,
Das von tausend Teufeln tollt.
Beide Beine flink und fein
Sinken in zwei Stiefel ein.
Kappen plump und Absatz schwer,
Lachend schleppt es sich daher.
Also ob die Welt nur Leder wär!
Schwarz das Leder, ros′ das Bein:
Stiefel, sag′, was fällt dir ein?
"Hup, mein Jung, da fliegt er hin:
Will dir zeigen, was ich bin!"
Heissa, wie der Stiefel flog
Beide Hände klatschen hoch.
Und die Füßlein ganz befreit
Machen die ein Zehengespreit.
Ernst Blass 1890-1939
Vorfrühling
Es sind schon wieder Mädchen in dem Park.
Hellblauer Himmel streicht gleich einer Hand
Über dein Angesicht. Die Luft hat Mark.
Nachmittag ist im schon beschenkten Land.
Die Vögel machen flatternden Radau.
Der Ärger, vormittags, war er so arg?
Du fühlst die Luft nahrhaft und schwingend stark –
Zuweilen nur ist sie ein bisschen rau.
Was man nicht konnt’ den ganzen Winter lang:
Im Freien sitzen, viel, auf einer Bank,
Das kann man wieder, o der Luft sei Dank.
Man kann die ganze Stadt hier übersehn.
Links ist der Sonne Abenduntergehn,
Rechts kühne Wolken, die nach Westen wehn.
Fred Endrikat
Frühling ist's!
Frühling ist's! Die Hennen glucksen.
Veilchen raus – und weiße Buxen.
Frauen schnüren sich geringer,
und der Bauer schiebt den Dünger.
Fliegen klettern unverdrossen
auf den Nasensommersprossen.
Ringsum blüht's an allen Hecken –
und es riecht aus den Ap'theken.
Ich steck mir voll Übermut
'nen Sonnenstrahl an meinen Hut.
Freudig jubeln und frohlocken
Kirchen-, Kuh- und Käseglocken.
Frühling wird's mit Vehemenz.
Auf grünen Filzpantoffeln naht der Lenz!
Maria Luise Weissmann 1899-1929
Park im Vorfrühling
O halte dich, aus dir nicht zu entgleiten
Ins Grenzenlose! Folg der Hunde Spiel
Nicht mit dem Blick, wies weiß in dunkeln Weiten
Der Büsche schwindet. Lausch nicht auf ein Ziel
Im unruhvollen Trab der schnellen Pferde,
Von fern her klopfend. Achte, daß die Sohle
Der Füße dir nicht, schwindelnde Geberde,
Der Hügel Fall und Anstieg wiederhole,
Schmeck nicht zu tief den bittern Knospenduft!..
Und doch zuletzt, ein Trunkener und schwer
Brichst taumelnd du durch trügerische Luft
Tief in des Himmels schwarz beschäumtes Meer.
Betty Paoli 1814-1894
Frühlingsahnung
Wenn des Winters starrer Traum
Berg und Flur mit Schnee bedecket,
Jeder dürre Zweig am Baum
Jammernd sich gen Himmel strecket:
Kannst du da begreifen, sag'
Wie nach wen'gen Mondesneigen
Der jetzt frosterstarrter Hag
Einen Blüthenflor wird zeigen?
Doch du weißt, der lichte Trost
Naht auf unsichtbaren Wegen
Und im rauhen Winterfrost
Lächelst du dem Lenz entgegen.
Und so kann, so kann auch ich
Nicht begreifen und nicht fassen,
Wie in meiner Seele sich
Noch ein Glück wird ziehen lassen.
Doch ich weiß: zur Wonne geht,
Wer da wallt auf Dornenbahnen,
Und durch meinen Winter weht
Ein tief selig Frühlingsahnen!